5 Bücher aus Irland

Auf der Suche nach außergewöhnlichem Lesestoff? Hier werdet ihr fündig: eine literarische Entdeckungsreise durch Irland. Von

Bücher aus Irland. Bild: Midjourney

In die­ser Rei­he stel­len Übersetzer:innen Bücher aus „ihrem“ Land vor – span­nend, weg­wei­send, roman­tisch, sub­til, haar­sträu­bend oder urko­misch – aber in jedem Fall lesens­wert. Ob Klas­si­ker oder Zeit­ge­nös­si­sches, Kri­mis, Poe­sie oder Kin­der­bü­cher … die­se ganz per­sön­li­che Lese­lis­te lädt dazu ein, die lite­ra­ri­sche Land­schaft des Lan­des vom Sofa aus zu berei­sen. Viel Spaß beim Schmökern!


Roman
Loui­se Neal­on: Snow­fla­ke
Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Anna-Nina Kroll. Mare 2022

Die 19-jäh­ri­ge Debbie White lebt auf einer Milch­farm außer­halb Dub­lins. Ihre Mut­ter see­lisch krank, ihr Vater unbe­kannt, ihr Onkel nur mit Mühe fähig, die Farm am Lau­fen zu hal­ten. Zunächst eine Außen­sei­te­rin am Dub­li­ner Tri­ni­ty Col­lege, beginnt Debbie lang­sam, Fuß zu fas­sen in ihrem neu­en Leben – bis ihr altes aus den Fugen gerät. So wie Sal­ly Roo­ney erzählt Loui­se Neal­on von den Her­aus­for­de­run­gen eines jun­gen Lebens am Ran­de zum Erwach­sen­wer­den. Nur nah­ba­rer, boden­stän­di­ger – und für mich viel sym­pa­thi­scher. Snow­fla­ke ist vol­ler schlag­fer­ti­ger Dia­lo­ge und mit der abso­lut iri­schen Qua­li­tät geseg­net, sich selbst trotz aller Pro­ble­me nicht all­zu wich­tig zu neh­men. Die Sto­ry ist char­mant, ein­falls­reich und ein gro­ßes Lese­ver­gnü­gen, auch wenn die jun­ge Autorin sehr vie­le gro­ße The­men in ihr Debüt packt. Anna-Nina Kroll, deren Über­set­zun­gen mir schon seit Milch­mann von Anna Burns impo­nie­ren, kann sich gut in die­se Welt ein­füh­len und beglei­tet Debbie White her­vor­ra­gend ins Deutsche.


Roman
Rónán Hes­si­on: Leo­nard und Paul
Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Andrea O’Brien. Dumont 2024

Zwei unauf­fäl­li­ge Dub­li­ner Nor­ma­los pfle­gen ihre Marot­ten, ihren All­tag und ihre Freund­schaft. Ein ganz nor­ma­les Leben, geprägt von all­täg­li­chen Aben­teu­ern, klei­nen Tri­um­phen und oft tra­gi­ko­mi­schen Rück­schlä­gen. Leo­nard und Paul ist ein war­mes Bad von einem Buch. Rónán Hes­si­on schreibt mit so viel Wohl­wol­len, gut­mü­ti­ger Iro­nie und Witz über Cha­rak­te­re, die wir im All­tag oft über­se­hen, dass man nicht anders kann, als sie zu mögen. Das Tem­po ist gemäch­lich, nach Dra­ma­tik sucht man ver­geb­lich – die Stars sind die ver­schro­be­nen Figu­ren und Hes­si­ons zau­ber­haf­te Spra­che. Als Wahl­i­rin begeg­nen mir dabei stän­dig kur­ze Grü­ße aus dem Dub­li­ner All­tag, von Roses-Kon­fekt bis zur betrieb­li­chen Feu­er­schutz­übung, gewürzt mit wit­zi­gen Wort­ge­fech­ten. Andrea O’Briens Über­set­zung hat mich außer­dem ver­blüfft. Als zwei­spra­chi­ge Lese­rin erken­ne ich meist sofort die typisch iri­schen Rede­wen­dun­gen in deut­schen Über­set­zun­gen wie­der. In Leo­nard und Paul liest sich abso­lut nichts „über­setzt“.


