Ich höre bei meiner Morgenroutine vor der Arbeit gerne Podcasts. So auch Mitte April. Eine neue Folge von Hanser Rauschen ist draußen, zwei Lektor:innen vom Hanser Verlag sprechen diesmal über die „Black Box Lektorat“. Ich sitze am Küchentisch, esse nichtsahnend mein Müsli, und dann fällt ein Satz, der mir die Haferflocken samt Milch durch die Nase spritzen lässt:
[…] man sieht noch die Gänge der Korrektorinnen, über die wir unbedingt auch mal eine Folge machen müssen, weil das wirklich eine total große Wissenschaft ist und weil das Texte ganz stark verändern kann. Immer wenn die große Forderung der Übersetzerinnen kommt, dass sie aufs Cover wollen, denke ich: Es gibt auch viele andere Leute, die die Texte wirklich prägen, zum Beispiel das Korrektorat, das Lektorat, viele viele Instanzen.
(Hanser Rauschen #17)
Eine gigantische Welle der Fassungslosigkeit überspült mich, als ich diese Worte höre, eigentlich ist es sogar eher eine Welle der Wut. Aber: Wut kann zwar ein guter Motor sein, soll hier aber nicht als solcher fungieren, denn was haben wir davon, wenn ich mich jetzt ausschließlich aufrege? Es geht mir auch nicht darum, irgendwen an den Pranger zu stellen, ich werfe niemandem bösartige Absicht vor. Stattdessen möchte ich in diesem Text anhand einiger Anekdoten aufzeigen, welche Stellschrauben es gibt, an denen wir alle zusammen, Verlage, Literaturkritiker:innen, Autor:innen, Veranstalter:innen, Leser:innen und nicht zuletzt wir selbst, wir Übersetzer:innen, noch drehen können. Vorab: Natürlich gibt es für alle negativen Beispiele auch positive Gegenbeispiele – alles hier Geschriebene ist nicht allgemeingültig.
Schätzen statt vergrätzen
Zurück zum Podcast: Wenn sogar ein Lektor eines großen Publikumsverlags nicht versteht, weshalb Übersetzer:innen mehr Sichtbarkeit einfordern, läuft meiner Meinung nach ziemlich viel falsch in der Kommunikation zwischen Verlagsmenschen und Übersetzenden. Der Lektor möchte also gerne eine Folge zum Korrektorat machen, das finde ich gut, das würde mich tatsächlich interessieren, denn natürlich ist die Arbeit der Korrektor:innen wichtig. Schwierig ist dann aber der Schritt, den er danach gedanklich macht: Wenn Übersetzer:innen aufs Cover gehören, dann ja wohl auch Korrektor:innen. Auf die Idee, mal eine Folge mit Übersetzer:innen zu machen, ist er anscheinend auch noch nicht gekommen. Ich bleibe jetzt bei diesem grundsätzlich absurden Vergleich und gebe ein paar Denkanstöße mit: Was würde das Korrektorat eigentlich korrigieren, wenn vorher nichts übersetzt worden wäre? Nichts. Den Text gäbe es dann ja gar nicht. Hmm. Blöd. Und wie lange arbeitet das Korrektorat eigentlich an einem Text, und wie lange der:die Übersetzer:in? Tja, spannend! Und haben Übersetzer:innen ein tiefgehendes kulturelles Wissen über das Land der Ausgangssprache? Könnte sein. Ich könnte noch viele solcher Denkanstöße geben.
