„Wir hat­ten fünf­ein­halb Wochen für die Übersetzung“

Die „Fourth-Wing“-Reihe gehört zu den erfolgreichsten Bestsellern der Romantasy-Sparte. Michelle Gyo berichtet von ihrer Arbeit am neuesten Band, der Zusammenarbeit im Tandem und den Herausforderungen beim Übersetzen von Fantasy-Literatur. Interview: und

Rechts die Übersetzerin Michelle Gyo, links das Cover von "Ony Storm"
Die Übersetzerin Michelle Gyo (Foto: privat) neben ihrer Übersetzung.

Du über­setzt schon seit eini­gen Jah­ren Fan­ta­sy-Bücher. Zuletzt ist Onyx Storm von Rebec­ca Yar­ros in dei­ner Über­set­zung (zusam­men mit Julia Schwenk) erschie­nen – der neue Teil der Fourth-Wing-Rei­he, auf den vie­le Lese­rin­nen gewar­tet haben. Was fas­zi­niert dich am meis­ten an der Arbeit als Über­set­ze­rin, beson­ders im Bereich Fantasy?

Ich habe schon immer viel gele­sen und vor allem in den Berei­chen Fan­ta­sy und SF, sodass ich mitt­ler­wei­le ein sehr aus­ge­präg­tes Gefühl dafür habe, wel­che Pro­jek­te mei­ner Mei­nung nach gut klin­gen. Gleich­zei­tig lie­be ich es, eige­ne Begrif­fe für ande­re Wel­ten zu fin­den und her­um­zu­puz­zeln, bis alles passt. Man kann sich ein­fach so rich­tig aus­to­ben in den fan­tas­ti­schen Welten!

Du hast auch als Lek­to­rin im Bereich Fan­ta­sy in gro­ßen Ver­lags­häu­sern gear­bei­tet. Inwie­fern beein­flusst die­se Erfah­rung dei­ne Arbeit als Über­set­ze­rin? Und bist du dar­über zum Über­set­zen gekommen?

Ich den­ke, es hilft mir zuwei­len sehr in mei­ner Selbst­stän­dig­keit als Über­set­ze­rin, dass ich die Abläu­fe durch mei­ne fast zehn­jäh­ri­ge Erfah­rung im Ver­lag gut ken­ne und dadurch weiß, wie die zeit­li­chen Abläu­fe aus­se­hen oder wel­che Hin­wei­se fürs Lek­to­rat viel­leicht nütz­lich sind oder wor­auf zum Bei­spiel auch die Her­stel­lung ach­tet. Trotz­dem glau­be ich nicht, dass man zwin­gend in einem Ver­lag gear­bei­tet haben muss, um unse­re Arbeit machen zu kön­nen! Zur Selb­stän­dig­keit kam ich im Grun­de, weil ich gern wie­der zurück in mei­ne alte Hei­mat woll­te. Und da ich neu­gie­rig war auf das Leben als freie Lek­to­rin und Über­set­ze­rin habe ich es schließ­lich ein­fach aus­pro­biert. Zu Anfang hat­te ich mich als Lek­to­rin und Über­set­ze­rin selbst­stän­dig gemacht und war davon aus­ge­gan­gen, dass ich wohl haupt­säch­lich lek­to­rie­ren wer­de. Durch mei­nen Ruf als Fan­ta­sy­frau habe ich dann aller­dings ziem­lich vie­le Anfra­gen für Über­set­zun­gen bekom­men und da mei­ne Auftraggeber:innen zufrie­den waren, kamen immer mehr Pro­jek­te hin­zu, sodass ich jetzt aus­schließ­lich übersetze.

Die Fourth-Wing-Rei­he über­setzt du ande­ren Über­set­ze­rin­nen zusam­men. Was sind die Vor- und Nach­tei­le einer sol­chen Praxis?

