Es gibt etwa 7000 Sprachen auf der Welt, doch nur ein winziger Bruchteil davon wird ins Deutsche übersetzt. Wir interviewen Menschen, die Meisterwerke aus unterrepräsentierten und ungewöhnlichen Sprachen übersetzen und uns so Zugang zu wenig erkundeten Welten verschaffen. Alle Beiträge der Rubrik findet ihr hier.
Wie hast du Slowenisch gelernt?
Was das reine Erlernen von Sprachen anbetrifft, auf die mir leichteste Art und Weise, als zweisprachig zwischen Deutschland und Slowenien aufwachsendes Kind. Mit der kindlichen Selbstverständlichkeit sich in zwei Sprachen verständigen zu können, beantwortet sich mir auch die Frage nach der Heimat von selbst: kein Land, sondern Sprachen. Und so kam das Über-Setzen beinahe ebenso natürlich.
Wie sieht die slowenische Literaturszene aus?
Unglaublich vielfältig und aktiv. In Slowenien erscheinen jährlich etwa 6.000 Bücher, davon sind gut 2.000 Neuerscheinungen und mit dieser Zahl wiederum liegt Slowenien weltweit an zweiter Stelle – gemessen an neu erschienenen Büchern pro Kopf. Dabei kommt vieles zusammen, natürlich überwiegend slowenischsprachige Literatur, aber einige Autor:innen schreiben auch in anderen Sprachen, wie zum Beispiel Englisch, Deutsch, Italienisch oder den Sprachen von Ex-Jugoslawien. Mit einem breiten Spektrum an Stilen und Themen bewegt sich die Szene in allen Gattungen – von Lyrik, die im slowenischsprachigen Raum eine zentrale Rolle spielt, über Erzählungen, Romane und Essays bis hin zum Drama, aber auch „neuere“ Genres wie Graphic Novels sind vertreten. Außerdem ist sie sehr lebendig, neben großen Literaturfestivals und klassischen Literaturveranstaltungen gibt es auch kleine, unabhängige Pop-up-Buchmessen.
Was sollte man unbedingt gelesen haben?
Ich denke, man sollte unbedingt über den konventionellen Roman hinausgreifen, hier eine ganz aktuelle Auswahl: Kurzgeschichten finden in der deutschen Literaturszene häufig weniger Beachtung, während in Slowenien meisterhafte Erzählbände erscheinen. Ein brillantes Beispiel dafür ist Unter die Oberfläche von Mojca Kumerdej (Ü: Erwin Köstler, Liza Linde, Fabjan Hafner, Karin Almasy), die mit aufwühlender Präzision die Innenwelt ihrer Figuren an die Oberfläche bringt.
Ein unkonventioneller Roman ist zum Beispiel auch Batseba von Stanka Hrastelj (Ü: Metka Wakounig), eine sehr temporeiche, emanzipatorische Neuinterpretation der biblischen Geschichte von Batseba und König David.
Die Graphic Novel Die schwarze Flamme von Ivan und Zoran Smiljanić (Ü: Erwin Köstler) zeigt den Beginn der faschistischen Gewalt in Triest 1920, als ein Mob das slowenische Kulturhaus mitten im Stadtzentrum abfackelte.
Slowenische Kinderbücher sind alleine ihrer Illustrationen wegen schon wahre Kunstwerke und daher ganz bestimmt nicht nur für Kinder gedacht: Tanze, tanze, kleine Maus von Anja Štefan (illustriert von Alenka Sottler, Ü: Metka Wakounig) und Adam und seine Tuba von Žiga X Gombač (illustriert von Maja Kastelic, Ü: Alexandra Natalie Zaleznik).
Und zu guter Letzt Lyrik, die in Slowenien an erster Stelle steht, und da sie so bedeutend und so wunderbar ist, möchte ich gleich vier Empfehlungen aussprechen. Zwei ausgezeichnete lebende Lyrikerinnen: Tagesgedichte von Miljana Cunta (Ü: Amalija Maček, Matthias Göritz) und dass nicht von Anja Zag Golob (Ü: Liza Linde); sowie zwei hervorragende verstorbene Lyriker: Mein Gedicht ist mein Gesicht von Srečko Kosovel (Ü: Ludwig Hartinger) und Steine aus dem Himmel von Tomaž Šalamun (Ü: Matthias Göritz, Liza Linde, Monika Rinck).
