Über­set­zun­gen im Preisgefüge

Die Debatte um Literaturpreise nimmt kein Ende. Doch welche Rolle spielen dabei Übersetzungen und ihre Urheber:innen? Von

In der von Ron­ja Oth­mann und Julia­ne Lie­bert los­ge­tre­te­nen Debat­te um den Inter­na­tio­na­len Lite­ra­tur­preis vom Haus der Kul­tu­ren der Welt geht es um vie­les, was die Lite­ra­tur­bran­che ohne­hin schon seit Jah­ren bewegt – Iden­ti­täts­po­li­tik, Macht­ver­hält­nis­se und Sicht­bar­keit. Die Autorin­nen for­dern die Ver­ga­be von Prei­sen nach rein qua­li­ta­ti­ven Kri­te­ri­en, ohne zu beant­wor­ten, wel­che dies eigent­lich sind. Und die Fra­ge stellt sich: Kön­nen sol­che Kri­te­ri­en über­haupt ange­wandt wer­den, wenn selbst die eta­blier­te Lite­ra­tur­kri­tik oft vor Urtei­len zurück­scheut, die über die Bewer­tung des blo­ßen Inhalts und die Ein­ord­nung der Autor:innen hinausgehen? 

Der Lite­ra­tur­preis des HKW ähnelt auf den ers­ten Blick dem vor Kur­zem ver­lie­he­nen Inter­na­tio­nal Boo­ker Pri­ze. Bei­de Prei­se zeich­nen sowohl die Autor:innen als auch ihre Übersetzer:innen aus; das HKW “wür­digt in die­ser Alli­anz sowohl Ori­gi­nal­werk als auch Über­set­zung”, heißt es auf der Web­site. Anders als beim Inter­na­tio­nal Boo­ker Pri­ze erhal­ten die Übersetzer:innen noch immer ein Vier­tel weni­ger Geld als die Autor:innen (2016 hat­te man die Gewinn­sum­men ange­gli­chen, davor war die Dif­fe­renz noch ekla­tan­ter). Aber dass das HKW die über­set­ze­ri­sche Leis­tung wert­schätzt, wird in der Rich­tig­stel­lung in Bezug auf den ZEIT-Arti­kel beson­ders her­vor­ge­ho­ben: Es gehe neben vie­len ande­ren Kri­te­ri­en um die „Qua­li­tät der Über­set­zungs­leis­tung“ und die „Ori­gi­na­li­tät der Über­set­zung“, wie auch immer man die cha­rak­te­ri­sie­ren mag. 

Tat­säch­lich ist der Lite­ra­tur­preis des HKWs mit sei­ner Wür­di­gung des Zusam­men­spiels von Autor:in und Übersetzer:in im deutsch­spra­chi­gen Raum nahe­zu ein­zig­ar­tig. Der Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se bei­spiels­wei­se prä­miert über­set­ze­ri­sche Leis­tun­gen unab­hän­gig von der schrift­stel­le­ri­schen; in der Hin­sicht bie­tet der Preis Über­set­zen­den, die sich nicht hin­ter ihren Autor:innen ver­ste­cken müs­sen, eine hohe Sicht­bar­keit. Auf­fäl­lig ist aller­dings bei bei­den Prei­sen, wie wenig Über­set­zen­de in den jewei­li­gen Jurys sitzen. 

In der HKW-Jury sind in die­sem Jahr zwei pro­fes­sio­nel­le Über­set­ze­rin­nen – Olga Radetz­ka­ja und Bea­tri­ce Faß­ben­der. Zwei von sie­ben Per­so­nen sind also in beson­de­rem und offen­sicht­li­chem Maße auf das Über­set­zen spe­zia­li­siert, und das bei einem Preis, der (wie wir fest­ge­stellt haben) knapp zur Hälf­te an die Übersetzer:in geht. Beim Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se sah es in die­sem Jahr noch mage­rer aus – allein Maryam Aras zählt das Über­set­zen zu ihren Tätig­keits­be­rei­chen. Dass sich die Kri­te­ri­en für die Zusam­men­set­zung von Jurys in den letz­ten Jah­ren rasant gewan­delt haben, dass man sich bewusst distan­ziert von einer rein „männ­li­chen“ oder „wei­ßen“ Zusam­men­set­zung, ist offen­sicht­lich. Die Schwach­stel­len blei­ben jedoch: die man­geln­de Reprä­sen­tanz von Über­set­zen­den etwa, oder auch, wie Jen­ny Erpen­beck erst kürz­lich mut­maß­te, die der Ostdeutschen.

Der Inter­na­tio­nal Boo­ker Pri­ze hat zwar nicht unbe­dingt mehr Übersetzer:innen in sei­ner Jury sit­zen, schreibt sich jedoch das Über­set­zen deut­lich grö­ßer auf die Fah­nen als der Inter­na­tio­na­le Lite­ra­tur­preis. Inter­es­san­ter­wei­se sind die iden­ti­täts­po­li­ti­schen Kri­te­ri­en, die im ZEIT-Arti­kel kri­ti­siert wer­den, für den Inter­na­tio­nal Boo­ker Pri­ze ent­schei­dend: Auf deren Web­site gibt es eine Welt­kar­te, auf der man sich anschau­en kann, aus wel­chen Län­dern die Autor:innen der Long­list alle kom­men. Wei­ter heißt es, „über­setz­te Lite­ra­tur zu fei­ern, bedeu­tet das Ande­re, die Diver­si­tät […] zu zele­brie­ren“ („cele­bra­ting trans­la­ted lite­ra­tu­re means cele­bra­ting alteri­ty, diversity […]“).

