Über­set­zen­de als Hauptfiguren

In der Literatur treten Übersetzende erstaunlich oft in Erscheinung. Warum ist das so? Fünf Romane liefern Antworten. Von

In diesen fünf Romanen treten Übersetzer:innen in Erscheinung.

Unsicht­bar, unmerk­bar und unter­schätzt – Übersetzer:innen arbei­ten den Legen­den nach über­wie­gend im Hin­ter­grund. Sie sind so etwas wie die Schat­ten­ge­spens­te der Lite­ra­tur­bran­che, um die sich zahl­rei­che Mythen ran­ken und deren Arbeit mit­un­ter für Außen­ste­hen­de offen­bar so wenig nach­voll­zieh­bar ist, dass oft nur in Kli­schees über sie gespro­chen wird: Sit­zen Über­set­zen­de nicht mona­te­lang trau­rig und allein an einem Text? Sind Übersetzer:innen nicht in Wirk­lich­keit ver­kapp­te Autor:innen? Und: Hät­te nicht jede:r, der die betref­fen­den Spra­chen beherrscht, die­sen Roman über­set­zen können?

Was Über­set­zen­de tun und wer sie über­haupt sind, ist für Lesen­de nicht immer greif­bar. Umso erstaun­li­cher scheint es, dass sich in den letz­ten Jah­ren immer mehr Autor:innen ihrer ange­nom­men haben – und das nicht berufs­po­li­tisch, son­dern lite­ra­risch. In ihren Roma­nen und Erzäh­lun­gen machen sie aus Übersetzer:innen Prot­ago­nis­ten und aus der über­set­ze­ri­schen Pra­xis einen Plot. Womög­lich ist gera­de die ver­meint­li­che Unsicht­bar­keit des Über­set­zens dabei ent­schei­dend, regt doch das Geheim­nis­vol­le oder Unbe­kann­te ja bekannt­lich auch die Fan­ta­sie an.

Mit­un­ter arbei­ten aber vie­le Autor:innen, die über das Über­set­zen schrei­ben, selbst auch als Übersetzer:innen. Dann ist es natür­lich ein Leich­tes, sich die Übersetzer:innen-Identität überzustreifen. 

Der Arbeits­all­tag ist schließ­lich bekannt und unter­schei­det sich nicht gra­vie­rend von dem der Schrei­ben­den (oder viel­leicht doch?). Und womög­lich haben Autor:innen fest­ge­stellt, dass ein wenig Müdig­keit herrscht, was die Dar­stel­lung der Lei­den eines jun­gen Autors angeht, und ein neu­es Gen­re ent­deckt: Über­set­zers Rei­sen, die Lei­den der jun­gen Über­set­zen­den oder Hun­dert Jah­re Ein­sam­keit der Übersetzenden.

Wie aben­teu­er­lich das Über­set­zen sein kann, zei­gen fünf Bücher, die mit über­set­ze­ri­schen Ste­reo­ty­pen spielen.

Übersetzer:innen arbei­ten in Bun­kern, oder?

Jen­ni­fer Croft ist eine bekann­te nord­ame­ri­ka­ni­sche Über­set­ze­rin: Für ihre Über­tra­gung von Olga Tok­ar­c­zuks Roman Flights erhielt sie 2018 den Inter­na­tio­nal Boo­ker Pri­ze und star­te­te im eng­lisch­spra­chi­gen Raum eine Kam­pa­gne, in der sie Über­set­ze­rin­nen­na­men auf Buch­co­vern for­der­te. Par­al­lel dazu macht sie sich auch als Autorin einen Namen. Vor kur­zem erschien The Extinc­tion of Ire­na Rey, ein wage­mu­ti­ger, irrer Roman über acht Übersetzer:innen, die sich einer Vil­la in einem pol­ni­schen Wald tref­fen, um das jüngs­te Werk der preis­ge­krön­ten Autorin Ire­na Rey (hier eine Ver­bin­dung zur Nobel­preis­trä­ge­rin Tok­ar­c­zuk her­zu­stel­len, scheint unum­gäng­lich) zu übersetzen.

