2023. Er ist wieder da. Und man möchte formelhaft ausrufen: „Wo warst du so lange? Was hat dich aufgehalten?“ Denn während das Fantasy-Genre hierzulande in Film und Literatur einen Erfolg nach dem anderen feiert, fristete Elric von Melniboné jahrzehntelang eher ein Schattendasein. Ausgenommen natürlich bei eingefleischten Fans. Zwar wurden Elrics Abenteuer ab 2014 auch in Comics umgesetzt und Heyne brachte – nach der 1984 erschienenen (und zuletzt 1995 aufgelegten) Gesamtausgabe der damaligen sechs Bände – 2002 dann alle acht bis dahin veröffentlichten Elric-Romane in drei Sammelbänden heraus. Seitdem aber wartete der Elric-Zyklus (immerhin über zwanzig Jahre lang) in Deutschland auf ein neues Gewand. Bis heute. Im Oktober 2023 erschien bei FISCHER Tor nun die Neuübersetzung der Gesamtausgabe des Elric. Ins Deutsche übertragen hat den Text Hannes Riffel.
Woran es gelegen haben mag, dass Elric so lange Stückwerk blieb, kann ich nicht sagen. Möglicherweise daran, dass im Laufe der Jahre immer wieder Erzählungen dazukamen, sich der Romanzyklus wie eine wuchernde Pflanze immer weiter ausbreitete, neue Triebe bildete und kaum zu bändigen war. Doch liest man die Vorworte, die namhafte Autor:innen zu den einzelnen Büchern verfasst haben, kann kein Zweifel daran bestehen, welche Bedeutung Elric für die Fantasy-Literatur und für die schreibende Zunft im Allgemeinen hatte. Die Zeilen von Kai Meyer, Tad Williams, Markus Heitz und anderen haben mir wieder in Erinnerung gerufen, wie meine erste Begegnung mit Elric von Melniboné ablief.
Es muss Ende der 1980er gewesen sein, als ich durch die Stadt streifte und bei den Grabbeltischen vor einem Buchladen stehenblieb. Ein fetter Wälzer fiel mir in die Hände, etwa tausend Seiten stark, aber was meinen Blick wie magisch anzog, waren weder der Umfang noch der Titel, sondern die Cover-Illustration eines merkwürdigen weißhaarigen und weißgesichtigen Kriegers mit schräg stehenden roten Augen, einer schwarzen Rüstung und einem schwarzen Schwert in der Hand, der vor einem Drachen mit weit aufgerissenem Maul sitzt. Noch heute steht diese Taschenbuchausgabe des Elric völlig zerfleddert und abgewetzt – ein Zeichen für die vielfache Lektüre – in meinem Regal.
Und ich weiß auch noch, was ich fühlte, als ich das Buch zum ersten Mal las. Geprägt durch die klassische Fantasy à la Tolkiens Der Herr der Ringe und Das Geheimnis der Großen Schwerter (Tad Williams) und deren Aufteilung in „Gut“ und „Böse“ hat mich die Lektüre von der Welt, in der Elric wütet, erst mal völlig aus der Bahn geworfen. Dagegen wirkten Frodos oder Simons Abenteuer auf mich wie Peterchens Mondfahrt. Geschockt und teils angeekelt las ich von den Grausamkeiten der Halbmenschen von Melniboné, konnte mich aber dem Sog der Geschichte nicht entziehen. Rückblickend war dies meine erste Begegnung mit einem durch und durch ambivalenten (Anti-)Helden.
