Bei dem folgenden Text handelt es sich um das erste Kapitel von Ettore Mjölsnes’ Der stumme Text: Eine Kritik der maschinellen Übersetzung. Den Auszug veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
In seinem Film Terminator 2 aus dem Jahr 1991 beschreibt James Cameron eine dystopische Welt, in der eine Software namens Skynet sich verselbständigt und die Vernichtung der Menschheit plant. Unter der Führung eines jungen Mannes, John Connor, bilden die Menschen eine Widerstandsorganisation, die gegen das Heer der Maschinen kämpft. Skynet entsendet einen Androiden in die Vergangenheit, mit dem Auftrag, den damals erst elfjährigen John zu töten und damit den Widerstand schon im Voraus im Keim zu ersticken. Dieser Androide hat dank Einsatz neuester Materialien und Technologien erstaunliche Fähigkeiten und stellt das dar, was in den Klappentexten dieser Art Spielfilme gerne »eine perfekte Tötungsmaschine« genannt wird: einen unaufhaltsamen Treibjäger, dem der Gejagte nur durch eine List oder eine Laune des Schicksals entkommen kann. John Connor wendet eine List an, als er von Skynets Plan erfährt: er schickt selber einen – zwar etwas leistungsschwächeren, doch nach unseren Massstäben immer noch beeindruckenden – Androiden in die Vergangenheit, den Terminator in der bekannten Gestalt von Arnold Schwarzenegger.
John Connor hat ihn dazu programmiert, die jüngere Ausgabe seiner selbst vor dem bösen Androiden zu schützen. Der junge John fasst Vertrauen zum Terminator, und zusammen mit Johns Mutter Sarah Connor, einer paramilitärisch ausgebildeten Frau, die vergeblich die Menschheit vor dem bevorstehenden Krieg mit den Maschinen zu warnen versucht, begeben sie sich auf die Flucht. Unterwegs machen sie Halt in einem geheimen Camp in der mexikanischen Wüste, in dem sie sich mit Waffen ausrüsten wollen. Dies ist die Ruhe vor dem Sturm, der Vorabend vor dem grossen Finale, letzte Vorbereitungen werden getroffen, der Terminator repariert den Wagen, mit dem die drei weiterfahren wollen, Sarah Connor bereitet ihre Ausrüstung vor. Die Mutter beobachtet, wie ihr Sohn sich mit dem Terminator unterhält, mit ihm spielt und herumalbert, und stellt verbittert fest, dass der Terminator einen viel besseren Vater abgibt als Johns leiblicher Vater: ein Vater, der nie zu müde ist, um mit dem Jungen zu spielen, seine Fragen zu beantworten und seine Wünsche zu erfüllen, der nie die Geduld verliert oder betrunken nach Hause kommt, und der nie Frau und Kind verlassen würde. Durch die filmische Poesie dieser Sequenz berührt, gibt der Zuschauer ihr unwillkürlich recht. Die Maschine ist die wiederhergestellte Vaterfigur, ein in jeder Hinsicht vollkommener Hoffnungsträger, denn nicht nur ist er dem Kind und seinen Wünschen zugewandt, sondern er ist sogar darauf programmiert, sie zu erfüllen. Ein Deus ex machina, den verständlicherweise ein ganz eigener Glanz um- gibt. Der Terminator ist der perfekte Vater – the perfect father.
Ein ähnlicher Glanz, oder zumindest Schimmer, umgibt seit einiger Zeit die maschinelle Übersetzung. Noch vor wenigen Jahren lieferten Übersetzungsmaschinen hauptsächlich den Beweis ihrer eigenen offensichtlichen Unbrauchbarkeit. Man könnte eine lange Liste der Patzer aufführen, die die Maschinen damals produzierten, hätte man sie festgehalten, und fast bedauert man, dass die alten Versionen nicht mehr verfügbar sind, durch die ein englischer Satz wie Time flies like an arrow auf Deutsch zu Die Zeitfliegen mögen einen Pfeil werden konnte, eines der wenigen Beispiele, die in Erinnerung geblieben sind, wobei es möglicherweise von einem Übersetzer erfunden wurde, denn es ist fast schon zu geistreich, um das Zufallsergebnis eines Rechners zu sein. In diesem Punkt hilft uns das unendliche Gedächtnis des Netzes leider nicht weiter: alle Beispiele sind verschwunden, als empfände das Internet, obwohl es nur eine Anhäufung von Daten ist, die mit der Pedanterie des Automaten gesammelt werden, dann doch so etwas wie Scham über die eigenen, vergangenen Fehler.