Ein biss­chen erin­nert der Anfang des Romans an den fran­zö­si­schen Film Das Rät­sel. Auch dort tref­fen sich Übersetzer:innen, um unter hohen Sicher­heits­vor­keh­run­gen den letz­ten Teil einer Tri­lo­gie in ihre jewei­li­ge Spra­che zu über­tra­gen. In Crofts Roman sit­zen die Über­set­zen­den zwar nicht in einem Bun­ker, sind aber eben­falls von der Außen­welt abge­schnit­ten, bezie­hungs­wei­se glau­ben sie das. Und natür­lich unter­liegt ihre Arbeit strengs­ter Geheim­hal­tung – als Aus­schnit­te des Romans lea­k­en, ist klar, dass sich der Schul­di­ge im sel­ben Haus befindet.

Selbst bei einem Rie­sen­best­sel­ler wie Har­ry Pot­ter dürf­ten die Übersetzer:innen nicht alle zusam­men in einem Zim­mer geses­sen haben. Aber das Sze­na­rio hat, wie Croft zeigt, sei­nen Reiz, denn Übersetzer:innen sind am Ende eben doch vor allem eins: Men­schen mit all ihren Eigen­hei­ten, Bedürf­nis­sen und Eitel­kei­ten. Der char­man­te, jun­ge Über­set­zer Fred­die mut­maßt zwar „Trans­la­tors always have the­se net­works, not like wri­ters. Wri­ters com­pe­te“, doch in The Extinc­tion of Ire­na Rey könn­ten die Egos der Übersetzer:innen grö­ßer sein, was durch das plötz­li­che Ver­schwin­den der Autorin zu Beginn des Romans, nur her­vor­ge­ho­ben wird. Man könn­te mei­nen, wer zuerst die Autorin fin­det, hät­te gewon­nen. Doch nicht alle wol­len über­haupt mit der Suche beginnen.

Die Autorin ist Gott, die Über­set­ze­rin nur ihre Dienerin

Croft treibt den Autorin­nen­kult in The Extinc­tion of Ire­na Rey, das übri­gens noch nicht ins Deut­sche über­tra­gen wur­de, auf die Spit­ze. Die Erzäh­le­rin der Geschich­te, eine Über­set­ze­rin ins Spa­ni­sche, spricht immer von „Our aut­hor“, und die qua­si-reli­giö­se Ver­eh­rung ist Teil des bit­ter­bö­sen Humors, den Croft in ihrem Roman an vie­len Stel­len durch­bli­cken lässt. Dass die Über­set­zer-Autor-Bezie­hung kom­plex und hin und wie­der wider­sprüch­lich ist, macht den Reiz aus: „We trea­ted her every word as sacred, even though our who­le task was to replace her very word.“

Die Erzäh­le­rin ist unter den ins­ge­samt acht Über­set­zen­den wohl die devo­tes­te Anhän­ge­rin von Ire­na Rey. Nie­mand sei so gebil­det, so gla­mou­rös, so uner­gründ­lich wie die gro­ße Autorin, heißt es in den ers­ten Kapi­teln. Für die Lesen­den ist Ire­na Rey kaum greif­bar, ver­schwin­det sie doch nach nur weni­gen Kapi­teln. Aber für die Übersetzer:innen wirft ihr Ver­schwin­den eine Men­ge Fra­gen auf. Dabei geht es weni­ger um die Fra­ge, wo die Autorin ist, son­dern wie die Übersetzer:innen ihren Text ver­ste­hen und wie sie ohne deren stren­ge Vor­ga­ben über­haupt vor­ge­hen sol­len. Kurz­um: Was darf eine Über­set­ze­rin? Inwie­weit gehört der Text ihr?

