
Du übersetzt schon seit einigen Jahren Fantasy-Bücher. Zuletzt ist Onyx Storm von Rebecca Yarros in deiner Übersetzung (zusammen mit Julia Schwenk) erschienen – der neue Teil der Fourth-Wing-Reihe, auf den viele Leserinnen gewartet haben. Was fasziniert dich am meisten an der Arbeit als Übersetzerin, besonders im Bereich Fantasy?
Ich habe schon immer viel gelesen und vor allem in den Bereichen Fantasy und SF, sodass ich mittlerweile ein sehr ausgeprägtes Gefühl dafür habe, welche Projekte meiner Meinung nach gut klingen. Gleichzeitig liebe ich es, eigene Begriffe für andere Welten zu finden und herumzupuzzeln, bis alles passt. Man kann sich einfach so richtig austoben in den fantastischen Welten!
Du hast auch als Lektorin im Bereich Fantasy in großen Verlagshäusern gearbeitet. Inwiefern beeinflusst diese Erfahrung deine Arbeit als Übersetzerin? Und bist du darüber zum Übersetzen gekommen?
Ich denke, es hilft mir zuweilen sehr in meiner Selbstständigkeit als Übersetzerin, dass ich die Abläufe durch meine fast zehnjährige Erfahrung im Verlag gut kenne und dadurch weiß, wie die zeitlichen Abläufe aussehen oder welche Hinweise fürs Lektorat vielleicht nützlich sind oder worauf zum Beispiel auch die Herstellung achtet. Trotzdem glaube ich nicht, dass man zwingend in einem Verlag gearbeitet haben muss, um unsere Arbeit machen zu können! Zur Selbständigkeit kam ich im Grunde, weil ich gern wieder zurück in meine alte Heimat wollte. Und da ich neugierig war auf das Leben als freie Lektorin und Übersetzerin habe ich es schließlich einfach ausprobiert. Zu Anfang hatte ich mich als Lektorin und Übersetzerin selbstständig gemacht und war davon ausgegangen, dass ich wohl hauptsächlich lektorieren werde. Durch meinen Ruf als Fantasyfrau habe ich dann allerdings ziemlich viele Anfragen für Übersetzungen bekommen und da meine Auftraggeber:innen zufrieden waren, kamen immer mehr Projekte hinzu, sodass ich jetzt ausschließlich übersetze.
Die Fourth-Wing-Reihe übersetzt du anderen Übersetzerinnen zusammen. Was sind die Vor- und Nachteile einer solchen Praxis?
Der große Vorteil ist eindeutig, dass man ein Projekt im Tandem viel schneller übersetzen kann. Außerdem kann man sich direkt mit jemandem austauschen, wenn man unschlüssig ist, ob ein Begriff passt oder es vielleicht doch einen besseren geben könnte, was bei der Arbeit allein meistens erst sehr viel später, nämlich wenn das Lektorat dazukommt, möglich ist. Ein Nachteil könnte sein, dass man sich mit einer anderen Person zusammenraufen muss, damit der Stil nicht zu weit auseinandergeht. Den Fall hatte ich aber zum Glück noch nicht. Ich mag beide Varianten gern – den engen Austausch und das Allein-vor-mich-hin-Kramen.
Beim zweiten und dritten Band der Fourth-Wing-Reihe hattest du jeweils eine andere Partnerinnen, Michaela Kolodziejcok und Ulrike Gerstner (für Teil 2) und Julia Schwenk (für Teil 3). Erschweren solche Wechsel die Zusammenarbeit oder den Arbeitsprozess – vor allem in Bezug auf die Einheitlichkeit von Stil und Wortschatz?
Es ist schon ein wenig aufwendiger, sich zu Anfang neu einzugrooven bei einem solchen Wechsel. Da hilft es sehr, sich abzustimmen und Listen über Begriffe, Orte und alle Besonderheiten der jeweiligen Welt zu führen. Ein Telefonat oder Online-Meeting für den Anfang finde ich auch super hilfreich und so was wie eine Chat-Gruppe, in der man sich mal eben spontan über Fragen austauschen kann.