Erzäh­lun­gen
Sea­mus Ó Gri­an­na: Selbst der bes­te Tag
Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Gabrie­le und Juli­an Haefs. Mare 2021

Séa­mus Ó Gri­an­na zählt zu den wich­tigs­ten Ver­tre­tern der gälisch­spra­chi­gen Lite­ra­tur. Die­se Samm­lung sei­ner Erzäh­lun­gen spielt am nord­west­li­chen Rand der Insel und zeich­net ein unter­halt­sa­mes, wenn auch inzwi­schen ana­chro­nis­ti­sches Sit­ten­bild des iri­schen Land­le­bens im frü­hen 20. Jahr­hun­dert. Ein Pan­op­ti­kum von lie­be­voll spöt­tisch betrach­te­ten Figu­ren kämpft mit den gro­ßen The­men: Lie­be, Tra­gik, Aus­wan­de­rung, Revo­lu­ti­on. Eine tra­gen­de Rol­le spielt auch immer wie­der das Meer als eben­so fas­zi­nie­ren­der wie gefähr­li­cher Sehn­suchts­ort. Fans von Hein­rich Bölls Iri­schem Tage­buch und dem klas­si­schen, inzwi­schen oft ver­lo­ren­ge­gan­ge­nen Irland wer­den dar­an gro­ße Freu­de haben. Gabrie­le und Juli­an Haefs haben es geschafft, den tro­cke­nen Humor von Séa­mus Ó Gri­an­na in eine ange­mes­se­ne deut­sche Form zu über­set­zen, die eine per­fek­te Balan­ce hält zwi­schen zeit­los und zeitgemäß.


Roman
Kevin Bar­ry: Nacht­fäh­re nach Tan­ger
Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Tho­mas Über­hoff. Rowohlt 2022

Kevin Bar­ry ist Jour­na­list, Autor und ein erklär­ter Sprach­akro­bat der iri­schen Lite­ra­tur­sze­ne. In sei­nem drit­ten Roman erzählt er die etwas abge­grif­fe­ne Noir-Sto­ry von den Has-been-Gano­ven Mau­rice und Char­lie, die am Hafen der spa­ni­schen Hafen­stadt Alge­ci­ras auf eine Nacht­fäh­re ins marok­ka­ni­sche Tan­ger war­ten, auf der sich angeb­lich Dil­ly, die Toch­ter von Mau­rice, befin­det. Aber wie ein weib­li­cher Godot lässt Dil­ly auf sich war­ten – räso­nie­ren Mau­rice und Char­lie über ihre gemein­sa­me Ver­gan­gen­heit. Die ist geprägt von Dro­gen, Gewalt und der gro­ßen, ver­lo­re­nen Lie­be. Die­se Sto­ry fand ich per­sön­lich etwas abge­grif­fen, aber wie Bar­ry sie erzählt! Wel­len­för­mig treibt uns der Text vor­an, zieht uns mit sich durch die dunk­len Gewäs­ser von Char­lies und Mau­rice‘ Ver­gan­gen­heit. In sei­ner rhyth­mi­schen Struk­tur ähnelt der Text oft einem Gedicht, liest sich wie Musik. Vor Tho­mas Über­hoffs Über­set­zungs­küns­ten habe ich den größ­ten Respekt, denn es gelingt ihm, Bar­rys Wort­ge­mäl­de auch im Deut­schen in sei­nen schil­lernds­ten Far­ben leuch­ten zu lassen.


Roman
Pau­la McGrath: Dann ren­nen wir
Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Karen Ger­wig. GOYA 2022

Mit ihrem zwei­ten Roman hat es Pau­la McGrath in die Aus­wahl der Irish Times Best Books of the Year geschafft. Über die ver­schlun­ge­nen Pfa­de von drei iri­schen Frau­en drei­er ver­schie­de­ner Gene­ra­tio­nen in den 1980ern und den 2010er Jah­ren erzählt sie von den Her­aus­for­de­run­gen des Lebens als Frau in Irland. Es geht um Emi­gra­ti­on, die gesell­schaft­li­che Rück­stän­dig­keit Irlands in den 80ern, die Flucht von drei sehr ver­schie­de­nen Frau­en vor ihren Lebens­um­stän­den und der Ver­gan­gen­heit – bis sie ler­nen, auf­zu­ste­hen und ihr Leben selbst in die Hand zu neh­men. Karen Ger­wig lie­fert zu der berüh­ren­den Rei­se eine ein­fühl­sa­me Über­set­zung, die sich mühe­los an die ver­schie­de­nen Erzähl­stim­men der Boxe­rin Jas­mi­ne, der jun­gen Ali und der namen­lo­sen Ärz­tin anpasst.

Noch mehr zu Irland erfahrt ihr in unse­rem Bei­trag Gro­ße klei­ne Spra­che Irisch!


Zwi­schen den Zeilen

Vere­na von Kos­kull wird auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se für ihre „genau­en und unauf­ge­regt kunst­vol­len Übersetzungen… 

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