Mit die­ser Frei­heit gehen die Über­set­zen­den ganz unter­schied­lich um. Die Angst schwingt mit, dass man durch jün­ge­re Über­set­ze­rin­nen ersetzt wer­den könn­te, wenn man der Autorin nicht gerecht wür­de. Als ein aus­ran­gier­ter Über­set­zer wie­der auf­taucht, wirft ihm die Erzäh­le­rin vor: „may­be your trans­la­ti­ons weren’t any good, may­be you were unfaithful“. Das Ver­hält­nis zwi­schen Autorin und Über­set­zen­den gleicht in The Extinc­tion of Ire­na Rey einer Hass-Lie­be. Einen kon­kre­ten Mord braucht Croft dafür gar nicht. Ire­nas Ver­schwin­den voll­zieht sich auf tex­tu­el­ler Ebe­ne, was es umso absur­der und unheim­li­cher macht:

 I knew that what she real­ly wan­ted was to civi­li­ze Irena’s text, exact­ly as you would expect a U.S. usur­per to do. She wan­ted to tidy it by evis­ce­ra­ting it, make it essen­ti­al­ly her own.

Über­set­zen ist politisch

Babel, über­setzt von Hei­de Franck und Alex­an­dra Jor­dan, war 2023 einer der erfolg­reichs­ten Roma­ne. Und wer hät­te gedacht, dass auf Tik­tok und Insta­gram ein Buch so erfolg­reich sein wür­de, das sich fast aus­schließ­lich ums Über­set­zen dreht, wenn auch mit einem Fan­ta­sy-Twist? Babel ist ein fik­ti­ves Über­set­zungs­in­sti­tut in Oxford, wo nur die begab­tes­ten und viel­ver­spre­chends­ten jun­gen Men­schen die Kunst des Über­set­zens stu­die­ren dürfen.

Im Zen­trum des Romans steht Robin Swift, ein Wai­sen­jun­ge aus Chi­na, der von einem grim­mi­gen eng­li­schen Pro­fes­sor adop­tiert wird. In Oxford freun­det er sich mit ande­ren Stu­die­ren­den an und erfährt von einem Geheim­bund namens Her­mes, der den baby­lo­ni­schen Turm stür­zen will. Denn beim Über­set­zen geht es nicht nur um das sinn­ge­mä­ße Über­tra­gen, son­dern es ent­steht dabei Magie – eine Magie, die für die Vor­herr­schaft des bri­ti­schen König­reichs essen­ti­ell ist. 

Im Zen­trum des Romans steht Robin Swift, ein Wai­sen­jun­ge aus Chi­na, der von einem grim­mi­gen eng­li­schen Pro­fes­sor adop­tiert wird. In Oxford freun­det er sich mit ande­ren Stu­die­ren­den an und erfährt von einem Geheim­bund namens Her­mes, der den baby­lo­ni­schen Turm stür­zen will. Denn beim Über­set­zen geht es nicht nur um das sinn­ge­mä­ße Über­tra­gen, son­dern es ent­steht dabei Magie – eine Magie, die für die Vor­herr­schaft des bri­ti­schen König­reichs essen­ti­ell ist. 


Was in The Extinc­tion of Ire­na Rey auch am Ran­de ange­deu­tet wird, ist in Babel ein mar­kan­ter Plot­twist: Das Über­set­zen ist hoch­po­li­tisch. Zu Beginn des Romans ver­kennt Robin Swift die impe­ria­len Über­set­zungs­prak­ti­ken als eine Art Umkehr des baby­lo­ni­schen Turmbaus:

»[Da] Gott die Mensch­heit in der Bibel getrennt hat … fra­ge ich mich, ob … ob der Sinn der Über­set­zung dann dar­in besteht, die Mensch­heit wie­der zusam­men­zu­füh­ren. Dass wir über­set­zen, um … ich weiß nicht, um die­ses Para­dies auf Erden zwi­schen den Natio­nen wie­der­her­zu­stel­len.«  Pro­fes­sor Play­fair schien ver­blüfft, sam­mel­te sich jedoch schnell wie­der und setz­te eine fröh­li­che Mie­ne auf. »Aber natür­lich. Das ist das Ziel des Empires – und genau des­halb über­set­zen wir auf Geheiß der Krone.«

