Elisabeth von Nassau-Saarbrücken, geboren als Elisabeth von Lothringen um 1396, ist die erste namentlich bekannte Literaturübersetzerin ins Deutsche, genauer ins Frühneuhochdeutsche und leider nur Wenigen bekannt.
Von Elisabeths Aufwachsen weiß man kaum etwas, nicht einmal ihren Geburtstag. Sie war schließlich ein Mädchen und damit nur eine Karte im Pokerspiel um die politisch geschickteste Hochzeit. Man kann aber davon ausgehen, dass sie als Angehörige des französischen Hochadels eine umfassende Erziehung genossen hat, bei der die Kultur sicher eine große Rolle gespielt hat, insbesondere die Literatur. Denn ihre Mutter hatte Handschriften mehrerer französischer Heldenepen, sogenannter Chansons de Geste, anfertigen lassen und ihr Bruder wurde Dichter. Elisabeth ist zwar in der französischen Kultur aufgewachsen, mit Französisch als Muttersprache, doch auch Deutsch war präsent, denn ihre Heimat gehörte damals zum deutschen Kaiserreich, nicht zu Frankreich.
Es war eine kriegerische Ära – der 100-jährige Krieg tobte – aber auch eine, in der einzelne Frauen plötzlich prominent hervortraten. Da ist die weltberühmte Jeanne d’Arc (ebenfalls eine Lothringerin), die dem französischen König zunächst im Kampf gegen die Engländer half, um dann als Ketzerin verbrannt zu werden. Und da ist Christine de Pizan, die als erste französischsprachige Autorin von ihren Schriften leben konnte und die Misogynie im damals so beliebten Versepos Rosenroman öffentlich kritisierte. Elisabeth waren sicher beide geläufig, vielleicht inspirierte sie Christine de Pizans Beispiel.
Doch bevor sie selbst literarisch aktiv werden konnte, wurde sie verheiratet, mit gerade mal 15 Jahren. Ihr Ehemann war der 30 Jahre ältere Graf von Nassau-Saarbrücken, damals einer der mächtigsten Territorialfürsten zwischen Rhein und Maas. Elisabeth gebärt die gewünschten Erben, und wird 1429 mit 31 Jahren nach dem Tod ihres Mannes Regentin für ihre minderjährigen Söhne. Sie ist eine ausgesprochen erfolgreiche Regentin, die die Schulden ihres Mannes abbezahlt und für eine florierende Wirtschaft sorgt, indem sie, ganz nach französischem Vorbild, das städtische Bürgertum auf ihre Seite zieht und unterstützt. Sie sorgt sogar dafür, dass alle Bodenschätze in ihrem Reich, darunter auch Kohle, der Grafschaft gehören. Sicherlich haben ihre Zweisprachigkeit und die Tatsache, dass sie sich in der französischen wie der deutschen Kultur auskannte, es ihr erleichtert, mit allen angrenzenden Reichen geschickt zu verhandeln und Frieden zu wahren.
Erst 1437, mit 40 Jahren und gegen Ende ihrer Regentschaft, beginnt sie, Literatur zu übersetzen. Sie wählt vier Chansons de Geste aus, die alle mit dem Königshof von Karl dem Großen verbunden sind, doch erst Elisabeth macht aus ihnen einen Zyklus: Es sind Herpin, Sibille, Loher und Maller, Huge Scheppel, ausufernde Epen voller Abenteuer und Sex & Crime, ohne philosophische oder religiöse Belehrung, stattdessen Unterhaltungsliteratur, wenn auch mit einem gewissen didaktischen Anspruch. Sie entstammen der mündlichen Tradition und sind in Versform verfasst, damit sich die fahrenden Sänger die Texte einfacher merken können. Doch Elisabeth übernimmt die Versform nicht, ihre Übersetzungen gehören zu den allerersten Prosaromanen deutscher Sprache.
Worum geht’s? Um Verrat, Verleumdung und Verstoßung.
Herpin ist ein Vasall, der verleumdet und vom Hof verjagt wird. Sein Sohn, der als Baby von einer Löwin gesäugt wurde, daher sein Name Lewe, kann nach vielen Abenteuern, Irrfahrten und Kämpfen die Herrschaft zurückerobern.
Sibille ist die Frau Karls des Großen (trotz 5 historischer Ehefrauen allerdings nur fiktiv), die von einem „hässlichen Zwerg“ hereingelegt wird, so dass ihr Mann sie fälschlicherweise für untreu hält und verstößt. Sie lebt weit weg vom intriganten Hof unter einfachen Leuten, die ihr dabei helfen, sich zu rehabilitieren.
