In dieser Reihe stellen Übersetzer:innen Bücher aus „ihrem“ Land vor – spannend, wegweisend, romantisch, subtil, haarsträubend oder urkomisch – aber in jedem Fall lesenswert. Ob Klassiker oder Zeitgenössisches, Krimis, Poesie oder Kinderbücher … diese ganz persönliche Leseliste lädt dazu ein, die literarische Landschaft des Landes vom Sofa aus zu bereisen. Viel Spaß beim Schmökern!
Kaum ein Ereignis hat die spanische Geschichte des letzten Jahrhunderts so sehr geprägt wie der Bürgerkrieg von 1936–1939, der in eine sechsunddreißigjährige Diktatur mündete. Nach Francos Tod 1975 und der Rückkehr des spanischen Königs aus dem Exil entschied man sich für eine Politik des Schweigens. In der sogenannten Transición, dem Übergang von der Francodiktatur zu einer konstitutionellen Monarchie, wurde bewusst nichts aufgearbeitet und niemand verurteilt, um eine Spaltung der Gesellschaft und neue Konflikte zu vermeiden. Erst Mitte der neunziger Jahre begann zögerlich die längst noch nicht abgeschlossene gesellschaftliche und kulturelle Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Diktatur. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass viele der katalanischen Romane, die ins Deutsche übersetzt und hier teilweise zu echten Bestsellern wurden, den Bürgerkrieg und die Francozeit behandeln, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Wir stellen fünf Bücher vor, deren Lektüre sich auf jeden Fall lohnt, wenn man etwas über die spanische Geschichte erfahren oder Katalonien kennenlernen will – oder einfach nur gute Bücher liebt.
Roman
Mercè Rodoreda: Auf der Plaça del Diamant
Aus dem Katalanischen übersetzt von Hans Weiss
Mercè Rodoreda gilt als die Grande Dame der katalanischen Literatur und wird oft mit Virginia Woolf verglichen; wie diese beschreibt sie in inneren Monologen das Seelenleben stiller, unauffälliger, aber dennoch beeindruckender Frauengestalten. In ihrem 1962 erschienenen bekanntesten Roman Auf der Plaça del Diamant, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt wurde, lernt die Ich-Erzählerin Natàlia, genannt Colometa (Täubchen), in den späten zwanziger Jahren beim Tanzen auf der Plaça del Diamant in Barcelona den Taugenichts Quimet kennen und heiratet ihn bald darauf. In den folgenden Jahren muss Colometa als Dienstmädchen arbeiten, um die Familie durchzubringen. Nach Quimets Tod an der Front kurz nach Ausbruch des Bürgerkriegs ist sie ganz auf sich gestellt und droht zu verzweifeln, bis sie eine Vernunftehe mit einem älteren Mann eingeht. Auf dem Platz, der dem Roman seinen Namen gab, kann man heute eine Statue der Colometa bewundern. Es ist eine echte übersetzerische Herausforderung, Colometas Erzählung in ihrer scheinbaren Naivität angemessen wiederzugeben, aber Hans Weiss verleiht dieser einfachen, ungebildeten Frau eine ganz wunderbare Stimme, die auch im Deutschen berührt.
Roman
Joan Sales: Flüchtiger Glanz
Aus dem Katalanischen übersetzt von Kirsten Brandt
Joan Sales, der vor allem als Verleger von Mercè Rodoreda bekannt ist, konnte seinen einzigen eigenen Roman Incerta Glòria 1956 zunächst wegen angeblicher „religiöser Anstößigkeit“ und „obszöner Sprache“ nur zensiert veröffentlichen. In ihm schildert er den Spanischen Bürgerkrieg aus drei verschiedenen Perspektiven: Der junge Leutnant Lluís Brocà schreibt von der aragonesischen Front Briefe an seinen Bruder, in denen er von grausamen Gefechten, aber auch von wilden Festen und einer geheimnisvollen Frau berichtet, der er verfällt, obwohl er Frau und Kind hat. Seine Frau Trini erlebt derweil in Barcelona die Bombardierung der Stadt durch die Faschisten und konvertiert – obwohl sie einer anarchistischen, streng antiklerikalen Familie entstammt – unter dem Eindruck der Ereignisse zum Katholizismus. Schließlich erzählt der Priester Cruells nach dem Ende des Bürgerkriegs von seiner Begegnung mit Juli Soleràs, einem Freund von Lluís und Trini, einem Exzentriker und zynischem Antihelden, der sich am Ende aus reinem Ennui den Faschisten anschließt. Flüchtiger Glanz zeichnet ein bitteres, hochliterarisches und komplexes Bild einer Generation, deren Ideale vom Bürgerkrieg zerstört wurden. Die Schwierigkeit bei der Übersetzung bestand darin, die stilistischen Eigenheiten der drei ganz unterschiedlichen Teile zu bewahren, ohne den Gesamtton des Romans aus den Augen zu verlieren.