In Wahr­heit soll sein Talent beim Über­set­zen der Aus­wei­tung des bri­ti­schen König­reichs und der Unter­drü­ckung ande­rer Natio­nen, dar­un­ter auch sei­nem Hei­mat­land, die­nen. Von Robin erwar­tet man Dank­bar­keit für die­se ehren­vol­le Auf­ga­be, doch die­ser lässt sich nicht blind für poli­ti­sche Machen­schaf­ten aus­nut­zen und beginnt, sich mit Hil­fe sei­ner Freun­de gegen das Impe­ri­um aufzulehnen. 

Die chi­ne­sisch-ame­ri­ka­ni­sche Autorin R.F. Kuang ver­ar­bei­tet in ihrem 700-Sei­ten Roman erstaun­lich viel Über­set­zungs­ge­schich­te und Über­set­zungs­theo­rie. Bevor die Action rich­tig los­geht, erhal­ten Lesen­de genau wie die Roman­fi­gu­ren erst ein­mal eine Ein­füh­rung ins Über­set­zen und dabei wer­den so eini­ge klas­si­sche Über­set­zungs­pro­ble­me dis­ku­tiert, die nicht nur für Lai­en span­nend sein dürf­ten. Obgleich nicht alle Plots­trä­ge immer über­zeu­gen – unter­halt­sam ist Babel alle­mal und die Übersetzer:innen sind wür­di­ge Held:innen.

Über­set­zen­de über­set­zen „nur?

Sla­ta Roschal gibt in ihrem zwei­ten Roman mit dem recht flap­si­gen Titel Ich möch­te Wein trin­ken und auf das Ende der Welt war­ten einen eher ernüch­tern­den Ein­blick in die Arbeit einer Über­set­ze­rin, die ein Über­set­zungs­se­mi­nar besucht. Ihre Prot­ago­nis­tin Maria Nowak ist nicht nur Über­set­ze­rin, son­dern auch eine pro­mo­vier­te Ehe­frau und Mut­ter zwei­er Kin­der. Zum Über­set­zen kommt sie neben der Care-Arbeit sel­ten, auch weil man sich als Über­set­ze­rin erst ein­mal Auf­trä­ge beschaf­fen muss: 

Ich freue mich dar­auf, ein­fach eine Arbeit zu tun, ohne Bewer­bungs­mails, Expo­sés, ohne För­der­an­trä­ge und allem Drum­her­um […] Die Leu­te den­ken wohl, dass Über­set­zer mensch­li­che Maschi­nen sind, Appa­ra­te zum kor­rek­ten Über­füh­ren des Tex­tes von einer Spra­che in die ande­re, ein Malen nach Zah­len oder was.

Ein Absatz, der die Arbeits­rea­li­tät von vie­len Übersetzer:innen gut tref­fen dürf­te: Die Kon­kur­renz unter Über­set­zen­den ist groß, trotz der oft schlech­ten Bezah­lung. Die wenigs­ten von ihnen über­set­zen einen Roman nach dem ande­ren – die eigent­li­che Arbeit, gera­de am Anfang der über­set­ze­ri­schen Kar­rie­re, besteht dar­in, über­haupt Arbeit zu fin­den. Wer kei­ne Eigen­in­itia­ti­ve zeigt oder gewillt ist, in Bewer­bun­gen und Gut­ach­ten zu inves­tie­ren, geht in der Regel leer aus. Etwa drei Vier­tel aller Lite­ra­tur­über­set­zen­den sind weib­lich, küm­mern sich neben­bei um Haus­halt und Kin­der, und sind zuwei­len auf das Ein­kom­men ihres Part­ners angewiesen.