Michael Moorcocks Romanzyklus bedient die Leserschaft durchaus mit klassischen Fantasy-Elementen: Die Welt, die er uns vorsetzt, ist mittelalterlich geprägt, mit Schwertern, Rüstungen, Drachen, einem opulenten Hofleben und einem Helden, der eine Quest unternimmt. Und wie wir es aus mittelalterlichen Romanen kennen, sieht sich die herrschende Klasse ihren Untergebenen als haushoch überlegen. Elric unterscheidet sich von seinen Untertanen, ist sozusagen – obwohl uneingeschränkter Herrscher – der Fremdkörper in dieser Gesellschaft. Schon optisch hebt er sich ab: Er ist ein Albino, mit weißer Haut, weißen Haaren und roten Augen, gutaussehend und mit feinen Gesichtszügen. Doch die innere Zerrissenheit, die sich in moralischen Bedenken gegen die Art seiner Herrschaft äußert, wird ihm zum Verhängnis. Wegen seines schlechten Gesundheitszustands ist er auf Drogen und allerlei Zaubermittel angewiesen, um überhaupt aufrecht gehen zu können. Und sein Schwert Sturmbringer, das Seelen frisst und seinem Träger Stärke verleiht, ist der böse Geist, der ihm schließlich zum Verhängnis wird: Das Schwert, das ein Eigenleben führt, tötet – geführt von Elrics Hand – die geliebte Frau.
Gleichzeitig war alles, was Moorcock schreibt, völlig anders. Bei ihm kam ich zum ersten Mal mit dem Konzept eines Multiversums in Berührung: Begegnungen beziehen sich auf Dinge, die sich in der Vergangenheit in einem anderen Universum ereignet haben. Die Leser:innen erfahren davon allerdings erst in der Zukunft – also im nächsten oder übernächsten Band. Träume spielen eine wichtige Rolle – und oft wissen die Leser:innen nicht, was Realität und was Traum ist, und wer diesen Traum gerade träumt. Der Autor erschafft einen ganzen Kosmos (oder mehr als einen …) an Wesen und Monstern, die alle unter der Herrschaft der Lords des Chaos oder der Lords der Ordnung stehen und in einem ewigen Kampf verstrickt zu sein scheinen. Und dann ist da noch die Sprache: Wie Michael Moorcock mit Worten umgeht, wie er seine Sätze zusammenfügt, hat eine enorme Sogwirkung:
Distant thunder rolled; distant lightning flickered. A thin rain fell. And the clouds were never still. From dusky jet to deadly white they swirled slowly, like the cloaks of men and women engaged in a trancelike and formalistic minuet; the man standing on the shingle of the grim beach was reminded of giants dancing to the music of the faraway storm and felt as one must feel who walks unwittingly into a hall where the gods are at play. He turned his gaze from the clouds to the ocean.
The sea seemed weary. Great waves heaved themselves together with difficulty and collapsed as if in relief, gasping as they struck sharp rocks.
Als ich Moorcocks Elric zum ersten Mal las, hatte ich noch nicht die Absicht, Übersetzerin zu werden. Daher habe ich auch übersetzte Bücher nie mit den Augen einer (zukünftigen) Übersetzerin gelesen. Wenn ich es vermeiden kann, tue ich das auch heute nicht, weil es mir das unbeschwerte Lesen vermiest. Daher ist die Aufgabe, die jetzt vor mir liegt, für mich völlig neu und sehr spannend. Konkret schaue ich mir drei Texte an: Moorcocks Original, die alte Übersetzung des Elric von Thomas Schlück, Gründer der Literaturagentur Schlück und Übersetzer von SF-Größen wie Isaac Asimov und Frank Herbert. Und last but not least habe ich mir die Neuübersetzung von Hannes Riffel vorgenommen. Riffel kann sich mit Fug und Recht als Kenner der SF- und Fantasy-Literatur bezeichnen, hat er doch mehrere Titel von Neil Gaiman, Stephen King und auch J.R.R. Tolkiens Briefe vom Weihnachtsmann ins Deutsche übertragen. Die Spannung steigt …
… und die Erwartung wird nicht enttäuscht, denn Hannes Riffel übersetzt Moorcock mit einer ähnlichen Sprachmelodie, ganz dicht am Original, ohne der englischen Syntax zu verfallen:
Ferner Donner rollte; ferne Blitze zuckten. Ein dünner Regen fiel. Und die Wolken ruhten nie. Ob dämmrig schwarz oder tödlich weiß – sie wirbelten einher wie die Umhänge von Männern und Frauen, die ganz in die einstudierten Schritte eines Menuetts versunken waren; der Mann, der auf dem Kies des düsteren Strandes stand, musste an Riesen denken, die zur Melodie eines weit entfernten Sturms tanzten, als wäre er unabsichtlich in einen Saal geraten, in dem sich die Götter vergnügten. Er wandte den Blick von den Wolken ab und dem Ozean zu.
