Terence Hanbury White (1906–1964) hat mit The Once and Future King (geschrieben 1937–1941) den originellsten und wirkmächtigsten arthurischen Roman des 20. Jahrhunderts geschaffen. Sein Einfluss ist auch in nicht-arthurischer Fantasy von J. K. Rowlings Harry Potter über Cornelia Funkes Tintenwelt bis zu Peter Jacksons Hobbit-Filmen deutlich erkennbar.
Das Werk besteht aus fünf Büchern, von denen die ersten drei zwischen 1938 und 1940 als Einzelbände erschienen, die ersten vier 1958 unter dem heutigen Titel in einem Band. Die ersten beiden Bände wurden von White sehr stark überarbeitet, wobei der ursprüngliche Charakter als Kinderbücher weitgehend verloren ging (das Design der aktuellen Klett-Cotta-Ausgabe ist diesbezüglich etwas irreführend). Auf dieser Version basiert die deutsche Übersetzung Der König auf Camelot von Rudolf Rocholl und H. C. Artmann (Erstausgabe 1976). Der fünfte Band The Book of Merlyn erschien erst 1977 postum (deutsch 1980 als Das Buch Merlin von Irmela Brender).
Die komplizierte Textgeschichte ist entscheidend vom Zweiten Weltkrieg geprägt, den White als mit sich hadernder Wehrdienstverweigerer im irischen Exil verbrachte. Diese Entstehungssituation führt auch zu einer recht uneinheitlichen Stimmung der einzelnen Teile.
1. Das Schwert im Stein: „Wart“, wie ihn sein Pflegebruder Kay und der Erzähler nennen, lebt als Waisenjunge auf der abgelegenen Burg von Sir Ector. Der Zauberer Merlin wird Warts und Kays Hauslehrer; Wart erhält heimlich Extra-Lektionen, in denen Merlin ihn in verschiedene Tiere verwandelt, um die Welt aus anderer Perspektive kennenzulernen. Höhepunkte sind der Besuch im Ameisenhaufen – eine tiefschwarze Satire auf den Nationalsozialismus – und die Reise mit den Wildgänsen, die für Freiheit und Pazifismus stehen. Am Ende kommt es zu der berühmten Szene, die dem Band seinen Namen gibt, und aus Wart wird König Arthur.
2. Die Königin von Luft und Dunkelheit behandelt das morbide Familienleben der Hexen-Königin Morgause von Orkney und ihrer Söhne sowie Arthurs Kriege gegen die rebellischen Kleinkönige. Von langen philosophischen Dialogen mit Merlin inspiriert, entwickelt Arthur ein neues Regierungskonzept, in dem die Macht dem Recht dienen soll, und beschließt zu diesem Zweck die Gründung der Tafelrunde.
3. Der missratene Ritter: Um seine Hässlichkeit zu kompensieren, will Lanzelot der beste Ritter der Welt werden. Das gelingt, aber als er und Arthurs Ehefrau Ginevra sich ineinander verlieben, gerät er in schwere Gewissensnöte. Arthur muss indessen erkennen, dass seine Ritter nach der Durchsetzung des Friedens eine neue Aufgabe brauchen. Ist die Gralssuche die Lösung?
4. Die Kerze im Wind schildert den Untergang der Tafelrunde. Am Ende sitzt Arthur am Vorabend der Entscheidungsschlacht gegen seinen Sohn Mordred in seinem Zelt, alt, müde und verzweifelt, und versucht zu verstehen, woran sein großes Projekt gescheitert ist …
White lehnt sich einerseits halbparodistisch an Sir Thomas Malorys Le Morte d’Arthur (gedruckt 1485) an, die quasi-kanonische englische Version des Arthur-Stoffes. Andererseits füllt White das von Malory übernommene Handlungsgerüst mit selbsterfundenen Episoden, psychologischen Neu-Interpretationen und einer kaum überschaubaren Fülle von Zitaten und Anspielungen aus Literatur und Geschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Dabei bringt White es fertig, dass die Off-Kommentare des buchstäblich allwissenden Erzählers keine rein retardierende Wirkung haben, sondern tatsächlich die Handlung voranbringen. Für Anachronismen stellt er sich bereits im ersten Kapitel einen Freibrief aus:
Er erwähnte natürlich nicht gerade Eton, denn das College of Blessed Mary wurde erst 1440 gegründet, aber er meinte eine Schule von genau derselben Art. Auch tranken sie Metheglyn, nicht Port, doch lässt sich durch die Nennung des neumodischen Weins die Atmosphäre leichter vermitteln.
