Für alle, die sich schon mal gefragt haben, wie sie ihrem Kind Konzepte wie die Repräsentation von Geschlechterrollen in den Medien, Sexismus, Genderfragen oder auch einfach den Körper erklären können, ist die Graphic Novel Die Liga der Superfeminist*innen ein guter Geheimtipp. Mit diesem Comic gelingt der jungen Autorin Mirion Malle ein pädagogischer „Werkzeugkasten“ in Comicform.
Malle interessierte sich bereits im Studium für Fragen der Repräsentation von Gender und Geschlechterrollen in populären Medien. Ihre Analysen dazu hält sie in ihrem französischsprachigen Comic-Blog Commando Culotte fest. Aber nicht nur deswegen ist Malle keine Unbekannte in der Szene: Als 2016 beim Internationalen Comicfestival von Angoulême unter den 30 Nominierten für die begehrte Auszeichnung sich keine weibliche Comic-Autorin befand, rief sie zusammen mit anderen Kunstschaffenden zum Boykott der Abstimmung auf. Damit wollte sie darauf aufmerksam machen, dass Frauen in diesem Metier höchstens toleriert und ihre Werke im Vergleich zu denjenigen ihrer männlichen Kollegen immer noch als minderwertig betrachtet werden.
Ela zum Winkel ist für die Übersetzung der Graphic Novel eine gute Wahl. Denn neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin ist sie auch als Schauspielerin und Regisseurin tätig. Als Theaterschaffende ist sie mit den Varietäten des mündlichen Codes vertraut, was für die Übertragung von Comics besonders wichtig ist. 2021 war sie Stipendiatin des Georges-Arthur-Goldschmidt-Programms für junge Literaturübersetzer*innen, für die Übersetzung von Les impatientes von Djaïli Amadou Amal erhielt sie das Bode-Stipendium des Deutschen Übersetzerfonds.
Mit viel Humor und pädagogischem Feingefühl illustriert Mirion Malle, wie sich Sexismus in der Gesellschaft manifestiert. Zu Beginn wird die mediale Darstellung von Mädchen und Frauen problematisiert. Dabei bezieht sich die Autorin auf jede Art von Medien – angefangen bei Werbung, Filmen, Serien über Bücher und Zeitungen bis hin zu Videospielen. Malle legt dabei einen starken Fokus auf die Repräsentation von Mädchen und Frauen: Weibliche Figuren sind in den Medien im Gegensatz zu ihren männlichen Pendants stark unterrepräsentiert. Und wenn sie vorkommen, so ist ihre Darstellung mit Klischees behaftet – Mädchen werden oft als vermeintlich schwach, als wunderschöne Prinzessinnen, Sängerinnen oder Tänzerinnen usw. dargestellt, die nur auf ihr Äußeres bedacht sind und den Wunsch hegen, endlich ihren „Traumprinzen“ zu heiraten. Männliche Protagonisten hingegen werden in den Medien mit ganz unterschiedlichen Interessen gezeichnet: Jeder von ihnen hat einen eigenen Charakter mit einzigartigen Eigenschaften, da gibt es beispielsweise den Lustigen, den Nerd, den Raufbold, den Sportlichen usw. Mädchen wiederum, sofern sie denn in den Medien überhaupt vorkommen, sind oft Rivalinnen, die um die Zuneigung eines Jungen buhlen. Malle führt aus, zu welch drastischen Folgen eine derart reduzierte und oberflächliche Repräsentation führen kann: Bereits mit acht Jahren sinke das Selbstvertrauen bei Mädchen, mit zehn fänden sie sich plötzlich zu dick und im Alter zwischen 18 und 22 würde jede zweite Frau lieber von einem LKW überfahren als dick zu werden.
Doch Mirion Malle prangert in ihrem pädagogischen Comic den Sexismus nicht einfach nur an, sondern gibt auch ganz praktische Tipps und damit handfeste Werkzeuge, wie man patriarchale Strukturen erkennt, hinterfragt und diese so aufbricht. Eines dieser praktischen Instrumente ist etwa der Bechdel-Test, mit dem man untersuchen kann, wie Frauen in den Medien dargestellt werden. Und so funktioniert er: Man nehme ein Medium seiner Wahl, egal ob Buch, Serie oder Film usw. Dann wird untersucht, ob mindestens zwei Frauen auftauchen, die namentlich genannt werden. Anschließend widmet man sich dem Redeanteil, den die Frauen erhalten, und ob sie sich über etwas Anderes unterhalten als einen Mann. Laut der Website haben von 9802 untersuchten Filmen nur 57,1% den Test bestanden.
