Gro­ße klei­ne Spra­che Slowenisch

Bald ist Buchmesse! Für alle, die mitreden wollen, verraten wir Wissenswertes zur Sprache und Literatur des diesjährigen Gastlands. Von

Landschaftsgemälde mit See, grüner Wiese und Bergen im Hintergrund
Rihard Jakopič Večer na Savi (1926). Quelle: WikiCommons

Es gibt etwa 7000 Spra­chen auf der Welt, doch nur ein win­zi­ger Bruch­teil davon wird ins Deut­sche über­setzt. Wir inter­view­en Men­schen, die Meis­ter­wer­ke aus unter­re­prä­sen­tier­ten und unge­wöhn­li­chen Spra­chen über­set­zen und uns so Zugang zu wenig erkun­de­ten Wel­ten ver­schaf­fen. Alle Bei­trä­ge der Rubrik fin­det ihr hier.


Wie hast du Slo­we­nisch gelernt?

Was das rei­ne Erler­nen von Spra­chen anbe­trifft, auf die mir leich­tes­te Art und Wei­se, als zwei­spra­chig zwi­schen Deutsch­land und Slo­we­ni­en auf­wach­sen­des Kind. Mit der kind­li­chen Selbst­ver­ständ­lich­keit sich in zwei Spra­chen ver­stän­di­gen zu kön­nen, beant­wor­tet sich mir auch die Fra­ge nach der Hei­mat von selbst: kein Land, son­dern Spra­chen. Und so kam das Über-Set­zen bei­na­he eben­so natürlich.

Wie sieht die slo­we­ni­sche Lite­ra­tur­sze­ne aus?

Unglaub­lich viel­fäl­tig und aktiv. In Slo­we­ni­en erschei­nen jähr­lich etwa 6.000 Bücher, davon sind gut 2.000 Neu­erschei­nun­gen und mit die­ser Zahl wie­der­um liegt Slo­we­ni­en welt­weit an zwei­ter Stel­le – gemes­sen an neu erschie­ne­nen Büchern pro Kopf. Dabei kommt vie­les zusam­men, natür­lich über­wie­gend slo­we­nisch­spra­chi­ge Lite­ra­tur, aber eini­ge Autor:innen schrei­ben auch in ande­ren Spra­chen, wie zum Bei­spiel Eng­lisch, Deutsch, Ita­lie­nisch oder den Spra­chen von Ex-Jugo­sla­wi­en. Mit einem brei­ten Spek­trum an Sti­len und The­men bewegt sich die Sze­ne in allen Gat­tun­gen – von Lyrik, die im slo­we­nisch­spra­chi­gen Raum eine zen­tra­le Rol­le spielt, über Erzäh­lun­gen, Roma­ne und Essays bis hin zum Dra­ma, aber auch „neue­re“ Gen­res wie Gra­phic Novels sind ver­tre­ten. Außer­dem ist sie sehr leben­dig, neben gro­ßen Lite­ra­tur­fes­ti­vals und klas­si­schen Lite­ra­tur­ver­an­stal­tun­gen gibt es auch klei­ne, unab­hän­gi­ge Pop-up-Buchmessen. 

Was soll­te man unbe­dingt gele­sen haben?

Ich den­ke, man soll­te unbe­dingt über den kon­ven­tio­nel­len Roman hin­aus­grei­fen, hier eine ganz aktu­el­le Aus­wahl: Kurz­ge­schich­ten fin­den in der deut­schen Lite­ra­tur­sze­ne häu­fig weni­ger Beach­tung, wäh­rend in Slo­we­ni­en meis­ter­haf­te Erzähl­bän­de erschei­nen. Ein bril­lan­tes Bei­spiel dafür ist Unter die Ober­flä­che von Moj­ca Kumer­dej (Ü: Erwin Köst­ler, Liza Lin­de, Fabjan Haf­ner, Karin Alma­sy), die mit auf­wüh­len­der Prä­zi­si­on die Innen­welt ihrer Figu­ren an die Ober­flä­che bringt.