Kriegsbericht
George Orwell: Mein Katalonien. Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg
Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Rieger
Die dystopischen Romane 1984 und Farm der Tiere wären nicht denkbar ohne George Orwells Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg. 1936 ging er zunächst als Kriegsberichtserstatter nach Barcelona, schloss sich aber bald darauf als Kämpfer der trotzkistischen P.O.U.M. an. Die Lage an der Front war katastrophal: Mehr als gegen die Faschisten kämpften die Soldaten gegen Dreck, Kälte, Hunger und Läuse. Zurück in Barcelona, musste Orwell feststellen, dass die Stalinisten die Macht an sich gerissen hatten und andere linke Gruppierungen stärker bekämpften als die franquistischen Truppen. Er selbst wurde schwer verwundet und konnte nur durch die Flucht nach England einer Verhaftung entgehen. Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem 1938 erschienenen Kriegsbericht Homage to Catalonia, in dem er ein – bei aller Härte liebevolles und teilweise sogar lakonisch-witziges – Porträt von Land und Leuten entwirft. Sprachlich dürfte die Übersetzung des im nüchternen Ton eines Berichterstatters gehaltenen Buches nicht allzu schwierig gewesen, aber der politische und historische Kontext hat dem Übersetzer eine gewaltige Recherchearbeit abverlangt, die er bravourös gemeistert hat.
Roman
Maria Barbal: Wie ein Stein im Geröll
Aus dem Katalanischen übersetzt von Heike Nottebaum
Maria Barbals ergreifender Roman, der in Deutschland zum Bestseller avancierte, schildert aus Sicht der Bäuerin Conxa das Leben der armen Landbevölkerung Kataloniens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Conxa ist eine einfache Frau, die nie ein selbstbestimmtes Leben geführt hat. Als kleines Mädchen wird sie in den Haushalt einer kinderlosen Tante gegeben, wo sie hart arbeiten muss. Als sie sich in den Tischler Jaume verliebt, ihn heiratet und mit ihm drei Kinder bekommt, ist sie zum ersten Mal glücklich. Doch das Glück währt nicht lange, denn nach dem Ende des Bürgerkriegs wird Jaume, der sich politisch engagiert hat, von faschistischen Soldaten abgeholt. Conxa wird ihn nie wiedersehen. So zieht sie alleine ihre Kinder groß, die als Erwachsene nach Barcelona gehen und ihre Mutter mitnehmen. In der unvertrauten Großstadt fühlt die alte Frau sich verloren. Resigniert und wehmütig, aber ohne Verbitterung, blickt sie auf ihr Leben zurück. Man merkt Barbal inhaltlich, aber auch sprachlich ihre Nähe zu Rodoreda an. Auch hier gilt es, die Stimme der Erzählerin in ihrer Mündlichkeit einzufangen, was Heike Nottebaum großartig gelingt.
Roman
Jaume Cabré: Die Stimmen des Flusses
Aus dem Katalanischen übersetzt von Kirsten Brandt
Jaume Cabré ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten zeitgenössischen Schriftsteller Kataloniens. In Die Stimmen des Flusses erzählt er von den Nachwirkungen des Bürgerkriegs und der Francozeit in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen, in dem Täter und Opfer Tür an Tür wohnen. Als Tina Bros in einer verlassenen Dorfschule das sechzig Jahre alte Tagebuch des Lehrers Oriol Fontelles entdeckt, reißt sie damit ungeahnt alte Wunden auf. Denn Senyora Elisenda, die reichste und mächtigste Frau des Dorfes, will den Dorfschullehrer, der 1944 von Widerstandskämpfern ermordet wurde, selig sprechen lassen. Aber war der Lehrer tatsächlich ein falangistischer Märtyrer? Oder war er ein Faschist, der einen seiner Schüler ans Messer lieferte? Oder war alles ganz anders? Cabrés Romane zeichnen sich durch Handlungsstränge aus, die so miteinander verwoben sind, dass sich dem Leser die ganze Geschichte erst nach und nach erschließt. So wird Die Stimmen des Flusses zu einer fesselnden, epischen und hochkomplexen Erzählung über Schuld und Sühne, Liebe und Verrat. Cabré wechselt Zeit, Ort und Erzähler mitunter mitten im Satz. Da es im Katalanischen oft kein Personalpronomen braucht, entsteht dadurch eine Ambiguität, die für den Roman entscheidend, aber im Deutschen nur schwer (wenn auch zum Glück nicht unmöglich) nachzubilden ist.
Noch mehr zu Katalanisch erfahrt ihr in unserem Beitrag Große kleine Sprache Katalanisch!