In die­ser und ande­rer Hin­sicht ist Roschals Roman recht depri­mie­rend. Über­set­zen ist dort weder Magie noch Beru­fung. Ohne­hin ist die Prot­ago­nis­tin mit allem, vor allem mit sich selbst, offen­bar dau­er­haft unzu­frie­den, was irgend­wann – trotz der aus­ge­präg­ten Sprach­me­lo­die und den iro­ni­schen Beob­ach­tun­gen – lang­weilt. Span­nend wird es vor allem durch die Meta­ebe­ne: Die Prot­ago­nis­tin über­setzt his­to­ri­sche Brie­fe und beginnt einen Dia­log mit dem bereits ver­stor­be­nen Urhe­ber. Das ist wie­der­um ein Pri­vi­leg der Über­set­zen­den – der Text ist ihnen aus­ge­lie­fert und lässt sich nicht nur über­set­zen, son­dern auch fortsetzen.



Über­set­zen: eine hin­ge­bungs­vol­le Selbst­auf­ga­bevon Sula Textor

Auch die Haupt­fi­gur des erfolg­rei­chen Debüt­ro­mans Mon mari der fran­zö­si­schen Autorin Maud Ven­tura von 2021 ist Lite­ra­tur­über­set­ze­rin. Der Roman taucht in Form eines sie­ben Tage umspan­nen­den inne­ren Mono­logs in die obses­si­ve Gedan­ken­welt der etwa 40-jäh­ri­gen Prot­ago­nis­tin ein. Woche für Woche, Tag für Tag, Stun­de um Stun­de kreist in ihrem Leben alles nur um eins: ihren Mann, den sie nach 15 Jah­ren Ehe genau­so liebt wie am ers­ten Tag. Zwang­haft ver­sucht sie, sich in allem, was sie tut, sei­ner Lie­be zu ver­si­chern, und klam­mert sich dabei in einem exzes­si­ven Kon­troll­be­dürf­nis an selbst auf­ge­stell­te Regeln und Ritua­le. Zum Teil doku­men­tiert sie die­se in eigens dafür vor­ge­se­he­nen Notiz­hef­ten. Eins füllt sie etwa mit einer Lis­te der Krän­kun­gen, die er ihr zufügt, und der Reak­tio­nen, mit denen sie ihn bestraft. In einem ande­ren sam­melt sie Rat­schlä­ge aus Rat­ge­bern und Maga­zi­nen, die sie zur per­fek­ten Gelieb­ten machen sollen. 

Da alles in ihrem Leben sich der Erfül­lung ihrer Rol­le als Gelieb­te ihres Man­nes unter­ord­net, neh­men auch Beschrei­bun­gen ihrer Arbeit als Über­set­ze­rin nicht all­zu viel Raum ein. Trotz­dem haben sie eine wich­ti­ge Funk­ti­on für den Roman: Sie sind gewis­ser­ma­ßen Spie­gel ihrer Psy­che. Sie beob­ach­tet und inter­pre­tiert jede Inter­ak­ti­on mit ihrem Mann haar­klein, genau wie die Dia­lo­ge, Hand­lun­gen und Sub­tex­te in den Roma­nen, die sie über­setzt. Genau wie sie sys­te­ma­tisch Details aus ihrem Lie­bes­le­ben in Notiz­hef­ten fest­hält, sam­melt sie für ihre Über­set­zun­gen sys­te­ma­tisch Begrif­fe aus unter­schied­li­chen The­men­fel­dern in unter­schied­lich far­bi­gen Notiz­hef­ten, die zusam­men mit den inti­me­ren Heft­chen im Regal ste­hen. Natür­lich über­setzt sie am liebs­ten Lie­bes­ro­ma­ne, und das offen­bar ohne jeg­li­chen Zeit­druck, still und ein­sam in ihrem Arbeits­zim­mer, ohne Kon­takt zu den Autor:innen und Aus­tausch mit Kolleg:innen.