Die Liga der Superfeminist*innen entlarvt Mechanismen einer sexistischen Gesellschaft, wie etwa das Bedienen sexistischer Vorurteile, um Gewalt und Unterdrückung zu rechtfertigen; oder das Ausspielen verschiedener Gesellschaftsgruppen gegeneinander, um weiterhin eigene Privilegien zu genießen. Malle geht auf Themen wie Freundschaft, Liebe und damit auch Konsens – sowohl in einer romantischen als auch in einer freundschaftlichen Beziehung – sowie die Frage nach dem Schönheitsideal und Genderkonzeptionen ein. Im Kapitel „Intersektionalität“ erklärt sie, wie verschiedene Segregationsmechanismen (unter anderem Rassismus, Ableismus, Transfeindlichkeit oder Fettfeindlichkeit) zusammenspielen und zur weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen. Am Ende eines jeden Kapitels wird ein Gegenmittel genannt, wie diese Strukturen erkannt, aufgebrochen und neue inklusive Muster konstruiert werden können. Dabei verwendet Malle eine einfache und kindgerechte Sprache.
Die Comicform stellt für die Übersetzung spezifische Hürden dar. Die Autorin greift auf einen recht einfachen, umgangssprachlichen Sprachstil zurück, der für Comics und Graphic Novels typisch ist. Für die Übersetzerin liegt gerade hier die Schwierigkeit: Auf der einen Seite soll natürlich die Loyalität dem Text gegenüber gewahrt werden, auf der anderen muss der Lesefluss und der jugendliche Sprachstil auch in der deutschen Übertragung erhalten bleiben. Ela zum Winkel gelingt dies sehr gut. Hier ein paar Beispiele:
Genre, ça sous-entend qu’être une fille, c’est la honte … super …
C’est vraiment chouette d‘avoir toutes ces histoires à disposition, et de pouvoir s’imaginer: …
En plus on sait que ça a une vraie influence sur les enfants qui lisent, écoutent, regardent …
Ben … déjà, c’est un peu ennuyant de voir sans cesse les mêmes histoires.
Hein? Comment ça?
L’amitié, en générale, on adore ça!!
Als wär’s peinlich ein Mädchen zu sein … na super …
Ich find’s toll, so viele Geschichten zur Auswahl zu haben und mir vorzustellen, ich wäre …
Außerdem wissen wir, dass Kinder, die viel lesen, anhören und ansehen, davon stark beeinflusst werden …
Naja… wird doch irgendwann langweilig, immer wieder das Gleiche zu sehen!
Hä? Wie jetzt?
Freundschaft ist eigentlich immer etwas Schönes.
Sie verwendet Kontraktionen, die besonders im mündlichen Gebrauch geläufig sind. In Zusammenhang mit dem Konjunktiv gibt dieses „wär’s“ besonders passend das französische „genre“ wieder. Ein weiteres Spezifikum des gesprochenen Französisch sind die Floskeln mit „c’est“ bzw. „ça“, die keine direkte Entsprechung im Deutschen haben. Dadurch steht die Übersetzerin jedes Mal vor der Herausforderung, eine neue passende Übersetzung dafür zu finden. Im zweiten Beispiel erfolgt ein Rückgriff auf eine Personifizierung, indem das c’est zu ich find’s wird. Im dritten hingegen wird der französische Agens ça mit einer Passivkonstruktion wiedergegeben. Diese Übersetzung ist insofern sehr treffend, da die Patiensrolle, also die passivische Rolle von Kindern, die dem medialen Einfluss ausgesetzt sind, deutlich hervorkommt. Dabei bleibt die Übersetzerin dem Stil des Textes treu.