Die heutigen Patzer (es gibt sie noch) sind oft fast nicht mehr zu erkennen – was sie verhängnisvoller macht –, dafür sind sie auch nicht mehr witzig. Die Übersetzungsmaschinen der neuesten Generation liefern Aneinanderreihungen von Wörtern, die so proper aussehen wie Hecken vor einem Regierungsgebäude. Nicht nur übersetzt die heutige Maschine in kurzer Zeit unzählige Seiten aus irgendeiner Sprache in eine andere, zu jeder Tages- oder Nachtzeit, ohne zu ermüden, ohne Lohnerhöhungen oder die Kompensation der Überstunden und der Sonntagsarbeit zu verlangen, ohne mit den Auftraggebern über Abgabetermine zu streiten, ohne die Autoren mit Verständnisfragen zu ihren Texten zu belästigen, sondern man kann das Ganze am Ende in vielen Fällen sogar verstehen.
Die bessere syntaktische und semantische Kohärenz der Texte der Übersetzungsmaschinen der neuesten Generation, wie DeepL, ist in erster Linie auf den Einsatz sogenannter künstlicher neuronaler Netzwerke zurückzuführen. Die Fortschritte scheinen unbestreitbar, man verspürt eine freudige Erwartung. Die maschinelle Übersetzung lässt, abgesehen von den kommerziellen Zielen, die ihre Erfinder damit verfolgen, die Hoffnung aufkeimen, wenn nicht die Übersetzung an sich, so doch wenigstens die ganze Mühe des Übersetzens zu beseitigen. Die Begeisterung ist verständlich und erklärt wahrscheinlich nicht nur den Erfolg bei den Usern, den diese Technologie in kürzester Zeit für sich verbuchen konnte, sondern auch, dass der bevorstehende endgültige Durchbruch der Technologie, trotz der zum Teil offenkundigen Macken, die sie noch kennzeichnen, grossmehrheitlich als eine unbestrittene Tatsache angesehen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.
In dieser euphorischen Digitalisierungsaufbruchsstimmung erklingen durchaus auch kritische Stimmen. Stammen sie von den Übersetzern, so wirft man ihnen aber gerne vor, es gehe ihnen bloss darum, den eigenen Arbeitsplatz zu erhalten. Aus Angst, dass die Maschinen die Übersetzer überflüssig machen könnten, verteidige die Übersetzerzunft ihre Privilegien. Sie sei der maschinellen Übersetzung aus den gleichen Gründen abgeneigt wie die Kutscher, die das Auftauchen der ersten Autos mit Verbrennungsmotor kritisch beäugten. Ganz im Sinne eines Zeitgeistes, der sich das »lebenslange Lernen« auf die Fahnen geschrieben hat, heisst es dann, so, wie die Kutscher auf den Beruf des Chauffeurs umsatteln mussten, müssten eben heute die Übersetzer auf den Beruf des Post-Editors umsatteln. Überhaupt erhofft man sich vom Post-Editor Grosses – mehr dazu später noch. Gibt es aber ausser der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz keine Gründe, dieser Entwicklung mit Zurückhaltung zu begegnen?
Fangen wir mit dem Naheliegenden an. Die Liste der Fehler in den maschinell übersetzten Texten ist immer noch sehr lang. In den von der Maschine hergestellten Wortfolgen finden sich syntaktische und semantische Ungereimtheiten; einzelne Passagen klingen zwar gut, sagen aber bei genauerer Betrachtung das Gegenteil von dem aus, was der Ausgangstext sagte, oder gar nichts; die Maschine hat die Synonymie oft nicht im Griff, Gleiches wird unterschiedlich benannt, umgekehrt dann wird Unterschiedliches gleich benannt.
Ein Teil der Debatte dreht sich denn auch um diese Fehler, um die Frage, ob die Maschine »richtig« übersetzt hat oder wie gut sie mit komplexen syntaktischen Strukturen zurechtkommt (zum Beispiel mit grammatikalischen Inversionen). Als entscheidend wird angesehen, ob sich eindeutige Hinweise auf den maschinellen Ursprung des Textes entdecken lassen, und davon wird die Antwort auf die Frage abhängig gemacht, ob ein Mensch »besser« oder »schlechter« übersetzt hätte als die Maschine. Man wähnt sich unvermittelt mitten in einem Turingtest, eine nach dem englischen Mathematiker Alan Turing benannte, hypothetische Situation, in der man entscheiden muss, ob ein Mensch oder eine Maschine der Urheber einer bestimmten sprachlichen Äusserung ist, von der man nur weiss, dass sie von einem Menschen oder einer Maschine stammen könnte, wobei es das Ziel ist, eine Maschine zu entwickeln, die nicht als solche erkannt wird, das heisst den Test sogenannt besteht.