Das Meer wirkte ermattet. Mächtige Wellen wälzten sich mühevoll heran, und wenn sie über spitze Felsen brachen, schnauften sie erleichtert.
Bei einem Buch mit dem Titel Elric erwartet man als Lesende, sich auf einen dominanten Protagonisten einlassen zu müssen. Und gleich in den ersten Absätzen des ersten Kapitels liegt das Augenmerk auf dem Helden der Geschichte, und die Leser:innen kommen ihm sofort sehr nah:
It is the colour of a bleached skull, his flesh; and the long hair which flows below his shoulders is milk-white. From the tapering, beautiful head stare two slanting eyes, crimson and moody, and from the loose sleeves of his yellow gown emerge two slender hands, also the colour of bone, resting on each arm of a seat which has been carved from a single, massive ruby.
The crimson eyes are troubled […] And on the hand which absently caresses the crown there is a ring in which is set a single rare Actorios stone whose core sometimes shifts sluggishly and reshapes itself, as if it were sentient smoke and as restless in its jewelled prison as the young albino on his Ruby Throne.
Thomas Schlück und Hannes Riffel übersetzen:
Es hat die Farbe eines ausgebleichten Schädels, sein Fleisch; das lange Haar, das gut schulterlang herabfällt, ist milchig-weiß. Aus dem schmal zulaufenden schönen Kopf starren schräge Augen rot und bedrückt, und aus den weiten Ärmeln seines gelben Gewandes ragen zwei schmale schlanke Hände, ebenfalls knochenbleich, und ruhen auf den Seitenlehnen eines Sitzes, der aus einem einzelnen riesigen Rubin gestaltet ist.
Die roten Augen wirken nervös […] An der Hand, die geistesabwesend die Krone streichelt, steckt ein Ring mit einem großen raren Actorios-Stein, dessen Kern zuweilen schwerfällig zerfließt und sich neu formt, als handele es sich um eine intelligente Substanz wie Rauch, die in ihrem Juwelengefängnis so unruhig ist wie der junge Albino auf seinem Rubinthron. (Schlück)
Sie hat die Farbe eines ausgeblichenen Schädels, seine Haut; milchweiß fällt ihm das lange Haar bis über die Schultern. Aus seinem schmalen, wohlgeformten Kopf starren, blutrot und mürrisch, zwei leicht schräg stehende Augen, und aus den weiten Ärmeln seines gelben Gewandes kommen zwei zarte, bleiche Hände zum Vorschein, um auf den Armlehnen eines Thrones zu ruhen, der aus einem einzigen riesigen Rubin geschnitten ist.
Die blutroten Augen wirken bekümmert […] An einem Finger jener Hand, die gedankenverloren die Krone liebkost, steckt ein Ring, in den ein einzelner, seltener Actorios-Stein gefasst ist, dessen Inneres sich manchmal träge bewegt und eine neue Gestalt annimmt, als bestünde es aus lebendem Rauch, in seinem kostbaren Gefängnis ebenso ruhelos wie der junge Albino auf seinem Rubinthron.