Viele Verlage und Verlagsmenschen begegnen Übersetzenden glücklicherweise äußerst wertschätzend und kollegial, genauso wie die Übersetzenden den Verlagsmenschen. Man zieht an einem Strang, denn alle Parteien sind daran interessiert, dass das Produkt ein gutes wird und sich gut verkauft. Wir wollen alle dasselbe! Übersetzer:innen haben oftmals eine äußerst intensive Beziehung zu dem übersetzten Werk, jedes Wort und jedes Satzzeichen ist eine aktive Entscheidung, die mehrmals abgewogen wurde, und das macht etwas mit einem. Daraus resultiert ebenfalls, dass Übersetzer:innen die übersetzten Bücher in- und auswendig kennen, dass sie Expert:innen für die jeweiligen Texte sind und sie somit perfekt bewerben können. Und dann habe ich noch gar nicht erwähnt, dass Übersetzer:innen Bücher für Verlage oft begutachten und sie ihnen auf diese Weise zugänglich machen, damit die Rechte erworben werden können. Manchmal gehen die Übersetzer:innen auf die Verlage zu und schlagen ihnen Bücher vor, die sie nicht mehr loslassen, und manchmal werden dann die Rechte für diese Bücher gekauft. Übersetzer:innen übersetzen in erster Linie, aber sie sind auch Kulturvermittler:innen, Botschafter:innen für das jeweilige Buch. Also, liebe Verlage, wenn ihr es nicht sowieso schon tut: Vergrätzt uns nicht mit Ignoranz, sondern bezieht uns mit ein, schickt uns Vorabexemplare, wenn ihr sie an die Blogger:innen verteilt, denn wir freuen uns darüber mindestens genauso, und plant uns für Lesetouren ein. Wir verfolgen ein und dasselbe Ziel!
Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?
Anfang des Jahres war ich zu einem Event eingeladen, bei dem Autor:innen bei einem sogenannten Speeddating auf Journalist:innen trafen und dabei von ihren Übersetzer:innen als Expert:innen begleitet wurden. Meine absolut vorbildliche Autorin stellte mich zu Beginn jedes Treffens vor: „Wir haben heute das Glück, dass Lisa Mensing, meine Übersetzerin, auch dabei ist.“ Die Journalist:innen blickten kurz irritiert zu mir, für eine Sekunde aus dem Konzept gebracht, wandten sich dann wieder der Autorin zu und arbeiteten ihre Fragen ab. Bei einem dieser Speeddates blieb nach den zuvor notierten Fragen des Journalisten noch etwas Zeit und da erinnerte er sich anscheinend an die einleitenden Worte der Autorin. Sein Blick wanderte von ihr zu mir und zurück. Und dann doch wieder zu mir. Er hatte sich eine Frage für mich ausgedacht. Innerliche Jubelschreie meinerseits. Dann kam die Frage: „Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?“ Autsch.
In letzter Zeit habe ich im Gespräch mit einigen Literaturkritiker:innen festgestellt, dass es definitiv keine Ignoranz ist, die dazu führt, dass wir Übersetzer:innen oft unsichtbar gemacht werden. Gut, wenn unsere Namen nicht einmal erwähnt werden – aus Platzgründen –, die Seitenzahl des Buches und der Ladenpreis aber schon, könnte das ein Zeichen dafür sein, dass sich die Schreibenden nicht unbedingt darüber im Klaren sind, dass sie das, was sie da lesen, nicht lesen könnten, wenn es nicht übersetzt worden wäre. Aber in den meisten Fällen wurde meiner Kritik mit Hilflosigkeit begegnet. Man wisse einfach nicht, wie man die Übersetzung bewerten solle, wenn man das Original nicht danebenlegen könne.
Und ich verstehe diesen Punkt! Auch Leser:innen trauen sich oft nicht, über Übersetzungen zu urteilen, weil es eine Arbeit ist, die im stillen Kämmerlein stattfindet und oftmals auch dort gehalten wird. Dabei gibt es klare Leitfragen, deren Beantwortung dabei helfen können, eine Übersetzung zu beurteilen. Jeder Text hat stilistische Marker, einen Rhythmus, einen Ton, verschiedene Register. Funktionieren sie im Deutschen, ist die Übersetzung vermutlich nicht völlig misslungen. Ein weiteres Argument ist oft die knapp bemessene Zeit, die für das Schreiben der Kritik übrigbleibe. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es – sobald der Werkzeugkasten einmal ordentlich gefüllt wurde – möglich ist, mit einem literaturwissenschaftlichen Hintergrund, den viele Kritiker:innen ja nun einmal haben, qualifizierter auf die Übersetzungsleistung einzugehen. Fände grundsätzlich mehr Sprachkritik in der Literaturkritik statt, und nicht, wie so oft, nur eine reine Inhaltswiedergabe, wäre die Integration der Übersetzungskritik mühelos zu bewerkstelligen.