Abgesehen davon, dass die maschinelle Übersetzung den Turingtest faktisch noch nicht besteht, scheitert diese Herangehensweise an zwei Hürden. Zum einen daran, dass wir, um den Ursprung einer sprachlichen Äusserung beurteilen zu können, uns zunächst darauf einigen müssten, welche Annahmen wir der Beurteilung zu Grunde legen. Ohne ein solches Kriterium reduziert sich der Turingtest auf eine beliebige Wahrnehmung von unreflektierten Zusammenhängen, sodass wir nie wissen können, ob der wahre Urheber der Äusserung aus völlig falschen Gründen unerkannt geblieben oder erkannt geworden ist. »So gut kann keine Maschine schreiben, das muss ein Mensch gewesen sein!«, würde man ausrufen und sich dabei täuschen, bloss weil man meint, die Informatik sei auf dem Stand des Commodore 64 steckengeblieben. Oder umgekehrt, »so schlecht kann kein Mensch übersetzen, das muss eine Maschine gewesen sein«, bloss weil man noch nie erlebt hat, wie viele Fehler einem schlechten Übersetzer unterlaufen können. Doch wie könnten wir uns jemals auf ein solches einheitliches Beurteilungskriterium einigen?
Sie scheitert aber auch aus einem zweiten Grund. Würde man die Programmierer beauftragen, die neuronalen Netzwerke und die angewandten Algorithmen weiterzuentwickeln, sowie die Software mit einer noch grösseren Anzahl Korpora zu füttern, wären sie (vorausgesetzt, sie bekämen die dazu nötigen finanziellen Mittel) zweifelsohne in der Lage, die Leistungen der maschinellen Übersetzung zu verbessern, bis eines Tages vielleicht kein einziger syntaktischer, semantischer oder stilistischer Fehler das Gesamtbild trüben würde. Hätten wir aber dann tatsächlich den perfekten Übersetzer erschaffen – the perfect translator?
Um diese »Perfektion« zu beurteilen, müssen wir zuerst wissen, was der Übersetzer eigentlich leistet, und auf welchem Weg diese Leistung zustande kommt. Selbst wenn wir annehmen (was nicht einmal die Erfinder der maschinellen Übersetzung als plausibel betrachten), dass auf der Ebene der Textoberfläche kein Unterschied zwischen der Übersetzung eines Menschen und der einer Maschine sichtbar ist, entspringt die Tätigkeit des Übersetzens, wie wir aufzeigen wollen, einer urmenschlichen Quelle, und kraft dieses Ursprungs erzielt sie politische, kulturelle, wissenschaftliche und menschliche Wirkungen, die weit über die Ebene des Textes hinausreichen. Die Übersetzungsmaschinen hingegen schalten diesen Aspekt der Übersetzung aus, ja, diese Ausschaltung ist sogar die Voraussetzung für ihren vermeintlichen Erfolg.
Es geht also nicht darum, bloss das Endprodukt dieser Technologie zu beurteilen, sondern die Technologie als solche, mitsamt dem Sprachen- und Menschenbild, das ihr zu Grunde liegt, sowie ihre Auswirkungen auf allen Ebenen. Technologische Entwicklungen sind keine Naturereignisse, die sich unabhängig vom menschlichen Willen über unsere Häupter niederschlagen. Sie sind immer das Resultat einer Entscheidung des Erfinders. Doch eines ist das Erfinden, etwas anderes das Urteil, das man über die Erfindung fällt. Und nicht immer ist der Erfinder der am besten geeignete, um das Urteil zu fällen. Sokrates erzählt, der ägyptische König Thamus habe wie folgt Theuth geantwortet, dem Erfinder der Buchstaben, als dieser ihm die Vorzüge der Schrift lobte:
»O kunstreichster Theuth, einer weiss, was zu den Künsten gehört, ans Licht zu gebären; ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetzt als Vater der Buchstaben aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken«.
Es ist offensichtlich, dass die Väter der maschinellen Übersetzung kein Interesse daran haben, dass in diesem Bereich die wesentlichen Fragen gestellt werden. Ob die Übersetzungsmaschinen heute schon brauchbare Übersetzungen liefern oder nicht oder ob sie in Zukunft solche liefern werden oder nicht, ist unwesentlich. Die wesentliche Frage ist, welche Folgen eine breite Anwendung solcher Softwares für unsere Gesellschaft hat, für das Ausdruckspotential der Sprachen und für unsere Erkenntnisfähigkeit, ja letztlich für unser Menschsein. Doch um darüber zu einem Urteil zu gelangen, ist es nötig, die Prämissen des Übersetzens ins richtige Licht zu rücken.