Der gro­ße Vor­teil ist ein­deu­tig, dass man ein Pro­jekt im Tan­dem viel schnel­ler über­set­zen kann. Außer­dem kann man sich direkt mit jeman­dem aus­tau­schen, wenn man unschlüs­sig ist, ob ein Begriff passt oder es viel­leicht doch einen bes­se­ren geben könn­te, was bei der Arbeit allein meis­tens erst sehr viel spä­ter, näm­lich wenn das Lek­to­rat dazu­kommt, mög­lich ist. Ein Nach­teil könn­te sein, dass man sich mit einer ande­ren Per­son zusam­men­rau­fen muss, damit der Stil nicht zu weit aus­ein­an­der­geht. Den Fall hat­te ich aber zum Glück noch nicht. Ich mag bei­de Vari­an­ten gern den engen Aus­tausch und das Allein-vor-mich-hin-Kramen.

Beim zwei­ten und drit­ten Band der Fourth-Wing-Rei­he hat­test du jeweils eine ande­re Part­ne­rin­nen, Michae­la Kolod­zie­j­cok und Ulri­ke Gerst­ner (für Teil 2) und Julia Schwenk (für Teil 3). Erschwe­ren sol­che Wech­sel die Zusam­men­ar­beit oder den Arbeits­pro­zess – vor allem in Bezug auf die Ein­heit­lich­keit von Stil und Wortschatz?

Es ist schon ein wenig auf­wen­di­ger, sich zu Anfang neu ein­zu­groo­ven bei einem sol­chen Wech­sel. Da hilft es sehr, sich abzu­stim­men und Lis­ten über Begrif­fe, Orte und alle Beson­der­hei­ten der jewei­li­gen Welt zu füh­ren. Ein Tele­fo­nat oder Online-Mee­ting für den Anfang fin­de ich auch super hilf­reich und so was wie eine Chat-Grup­pe, in der man sich mal eben spon­tan über Fra­gen aus­tau­schen kann.

Der ers­te Band der Rei­he wur­de von Michae­la Kolod­zie­j­cok allei­ne ins Deut­sche über­tra­gen. Inwie­fern habt ihr euch an ihrem Stil ori­en­tiert, oder hat­tet ihr die Frei­heit, eige­ne Akzen­te zu setzen?

Michae­la hat mit ihrer Über­set­zung von Fourth Wing natür­lich den Stil und vie­le Begriff­lich­kei­ten für die fol­gen­den Bän­de der Rei­he gesetzt. Die haben wir bei­be­hal­ten, damit sich alles schlüs­sig liest. Eige­ne Akzen­te kom­men mei­ner Mei­nung nach ja immer ein wenig zum Tra­gen, weil nie­mand exakt wie die ande­re Per­son denkt und for­mu­liert. Genau aus die­sem Grund ist am Ende ein gutes Text­lek­to­rat wich­tig, damit alles noch ein­mal mit Blick von außen bei Bedarf ange­passt wird und sich alles zusam­men­fügt. Die Lesen­den sol­len im Best­fall nicht mehr mer­ken, wer wel­chen Teil über­setzt hat oder dass über­haupt meh­re­re Über­set­zen­de betei­ligt waren.

Wie sieht euer Über­set­zungs­pro­zess aus? Teilt ihr Kapi­tel auf?

Das hängt immer ein wenig von der jewei­li­gen ande­ren Per­son und vom Zeit­rah­men des Pro­jekts ab. Im Fall von Onyx Storm haben Julia und ich uns den Text zum Bei­spiel nach Kapi­teln auf­ge­teilt: nach je fünf Kapi­teln haben wir gewech­selt, die eige­nen dann gleich wei­ter ans Lek­to­rat geschickt, die fol­gen­den fünf Kapi­tel über­sprun­gen (bzw. gele­sen) und dann die nächs­ten eige­nen fünf Kapi­tel wei­ter über­setzt. Bei Iron Fla­me konn­ten wir das Buch anders auf­tei­len, weil sich das zeit­lich bes­ser ausging.

Die Über­set­zung ist zeit­gleich mit dem Ori­gi­nal erschie­nen – wie sah euer Zeit­plan aus? Und was hältst du von die­sem Trend der gleich­zei­ti­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen, der dazu führt, dass Übersetzer:innen unter enor­mem Zeit­druck arbei­ten müssen?