Ich glaube wirklich nicht, dass Literaturkritiker:innen die Übersetzungsarbeit aus Boshaftigkeit nicht berücksichtigen, und wenn es nicht an der fehlenden Sprachkritik liegt, so hat es vielleicht etwas mit dem viel zu selten stattfindenden Dialog zwischen Übersetzer:innen und Kritiker:innen zu tun. Dieser Dialog sollte dringend hergestellt werden: Instanzen wie der Deutsche Übersetzerfonds und der Verband deutscher Übersetzer:innen könnten beispielsweise Workshops zum Thema „Wie beurteile ich eine Übersetzung“ für Kritiker:innen organisieren. Ich stelle mir diesen Austausch für alle Parteien sehr bereichernd vor.
Übrigens exzellent übersetzt
Im Deutschlandfunk Kultur lief vor der Leipziger Buchmesse ein eigentlich sehr schöner, gut recherchierter Beitrag zu neuer Literatur aus den Niederlanden und Flandern, mehrere Bücher wurden vorgestellt, aus den Büchern wurden Zitate, ja ganze Absätze vorgelesen. Wurden danach die jeweiligen Übersetzer:innen genannt? Fehlanzeige! Dabei wurden da doch gerade die Wörter vorgelesen, die von der übersetzenden Person geschrieben worden sind – ja, nach Vorlage, natürlich, aber am Ende sind es die deutschen Worte der deutschen Übersetzenden. Gegen Ende des Beitrags kommt immerhin netterweise ein Übersetzer zu Wort (Randnotiz: im Beitrag werden Bücher vorgestellt, die von vier Frauen und einem Mann übersetzt wurden, zu Wort kommt *Trommelwirbel*: der Mann) und irgendwann wird auch noch eingeworfen, dass die Bücher alle ganz exzellent übersetzt seien. Ja, von wem denn? Am Ende des Beitrags, im Outro, werden dann alle am Beitrag Beteiligten genannt. Die Autorin des Beitrags. Die Sprecher:innen. Die für den Ton verantwortliche Person. Die für die Regie verantwortliche Person. Die für die Redaktion verantwortliche Person. Und dann: „Die Zitate aus den Büchern wurden übersetzt von …“ und die Namen der Übersetzenden folgen. Danach folgt nur noch die Produktion (Deutschlandfunk Kultur). Das zeigt ganz wunderbar, auf welcher Sprosse der Leiter die Übersetzenden stehen. Und kommt mir jetzt bitte nicht mit dem Argument, es würde zu viel Zeit kosten, die Namen im Beitrag selbst zu nennen – ich habe das gerade ausprobiert, langsam gesprochen, die Zeit gestoppt, und es sind ungefähr 20 Sekunden. Diese Entscheidung liegt vermutlich nicht bei der Person, die den Beitrag zusammengestellt hat, aber es ist trotzdem schade, dass gerade im öffentlich-rechtlichen Rudnfunk die Übersetzer:innen-Nennung im Beitrag selbst nicht konsequent gehandhabt wird. Wir wollen gar nicht viel, wir wollen nur, dass unsere Namen genannt werden – und bitte nicht erst im Outro.
Unsere Arbeit ist interessant!