Auch Interjektionen (Beispiel vier und fünf) werden so überführt, dass sie natürlich erscheinen und nah am mündlichen Code sind. Im sechsten Beispiel ist die Sprachwahl interessant: Natürlich funktioniert an dieser Stelle eine wörtliche Übersetzung nicht. Ela zum Winkel gelingt es hier sehr gut, den Ton wiederzugeben – die Antithese, die in dem „en générale“ mitschwingt. Die Leserschaft weiß sofort, dass eine Einschränkung des Konzeptes „Freundschaft“ folgt.
Da die Autorin ein ganzes Kapitel ihres Buches dem Thema „Inklusive Sprache“ widmet, ist es nur logisch, dass sie diese ebenfalls in ihrem Werk auch konsequent umsetzt. Besonderen Lob verdient die Übertragung dieses Kapitels ins Deutsche, da hier auch eine kulturelle und sprachspezifische Adaptationsarbeit notwendig war, um die gendergerechte Sprache adäquat wiederzugeben: Hier musste der sprachgeschichtliche Exkurs ins 17. Jahrhundert und die Rolle der Académie française für die deutsche Fassung adaptiert werden.
Il y a très longtemps, au 17e siècle, l’Académie française, composée uniquement de vieux bonhommes sexistes, a déclaré : …
Vor langer, langer Zeit haben irgendwelche alten sexistischen Männer entschieden: …
In diesem Kontext verdient die Übersetzungslösung besonderes Augenmerk: Gleich zu Beginn werden Leserinnen und Leser mit der Wortneuschöpfung „Ritterin“/ „chevalière“ konfrontiert. Die kann es allein aus der Historie in dieser Form gar nicht geben, da ja bekanntlich nur Jungen nach Durchlaufen einer bestimmten Laufbahn in den Ritterstand erhoben wurden. Im Kapitel über Freundschaft verwendet Ela zum Winkel beide im Deutschen übliche Schreibweisen sowohl mit Sternchen *innen als auch mit Kapitälchen Innen. Das Schriftbild transportiert auch im deutschen Titel Die Liga der Superfeminist*innen durch den Asterisk stärker den Appell an alle Personen, unabhängig von ihrem Geschlecht oder Gender, die sich für die feministische Sache einsetzen möchten. Es reicht nicht, nur Mädchen geeignete Werkzeuge an die Hand zu geben, um sich in dieser Gesellschaft zu behaupten; es braucht aufgeklärte Personen, die ihre eigenen Privilegien hinterfragen.
Nicht zuletzt müssen die soziowissenschaftlichen Konzepte, die im Buch eingeführt werden, korrekt ins Deutsche übertragen sowie gegebenenfalls erklärt werden, was manchmal mit der Prämisse von Comics kollidiert, dass für den Text ein begrenzter Platz vorgesehen ist. Gleich zu Beginn des Kapitels „Gender“ wird dieses Zusammenspiel bei der Übersetzung auf die Probe gestellt:
On appelle « genre » les rôles sociaux différentes attribués aux filles et aux garçons.
Unter „Gender“ verstehen wir das soziale Geschlecht einer Person, also soziale Rollen und Eigenschaften, die Mädchen oder Jungs aufgrund ihres Geschlechts zugeschrieben werden.
Im Deutschen nämlich hat sich der Begriff „Gender“ erst in Folge der Genderstudies herausgebildet, angelehnt an die angelsächsische Tradition. Hier wird bekanntlich zwischen Gender, den sozialen Rollen, und Sex, dem biologischen Geschlecht, unterschieden. Das letztere bezieht sich rein auf die biologischen Merkmale, wohingegen die Geschlechterrollen Mädchen bzw. Jungen mit geschlechterspezifischen Attributen definieren. Deshalb muss die Übersetzerin von der französischsprachigen Vorlage abweichen, um das Konzept „Gender“ zu erklären, da es sonst sehr abstrakt und damit schwer verständlich bleibt; besonders für Kinder im Grundschulalter. Bewusst werden hier Größen wie „soziale Rollen und Eigenschaften“ eingeführt, um auf die gesellschaftliche Konstruktion hinter dem Begriff „Gender“ zu verweisen.
Hinrich Schmidt-Henkel bezeichnete die Übersetzenden einmal als Komplizen des Autors bzw. der Autorin, „allerdings mit anderen Mitteln“. In diesem Fall fand Ela zum Winkel meisterhaft passende Mittel, um den sprachlichen und stilistischen Transfer zu gewährleisten und dabei dem Text treu zu bleiben.