Ein unkon­ven­tio­nel­ler Roman ist zum Bei­spiel auch Bats­eba von Stan­ka Hrastelj (Ü: Met­ka Wakounig), eine sehr tem­po­rei­che, eman­zi­pa­to­ri­sche Neu­in­ter­pre­ta­ti­on der bibli­schen Geschich­te von Bats­eba und König David.

Die Gra­phic Novel Die schwar­ze Flam­me von Ivan und Zoran Smil­ja­nić (Ü: Erwin Köst­ler) zeigt den Beginn der faschis­ti­schen Gewalt in Tri­est 1920, als ein Mob das slo­we­ni­sche Kul­tur­haus mit­ten im Stadt­zen­trum abfackelte.

Slo­we­ni­sche Kin­der­bü­cher sind allei­ne ihrer Illus­tra­tio­nen wegen schon wah­re Kunst­wer­ke und daher ganz bestimmt nicht nur für Kin­der gedacht: Tan­ze, tan­ze, klei­ne Maus von Anja Šte­fan (illus­triert von Alen­ka Sott­ler, Ü: Met­ka Wakounig) und Adam und sei­ne Tuba von Žiga X Gom­bač (illus­triert von Maja Kas­te­lic, Ü: Alex­an­dra Nata­lie Zaleznik).

Und zu guter Letzt Lyrik, die in Slo­we­ni­en an ers­ter Stel­le steht, und da sie so bedeu­tend und so wun­der­bar ist, möch­te ich gleich vier Emp­feh­lun­gen aus­spre­chen. Zwei aus­ge­zeich­ne­te leben­de Lyri­ke­rin­nen: Tages­ge­dich­te von Mil­ja­na Cun­ta (Ü: Ama­li­ja Maček, Mat­thi­as Göritz) und dass nicht von Anja Zag Golob (Ü: Liza Lin­de); sowie zwei her­vor­ra­gen­de ver­stor­be­ne Lyri­ker: Mein Gedicht ist mein Gesicht von Sreč­ko Koso­vel (Ü: Lud­wig Har­tin­ger) und Stei­ne aus dem Him­mel von Tomaž Šalamun (Ü: Mat­thi­as Göritz, Liza Lin­de, Moni­ka Rinck).

Was ist noch nicht übersetzt?

Vie­les, wie so oft. Mit den vie­len phä­no­me­na­len Büchern, die wir in den letz­ten Jah­ren zum Gast­land­auf­tritt auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se 2023 hin über­setzt haben, sind eini­ge Lücken spür­bar klei­ner gewor­den. End­lich haben wir auch mehr Wer­ke von Autorin­nen, mehr Zeit­ge­nös­si­sches, die Band­brei­te an Lyrik ist grö­ßer gewor­den, vie­le groß­ar­ti­ge Autor:innen haben wun­der­ba­re Ver­la­ge in Deutsch­land und Öster­reich gefun­den. Ich wür­de mir daher wün­schen, dass die­se posi­ti­ve Ent­wick­lung eine Kon­ti­nui­tät bekommt und Autor:innen wei­ter­hin bei „ihren“ deutsch­spra­chi­gen Ver­la­gen betreut wer­den, bei denen dann auch der Groß­teil ihrer Titel in Über­set­zung erscheint. Das sichert nicht nur die Arbeit von uns Übersetzer:innen, son­dern stärkt auch die Namen der Schriftsteller:innen und ermög­licht es zudem, den deutsch­spra­chi­gen Ver­la­gen und Lesen­den neue Ent­de­ckun­gen vorzustellen.

Was sind die größ­ten Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen aus dem Slo­we­ni­schen? Wie gehst du damit um?