Was ist noch nicht übersetzt?
Vieles, wie so oft. Mit den vielen phänomenalen Büchern, die wir in den letzten Jahren zum Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2023 hin übersetzt haben, sind einige Lücken spürbar kleiner geworden. Endlich haben wir auch mehr Werke von Autorinnen, mehr Zeitgenössisches, die Bandbreite an Lyrik ist größer geworden, viele großartige Autor:innen haben wunderbare Verlage in Deutschland und Österreich gefunden. Ich würde mir daher wünschen, dass diese positive Entwicklung eine Kontinuität bekommt und Autor:innen weiterhin bei „ihren“ deutschsprachigen Verlagen betreut werden, bei denen dann auch der Großteil ihrer Titel in Übersetzung erscheint. Das sichert nicht nur die Arbeit von uns Übersetzer:innen, sondern stärkt auch die Namen der Schriftsteller:innen und ermöglicht es zudem, den deutschsprachigen Verlagen und Lesenden neue Entdeckungen vorzustellen.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Slowenischen? Wie gehst du damit um?
Die für slawische Sprachen so typischen sechs Kasus mögen vielleicht beim Erlernen der Sprache Kopfschmerzen bereiten, beim Übersetzen aus dem Slowenischen aber eher weniger. Ganz allgemein ergeben sich Schwierigkeiten nicht nur aus der Sprache, aus der übersetzt wird, sondern auch aus der Sprache, in die wir übertragen, also aus der Kombination. Fehlt ein Charakteristikum in der Zielsprache (hier Deutsch, also eine germanische Sprache), wird es in der Ausgangssprache umso deutlicher. So wird im Slowenischen zum Beispiel zwischen dem perfekten und dem imperfekten Aspekt unterschieden, man kann also durch verschiedene Verbformen vollendete, unvollendete, einmalige und mehrmalige Vorgänge ausdrücken. Manche Sätze kommen ohne Personalpronomen aus, da das konjugierte Verb alle Informationen trägt, das reicht im Deutschen natürlich nicht. Oder was, wenn uns das Verb zum Personalpronomen das Geschlecht des Substantivs verrät, wo können wir im Deutschen diese Information unterbringen? Und da wären natürlich noch Tempi und Modi, mit denen sich schreibende Menschen ja schon ganz ohne das Übersetzen schwertun. So hat das Slowenische nur eine Vergangenheitsform (von der äußerst seltenen Vorvergangenheit mal abgesehen), was die Wahl zwischen Perfekt und Präteritum in der deutschen Übersetzung zusätzlich erschwert.
Mit diesen Herausforderungen gehe ich wahrscheinlich nicht anders als Übersetzer:innen anderer Sprachkombinationen um: viel in beiden Sprachen lesen, viel (wenn möglich in beide Richtungen) übersetzen, aber auch den Austausch mit Kolleg:innen bei Workshops und Fortbildungen suchen. Und weil das Passiv im slowenischen Sprachgebrauch so unüblich ist, einfach am Ende in die deutsche Übersetzung noch eine zusätzliche Prise davon streuen, fertig.
Was kann Slowenisch, was Deutsch nicht kann?
Dvojina! Slowenisch kann neben Singular und Plural auch den Dual ausdrücken, also die Zweizahl, wenn genau zwei Personen oder Dinge gemeint sind. Dieser wird durchgängig bei Substantiven und Verben, aber auch Adjektiven und Pronomen verwendet, dadurch ist das Slowenische oft präziser. Manchmal reicht in der Übersetzung der Plural, andere Stellen lassen sich mit „beide“ oder „zwei“ lösen. Ganz besonders in der Lyrik erzeugt der Dual jedoch oft auf ganz simple Art und Weise eine Zweisamkeit, eine Intimität, eine Paarigkeit, die sich im Deutschen so nicht nachbilden lässt.
Wir suchen für die Rubrik „Große kleine Sprache“ Übersetzerinnen und Übersetzer, die Lust haben, ihre „kleine“ Sprache mit unserem Fragebogen vorzustellen. Wenn du dich angesprochen fühlst, melde dich gerne unter redaktion@tralalit.de.