Wir hat­ten fünf­ein­halb Wochen für die Über­set­zung, was natür­lich hef­tig ist. Es war echt anstren­gend, in die­sem kur­zen Zeit­raum die­sen Text­berg (oder Text-Gaunt­let) zu bewäl­ti­gen. Per­sön­lich fin­de ich die­se Arbeits­wei­se nicht beson­ders gut, kann so was aber mal über einen kur­zen Zeit­raum weg­ste­cken, weil mich der Spaß am Text bei Lau­ne hält. Bes­ser wäre es aber natür­lich, wir hät­ten deut­lich mehr Zeit und könn­ten in nor­ma­lem Tem­po über­set­zen. Ande­rer­seits ver­ste­he ich – auch aus mei­ner frü­he­ren Ver­lags­per­spek­ti­ve her­aus – den Ver­lag gut, der sagt: Wir wol­len die Über­set­zung zeit­gleich ver­öf­fent­li­chen, um mög­lichst vie­le Leser:innen abzu­ho­len, die sonst viel­leicht das eng­li­sche Buch kau­fen wür­den. Den Absatz­ver­lust möch­te man klein hal­ten, beson­ders bei Pro­jek­ten, die sehr teu­er im Ein­kauf und in der Her­stel­lung sind. Damit möch­te ich nicht sagen, dass wir Über­set­zen­de das allei­ne aus­ba­den müs­sen, wobei ich durch­aus Ver­la­ge ken­ne, die sich bemü­hen, die Arbeits­be­din­gun­gen für uns ange­neh­mer zu gestalten.

Oft stel­len Übersetzer:innen den Autor:innen Fra­gen zum Text. Ist das bei einer der­ma­ßen erfolg­rei­chen Autorin über­haupt möglich?

Im Fall von Rebec­ca Yar­ros hat der Ver­lag zum Glück einen guten direk­ten Kon­takt und kann unse­re Fra­gen an die Autorin schi­cken und uns dann die Ant­wor­ten wei­ter­lei­ten. Das geht rela­tiv schnell und unkom­pli­ziert. Bei ande­ren Autor:innen ist es etwas aufwändi­ger, wenn kein direk­ter Zugang besteht und die Fra­gen über die Agen­tur laufen.

Wer­det ihr an den Bücher­ver­käu­fen beteiligt?

Ja, wir sind am Ver­kauf der Bücher betei­ligt, was von Ver­lag zu Ver­lag unter­schied­lich ist. dtv hat mei­ner Mei­nung nach mit die fairs­ten Kon­di­tio­nen der Bran­che (davon aus­ge­hend, mit wel­chen Ver­la­gen ich bis­her Erfah­run­gen gemacht habe, was natür­lich nur ein Bruch­teil aller Ver­la­ge ist!).

Die Spra­che in Fan­ta­sy-Büchern ist oft beson­ders bild­haft. Wel­che Her­aus­for­de­run­gen gab es bei der Über­set­zung von Onyx Storm, gera­de in Bezug auf Welt­auf­bau und Atmosphäre?

Die Fra­ge ist total sinn­voll – und ich tue mich jedes Mal extrem schwer, wenn ich so etwas in der Rich­tung gefragt wer­de. Einer­seits fal­len mir durch die Lese­er­fah­rung im Gen­re manch­mal direkt die rich­ti­gen Begrif­fe und For­mu­lie­run­gen ein, sehr à la das IST jetzt ein­fach so und muss sich genau­so anhö­ren, aber natür­lich grü­beln wir auch viel, wenn es ein spe­zi­el­ler Begriff ist, der im Deut­schen gut ver­ständ­lich sein soll und gleich­zei­tig gut klin­gen muss. Im Fall der Fourth-Wing-Rei­he waren schon zu Anfang eini­ge Begrif­fe ste­hen­ge­blie­ben, wie zum Bei­spiel der „Gaunt­let“ für einen gefähr­li­chen Hin­der­nis­par­cours, den die Rei­ter bewäl­ti­gen müs­sen, sodass wir das auch in den fol­gen­den Bän­den bei­be­hal­ten haben. Ein Bei­spiel hier­für wäre das „Empy­re­an“ oder auch das „Kon­duit“ (wenn auch im Deut­schen mit k geschrie­ben statt wie im Eng­li­schen mit c).