Der erste Band der Reihe wurde von Michaela Kolodziejcok alleine ins Deutsche übertragen. Inwiefern habt ihr euch an ihrem Stil orientiert, oder hattet ihr die Freiheit, eigene Akzente zu setzen?
Michaela hat mit ihrer Übersetzung von Fourth Wing natürlich den Stil und viele Begrifflichkeiten für die folgenden Bände der Reihe gesetzt. Die haben wir beibehalten, damit sich alles schlüssig liest. Eigene Akzente kommen meiner Meinung nach ja immer ein wenig zum Tragen, weil niemand exakt wie die andere Person denkt und formuliert. Genau aus diesem Grund ist am Ende ein gutes Textlektorat wichtig, damit alles noch einmal mit Blick von außen bei Bedarf angepasst wird und sich alles zusammenfügt. Die Lesenden sollen im Bestfall nicht mehr merken, wer welchen Teil übersetzt hat oder dass überhaupt mehrere Übersetzende beteiligt waren.
Wie sieht euer Übersetzungsprozess aus? Teilt ihr Kapitel auf?
Das hängt immer ein wenig von der jeweiligen anderen Person und vom Zeitrahmen des Projekts ab. Im Fall von Onyx Storm haben Julia und ich uns den Text zum Beispiel nach Kapiteln aufgeteilt: nach je fünf Kapiteln haben wir gewechselt, die eigenen dann gleich weiter ans Lektorat geschickt, die folgenden fünf Kapitel übersprungen (bzw. gelesen) und dann die nächsten eigenen fünf Kapitel weiter übersetzt. Bei Iron Flame konnten wir das Buch anders aufteilen, weil sich das zeitlich besser ausging.
Die Übersetzung ist zeitgleich mit dem Original erschienen – wie sah euer Zeitplan aus? Und was hältst du von diesem Trend der gleichzeitigen Veröffentlichungen, der dazu führt, dass Übersetzer:innen unter enormem Zeitdruck arbeiten müssen?
Wir hatten fünfeinhalb Wochen für die Übersetzung, was natürlich heftig ist. Es war echt anstrengend, in diesem kurzen Zeitraum diesen Textberg (oder Text-Gauntlet) zu bewältigen. Persönlich finde ich diese Arbeitsweise nicht besonders gut, kann so was aber mal über einen kurzen Zeitraum wegstecken, weil mich der Spaß am Text bei Laune hält. Besser wäre es aber natürlich, wir hätten deutlich mehr Zeit und könnten in normalem Tempo übersetzen. Andererseits verstehe ich – auch aus meiner früheren Verlagsperspektive heraus – den Verlag gut, der sagt: Wir wollen die Übersetzung zeitgleich veröffentlichen, um möglichst viele Leser:innen abzuholen, die sonst vielleicht das englische Buch kaufen würden. Den Absatzverlust möchte man klein halten, besonders bei Projekten, die sehr teuer im Einkauf und in der Herstellung sind. Damit möchte ich nicht sagen, dass wir Übersetzende das alleine ausbaden müssen, wobei ich durchaus Verlage kenne, die sich bemühen, die Arbeitsbedingungen für uns angenehmer zu gestalten.
Oft stellen Übersetzer:innen den Autor:innen Fragen zum Text. Ist das bei einer dermaßen erfolgreichen Autorin überhaupt möglich?
Im Fall von Rebecca Yarros hat der Verlag zum Glück einen guten direkten Kontakt und kann unsere Fragen an die Autorin schicken und uns dann die Antworten weiterleiten. Das geht relativ schnell und unkompliziert. Bei anderen Autor:innen ist es etwas aufwändiger, wenn kein direkter Zugang besteht und die Fragen über die Agentur laufen.
Werdet ihr an den Bücherverkäufen beteiligt?
Ja, wir sind am Verkauf der Bücher beteiligt, was von Verlag zu Verlag unterschiedlich ist. dtv hat meiner Meinung nach mit die fairsten Konditionen der Branche (davon ausgehend, mit welchen Verlagen ich bisher Erfahrungen gemacht habe, was natürlich nur ein Bruchteil aller Verlage ist!).