Zudem ist Merlin „am falschen Ende der Zeit geboren“, er „lebt rückwärts“ und kann sich an die Moderne „erinnern“. Schließlich stellt sich im Laufe des ersten Buchs heraus, dass der Schauplatz ein Alternativ-Universum ist, in dem die normannische Invasion von Arthurs Vater Uther Pendragon geführt wurde und die realhistorischen Könige wie Wilhelm der Eroberer oder Richard Löwenherz Sagenfiguren sind.
Das Ergebnis ist ein die literarische Postmoderne um Jahrzehnte vorwegnehmender monumentaler Hybrid aus Fantasy-Epos, Menschheitssatire, Nature Writing, kulturhistorischer Enzyklopädie, Sprachspielereien, philosophischem Symposion, humanistischem Manifest und der vielleicht psychologisch reifsten Version einer der großen Liebesgeschichten der Weltliteratur – um nur das Wichtigste zu nennen. Dass ein solches Werk nicht leicht zu übersetzen ist, liegt auf der Hand. Aber tatsächlich kann man an Der König auf Camelot so viele verschiedene Arten von Übersetzungsfehlern demonstrieren, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll.
White erzählt in normaler Umgangssprache; nur selten – wenn die Figuren besonders förmlich sprechen wollen – ahmt er in Dialogen Malory-Englisch nach, was gerade durch den Kontrast zu komischen Effekten führt. Rocholl dagegen gelingt es nicht, einen in sich schlüssigen Tonfall zu finden: Einerseits bringt er in die Erzählstimme gekünstelte Archaismen wie „welchselbig“ oder „zuvörderst“ ein, andererseits ist er an manchen Stellen deutlich flapsiger als das Original („Kapiert Ihr das Konzept?“ für Do you see the idea?).
Auch sonst trifft er fragwürdige Vokabel-Entscheidungen: Lollards mit „Gammler“ zu übersetzen ist zwar möglich; dass dabei der Zusammenhang mit der realen spätmittelalterlichen Bewegung der Lollarden verloren geht, widerspricht aber völlig dem Geist des Romans. Da sie von dem konservativ-grantelnden Sir Grummore stets in einem Atemzug mit Kommunisten genannt werden, wäre ohnehin klar was gemeint ist.
Warum Rocholl für Whites Merlyn die konventionelle Schreibweise „Merlin“ verwendet, für Saxons aber „Saxen“ erfindet, ist noch weniger nachvollziehbar. Sollte er befürchtet haben, die deutschen Leserinnen und Leser könnten bei „Sachsen“ an Dresden denken? Unwahrscheinlich, aber dann wäre notfalls „Angelsachsen“ vertretbar gewesen.
Verzeihlich sind noch die Probleme, die Whites mitunter fast dadaistischer Sprachwitz bereitet, etwa in dieser Szene, in der der zerstreute Kleinkönig Pellinore vom Schwert im Stein erzählt:
“Why didn’t you pull it out then?“ asked Sir Grummore.
“But I tell you that I wasn’t there. All this that I am telling you was told to me by that friar I was telling you of, like I tell you.“
„Weshalb habt Ihr’s dann nicht rausgezogen?“ fragte Sir Grummore.
