„Die Rei­hen­fol­ge ist: Reim, Rhyth­mus, Witz, Inhalt“

Drei erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchübersetzerinnen sind dieses Jahr für den Preis „Neue Talente“ nominiert. Wir haben mit der Arabischübersetzerin Leonie Nückell gesprochen. Interview:

Übersetzerin Leonie Nückell und das Cover ihres Buches "Es bringt der Papagei den Hund zur Raserei"
Auch die Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises ist überzeugt von der Arbeit der Übersetzerin Leonie Nückell: "Mit einer gehörigen Portion Witz und treffsicherem Gespür für Pointen überträgt sie die klassischen Fabelgedichte des ägyptischen Dichters Ahmad Schauqi (1868-1932) ins Deutsche."

Am 18. Okto­ber 2024 wird der Deut­sche Jugend­li­te­ra­tur­preis ver­ge­ben. Der mit 10.000 Euro dotier­te Son­der­preis „Neue Talen­te“ geht in die­sem Jahr an eine her­aus­ra­gen­de Nach­wuchs­über­set­ze­rin. Nomi­niert sind Marie Alper­mann (Ser­bisch), Astrid Bühr­le-Gal­let (Fran­zö­sisch) und Leo­nie Nückell (Ara­bisch).

Dein Buch mit dem lus­ti­gen Titel „Es bringt der Papa­gei den Hund zur Rase­rei“ ist in vie­ler­lei Hin­sicht unge­wöhn­lich. Das beginnt schon damit, dass man es als Leser von rechts nach links lesen muss, also qua­si in ara­bi­scher Lese­rich­tung. Wenn man das begrif­fen hat, fin­det man sechs gereim­te und far­ben­froh illus­trier­te Geschich­ten von Papa­gei­en, Ler­chen, Raben und ihren Begeg­nun­gen mit Men­schen aller Art. Aller­dings kann die flot­te Auf­ma­chung dar­über hin­weg­täu­schen, dass der Autor der Tex­te, Ahmad Shau­qi, vor fast hun­dert Jah­ren gelebt hat. Wie ist er dazu gekom­men, die­se Kin­der­rei­me zu verfassen?

Ahmad Shau­qi ist ein wich­ti­ger Ver­tre­ter einer sehr schaf­fens­rei­chen Epo­che in der ägyp­ti­schen und der gesamt-ara­bi­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te, der „Nah­da“. Er leb­te von 1868 bis 1932, in die­ser Zeit ist im Rah­men der Nah­da unheim­lich viel ent­stan­den: Thea­ter, Lyrik, Sati­re, Dia­lek­te als Lite­ra­tur­spra­che, der Roman als Gat­tung, anthro­po­lo­gi­sche Rei­sen nach Euro­pa, vie­le Über­set­zun­gen aus dem euro­päi­schen Raum. Ahmad Shau­qi ist einer der Weg­be­rei­ter der Nah­da und vor allem für sei­ne lyri­schen Thea­ter­tex­te bekannt, er wird auch „der Fürst der Dich­ter“ genannt. Sei­ne Dich­tung hat in der Zeit der kolo­nia­len Fremd­be­stim­mung mit The­men wie der Fra­ge nach Iden­ti­tät und Hei­mat einen gro­ßen Ein­fluss gehabt. Die­se Kin­der­rei­me hat er in einer spä­ten Schaf­fens­pha­se ver­fasst. Man­che erin­nern mich an grie­chi­sche Sagen, wie der abstür­zen­de Ler­chen­sohn, der wie Ika­rus zu schnell zu hoch hin­aus will. Aber im Witz, der in den Fabeln steckt, spie­gelt sich der sati­ri­sche Umgang sei­ner Zeit mit den wid­ri­gen Gege­ben­hei­ten. Shau­qis Kin­der­rei­me wer­den bis heu­te in vie­len ara­bi­schen Grund­schu­len gele­sen. Shau­qi ist in der ara­bi­schen Welt so berühmt wie hier­zu­lan­de Goe­the. Die­se Kin­der­rei­me sind nun aber die ers­ten zusam­men­hän­gen­den Tex­te von ihm, die ins Deut­sche über­setzt wurden.

Einen gro­ßen Anteil an die­ser Aus­ga­be haben auch die Illus­tra­tio­nen von Said Baal­baki. Wie sind die entstanden?

Said Baal­baki ist bil­den­der Künst­ler und eigent­lich sel­ten als Illus­tra­tor tätig. Aber zu den Gedich­ten von Ahmad Shau­qi hat er eine beson­de­re Bezie­hung. Wäh­rend sei­ner Kind­heit Ende der 70er Jah­re waren im Liba­non wegen des dor­ti­gen Bür­ger­kriegs die Schu­len geschlos­sen. Sein Vater hat ihn des­halb, um sei­ne Bil­dung nicht zu ver­nach­läs­si­gen, die­se Gedich­te aus­wen­dig ler­nen las­sen. Said woll­te aber viel lie­ber spie­len als aus­wen­dig ler­nen. Des­we­gen hat er ange­fan­gen, die Gedich­te zu malen und hat dabei gemerkt, dass er sie sich so viel leich­ter mer­ken kann. Dar­über hat er eine sehr enge Bezie­hung zu die­sen Tex­ten und zu Ahmad Shau­qi geknüpft. Spä­ter hat er drei Bän­de mit Tier­ge­schich­ten von Shau­qi illus­triert. Der jetzt vor­lie­gen­de ers­te Band ist im ara­bi­schen Ori­gi­nal die Samm­lung „Die Vögel“ mit den sechs Vogel-Gedich­ten. Dane­ben gibt es noch die Samm­lun­gen „Der Löwe“ und „Die Arche Noah“.

Wie hat die­ser Band den Weg nach Deutsch­land gefunden?

Das Ber­li­ner Zen­trum für Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur „Les­Art“ hat 2021 eine Sta­ti­on der Wan­der­aus­stel­lung „Von Mar­ra­kesch bis Bag­dad“ mit Bil­der­bü­chern aus dem ara­bi­schen Raum orga­ni­siert. Dort soll­ten die Illus­tra­tio­nen von Said Baal­baki gezeigt wer­den, mit den über­setz­ten Tex­ten von Ahmad Shau­qi. Des­we­gen hat „Les­Art“ einen Work­shop mit Lei­la Cha­maa zur Über­set­zung von Kin­der­bü­chern ver­an­stal­tet. In die­sem Rah­men wur­den die Bücher der Aus­stel­lung über­setzt und ich habe Ahmad Shau­qi über­nom­men. Ste­phan Tru­de­wind vom Ver­lag Edi­ti­on Ori­ent hat die Bil­der und Tex­te in der Aus­stel­lung gese­hen und sich dann dazu ent­schlos­sen, die­ses Buch auf Deutsch herauszubringen.

Als deut­scher Leser denkt man bei dei­ner Über­set­zung unwei­ger­lich an euro­päi­sche Bezugs­punk­te wie Wil­helm Busch oder viel­leicht La Fon­taine. Wor­an hast du dich beim Über­set­zen orientiert?

Shau­qis Gedich­te sind ein Zusam­men­hang von Inhalt, Reim, Witz und Rhyth­mus. Vor allem der Witz und der Reim, das hat mir nicht nur unheim­lich viel Spaß gemacht, son­dern war auch Ori­en­tie­rung. Ich hat­te tat­säch­lich häu­fig den Klang von Eichen­dorffs „Aus dem Leben eines Tau­ge­nichts“ im Ohr. Das ist zwar nicht gereimt, ist aber wie ein Spa­zier­gang an fri­scher Früh­lings­luft durch Feld, Wald und Wie­sen. Das Gefühl von Leich­tig­keit, das dabei ent­steht, das woll­te ich in die Tex­te bringen. 

Es liest sich auch sehr rhythmisch.

Tat­säch­lich habe ich mich schon früh mit Musik beschäf­tigt und selbst Musik gemacht. Ich glau­be, das hat viel dabei gehol­fen, einen Rhyth­mus rein­zu­brin­gen. Ich habe viel übers Rei­men in der Musik von Dota, der Klein­geld­prin­zes­sin, und der Band die Ärz­te gelernt. Bei­de sind her­vor­ra­gend im Umgang mit Reim und rhyth­mi­schem Geschich­ten­er­zäh­len. Und dann hat­te ich natür­lich die Kin­der­rei­me im Ohr, mit denen ich selbst auf­ge­wach­sen bin. Ich habe mich nicht am Rhyth­mus des Ori­gi­nals ori­en­tiert, weil das kei­nen Sinn ergibt. Das Ara­bi­sche hat sei­nen eige­nen Rhyth­mus, Rei­men ist auch sehr viel ein­fa­cher auf­grund der Struk­tur der Spra­che. Und ich woll­te einen Text schaf­fen, der im Deut­schen klingt. Ich habe das Gan­ze wenig theo­re­tisch betrach­tet und statt­des­sen ver­sucht, aus einer Stim­mung her­aus zu über­set­zen. Wie gesagt: der Feld­weg vor mir, die Son­ne scheint, der Wind weht mir um die Nase, die Vögel zwit­schern und ich schaue belus­tigt und neu­gie­rig auf die Welt ringsherum.

Mir sei trotz­dem noch eine theo­re­ti­sche Fra­ge gestat­tet: Du sprachst von Inhalt, Rhyth­mus, Reim und Witz als den vier bestim­men­den Ele­men­ten Shau­qis Dich­tung. Was, fin­dest du, ist dir beson­ders gut gelun­gen, und wo muss­test du Abstri­che machen?

Ich wür­de sagen, die Rei­hen­fol­ge ist: Reim, Rhyth­mus, Witz, Inhalt.

Inhalt zuletzt?

Ja, genau. Shau­qis Spra­che ist, obwohl es sich hier um Kin­der­rei­me han­delt, ziem­lich kom­pli­ziert, auch für Muttersprachler*innen. Des­we­gen ging es im ers­ten Schritt erst ein­mal dar­um zu ver­ste­hen, was der Gute uns über­haupt sagen will. Dafür habe ich eine ers­te sehr wort­ge­treue Roh­über­set­zung ange­fer­tigt und mir dann dar­aus die Punk­te her­aus­ge­grif­fen, die ich beto­nen woll­te. Damit habe ich dann ange­fan­gen zu spie­len, zu rei­men und in einen Rhyth­mus zu brin­gen. Das hat super viel Spaß gemacht, ich hab rich­tig oft laut gelacht beim Über­set­zen. Ich glau­be, auch das ist in den Tex­ten zu hören. Und ich woll­te einen deut­schen Text dar­aus machen, des­we­gen hab ich zwi­schen­durch auch deut­sche Rede­wen­dun­gen ein­ge­baut, zum Bei­spiel „ein böses Spiel trei­ben“ oder „da ist kein Kraut dage­gen gewachsen“.

Gibt es eine Lieb­lings­for­mu­lie­rung, die du in den deut­schen Text hin­ein­ge­schmug­gelt hast?

Was ich sehr ger­ne mag, ist in der Geschich­te von der Ler­che und ihrem Sohn der Vers „Doch’s Küken will nach Ster­nen grei­fen / und toll­kühn durch den Him­mel strei­fen.“ Im Ori­gi­nal steht so viel wie: „Doch es wies das Gezeig­te (der Mut­ter) zurück und woll­te sei­ne Ver­schla­gen­heit zum Vor­schein brin­gen“, ich fin­de, da passt mein Ika­rus-Ver­gleich sehr gut. Dar­über freue ich mich jedes Mal, wenn ich es lese.

Wel­che Aspek­te oder Bezugs­punk­te von Shau­qis Lyrik gehen im Deut­schen verloren?

Namen sind immer ein Pro­blem, weil sie im Ara­bi­schen oft auch Bedeu­tung tra­gen. Wenn damit in der Lite­ra­tur gespielt wird, müs­sen wir irgend­wie mit­spie­len. Der Die­ner in der ers­ten Geschich­te heißt „Nudur“, und das bedeu­tet so etwas wie unge­wöhn­lich, wit­zig, ein­zig­ar­tig, kost­bar. Ich habe für die Über­set­zung bestimm­te Aspek­te davon her­aus­ge­grif­fen: Der Die­ner ist ein guter Bera­ter und eigent­lich sogar der Ret­ter in höchs­ter Not und eben auf die­se Wei­se ein­zig­ar­tig und kost­bar. Ande­re Aspek­te des Namens muss­ten dann in wei­te­ren Beschrei­bun­gen impli­zit auf­tau­chen. Außer­dem muss­te der Name sich des Öfte­ren rei­men. Mein Vor­schlag war erst „der Die­ner Weg­be­rei­ter“. Herr Tru­de­wind hat dann „Hilf­mir­wei­ter“ vor­ge­schla­gen, das fin­de ich im Zusam­men­hang als Kin­der­buch sehr schön.