Schlück übersetzt „flesh“ im ersten Satz mit „Fleisch“ und „seat“ am Ende des ersten Absatzes mit „Sitz“. Aus „moody“ und „troubled“ (der Ausdruck der Augen) wird „bedrückt“ und „nervös“. Die Hände ruhen nicht auf den Armlehnen, sondern auf den „Seitenlehnen“ jenes „Sitzes“. – Die wörtliche Übersetzung „Fleisch“ für „flesh“ funktioniert in diesem Fall nicht, denn es ist nicht das Fleisch, das weiß ist, sondern – wie Riffel richtig überträgt – die Haut. Dass Schlück (oder das Lektorat) aus dem logischen „Thron“ einen „Sitz“ macht und aus den geläufigen „Armlehnen“ „Seitenlehnen“ mag daran liegen, dass man Wortwiederholungen vermeiden möchte: „Thron“ wiederholt sich noch einmal im letzten Satz, und „Ärmel“ und „Armlehnen“ mögen als unschöne Doppelungen empfunden werden. Leider ist es so, dass in diesen Fällen oft gequält wirkende Alternativlösungen zum Zuge kommen, die nicht wirklich zu passen scheinen. Man könnte argumentieren, dass „Sitz“ eine durchaus legitime Übersetzung für „seat“ ist – vielleicht sogar die erste Wahl? – aber im Englischen hat dieses Wort eben auch die Bedeutung „Thron“, und in Verbindung mit „carved from a single, massive ruby“ kann man sich diesen „Sitz“ nicht vorstellen wie einen Küchenstuhl. Es ist eindeutig ein Thron.
Warum schreibt Schlück, Elrics Augen, die im Englischen mit „moody“ und „troubled“ beschrieben werden, wirkten „bedrückt“ und „nervös“? Und warum sind sie bei Riffel „mürrisch“ und „bekümmert“? – Für beide Übersetzungsvarianten gibt es Für und Wider, besonders in der Verbindung der beiden beschreibenden Adjektive. Man kann sich gut vorstellen, dass jemand bedrückt und nervös wirkt, genauso gut wie mürrisch und bekümmert. Aber was trifft auf Elric zu?
Die Überschrift des ersten Kapitels lautet: „A Melancholy King: A Court Strives to Honour Him.“ „Melancholisch“ wäre eine wunderbare Übersetzung für „moody“, doch dann stünde dieses prägnante Wort zweimal kurz hintereinander im Text. Schlück kommt von der titelgebenden „Melancholie“ zu einem „bedrückten Ausdruck“, was meines Erachtens leicht nachzuvollziehen ist, während Riffel einen Bogen schlägt und ihn mürrisch blicken lässt. Möglich, aber meine erste Wahl wäre es nicht gewesen. „Schwermütig“ oder „gedankenschwer“ hätten gut gepasst, zumal im nächsten Absatz davon die Rede ist, dass Elric sich gedanklich mit moralischen Fragen beschäftigt. Hat Schlück es beim ersten Adjektiv besser gemacht, punktet Riffel beim zweiten: Was im Englischen „troubled“ heißt, ist mit „bekümmert“ allemal besser getroffen als mit „nervös“.
In der folgenden Lektüre fällt auf, dass Hannes Riffel „moody“ kategorisch mit „mürrisch“ übersetzt, was mich nun etwas mürrisch dreinblicken lässt, ob dieses wenig sensiblen Umgangs mit dem Wort, in dem so viel mehr an Bedeutung steckt. Wenn Elric mit seiner Cousine Cymoril, die er innig liebt, einen Ausritt in die herrliche Landschaft Imrryrs unternimmt und sie sich über das anmaßende Verhalten seines Rivalen Prinz Yyrkoon unterhalten, sind laut Riffel Elrics Augen wieder bzw. immer noch „mürrisch“. Gleiches gilt für die Bewohner der „Träumenden Insel“:
Only slaves visited the greater part of the island, seeking the roots and the shrubs which made men dream monstrous and magnificent dreams, for it was in their dreams that the nobles of Melniboné found most of their pleasures; they had ever been a moody, inward looking race and it was for this quality that Imrryr had come to be named the Dreaming City.