„Aber ich sag‘ Euch doch: ich war ja nicht da. All dies, was ich Euch erzähle, hab‘ ich von dem Mönch erfahren, von dem ich Euch erzählt habe. Das sag‘ ich doch die ganze Zeit.“
Dass die Sprachmelodie hier verloren geht, ist bedauerlich, aber wohl unvermeidlich; es gibt keine deutsche Entsprechung für to tell, die an allen fünf Stellen im Satz eingesetzt werden könnte, ohne dass es unbeholfen klänge. Wenn es allzu schwierig wird, lässt Rocholl auch schon mal mehrere Zeilen einfach aus.
Aber selbst da, wo eine wörtliche Übersetzung möglich wäre, entscheidet sich Rocholl oftmals für eine saft- und kraftlose Paraphrase, wie in dieser Szene, in der Sir Ector seine Freunde Grummore und Pellinore mit dem Outlaw Robin Wood bekannt macht:
“How do?“ said Sir Grummore. “No relation to Robin Hood, I suppose?“
“Oh, not in the least,“ interrupted Sir Ector hastily. “Double you, double owe, dee, you know, like the stuff they make furniture out of – furniture, you know, and spears, and – well – spears, you know, and furniture.“
Wie geht’s?“ sagte Sir Grummore. „Nicht mit Robin Hood verwandt, wie?“
„Aber nein, nicht im mindesten“, unterbrach Sir Ector hastig. „Wood, mit W – wie Wald, Wiese, Wunderhorn oder Wanderstab, du weißt schon …“
Rocholl schreibt stellenweise auch „Robin Wald“ oder sogar „Robin Waldwood“. Dass wood auch „Holz“ bedeuten kann, hätte sich sicher ebenso einfügen lassen. Ohnehin setzt er Minimalkenntnisse des Englischen sehr wohl voraus, wenn er Mischmasch produziert wie „Jemand hat ihn den König der Außen-Inseln genannt, und andere nennen ihn King of Lothian and Orkney“ oder „Die Herzöge von Berry and Brittany …“.
Von der Bretagne scheint Rocholl nie gehört zu haben, an anderer Stelle gibt er Brittany mit „Britannien“ wieder. Auch anderes ist objektiv falsch übersetzt:
King Pellinore closed his eyes tight (…) and announced in capital letters, “Whoso Pulleth Out This Sword of this Stone and Anvil, is Rightwise King Born of All England.“
“Who said that?“ asked Sir Grummore.
“But the sword said it, like I tell you.“
“Talkative weapon,“ remarked Sir Grummore sceptically.
König Pellinore schloss die Augen (…) und verkündete salbungsvoll: „Wer immer dies Schwert aus diesem Stein und Amboss ziehet, der ist nach Recht und Geburt König über ganz England.“
„Wer sagt das?“ fragte Sir Grummore.
„So heißt’s auf dem Schwert – sag‘ ich Euch doch.“
„Geschwätzige Waffe“, meinte Sir Grummore skeptisch.
Abgesehen davon, dass „salbungsvoll“ etwas anderes ist als „in Großbuchstaben“ zu sprechen, wirkt Grummores Antwort völlig sinnlos, da das Missverständnis, das Schwert selbst habe gesprochen, in Rocholls Version nicht möglich ist.
Häufig scheint Rocholl schlicht nicht verstanden zu haben, was er vor sich hatte. Manches wirkt wie nach Gehör übersetzt, etwa wenn aus ye Everlasting Doors (ein Zitat aus Psalm 24) „ihr Ewigen, Teuren“ wird oder aus blackhearted „schwarzhaarig“. Auch grammatikalisch bedingte Missverständnisse gibt es:
The magician was inside, with Archimedes sitting on the back of his chair, busily trying to find the square root of minus one. He had forgotten how to do it.
