In dieser Reihe stellen Übersetzer:innen Bücher aus „ihrem“ Land vor – spannend, wegweisend, romantisch, subtil, haarsträubend oder urkomisch – aber in jedem Fall lesenswert. Ob Klassiker oder Zeitgenössisches, Krimis, Poesie oder Kinderbücher … diese ganz persönliche Leseliste lädt dazu ein, die literarische Landschaft des Landes vom Sofa aus zu bereisen. Viel Spaß beim Schmökern!
Hörbuch/Familiensaga
Aniceti Kitereza: Die Kinder der Regenmacher
Aus dem Swahili übersetzt von Wilhelm J. G. Möhlig. Edition „Afrika erzählt“ 2008
Die Kinder der Regenmacher von Aniceti Kitereza, ins Deutsche übertragen von Wilhelm J. G. Möhlig, ist 1991 im Peter Hammer Verlag und 2001 im Unionsverlag erschienen, jedoch mittlerweile vergriffen. Allerdings gibt es eine gekürzte Hörbuchfassung, gelesen von Eva Mattes. Dieses große, präkoloniale Familienepos erzählt die Geschichte der zärtlichen Liebe von Myombekere und Bugonoka auf der Insel Ukerewe im Viktoriasee, deren junge Ehe auf die Probe gestellt wird: Bugonoka wird nach mehreren Fehlgeburten von der Familie ihres Mannes abgelehnt und muss ins Haus ihrer Eltern zurückkehren. Doch das Paar widersetzt sich der Trennung, und mithilfe eines Heilers wird wie durch ein Wunder der erste Sohn geboren. Der Grundstein für eine erfolgreiche Ahnenlinie scheint gelegt. Der große Einfluss der oralen Erzähltradition spiegelt sich auch in der deutschen Übersetzung wider. Das Original wurde 1980 auf Swahili erstveröffentlicht, doch das Manuskript wurde ursprünglich bereits in den 1940er Jahren auf Kikerewe verfasst und später vom Autor selbst ins Swahili übertragen. Es handelt sich also um die Übersetzung einer Übersetzung, was für Wilhelm Möhlig eine große Herausforderung darstellte. Der Autor gibt an, dass einige Passagen schon nicht ins Swahili übertragen werden konnten. Ein Nachwort des Übersetzers ordnet die Geschichte für diejenigen ein, die mit Geschichte und Gesellschaft Tansanias weniger vertraut sind, und bezieht explizit Stellung zur Problematik der Übersetzung des Romans. An vielen Stellen wirkt die Sprache nicht gerade zeitgemäß, doch es handelt sich eben um einen historischen Text und auch die deutsche Übersetzung ist bereits über 30 Jahre alt.
Hörbuch/Krimi
Muhammed Said Abdulla: Der Geisterwald der Ahnen
Aus dem Swahili übersetzt von Guido Korzonnek. Kalamu Verlag 2010
Der Geisterwald der Ahnen von Muhammed Said Abdulla bildete 1960 den Auftakt einer heute noch äußerst beliebten Krimi-Reihe und zählt zu den ersten Swahili-Krimis überhaupt. Der Ermittler Bwana Msa wird gern als sansibarischer Sherlock Holmes bezeichnet. Gemeinsam mit seinem Freund Najum und dem Polizeibeamten Spekta Seif arbeitet er, immerfort Pfeife rauchend, an der Aufklärung des rätselhaften Todes von Bwana Ali im Geisterwald der Ahnen und kämpft gegen den Aberglauben der Inselbewohner*innen an. Die deutsche Übersetzung von Guido Korzonnek nimmt die Hörer*innen mit in das damalige Sultanat Sansibar vor der Revolution 1964, bei der die Schwarze Bevölkerungsmehrheit nach jahrhundertelanger Fremdherrschaft gegen die arabischstämmige Elite rebellierte. Diese Spannungen finden sich bereits im Text wieder. Gelesen wird das Hörbuch von Verleger und Übersetzer Guido Korzonnek, der sowohl die ironischen Spitzen des Erzählers rüberbringt als auch das gemäßigte ostafrikanische Tempo der Erzählung. Den zweiten Band Der Brunnen von Ginigi gibt es ebenfalls als Hörbuch auf Deutsch.
Erzählung
Alex Banzi: Versuchung
Aus dem Swahili übersetzt von Uta Reuster-Jahn. BoD 2016
Versuchung von Alex Banzi erschien in Tansania bereits 1972, die deutsche Übersetzung erst 2016. Doch obwohl die Geschichte im Tansania der 1960er Jahre spielt, sind ihre Themen zeitlos und auch heute noch von Bedeutung. Zenga und Ena führen eine moderne Ehe in einem traditionellen Umfeld. Ena befürchtet, ihren Mann wegen des unerfüllt bleibenden Kinderwunsches des Paares zu verlieren, und gerät in Versuchung, ihre Probleme mit Magie lösen. Doch auch für Zenga und seinen Vater lauern die Versuchungen überall. Dabei ergründet Alex Banzi Widersprüche zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Alt und Jung sowie Geschlechterrollen in einer Gesellschaft im Umbruch. Etwas untypisch für die Swahili-Literatur jener Zeit, wird hier keine starke moralische Wertung vorgenommen, sondern mit einer gewissen ironischen Distanz erzählt. Eine Einführung der Übersetzerin Uta Reuster-Jahn, die an der Universität Hamburg Swahili lehrt und zur Swahili-Literatur und Kultur forscht, ordnet Versuchung in den Kanon der Swahili-Literatur ein und vermittelt den historischen, gesellschaftlichen und politischen Kontext der Erzählung.