Und weiter geht es: „The moody whisperings oft he sea“ wird zum „verdrossenen Flüstern des Meeres“, und „Soon they were sweating beneath a moody sun“ ist im Deutschen der „mürrische Himmel“. Dabei würde „launenhaft“ zum Meer doch so gut passen, und ein „mürrischer Himmel“ ist doch eher griesgrämig und wolkenverhangen, während im Original die Sonne scheint und alle zum Schwitzen bringt. Auch hier wäre die „Launen der Sonne“ eine gute Lösung gewesen.
Grundsätzlich wäre hier mehr Vielfalt angebracht gewesen, denn Wörtern wie „moody“ werden im Original in der Regel weitere, erklärende Begriffe beigestellt. Als Elrics Augen das erste Mal erwähnt werden, steht im Satz danach, seine Augen seien „troubled“, was einen Hinweis darauf gibt, wie „moody“ zu verstehen ist. Bei der zweiten Erwähnung gibt uns der Zusammenhang Aufschluss darüber.
“Perhaps their [the Melnibonéan‘s; Anm. d. Verf.] loyalty is misguided. Perhaps Yyrkoon is right and I will betray that loyalty, bring doom to the Dragon Isle.” His moody, crimson eyes looked directly into hers. “Perhaps I should have died as I left my mother’s womb. Then Yyrkoon would have become emperor. Has Fate been thwarted?”
Elric reflektiert über die Art seiner Herrschaft und darüber, wie sein Volk ihn sieht. Er kennt seine Schwächen – sowohl die körperlichen als auch die für seine Untertanen unbegreifliche, grüblerische Ader – und sieht sie durch die Augen der anderen. Betrachte ich Elrics Natur, dann sehe ich ihn in erster Linie als einen außerordentlich rastlosen, innerlich zerrissenen Charakter, der mir schlichtweg nicht permanent „mürrisch“ vorkommt.
Aber letztlich beweist das nur eins: Hat man hundert Übersetzer:innen, wird man auch am Ende hundert unterschiedliche Übersetzungen haben. Und: Eine Übersetzung ist immer auch eine Interpretation, und die Interpretation eines einzelnen Wortes kann immenses Gewicht haben. In diesem Fall prägt es das Bild der Lesenden vom Helden der Geschichte.
Ähnlich interessant ist die Übersetzung von Elrics Herrschertitel: Er ist der direkte Nachfahre des ersten „Sorcerer Emperor of Melniboné“. Schlück nennt ihn einen „Zauberer-Herrscher“, für Riffel ist er ein „Magierkaiser“. Damit geben beide eine Richtung vor. Schlücks Übersetzung entstand zu einer Zeit, als die Fantasy – zumindest in Deutschland – noch in den Anfängen steckte. Viele Begriffe, darunter „Zauberer“, „Magier“ und „Hexer“, wurden noch deutlich anders konnotiert. Heute verbindet so manche:r vermutlich mit „Zauberer“ zuallererst die Welt von Harry Potter; zu Schlücks Zeiten gab es diese (Lese)Erfahrungen noch nicht. Und möglicherweise ist seine Entscheidung, „Emperor“ mit dem neutralen „Herrscher“ zu übersetzen, das Ergebnis der deutschen Geschichte, in der ein „Kaiser“ ein alter Herr mit Schnauzer und Pickelhaube war und man im Weiteren „Kaiser“ mit Heimatfilmen und einem gewissen Fußballspieler verband.
Bei heutigen Leser:innen sind diese Bilder sicher längst nicht mehr so präsent, mittlerweile sind Kaiser:innen in der Fantasy etabliert (wenn auch zumeist in Texten, die sich an fernöstliche Kulturen anlehnen), weswegen Riffel sich guten Gewissens dieses Begriffs bedienen kann. Ob er gefällt, muss jede:r selbst entscheiden.