Man wol­le das Licht auf ver­schie­de­ne Län­der und ihre Spra­chen wer­fen, und den Ver­kauf von über­setz­ten Tex­ten im anglo­pho­nen Raum ankur­beln. Die dies­jäh­ri­ge Jury­be­grün­dung für die Ver­lei­hung an Jen­ny Erpen­beck und Micha­el Hoff­mann bringt zwar vor allem text­im­ma­nen­te Argu­men­te her­vor, aller­dings ist es im Fall des Inter­na­tio­nal Boo­ker Pri­ze eini­ger­ma­ßen trans­pa­rent, dass außer­li­te­ra­ri­sche Kri­te­ri­en bei der Bewer­tung inter­na­tio­na­ler Lite­ra­tur immer auch eine Rol­le spielen.

Eine Distan­zie­rung von sol­chen Fak­to­ren ist in vie­ler­lei Hin­sicht frag­wür­dig. Zum einen, weil man offen­bar davon aus­geht, dass Lite­ra­tur von einer Grup­pe von Men­schen gänz­lich objek­tiv bewer­tet wer­den kann. Eine Jury besteht aus einer Viel­zahl an unter­schied­li­chen Expert:innen mit unter­schied­li­chen Lite­ra­tur­ver­ständ­nis­sen, die am Ende eine Ent­schei­dung tref­fen und die­se schlüs­sig begrün­den müs­sen. Zum ande­ren, weil es bedeu­ten wür­de, dass man rein lite­ra­ri­sche Kri­te­ri­en lupen­rein von ande­ren Kri­te­ri­en tren­nen kann. 

Wür­de man eine sol­che kla­re Tren­nung wirk­lich anstre­ben wol­len, hät­te dies zur Fol­ge, dass vie­le inter­na­tio­na­le Lite­ra­tur­prei­se nicht in zwei­ter oder drit­ter, son­dern in ers­ter Linie als Über­set­zungs­preis ver­stan­den wer­den müss­ten. Denn erst der kla­re Fokus auf das Über­set­zen rückt den Schwer­punkt auf lite­ra­ri­sche Qualitätsmerkmale. 

Eine Preis­ver­ga­be nach vor­nehm­lich rein lite­ra­ri­schen Kri­te­ri­en wür­de aller­dings eine Pra­xis der gründ­li­chen Über­set­zungs- bzw. Sprach­kri­tik vor­aus­set­zen, die so im deutsch­spra­chi­gen Raum und mit­un­ter auch im Aus­land kaum prak­ti­ziert wird. Der Inter­na­tio­nal Boo­ker Pri­ze distan­ziert sich übri­gens laut­stark davon: Er sei „kein Über­set­zungs­preis, son­dern ein Preis für ein über­setz­tes Werk“ („not a trans­la­ti­on pri­ze. It is a pri­ze for trans­la­ted work“).

Nun könn­te man anneh­men, dass auch gestan­de­ne Literaturkritiker:innen in der Lage sind, einen über­setz­ten Text zu bewer­ten. Gemes­sen dar­an, wie sel­ten Übersetzer:innen in deut­schen Feuil­le­ton­tex­ten expli­zit erwähnt wer­den und wie sel­ten eigent­lich die Über­set­zung selbst Schwer­punkt der Kri­tik ist (in vie­len Fäl­len oft nur dann, wenn es sich um eine Neu­über­set­zung han­delt), kann man nur bedingt davon aus­ge­hen, dass sub­stan­ti­el­le Sprach­kri­tik ein wirk­lich signi­fi­kan­tes Kri­te­ri­um ist. Sie ist oft­mals vor allem dann The­ma, wenn ein Text auf den ers­ten Blick „Sprach­spie­le­rei­en“ aufweist.

Womög­lich ist im Nach­hin­ein die bedeu­tends­te Neben­wir­kung von Oth­manns und Lie­berts anfecht­ba­rem Arti­kel, dass er die laut Insa Wil­ke „gehei­men Ver­hand­lun­gen“ öffent­lich gemacht hat. Dass die Welt bzw. die lesen­de Öffent­lich­keit bei einem Preis, der vom Aus­wär­ti­gen Amt und der Bun­des­be­auf­trag­ten für Kul­tur und Medi­en finan­ziert wird, außen vor blei­ben soll, ist ein anti­quier­tes Ver­ständ­nis vom Umgang mit Lite­ra­tur. Dass das Über­set­zen im Kon­text von Lite­ra­tur­prei­sen am Ende des Tages noch immer als zweit­ran­gig wahr­ge­nom­men wird, auch.



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