Loher und Maller sind Freunde. Loher, der Sohn Karls des Großen, wird wegen zu vieler Affären für sieben Jahre vom Hof verbannt. Maller begleitet ihn nach Konstantinopel, wo Loher König wird und heiratet, danach nach Rom, wo sie für den Papst kämpfen. Maller hat schließlich vom Krieg die Nase voll und wird Einsiedler. Dummerweise erkennt Loher ihn bei einer späteren Begegnung nicht und tötet ihn versehentlich. Loher wird von seinem Bruder Ludwig kastriert, damit er keine Dynastie begründen kann, doch der weiß nicht, dass Loher bereits einen Sohn hat. Ludwig, der König von Frankreich ist, während Loher zum Kaiser von Rom ernannt worden ist, hat keinen Sohn, so dass die Karolinger erlöschen und das Epos mit einem Ausblick auf das nächste endet.
Denn Huge Scheppel, also Hugo Capet, der Begründer der Kapetinger, heiratet Ludwigs einzige Tochter. Das Epos beginnt mit seiner wilden Jugend, in der er auf Abenteuerfahrt in den Niederlanden mal eben zehn Söhne zeugt. Zurück in Paris stürzt er sich in den Kampf um die Krone und tötet einen aufständischen Vasallen. Zum Dank gibt es ein spektakuläres Pfauenmahl, die königliche Rüstung und das königliche Lilienwappen. Seine zehn Söhne kämpfen schließlich an seiner Seite, natürlich sind sie Helden wie er, und zum Abschluss erhält er die Königstochter zur Frau, mit der er – wer hätte es gedacht – wieder „vil sun“ zeugt und so eine neue Dynastie begründet.
All diese Kämpfe, Intrigen, Verrate und Liebesdinge werden ausschweifend erzählt, man könnte in diesen Ritterromanen durchaus die Vorläufer von Seifenopern oder Fernsehserien sehen. Die vollständigen Titel der Romane verweisen allerdings auf ihren Wahrheitsgehalt, wie es bei früher Literatur oft üblich war: „Ein lieplichs lesen vnd ein warhafftige Hystorij“ und „Ein Schöne vnnd warhaffte History“ nennt sie ihre Prosawerke zum Beispiel.
Elisabeth von Nassau-Saarbrücken hat den Erzählungen inhaltlich leichte, aber entscheidende Veränderungen verpasst. Ihre Protagonist*innen sind nicht mehr bloße Schablonen, die exemplarisch für bestimmte Tugenden stehen, sie werden als Menschen lebendig. In ihrer Prosa nutzt Elisabeth unterschiedliche Sprachstile, von der spröden Kanzleisprache bis zu lebhaften Dialogen. Und sie lässt klar durchscheinen, was für sie die ideale Herrschaft ist, nämlich eine rationalere als beim Ritterideal. Entscheidend ist für all ihre Held*innen, dass sie Selbstbeherrschung lernen, darin liegt der Schlüssel zur erfolgreichen Herrschaft. Bis heute gültig ist im Übrigen der Aufruf, „Ir herren machent fryden“, mit dem ihre Übersetzung beginnt.
Am 17. Januar 1456 stirbt Elisabeth und bewirkt selbst dann noch Neues, weil sie eine neue Grablege für die Saarbrücker Grafen etabliert. Noch heute kann man sie dort, in der Stiftskirche St. Arnual, auf ihrer Tumba liegen sehen. Ihre Tochter sorgte schließlich dafür, dass die Übersetzungen ihrer Mutter als Handschriften verbreitet wurden. Sie waren an vielen Adelshöfen Deutschlands sehr populär. Noch größeren Erfolg hatten sie von 1500 an für über 150 Jahre in Druckform. Die Epen waren sehr beliebt, außer der Sibille, die als einziges nicht gedruckt wurde – ob es Zufall ist, dass ausgerechnet das einzige Werk mit einer Frau als Protagonistin und Titelgeberin nicht in Druck ging? Im 19. Jahrhundert wurde Elisabeth jedenfalls wiederentdeckt. Achim von Arnim baute beispielsweise Teile von Huge Scheppel in seine Gräfin Dolores ein. Die Epen, oft in Bearbeitung für jugendliche Leser*innen, waren in der ersten Hälfte des Jahrhunderts Teil vieler Geschichtensammlungen. Gustav Schwab (ja, genau, der mit den klassischen Sagen) glaubte, er müsse in seinen Büchern alles entfernen, das „eine unreife Phantasie ungebührlich erregen“ könne. Da wäre von den vier Epen wohl nicht mehr viel übrig geblieben.
Im 20. Jahrhundert begann dann eine wissenschaftliche Aufarbeitung der vier Übersetzungen, wobei die allerdings meist als eigene Werke Elisabeths betrachtet wurden und als Beginn des deutschen Prosaromans. Egal wie stark sie sich die Texte zu eigen gemacht, verändert und aktualisiert hat (heute würde man von Transkreation sprechen), so hat sie vor allem die typische Übersetzungsleistung erbracht – nämlich den deutschen Leser*innen die Geschichten einer anderen Kultur erschlossen.