Roman
W. E. Mkufya: Blume des Trostes
Aus dem Swahili übersetzt von Barbara Schmid-Heidenhain. Edition Pamoja 2016
Blume des Trostes von William E. Mkufya steht ganz in der Tradition des Existenzialismus. Der Unternehmer James Omolo lebt in der Millionenmetropole Dar es Salaam und wird von seinen Mitmenschen sehr geschätzt, hält jedoch alle auf Abstand. Niemand kennt ihn wirklich. In seiner Stammkneipe macht das Gerücht die Runde, dass Queen, eine der attraktivsten Frauen des Viertels, mit der er selbst einmal eine kurze Affäre hatte, an AIDS erkrankt sei. Der feinfühlige James beschließt, sie zu pflegen, und versucht dabei, sein eigenes Geheimnis zu wahren. Anhand der HIV/AIDS-Epidemie, die die tansanische Gesellschaft vor große Herausforderungen stellt, hinterfragt der Roman Sinn und Unsinn der menschlichen Existenz und beleuchtet Schicksale, die durch die mit einer HIV-Infektion einhergehenden körperlichen Leiden, Isolation und Stigmata gezeichnet sind. Übersetzt wurde Blume des Trostes von Barbara Schmid-Heidenhain, das Original wurde 2004 veröffentlicht.
Bilderbuch
Anna Samwel Manyanza: Schwarzkäppchen
Aus dem Swahili übersetzt von der Autorin. BoD 2020
Auch für Kinder gibt es Literatur aus dem Swahili in deutscher Übersetzung. Schwarzkäppchen ist ein Bilderbuch zum Vorlesen für Kinder ab drei Jahren von Anna Samwel Manyanza. Die Autorin kommt aus Tansania, lebt in der Schweiz und hat das Buch selbst aus dem Swahili ins Deutsche, Englische und Französische übersetzt. Sie schreibt auch für Erwachsene und gewann mit ihrem Roman Penzi la Damu den Mabati-Cornell-Preis für Kiswahili-Literatur. Mit Schwarzkäppchen – der Titel lässt es erahnen – drückt Anna Samwel dem Märchen von Rotkäppchen ihren eigenen und einen ostafrikanischen Stempel auf. Amina macht sich mit ihrer schwarzen Mütze und einem Picknickkorb auf zum Haus der Großeltern. Dabei begegnen ihr die verschiedensten Tiere, auch der hungrige Löwe, der es auf Schwarzkäppchen abgesehen hat. Spoiler: In dieser Geschichte werden keine Großeltern gefressen.
Roman
Yvonne Adhiambo Owuor: Das Meer der Libellen
Aus dem Englischen übersetzt von Simone Jakob. Dumont 2020
Swahili wird nicht nur in Tansania gesprochen und geschrieben, sondern unter anderem auch in Kenia. Der von Simone Jakob aus dem Englischen übersetzte Roman Das Meer der Libellen der kenianischen Autorin Yvonne Adhiambo Owuor transportiert sehr viel Swahili-Kultur, Sprache und Geschichte. Auf der Insel Pate an der kenianischen Küste wächst die eigensinnige Ayaana bei ihrer Mutter Munira auf. Einen Vater hat sie nicht, mit dem Matrosen Muhidin tritt jedoch eine Vaterfigur in ihr Leben. Doch als Ayaana erwachsen wird, muss sie mit einschneidenden Ereignissen zurechtkommen, die nicht nur sie selbst, sondern auch das Leben auf Pate tiefgreifend verändern. Sie beschließt, in der Ferne ihr Glück zu suchen, und entscheidet sich für ein Studium in China. Der Roman spürt den aktuellen, vor allem aber auch den historischen Verbindungen zwischen Ostafrika und China über den Indischen Ozean nach – den die Autorin als Swahili-Meere bezeichnet. Dabei enthält der Text ganze Sätze und Floskeln und – typisch für die Literatur der Region – zahlreiche Sprichwörter, die auf Swahili bleiben und sich ohne Glossar aus dem Text heraus erklären. Überhaupt hat Simone Jakob den poetischen Stil der Autorin grandios ins Deutsche übertragen (eine ausführliche Rezension gibt es hier).
Noch mehr zu Kiswahili erfahrt ihr in unserem Beitrag Große kleine Sprache Kiswahili!
… und zum Schluss noch ein aktueller Lesetipp auf Englisch:
Diesen Sommer ist die Anthologie No Edges mit Swahili-Kurzgeschichten erschienen, die ebenfalls sehr empfehlenswert ist.