Wenn einzelne Worte die Richtung vorgeben, wo führen sie dann hin? Letztlich ist doch relevant, wie der übersetzte Text beschaffen ist, der zum Schluss zwischen den Buchdeckeln (oder im E‑Reader-Kasten) landet. Bei Schlücks Übersetzung merkt man, dass sich der Übersetzer einer blumigen, fließenden Sprache bedienen möchte, die ein wenig an historische Erzählungen erinnert, während Riffel konkreter und schlichter formuliert, ohne platt zu werden. Als Schlück an der Übersetzung arbeitete, öffnete sich der deutsche Buchmarkt gerade dem Fantasy-Genre, und ähnlich wie bei historischen Romanen, die in jener Zeit geschrieben oder übersetzt wurden, sind Wortwahl und Satzstruktur bei ihm hin und wieder umständlich. Sprachlich agieren beide Übersetzer auf einem hohen Niveau. Beiden gelingt es, die einzigartige Welt von Melniboné und ihren ebenso einzigartigen Helden in angemessen schillernden Farben und leidenschaftlichen Worten zum Leben zu erwecken. Der qualitative Unterschied zeigt sich erst im direkten Vergleich:
Die meisten Piraten dachten so wie ich – sie entstammten allen möglichen Zeitaltern der Jungen Königreiche, soviel konnte ich feststellen. Einige kamen aus der Frühzeit der Ära, andere aus unserer Epoche – andere sogar aus der Zukunft. Bei den meisten handelte es sich um Abenteurer, die irgendwann einmal in ihrem Leben ein sagenhaftes Land von großem Reichtum gesucht hatten, das auf der anderen Seite eines alten Tors liegen sollte, das mitten im Ozean aufragte; stattdessen sahen sie sich hier gefangen, unfähig, durch das geheimnisvolle Tor zurückzukehren. Andere waren in Seeschlachten verwickelt und wähnten sich ertrunken und erwachten dann an der Küste der Insel. Viele, so nehme ich an, waren früher durchaus ehrlich, aber da die Insel den Männern große Entbehrungen aufnötigte, wurden sie mit der Zeit zu Wölfen, die sich gegenseitig beraubten und töteten … (Schlück)
Die meisten Piraten waren derselben Meinung wie ich – sie kamen aus den unterschiedlichsten Zeitaltern der Jungen Königreiche. So viel immerhin habe ich herausgefunden. Manche stammten aus der Vergangenheit, andere aus unserer Zeit und wieder andere aus der Zukunft. Abenteurer, allesamt, die irgendwann in ihrem Leben nach einem legendären Land suchten, das auf der anderen Seite einer uralten Pforte liegen soll, die sich aus dem Ozean erhebt. Stattdessen fanden sie sich hier wieder. Andere waren in eine Seeschlacht verwickelt gewesen, und statt zu ertrinken erwachten sie am Strand dieser Insel. Manche von ihnen mögen früher tugendhaft gewesen sein, aber auf der Insel gibt es nur wenig Nahrung, also wurden sie zu Wölfen und fielen übereinander her … (Riffel)
Bei solchen direkten Gegenüberstellungen wird deutlich, dass Hannes Riffel eine sehr elegante und gleichzeitig „knackige“ Übersetzung gelingt. Was ich damit meine? Seine Sätze sind auf den Punkt, er zielt nicht – wie Schlück es manchmal tut – von hinten durch die Brust ins Auge, er findet (meistens) die richtigen Worte. Zudem hält er eine permanente Spannung aufrecht, die mich beim Lesen immer wieder an eine Bogensehne denken lässt. Auch wenn ich mit seiner Wortwahl in puncto Charakterbeschreibung nicht immer einverstanden bin, ist seine Übertragung in ihrer Gesamtheit herausragend und ein Meisterstück der Übersetzungskunst. Riffels Elric wirkt modern, und seine Konkretheit transportiert den Text mühelos in die Gegenwart. Das mag auch daran liegen, dass Michael Moorcock mit Elric von Melniboné ein zeitloses Werk geschaffen hat, das in seiner Komplexität und durch die Ambivalenz der Figuren in den vergangenen Jahrzehnten nichts an Reiz verloren hat.