Die für sla­wi­sche Spra­chen so typi­schen sechs Kasus mögen viel­leicht beim Erler­nen der Spra­che Kopf­schmer­zen berei­ten, beim Über­set­zen aus dem Slo­we­ni­schen aber eher weni­ger. Ganz all­ge­mein erge­ben sich Schwie­rig­kei­ten nicht nur aus der Spra­che, aus der über­setzt wird, son­dern auch aus der Spra­che, in die wir über­tra­gen, also aus der Kom­bi­na­ti­on. Fehlt ein Cha­rak­te­ris­ti­kum in der Ziel­spra­che (hier Deutsch, also eine ger­ma­ni­sche Spra­che), wird es in der Aus­gangs­spra­che umso deut­li­cher. So wird im Slo­we­ni­schen zum Bei­spiel zwi­schen dem per­fek­ten und dem imper­fek­ten Aspekt unter­schie­den, man kann also durch ver­schie­de­ne Verb­for­men voll­ende­te, unvoll­ende­te, ein­ma­li­ge und mehr­ma­li­ge Vor­gän­ge aus­drü­cken. Man­che Sät­ze kom­men ohne Per­so­nal­pro­no­men aus, da das kon­ju­gier­te Verb alle Infor­ma­tio­nen trägt, das reicht im Deut­schen natür­lich nicht. Oder was, wenn uns das Verb zum Per­so­nal­pro­no­men das Geschlecht des Sub­stan­tivs ver­rät, wo kön­nen wir im Deut­schen die­se Infor­ma­ti­on unter­brin­gen? Und da wären natür­lich noch Tem­pi und Modi, mit denen sich schrei­ben­de Men­schen ja schon ganz ohne das Über­set­zen schwer­tun. So hat das Slo­we­ni­sche nur eine Ver­gan­gen­heits­form (von der äußerst sel­te­nen Vor­ver­gan­gen­heit mal abge­se­hen), was die Wahl zwi­schen Per­fekt und Prä­ter­itum in der deut­schen Über­set­zung zusätz­lich erschwert.

Mit die­sen Her­aus­for­de­run­gen gehe ich wahr­schein­lich nicht anders als Übersetzer:innen ande­rer Sprach­kom­bi­na­tio­nen um: viel in bei­den Spra­chen lesen, viel (wenn mög­lich in bei­de Rich­tun­gen) über­set­zen, aber auch den Aus­tausch mit Kolleg:innen bei Work­shops und Fort­bil­dun­gen suchen. Und weil das Pas­siv im slo­we­ni­schen Sprach­ge­brauch so unüb­lich ist, ein­fach am Ende in die deut­sche Über­set­zung noch eine zusätz­li­che Pri­se davon streu­en, fertig.

Was kann Slo­we­nisch, was Deutsch nicht kann?

Dvo­ji­na! Slo­we­nisch kann neben Sin­gu­lar und Plu­ral auch den Dual aus­drü­cken, also die Zwei­zahl, wenn genau zwei Per­so­nen oder Din­ge gemeint sind. Die­ser wird durch­gän­gig bei Sub­stan­ti­ven und Ver­ben, aber auch Adjek­ti­ven und Pro­no­men ver­wen­det, dadurch ist das Slo­we­ni­sche oft prä­zi­ser. Manch­mal reicht in der Über­set­zung der Plu­ral, ande­re Stel­len las­sen sich mit „bei­de“ oder „zwei“ lösen. Ganz beson­ders in der Lyrik erzeugt der Dual jedoch oft auf ganz simp­le Art und Wei­se eine Zwei­sam­keit, eine Inti­mi­tät, eine Paa­rig­keit, die sich im Deut­schen so nicht nach­bil­den lässt.

Porträtbild von Liza Linde in schwarzweiß

Liza Lin­de

Liza Lin­de, gebo­ren 1989 in Reut­lin­gen, lebt und arbei­tet als Über­set­ze­rin für die Spra­chen Deutsch, Slo­we­nisch und Eng­lisch in Ljublja­na. Sie über­setzt Pro­sa, Lyrik, Gra­phic Novels und eine Viel­zahl ande­rer Tex­te aus den Berei­chen Kul­tur und Poli­tik. Zu ihren zahl­rei­chen lite­ra­ri­schen Über­set­zun­gen zäh­len unter ande­rem Wer­ke von Nataša Kram­ber­ger, Anja Zag Golob, Tomaž Šalamun, Moj­ca Kumer­dej, Peter Sve­ti­na, Goran Voj­no­vić, Žiga X Gom­bač, Goran Voj­no­vić, Aja Zamo­lo, Nico­las Mahler, Jela Krečič und Maruša Kre­se. Foto: Saša Krajnc


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