Auf der Leipziger Buchmesse hatte ich in diesem Jahr die Möglichkeit, täglich einen Workshop zum Übersetzen aus dem Niederländischen zu leiten. Ich habe mich vorher gefragt, was für Menschen wohl daran teilnehmen würden, ob überhaupt Menschen kommen würden. Ich hatte mir schon fest vorgenommen, auch alles zu geben, wenn nur drei Leute kommen, weil diese drei Leute es genauso verdienen, gut unterhalten zu werden, wie 25. Aber hey, jeden Tag, wirklich jeden Tag war die Veranstaltung sehr gut besucht und innerhalb der halben Stunde wurde der Pulk von Menschen immer größer. Da saßen Senior:innen, junge Familien, Studierende, und sie waren wirklich interessiert, haben mitgemacht, mitgedacht und Fragen gestellt. Oft kamen nach der Veranstaltung Leute zu mir, die noch mehr zum Thema Literaturübersetzen wissen wollten. Und diese Erfahrung habe ich nicht zum ersten Mal gemacht. Das Thema ist interessant. Das zeigt übrigens auch die großartige Arbeit von Lisa Kögeböhn (@koegeboehnsche), die auf Instagram niedrigschwellig aber klar und deutlich anhand von Posts und Reels erklärt, warum Übersetzungsarbeit wertgeschätzt werden sollte. Und damit erreicht sie Leser:innen und Bookstagrammer:innen – die größtenteils übrigens schon Profis darin sind, die Übersetzenden in ihren Rezensionen zu nennen und wertzuschätzen!
Nach einer Lesung mit einer von mir übersetzten Autorin, die ich moderieren durfte, kamen Leser:innen zu mir und sagten: „Ich habe aus der Veranstaltung gerade mitgenommen, dass die Übersetzungsarbeit wichtig und anspruchsvoll ist. Würden Sie mein Buch bitte auch signieren?“ Diese Erlebnisse haben mir nochmal vor Augen geführt, dass wir Übersetzenden auch eine Aufgabe haben. Wir können mit den Menschen, die Literatur lieben – mit den Lesenden – in den Dialog treten und ihnen von unserer Arbeit erzählen. Vielleicht können und sollten wir auch mehr Veranstaltungen organisieren, die sich explizit an die Leserschaft und nicht an Übersetzende richten, um ein breites Publikum mit unserer Arbeit bekannt machen zu können (genau das machen wir hier bei TraLaLit übrigens mit unserer Leserunde TraLaLiest). Und das sollten wir Übersetzer:innen natürlich eigentlich nicht selbst in die Hand nehmen müssen, schließlich sind wir keine Eventmanager:innen, aber hier können wiederum Verlage und Veranstalter:innen um- und mitdenken, Panels für Übersetzer:innen einplanen oder die Übersetzenden zusammen mit ihren Autor:innen auftreten lassen – was diese wiederum auch aktiv einfordern können.
In den Dialog treten
Ich glaube, es gibt viele Übersetzer:innen, die (noch) die Energie haben, aktiv in den Dialog zu treten. Außerdem glaube ich, dass es noch viele unausgeschöpfte Möglichkeiten gibt und dass für die erfolgreiche Sichtbarmachung vor allem der Kontakt zur Leserschaft geknüpft werden sollte. Gebt Übersetzenden eine Plattform, die Begeisterung für ihr Fach zu teilen, und Leser:innen die Möglichkeit, diese Begeisterung zu erfahren. Lasst uns – Verlage, Veranstalter:innen, Presse, Übersetzer:innen – stärker zusammenarbeiten, denn am Ende wollen wir doch alle einfach nur, dass die Bücher gelesen werden und über sie gesprochen wird. Und das können wir am besten zusammen erreichen.
Und wenn Sie jetzt immer noch denken, dass Übersetzer:innen mal den Ball flach halten sollen, dann können Sie sich gerne bei mir melden und ich biete in Ihrer Institution einen passenden Workshop an – und danach können wir uns nochmal in Ruhe unterhalten.
Aber jetzt trinke ich erstmal in Ruhe einen Kaffee, der meinen Körper hoffentlich nicht wieder durch die Nase verlassen muss.