Die Dar­stel­lung der Über­set­zungs­ar­beit mag ein wenig naiv wir­ken, und dass sie zur Cha­rak­te­ri­sie­rung der Prot­ago­nis­tin her­an­ge­zo­gen wird, wirft ein etwas frag­wür­di­ges Licht auf die Spe­zi­es der Literaturübersetzer:innen. An vie­len Stel­len ver­an­schau­licht die Ich-Erzäh­lung aber auch das prä­zi­se Gespür der Prot­ago­nis­tin sowie ihre stän­di­ge (auch ein wenig obses­si­ve) Auf­merk­sam­keit für kleins­te Bedeu­tungs­ver­schie­bun­gen von Wor­ten und For­mu­lie­run­gen sowie die ver­schie­de­nen Aus­drucks­mög­lich­kei­ten in unter­schied­li­chen Spra­chen. Die kann sie näm­lich nicht mit ihren Lexi­ka und Notiz­bü­chern ins Regal stel­len, wenn sie die Arbeit been­det. Sie lau­fen auch im All­tag immer mit. Mon mari wur­de bereits ins Eng­li­sche und ins Ita­lie­ni­sche über­setzt. Die deut­sche Über­set­zung von Michae­la Meß­ner erscheint im Sep­tem­ber unter dem Titel Mein Mann bei Hoff­mann und Campe.

Über­set­zen ist eine Kunst

Jetzt aber mal im Ernst: Was machen Übersetzer:innen nun wirk­lich den gan­zen Tag? Céci­le Wajs­brots Roman Never­mo­re gibt dar­auf eine umfas­sen­de Ant­wort. Aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt von Anne Weber und aus­ge­zeich­net mit dem Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se in der Kate­go­rie Über­set­zung han­delt das Buch von dem Arbeits­all­tag einer Über­set­ze­rin. Die­se arbei­tet dank eines Auf­ent­halts­sti­pen­di­ums in Dres­den an der Über­tra­gung von Vir­gi­nia Woolfs Zum Leucht­turm.

Die Über­set­zungs­ar­beit steht neben dem Ver­lust der Freun­din im Zen­trum des Romans. In Never­mo­re wird pro­biert, nach­ge­dacht, gescho­ben, inter­pre­tiert und schließ­lich schlicht über­setzt – also all das, was Über­set­zen­de tag­täg­lich so an ihrem Schreib­tisch machen:

»One can hard­ly tell which is the sea and which is the land«, said Prue.

Das Meer ist kaum vom Land zu unter­schei­den. Was Land ist und was Meer, ist kaum zu unter­schei­den. Man hat Mühe zu sagen, was Meer ist und was Land. Es ist schwer aus­zu­ma­chen, was Meer ist und was Land.

Von vie­len der zu über­set­zen­den Sät­ze gibt es meh­re­re Vari­an­ten. Die Erzäh­le­rin gibt dabei einen Ein­blick in ihre Ent­schei­dun­gen: War­um klingt ein Satz bes­ser als ein ande­rer? Wel­che Über­set­zung ergibt Sinn mit Blick auf den Plot? Und dann gibt es noch so etwas wie einen his­to­ri­schen Rah­men: In einer vom Krieg zer­stör­ten Stadt über­setzt die Erzäh­le­rin einen Roman, der wäh­rend eines ande­ren Kriegs spielt, und blickt auf bei­de Ereig­nis­se durch die eige­ne Brille.

Das Über­set­zen ist in Never­mo­re eine „unge­naue Wis­sen­schaft, ein immer neu nicht zum Schei­tern, aber zur Unvoll­kom­men­heit ver­damm­ter Ver­such“. Céci­le Wajs­brot ist selbst auch Über­set­ze­rin, und wird in der Hin­sicht wohl wis­sen, wovon sie redet. Wer Never­mo­re in Anne Webers stim­mi­ger Über­set­zung liest, liest die deut­sche Fas­sung eines fran­zö­si­schen Tex­tes, in dem aus dem Eng­li­schen ins Fran­zö­si­sche über­setzt wird. Und das funk­tio­niert! Mehr noch: Es zeigt die Viel­zahl an Mög­lich­kei­ten beim Über­set­zen auf, und wel­chen Weg eine Über­set­ze­rin ein­schlägt und war­um. Eine Über­set­zung ist eine Über­set­zung ist eine Über­set­zung, oder so ähnlich.