Der Zauberer war da; Archimedes saß auf der Rückenlehne seines Sessels und versuchte angestrengt, die Quadratwurzel von minus eins zu finden. Er hatte vergessen, wie man das macht.
Während im Original Merlyn selbst die unmögliche Rechnung auszuführen versucht, ist es in der Übersetzung seine sprechende Eule Archimedes.
Und es gibt eigenmächtige Uminterpretationen, etwa wenn aus Ant the Father „die Ameisen-Mutter“ wird. Offenbar bezieht Rocholl dies auf die Ameisenkönigin, die sonst als beloved Leader/„geliebte Pführerin“ (Rocholl übertreibt den im Original angedeuteten Akzent der Ameisen stark) bezeichnet wird. Da White für sie weibliche Pronomina verwendet, ist aber eigentlich klar, dass Ant the Father nicht mit ihr identisch, sondern der „Ameisengott“ ist. Ein weiteres Beispiel:
And Lancelot has killed three of our brothers, besides Florence and Lovel.
Und Lanzelot hat drei unserer Geschwister getötet, alle außer Florence und Lovel.
Florence und Lovel sind bei Malory Gawaines Söhne, die zusammen mit Gawaines Bruder Agravaine von Lancelot in Notwehr getötet wurden (die übrigen Brüder Gaheris und Gareth später aus Versehen). Da Florence und Lovel bei White (und auch bei Malory) zuvor nicht namentlich erwähnt wurden, ist das zugegebenermaßen eine verwirrende Stelle. Der Fehler liegt aber zunächst darin, besides statt mit „außerdem“ oder „dazu“ mit „alle außer“ zu übersetzen, wodurch sich brothers auch auf die beiden Genannten bezieht. Rocholl steht damit vor der Frage, wo auf einmal in dieser den Leserinnen und Lesern bereits wohlbekannten Familie zwei weitere Brüder herkommen sollen. Indem er stattdessen „Geschwister“ schreibt, scheint er Florence und Lovel als Schwestern zu deuten und das selbstgeschaffene Problem damit für gelöst zu halten.
Die vor allem in Das Schwert im Stein zahlreichen Gedichte und Lieder (teils Parodien) wurden von dem bekannten Wiener Lyriker H. C. Artmann (1921–2000) nachgedichtet. Man wünscht sich, er hätte das ganze Buch übersetzt. Wörtlichkeit ist bei Lyrik natürlich kein maßgebliches Kriterium; Artmann, dem Whites sprachspielerischer Humor sichtlich entgegenkommt, schafft es hervorragend, Klang und Stimmung des Originals ins Deutsche zu übertragen, etwa in diesem Lied der Wildgänse:
You turning world, pouring beneath our pinions,
Hoist the hoar sun to welcome morning’s minions.
See, on each breast the scarlet and vermilion,
Hear, from each throat the clarion and carillion,
Hark, the wild wandering lines in black battalions,
Heaven’s horns and hunters, dawn-bright hounds and stallions.
Free, free: far, far: and fair on wavering wings
Comes Anser albifrons, and sounds, and sings.
Du rollend Weltenrad und Uhrwerk sondergleichen,
Dreh du ans Firmament der Sonnen Zauberzeichen.
Auf jeder Brust, seht hin, der Morgenröt Frohlocken,
Es jauchzt aus jeder Kehl Posaun und Spiel der Glocken.
Der wilden Vögel Zug zeucht aus den dunklen Stunden,
Ein dämmernd Waidgefolg von Hengsten und von Hunden.
Frei, frei, fern, fern; schön schwebend auf Schwingen
Naht Anser albifrons mit Klingen und Singen.
Nochmals: Niemand kann behaupten, dieses Buch zu übersetzen sei leicht. Es wäre auch verständlich, wenn Klett-Cotta seit den Diskussionen um Der Herr der Ringe das Thema „Neuübersetzung“ scheuen würde. Aber in Whites Fall ist es tatsächlich mehr als überfällig. Es kann nur besser werden.