Die Sprache in Fantasy-Büchern ist oft besonders bildhaft. Welche Herausforderungen gab es bei der Übersetzung von Onyx Storm, gerade in Bezug auf Weltaufbau und Atmosphäre?
Die Frage ist total sinnvoll – und ich tue mich jedes Mal extrem schwer, wenn ich so etwas in der Richtung gefragt werde. Einerseits fallen mir durch die Leseerfahrung im Genre manchmal direkt die richtigen Begriffe und Formulierungen ein, sehr à la das IST jetzt einfach so und muss sich genauso anhören, aber natürlich grübeln wir auch viel, wenn es ein spezieller Begriff ist, der im Deutschen gut verständlich sein soll und gleichzeitig gut klingen muss. Im Fall der Fourth-Wing-Reihe waren schon zu Anfang einige Begriffe stehengeblieben, wie zum Beispiel der „Gauntlet“ für einen gefährlichen Hindernisparcours, den die Reiter bewältigen müssen, sodass wir das auch in den folgenden Bänden beibehalten haben. Ein Beispiel hierfür wäre das „Empyrean“ oder auch das „Konduit“ (wenn auch im Deutschen mit k geschrieben statt wie im Englischen mit c).
Die Reihe zeichnet sich durch ihre temporeichen, teils intensiven, teils humorvollen und schlagfertigen Dialoge aus. Wie viel Arbeit und Feinschliff steckt hinter diesen Passagen?
Die ehrliche Antwort: Da steckt zwar schon viel Arbeit dahinter und wir haben zusammen und mit dem Lektorat bei besonderen Stellen auch nochmal ausführlich gebrainstormt – andererseits gab es der knappe Zeitplan nicht her, absolut alles bis ins allerkleinste Detail so auf Hochglanz zu polieren, wie es sonst vielleicht möglich gewesen wäre.
Die Reihe versucht, Diversität widerzuspiegeln, es gibt zum Beispiel eine non-binäre Person, für die eigene Pronomen verwendet werden. In der Belletristik wird sich noch relativ häufig gegen gendergerechte Sprache gewehrt – ist die Fantasy da schon weiter?
Das glaube ich tatsächlich, ja! Mir laufen in der Fantasy mittlerweile seit Jahren non-binäre Personen über den Weg – bildlich gesprochen – und ich liebe es! Durch die neuen Welten sind da noch mal ganz andere Blickwinkel möglich als in der realistischen Belletristik, die sich vielleicht noch etwas schwerer tut mit der Abbildung von non-binären Personen und anderen Themen.
Welche Entwicklungen beobachtest du aktuell in der Fantasy-Literatur? Gibt es Trends, die dich als Übersetzerin besonders herausfordern?
Die Frage finde ich unglaublich schwer zu beantworten. Seit ich nicht mehr im Verlag bin und Bücher vor Erscheinen lese, um zu entscheiden, ob sie ins Verlagsprogramm passen, bekomme ich ja nur mit, was letztendlich erscheint. Deshalb entgehen uns, die nicht direkt im Verlag sitzen, kleinere Trends, die sich vielleicht nicht durchsetzen, aber in anderen Ländern doch da sind. Was meinen Blick von außen angeht, würde ich sagen, dass in nächster Zeit noch viel mehr Romantasy – sehr wahrscheinlich auch gern mit Drachen – auf uns zukommen wird. Besonders bemerkenswert finde ich aktuell die Zunahme an düsteren Stoffen und auch an Fantasy-Projekten, in denen Weltenbau und Magiesysteme deutlich weiter ausgearbeitet sind als zum Beispiel in der Urban Fantasy, wie sie einige Jahre lang Trend war.
Michelle Gyo studierte in Mainz Germanistik und Buchwissenschaft und arbeitete danach als Lektorin bei namhaften Verlagen. Aus Neugier machte sie sich nach zehn Jahren Verlagsarbeit selbstständig und übersetzt seitdem fesselnde Geschichten. Sie lebt und liest, wo sie will, wandert häufig durch fantastische Welten und kann ohne Kaffee, Katzen und Kreativität nicht sein.