Das Über­set­zen bie­tet für die Lite­ra­tur viel Stoff. Es gibt daher noch vie­le ande­re Bücher, in denen Übersetzer:innen vor­kom­men, die nicht in die­sem Arti­kel bespro­chen wer­den. Dazu gehören: 

  • Maud Van­hau­waert: Tos­ca (Nie­der­län­disch, unübersetzt)
  • Álva­ro Enri­que: Von König­rei­chen hast du geträumt (Ü Cars­ten Regling)
  • Aman­da Mich­a­lo­pou­lou: Okto­pus­gar­ten (Ü Bir­git Hildebrand)
  • Peter Hand­ke: Die links­hän­di­ge Frau (1976)
  • C. J. Cher­ryh: Ate­vi-Zyklus (Ü u.a. Micha­el Windgassen)
  • Javier Marí­as: Mein Herz so weiß (Ü Elke Wehr)
  • Sabi­ne Gru­ber: Die Dau­er der Liebe
  • Sara Mesa: Eine Lie­be (Ü Peter Kultzen)
  • … ?

Dir fal­len noch wei­te­re Bücher ein? Wir erwei­tern die Lis­te und den Arti­kel fort­lau­fend. Hin­ter­lass ein­fach einen Kom­men­tar mit den wich­tigs­ten Infos und einem kur­zen Absatz zum Inhalt! 


Buchcover des Romans Tiepolo Blau von James Cahill. Auf dem Cover ist eine Büste auf blauem Grund zu sehen, die an der Nasenwurzel abgeschnitten ist.

Das Blau des Himmels

In James Cahills Roman­de­büt „Tie­po­lo Blau“ wird ein zurück­ge­zo­gen leben­der Pro­fes­sor von einem moder­nen Kunstwerk… 
Wei­ter­le­sen
Cover von Pol Guaschs Roman Napalm im Herzen. Illustration eines jungen Menschen mit dunklen Haaren in grellen Rottönen.

Nach der Katastrophe

In „Napalm im Her­zen“ erzählt der kata­la­ni­sche Autor Pol Guasch eine que­e­re Lie­bes­ge­schich­te in einem… 
Wei­ter­le­sen
Cover von Samantha Harveys Roman Umlaufbahnen. Im Hintergrund ist ein Foto der Erdatmosphäre.

In eige­nen Sphären

In ihrem Roman „Umlauf­bah­nen“ hin­ter­fragt Saman­tha Har­vey die mensch­li­che Exis­tenz im Uni­ver­sum – und erhielt… 
Wei­ter­le­sen

5 Comments

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  1. 3
    Michaela Grabinger

    Die weib­li­che Haupt­fi­gur in Peter Hand­kes Roman »Die links­hän­di­ge Frau« (1976) ist Übersetzerin.

  2. 5
    Daniel Ammann

    Super The­ma – da könn­te man ein gan­zes Buch drü­ber schreiben!
    Mir fal­len grad noch zwei Titel zur Ergän­zung ein:
    Mer­cier, Pas­cal. Das Gewicht der Wor­te. Mün­chen: Han­ser, 2020.
    Sowie die Erzäh­lung «Rein» in: Nes­ser, Håkan. Intri­go. Aus dem Schwe­di­schen von Gabrie­le Haefs, Chris­tel Hil­de­brandt und Paul Berf. Mün­chen: btb, 2018. – Ver­filmt mit Ben King­s­ley und Ben­no Für­mann. Regie: Dani­el Alfredson.

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