Jetzt ist dei­ne Über­set­zung für den Son­der­preis des Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­prei­ses nomi­niert; eine tol­le Aus­zeich­nung für so ein außer­ge­wöhn­li­ches Buch. Wie hast du von der Nomi­nie­rung erfahren?

Ich lebe zwi­schen Tune­si­en und Deutsch­land und war zu dem Zeit­punkt in Tunis. Des­halb habe ich es erst aus einer Mail von mei­nem Ver­lag erfah­ren, der mich tele­fo­nisch nicht erreicht hat­te. Das hat mich sehr gefreut! Lei­der konn­te ich nicht zur offi­zi­el­len Ver­kün­dung auf die Leip­zi­ger Buch­mes­se kom­men, dafür war die Anrei­se ein biss­chen zu weit.

Ist dies denn dei­ne ers­te ver­öf­fent­lich­te Übersetzung?

Das ers­te Kin­der­buch, ja. Das ers­te Buch, das ich ver­öf­fent­licht habe, ist eine Antho­lo­gie von femi­nis­ti­schen Tex­ten aus Tune­si­en („Ich kann nicht allei­ne wütend sein. Femi­nis­ti­sche Autorin­nen in Tune­si­en“ bei Schiler&Mücke). Für die­ses Buch habe ich ein Bode-Sti­pen­di­um vom Deut­schen Über­set­zer­fonds bekom­men und hat­te die Gele­gen­heit, mit Laris­sa Ben­der als Men­to­rin zusam­men­zu­ar­bei­ten. Dabei habe ich sehr viel über das Hand­werk des Über­set­zens gelernt. Außer­dem habe ich Thea­ter­stü­cke, Lyrik, Kurz­ge­schich­ten und Pod­casts über­setzt. Aber das meis­te für Ver­an­stal­tun­gen, nicht in Buchform.

Kann man denn von dir noch mehr lesen? Wird es die bei­den ande­ren Bän­de von Shauqi/Baalbaki auch noch in dei­ner Über­set­zung zu lesen geben?

Ich hät­te gro­ße Lust dazu! Auch all­ge­mein auf Über­set­zun­gen aus die­ser Epo­che. Da gibt es unge­ho­be­ne Schät­ze ohne Ende. Des­we­gen freut mich die Nomi­nie­rung auch so sehr, weil damit ein Autor wie Ahmad Shau­qi jetzt end­lich mal gebüh­ren­de Auf­merk­sam­keit bekommt. Ich über­set­ze aber auch ger­ne Zeit­ge­nös­si­sches. Aktu­ell arbei­te ich für das Pro­jekt Aswa­to­na, our-voices.net. Aswa­to­na bedeu­tet „Unse­re Stim­men“ und ist ein Pod­cast, der auf Ara­bisch von Podcaster*innen aus dem ara­bi­schen Raum pro­du­ziert wird. Für die­sen machen wir die syn­chro­ni­sier­te deut­sche und eng­li­sche Ver­si­on hör­bar. Das fin­de ich sehr span­nend, sowohl das Medi­um Pod­cast als auch die­se Art von Über­set­zung, von gespro­che­ner und gehör­ter Spra­che. Aber die För­de­rung für das Pro­jekt läuft Ende des Jah­res erst­mal aus. Wie es dann wei­ter­geht, sehen wir dann.


Leo­nie Nückell über­setzt seit 2018 aus dem Hoch­ara­bi­schen und ver­schie­de­nen ara­bi­schen Dia­lek­ten, zudem reimt sie sehr gern. Sie hat Ara­bisch in Deutsch­land und dem Maghreb gelernt; Tune­si­en ist ihr zwei­tes Zuhause.

Ahmad Shau­qi | Said Baal­baki | Leo­nie Nückell

Es bringt der Papa­gei den Hund zur Raserei



Edi­ti­on Ori­ent 2023 ⋅ 48 Sei­ten ⋅ 17,90 Euro


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