Die Rei­he zeich­net sich durch ihre tem­po­rei­chen, teils inten­si­ven, teils humor­vol­len und schlag­fer­ti­gen Dia­lo­ge aus. Wie viel Arbeit und Fein­schliff steckt hin­ter die­sen Passagen?

Die ehr­li­che Ant­wort: Da steckt zwar schon viel Arbeit dahin­ter und wir haben zusam­men und mit dem Lek­to­rat bei beson­de­ren Stel­len auch noch­mal aus­führ­lich gebrain­stormt – ande­rer­seits gab es der knap­pe Zeit­plan nicht her, abso­lut alles bis ins aller­kleins­te Detail so auf Hoch­glanz zu polie­ren, wie es sonst viel­leicht mög­lich gewe­sen wäre.

Die Rei­he ver­sucht, Diver­si­tät wider­zu­spie­geln, es gibt zum Bei­spiel eine non-binä­re Per­son, für die eige­ne Pro­no­men ver­wen­det wer­den. In der Bel­le­tris­tik wird sich noch rela­tiv häu­fig gegen gen­der­ge­rech­te Spra­che gewehrt – ist die Fan­ta­sy da schon weiter?

Das glau­be ich tat­säch­lich, ja! Mir lau­fen in der Fan­ta­sy mitt­ler­wei­le seit Jah­ren non-binä­re Per­so­nen über den Weg – bild­lich gespro­chen – und ich lie­be es! Durch die neu­en Wel­ten sind da noch mal ganz ande­re Blick­win­kel mög­lich als in der rea­lis­ti­schen Bel­le­tris­tik, die sich viel­leicht noch etwas schwe­rer tut mit der Abbil­dung von non-binä­ren Per­so­nen und ande­ren Themen.

Wel­che Ent­wick­lun­gen beob­ach­test du aktu­ell in der Fan­ta­sy-Lite­ra­tur? Gibt es Trends, die dich als Über­set­ze­rin beson­ders herausfordern?

Die Fra­ge fin­de ich unglaub­lich schwer zu beant­wor­ten. Seit ich nicht mehr im Ver­lag bin und Bücher vor Erschei­nen lese, um zu ent­schei­den, ob sie ins Ver­lags­pro­gramm pas­sen, bekom­me ich ja nur mit, was letzt­end­lich erscheint. Des­halb ent­ge­hen uns, die nicht direkt im Ver­lag sit­zen, klei­ne­re Trends, die sich viel­leicht nicht durch­set­zen, aber in ande­ren Län­dern doch da sind. Was mei­nen Blick von außen angeht, wür­de ich sagen, dass in nächs­ter Zeit noch viel mehr Roman­t­a­sy – sehr wahr­schein­lich auch gern mit Dra­chen – auf uns zukom­men wird. Beson­ders bemer­kens­wert fin­de ich aktu­ell die Zunah­me an düs­te­ren Stof­fen und auch an Fan­ta­sy-Pro­jek­ten, in denen Wel­ten­bau und Magie­sys­te­me deut­lich wei­ter aus­ge­ar­bei­tet sind als zum Bei­spiel in der Urban Fan­ta­sy, wie sie eini­ge Jah­re lang Trend war.


Michel­le Gyo stu­dier­te in Mainz Ger­ma­nis­tik und Buch­wis­sen­schaft und arbei­te­te danach als Lek­to­rin bei nam­haf­ten Ver­la­gen. Aus Neu­gier mach­te sie sich nach zehn Jah­ren Ver­lags­ar­beit selbst­stän­dig und über­setzt seit­dem fes­seln­de Geschich­ten. Sie lebt und liest, wo sie will, wan­dert häu­fig durch fan­tas­ti­sche Wel­ten und kann ohne Kaf­fee, Kat­zen und Krea­ti­vi­tät nicht sein.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert