Wel­che Über­set­zung soll ich lesen?

In Zeiten von KI, Kloning und Genmanipulation erinnert uns ein über 200 Jahre alter Klassiker der Weltliteratur noch immer an die Gefahren menschlichen Übermuts. Mary Shelleys „Frankenstein“ ist zeitlos – doch gilt das auch für die deutschen Übersetzungen? Von

Mary Shelleys Frankenstein ist in vielen Übersetzungen verfügbar.
Mary Shelley im Porträt von Richard Rothwell. Quelle: Wikicommons

„Du hast die­se merk­wür­di­ge und grau­en­haf­te Geschich­te gele­sen, Mar­ga­ret; und gerinnt Dir nicht vor Ent­set­zen das Blut in den Adern?“

Seit über 200 Jah­ren ver­setzt Fran­ken­stein Leser:innen welt­weit in Angst und Schre­cken. Kein ande­rer Name der Lite­ra­tur­ge­schich­te ist so sehr mit dem Mons­trö­sen und zugleich mit tech­ni­schem Fort­schritt ver­bun­den wie Mary Shel­leys Schöp­fung. „Fran­ken­stein“ ist in der moder­nen Pop­kul­tur als das schau­ri­ge Ergeb­nis eines fehl­ge­schla­ge­nen Expe­ri­ments bekannt – und als eine Art defor­mier­ter, geflick­ter Mensch, der dank wis­sen­schaft­li­chem Grö­ßen­wahn manch­mal wie­der­be­lebt oder gänz­lich neu erschaf­fen wird. Als Sym­bol­fi­gur muss Fran­ken­stein also immer dann her­hal­ten, wenn  es um wis­sen­schaft­li­che Errun­gen­schaf­ten, die Gren­zen des mensch­li­chen Daseins oder schlicht um männ­li­che Hybris geht.

Mit dem Ori­gi­nal­ro­man, auf dem der Fran­ken­stein-Mythos beruht, haben moder­ne Dar­stel­lun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen oft nur wenig gemein. Die Unter­schie­de begin­nen bereits beim Namen: Wäh­rend „Fran­ken­stein“ heu­te meist das Mons­ter selbst bezeich­net, ist er in Shel­leys Ori­gi­nal der Name sei­nes Schöp­fers. Vik­tor Fran­ken­stein ist eigent­lich ein jun­ger, ehr­gei­zi­ger Stu­dent im beschau­li­chen Ingol­stadt, der sich dort den Natur­wis­sen­schaf­ten ver­schreibt und sei­nen Gott­kom­plex in einem Pro­jekt der beson­de­ren Art auslebt.

Er erschafft eine „Krea­tur“, die bis zum Ende namen­los bleibt. Sein Geschöpf ähnelt in sei­nen Eigen­schaf­ten dem Men­schen, da es sowohl zu ratio­na­lem Den­ken als auch zu emo­tio­na­lem Emp­fin­den fähig ist. Optisch unter­schei­det sich die­se Krea­tur jedoch stark von den heu­te ver­brei­te­ten Dar­stel­lun­gen. Wer Fran­ken­stein goo­gelt, lan­det womög­lich zuerst bei James Wha­les’ Film Fran­ken­steins Braut von 1935. Das iko­ni­sche Bild des Mons­ters mit sei­nem blas­sen Kopf, den Nar­ben und Näh­ten ist klar als mensch­lich erkenn­bar. Ganz anders bei Shel­ley: Sie beschreibt die Krea­tur als über­gro­ßes, drah­ti­ges Wesen mit gel­ber Haut, lan­gem, dün­nen schwar­zen Haar und perl­wei­ßen Zäh­nen, das die Men­schen – gera­de weil es fremd­ar­tig scheint – in Angst und Schre­cken versetzt.

Vik­tor Fran­ken­stein sehnt sich nicht nach bana­lem Reich­tum. Statt­des­sen träumt er schon in jun­gen Jah­ren von Ruhm und davon, den Men­schen unver­wund­bar zu machen: „Leben und Tod schie­nen mir nur ein­ge­bil­de­te Schran­ken zu sein, die ich als Ers­ter nie­der­rei­ßen wür­de“, erzählt er rück­bli­ckend. Doch Fran­ken­stein ver­liert die Kon­trol­le über sei­ne Schöp­fung, die zu eige­nem Den­ken und zu eige­nen Ent­schei­dun­gen imstan­de ist. Ganz im Sin­ne von Goe­thes „die Geis­ter, die ich rief, wer­de ich nun nicht los“ ver­folgt das Geschöpf sei­nen Schöp­fer, der vor sei­ner Ver­ant­wor­tung davon­rennt, und rächt sich an den Men­schen, die es ver­sto­ßen. Kein Wun­der, dass Shel­leys Erzäh­lung auch in die Neu­zeit passt. Fran­ken­steins selbst­herr­li­che Fan­ta­sien erin­nern an heu­ti­ge Tech-Mogu­le, die das Altern besie­gen wol­len, oder selbst ernann­te Visio­nä­re, die sich vor nie­man­dem ver­ant­wor­ten müs­sen – der über 200 Jah­re alte Roman über­dau­ert somit die Zeit, und die Fas­zi­na­ti­on für den Mythos bleibt ungebrochen.

Sei­ne Ent­ste­hungs­ge­schich­te ist eine der bekann­tes­ten Anek­do­ten der eng­li­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te. Legen­där sind nicht nur die Umstän­de, unter denen der Roman ent­stand, son­dern auch Mary Shel­leys Erzie­hung und Jugend­jah­re. Sie war das Kind zwei­er bedeu­ten­der Intel­lek­tu­el­ler: Ihr Vater, Wil­liam God­win, war Autor und Sozi­al­phi­lo­soph, ihre Mut­ter, Mary Woll­stone­craft, ver­fass­te mit Ver­tei­di­gung der Rech­te der Frau einen grund­le­gen­den Text des euro­päi­schen Femi­nis­mus – und starb nur weni­ge Tage nach Marys Geburt.

Mary wird von ihrem Vater unter­rich­tet und wächst unter Halb­ge­schwis­tern auf, da ihr Vater noch ein­mal hei­ra­tet. Als Teen­ager lernt sie Per­cy Byss­he Shel­ley ken­nen, einen viel­ver­spre­chen­den jun­gen Dich­ter mit „heik­len“ poli­ti­schen Ansich­ten (er ist Vege­ta­ri­er, Ver­fech­ter der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on und Befür­wor­ter „frei­er“ Lie­be), der ihren Vater als Men­tor aus­er­ko­ren hat. Mit 17 Jah­ren ver­lässt sie gegen den Wil­len des Vaters das Eltern­haus und folgt Shel­ley, der damals noch ver­hei­ra­tet ist, aufs euro­päi­sche Fest­land. Sie rei­sen zunächst durch Frank­reich, tref­fen dann in Genf auf Lord Byron, sei­ner­seits bereits ein Star­dich­ter, der mit Marys Stief­schwes­ter Clai­re Clairm­ont eine Affä­re hat. 

Im Vor­wort zur über­ar­bei­te­ten Aus­ga­be ihres Meis­ter­werks stellt Mary Shel­ley selbst die Fra­ge, die sowohl ihre Zeit­ge­nos­sen als auch vie­le moder­ne Leser:innen noch immer beschäf­tigt: „Wie kam ich, damals noch ein jun­ges Mäd­chen, dazu, mir etwas der­art Schreck­li­ches aus­zu­den­ken und in aller Aus­führ­lich­keit zu erzäh­len?“ Die Schuld dar­an scheint vor allem bei Byron zu lie­gen. Der Som­mer in Genf ist trüb­se­lig: Mary ist von meh­re­ren Schwan­ger­schaf­ten erschöpft, Per­cy  kämpft mit per­ma­nen­ten finan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten, und oben­drein liegt im Jahr 1816 infol­ge eines Vul­kan­aus­bruchs buch­stäb­lich Dun­kel­heit über der Welt. Die Tage am See sind düs­ter und von Dau­er­re­gen geprägt.

Man hält sich mit Gespens­ter­ge­schich­ten, die aus dem Deut­schen ins Fran­zö­si­sche über­setzt wor­den waren, bei Lau­ne – bis Byron die Idee eines klei­nen Wett­streits vor­schlägt: Wer schreibt die bes­te Schau­er­ge­schich­te? Der Name der Gewin­ne­rin dürf­te auf der Hand lie­gen. Mit gera­de ein­mal 19 Jah­ren erschafft Mary Shel­ley eine der frü­hes­ten Sci­ence-Fic­tion-Geschich­ten über­haupt – und sichert sich damit einen Platz in der Literaturgeschichte.

1818 erscheint die ers­te Aus­ga­be von Fran­ken­stein – zunächst ohne den Namen der Autorin. Doch schnell wird auf­ge­deckt, wer sich hin­ter dem Werk ver­birgt. Den­noch schrei­ben vie­le Zeit­ge­nos­sen gro­ße Tei­le der Erzäh­lung nicht ihr allein zu, son­dern auch ihrem Ehe­mann (sie und Per­cy hei­ra­ten nach sei­ner Schei­dung) sowie ihrem Vater, der selbst ein erfolg­rei­cher Roman­au­tor war, obgleich sei­ne Wer­ke in Ver­ges­sen­heit gera­ten sind. Die inter­tex­tu­el­len Refe­ren­zen sei­en zu zahl­reich, der phi­lo­so­phisch-wis­sen­schaft­li­che Gehalt zu anspruchs­voll für eine jun­ge Frau, so die gän­gi­ge Mei­nung. Fran­ken­stein macht Mary Shel­ley berühmt: Der Roman wird gele­sen, der Stoff bereits damals für die Büh­ne adap­tiert. Den Erfolg ihres Debüt­ro­mans wird sie nie über­tref­fen kön­nen, doch nach dem frü­hen Tod ihres Man­nes – er ertrinkt mit nur 29 Jah­ren – lebt sie bis zu ihrem eige­nen Tod vom Schreiben.

Fran­ken­stein wird bereits kurz nach der Erst­ver­öf­fent­li­chung über­setzt. Ver­mut­lich exis­tier­te bereits im 19. Jahr­hun­dert eine anony­me deutsch­spra­chi­ge Über­set­zung. Die wohl ältes­te bekann­te Über­tra­gung stammt von Heinz Widt­mann aus dem Jahr 1908. Die­se Über­set­zung ist frei ver­füg­bar, wird ande­rer­seits auch immer noch von Ver­la­gen, dar­un­ter aktu­ell S. Fischer, gedruckt. Seit die­ser Über­set­zung wur­de Fran­ken­stein min­des­tens wei­te­re neun­mal über­setzt, was den Fran­ken­stein-Kult des 20. Jahr­hun­derts ein­drück­lich veranschaulicht.

Berück­sich­tigt wer­den in die­sem Arti­kel ledig­lich Über­set­zun­gen, die noch ver­füg­bar sind – also in loka­len Buch­hand­lun­gen vor­rä­tig oder zumin­dest bestell­bar. Dazu zählt die Über­set­zung von Fried­rich Pola­ko­vics, die ursprüng­lich 1970 bei Han­ser erschien und noch immer von Ana­con­da ver­legt wird. Eine wei­te­re Über­set­zung stammt aus dem Jahr 1968 von Karl Bru­no Leder und Gert Leetz und ist aktu­ell als Insel-Taschen­buch erhält­lich. Zudem ist die Über­tra­gung von Chris­ti­an und Ursu­la Gra­we ver­füg­bar, die 1986 erst­mals bei Reclam erschien. Die jüngs­te, mitt­ler­wei­le jedoch auch schon zwan­zig Jah­re alte Über­set­zung stammt von Alex­an­der Pech­mann aus dem Jahr 2006. Sie erschien damals im Pat­mos Ver­lag und wur­de 2017 erneut von Manes­se ver­legt. Der­zeit ist die Über­set­zung als Pen­gu­in Edi­ti­on erhältlich.

Ein Ent­schei­dungs­kri­te­ri­um für oder gegen eine die­ser Über­set­zun­gen könn­te die Fra­ge sein, auf wel­cher Fas­sung sie basiert. Fran­ken­stein ist im eng­li­schen Ori­gi­nal sowohl in der Urfas­sung von 1818 als auch in der von Mary Shel­ley selbst über­ar­bei­te­ten Ver­si­on von 1831 erhält­lich. Letz­te­re ist etwas wei­ter ver­brei­tet, doch selbst in der eng­lisch­spra­chi­gen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft herrscht Unei­nig­keit dar­über, wel­che der bei­den Fas­sun­gen die bes­se­re ist. Es erscheint ein­leuch­tend, dass Mary Shel­ley ihr wohl wich­tigs­tes Werk, das sie blut­jung ver­fasst hat, rück­bli­ckend Anpas­sun­gen unter­wirft. Dass es sich dabei aber ledig­lich um „sti­lis­ti­sche“ Ände­run­gen hand­le, wie die Autorin im Vor­wort erläu­tert, wur­de bekann­ter­ma­ßen als Far­ce enttarnt. 

Die inhalt­li­chen Ergän­zun­gen in der Ver­si­on von 1831 umfas­sen meh­re­re län­ge­re Pas­sa­gen, die vor allem im ers­ten Teil des Buchs zu tra­gen kom­men und Fran­ken­steins Figur mehr Tie­fe geben sol­len, ihn aber gleich­zei­tig auch stär­ker der Ver­ant­wor­tung gegen­über sei­ner Schöp­fung ent­he­ben. Ver­fech­ter der Urfas­sung argu­men­tie­ren, dass Mary Shel­ley mit ihren Ände­run­gen auf den Druck kon­ser­va­ti­ver Stim­men ein­ge­gan­gen sei. Bei­spiels­wei­se wur­de rück­wir­kend Fran­ken­steins Cou­si­ne Eli­sa­beth, mit der er auf­wächst und die er spä­ter hei­ra­tet, zu einem Fin­del­kind gemacht.

Alex­an­der Pech­manns Über­set­zung ist die ein­zi­ge, die auf der Urfas­sung beruht und im Anhang auf die geän­der­ten Pas­sa­gen ver­weist. Die Urfas­sung lag bis dato nicht auf Deutsch vor, was sicher­lich einen dank­ba­ren Anlass für eine Neu­über­set­zung bot. Alle ande­ren Über­set­zun­gen fol­gen der Ver­si­on von 1831, was nicht per se ver­kehrt ist, da es sich schlicht um eine von der Autorin auto­ri­sier­te Über­ar­bei­tung han­delt. Den­noch dürf­te jedoch jede Fran­ken­stein-Lek­tü­re von einem Anmer­kungs­ap­pa­rat pro­fi­tie­ren, der dar­über Auf­schluss gibt.

Fran­ken­stein ist nur schwer einem bestimm­ten Gen­re zuzu­ord­nen, und womög­lich ist es auch müh­sam, den Roman in arbi­trä­re Kate­go­rien zu pres­sen. Er ent­hält Ele­men­te des Schau­er­ro­mans, gilt als Vor­rei­ter des moder­nen Sci­ence-Fic­tion-Romans und steht auch in der Tra­di­ti­on der Roman­tik­be­we­gung des frü­hen 19. Jahr­hun­derts. Sprach­lich erin­nert er mit­un­ter an Goe­thes Wert­her, eines der Bücher (zusam­men mit Mil­tons ein­fluss­rei­chem Para­di­se Lost), die das Geschöpf selbst im Roman liest. Der Pathos­ge­halt ist mit­un­ter hoch, die Spra­che stets recht emo­tio­nal. Es wird geweint, geklagt, geflucht – was jedoch nicht unpas­send ist, geht es doch nun mal die Fra­ge, wer wie leben darf.

Gleich­zei­tig ist die Aus­drucks­wei­se der Figu­ren stets geho­ben und elo­quent, zuwei­len auch etwas geküns­telt. Womög­lich sorgt dies dafür, dass Mary Shel­leys Stil die Gemü­ter noch immer etwas spal­tet. „Zu vol­ler Grö­ße in den Anna­len der Welt­li­te­ra­tur fehlt Mary Shel­leys Fran­ken­stein aller­dings die sprach­li­che Ori­gi­na­li­tät und Aus­drucks­kraft“, urteilt bei­spiels­wei­se der Über­set­zer Chris­ti­an Gra­we in sei­nem Nach­wort – ein selt­sa­mes Urteil, ist doch der Klas­si­ker­sta­tus heu­te unum­strit­ten. Aber wie wir gleich sehen wer­den, inter­pre­tiert jeder Über­set­zer das Werk und sei­ne sprach­li­che Aus­drucks­kraft eben ein wenig anders.

Heinz Widt­manns Über­set­zung ist über 100 Jah­re alt und ein gutes Bei­spiel dafür, dass eine alte Über­set­zung nicht auto­ma­tisch alt­mo­disch wir­ken muss. Tat­säch­lich ist die Über­tra­gung von Fried­rich Pola­ko­vics deut­lich alt­ba­cke­ner und geschwol­le­ner als Widt­manns leicht­fü­ßi­ger Stil. Der Über­set­zer hat ein Flair für Atmo­sphä­re und Span­nungs­auf­bau, von dem sein eman­zi­pier­ter Umgang mit dem Ori­gi­nal pro­fi­tiert. Zum Bei­spiel in der fol­gen­den Sze­ne: Als Fran­ken­stein die Arbeit an sei­ner Krea­tur been­det hat, befällt ihn ein Gefühl der Unbe­hag­lich­keit und Reue. Wie ein Kind flüch­tet er in sein Bett, nur um dort nach einem Alb­traum freud­schen Aus­ma­ßes auf­zu­wa­chen und sei­ne Schöp­fung vor sich zu finden:

I star­ted from my sleep with hor­ror; a cold dew cover­ed my fore­head, my tee­th chat­te­red, and every limb beca­me con­vul­sed; when, by the dim and yel­low light of the moon, as it forced its way through the win­dow shut­ters, I beheld the wretch—the mise­ra­ble mons­ter whom I had crea­ted. (Mary Shel­ley, 1831) 

Ich fuhr ent­setzt auf; kal­ter Schweiß rann mir über die Stirn, mei­ne Zäh­ne klap­per­ten und mei­ne Glie­der zit­ter­ten. Und da – da stand im blei­chen, gelb­li­chen Lich­te des Mon­des, das durch die Fens­ter­vor­hän­ge drang, das Unge­heu­er, das ich geschaf­fen. (Heinz Widt­mann 1908). 

Zutiefst ent­setzt schrak ich aus mei­nem Schlum­mer – der kal­te Angst­schweiß brach mir aus der Stirn – der gan­ze Kör­per zog sich mir zusam­men – und zäh­ne­klap­pernd blick­te ich um mich: In dem schwa­chen, gelb­li­chen Mond­lich­te, wel­ches durch die Fens­ter­lä­den in die Kam­mer quoll, stand jenes erbärm­li­che Mons­trum vor mir – der fürch­ter­li­che Popanz, wel­chen ich erschaf­fen! (Fried­rich Pola­ko­vics, 1970) 

Ent­setzt schreck­te ich aus dem Schlaf auf, kal­ter Schweiß bedeck­te mei­ne Stirn, mei­ne Zäh­ne klap­per­ten, und mein gan­zer Kör­per hat­te sich ver­krampft. Da erblick­te ich im dämm­ri­gen, gel­ben Licht des Mon­des, das durch die Fens­ter­lä­den drang, den Teu­fel, das elen­de Mons­trum, das ich erschaf­fen hat­te. (Alex­an­der Pech­mann, 2006) 

Indem Widt­mann den Satz in sei­ner Über­set­zung mit „und da“ beginnt, eine Span­nungs­pau­se ein­fügt und eine Wort­wie­der­ho­lung ver­wen­det (ja, was ist denn nun „da“?), sichert er sich die Auf­merk­sam­keit sei­ner Lesen­den. Im direk­ten Ver­gleich schnei­det sei­ne Über­set­zung in punc­to Les­bar­keit gut ab: Wäh­rend Pola­ko­vics in sei­ner für ihn typi­schen Manier über­treibt, gerät Pech­manns Über­set­zung so zurück­hal­tend, dass man die Pas­sa­ge glatt über­le­sen könnte.

Zwei Pro­ble­me von Widt­manns Über­set­zung deu­tet die zitier­te Pas­sa­ge jedoch bereits an: Zum einen endet sein Satz wenig ele­gant, zum ande­ren führt die Ver­schie­bung des Gedan­ken­strichs auch zu einer Bedeu­tungs­ver­schie­bung. Wäh­rend im Ori­gi­nal der Gedan­ken­strich den Fokus dar­auf lenkt, dass Fran­ken­stein vor einem Mons­ter steht, das er selbst erschaf­fen hat, dient das Satz­zei­chen in Widt­manns Über­tra­gung pri­mär dem Spannungsbogen.

Ver­hee­ren­der wird es jedoch an einer ande­ren Stel­le im Buch, die Widt­manns feh­ler­haf­tes Ver­ständ­nis des Ori­gi­nals anschau­lich auf­deckt. Die Krea­tur ver­folgt ihren Schöp­fer Fran­ken­stein und berich­tet ihm unauf­ge­for­dert von ihren ver­stö­ren­den Erfah­run­gen mit den Men­schen. Das ers­te unge­woll­te, aber schick­sal­haft pas­sen­des Opfer des Geschöpfs ist Fran­ken­steins jün­ge­rer Bru­der, dem es im Wald begeg­net. Der Jun­ge for­dert es auf, ihn in Ruhe zu las­sen, und beschimpft die Krea­tur als „häßliche[n] Mann!“ und „greu­li­cher Mensch!“.

Im Ori­gi­nal ist an die­ser Stel­le von „ugly wretch“ und „hideous mons­ter!“ die Rede – Begrif­fe, die in ande­ren Über­set­zun­gen mit „Unge­heu­er“, „Scheu­sal“ oder „Unge­tüm“ wie­der­ge­ge­ben wer­den. Die Krea­tur als „Mensch“ zu bezeich­nen, greift das moder­ne Fran­ken­stein-Bild vor­weg, das das Mons­ter häu­fig als ent­stell­ten Men­schen dar­stellt – eine Inter­pre­ta­ti­on, die im Ori­gi­nal jedoch nur bedingt ange­legt ist. Die Krea­tur ähnelt zwar dem Men­schen, ist aber so ein­zig­ar­tig, dass sie von ihm – dar­un­ter auch von die­sem Jun­gen – nicht als Mensch erkannt und infol­ge­des­sen aus­ge­grenzt wird. Auf der Hand­lungs­ebe­ne bewirkt die­ser Aus­schluss, dass die Krea­tur von Fran­ken­stein ver­langt, eine Gefähr­tin zu erschaf­fen – was die­sen in eine mora­li­sche Zwick­müh­le bringt. Folg­lich ist es tref­fen­der, die Krea­tur bei­spiels­wei­se als „Unmensch“ zu bezeich­nen, wie es Karl Bru­no Leder und Gert Leetz in ihrer Über­set­zung tun.

Schlicht­weg falsch ist jedoch die Über­set­zung der fol­gen­den Passage: 

Can you won­der that such thoughts trans­por­ted me with rage? I only won­der that at that moment, ins­tead of ven­ting my sen­sa­ti­ons in excla­ma­ti­ons and ago­ny, I did not rush among man­kind and peri­sh in the attempt to des­troy them. (Mary Shel­ley, 1831) 

Brau­che ich dir zu sagen, daß die­ser Gedan­ke mei­nen Zorn von neu­em ansta­chel­te? Ich wun­de­re mich selbst, daß ich nicht, anstatt mei­nen Schmerz durch lau­tes Brül­len hin­aus­zu­schrei­en, mich auf die Mensch­heit stürz­te, um sie zu ver­nich­ten. (Heinz Widt­mann, 1908) 

Nimm’s dich noch wun­der, dass der­lei Erwäh­nun­gen mich mit Grimm erfüll­ten? Was mich wun­der nimmt, ist ein­zig der Umstand, dass ich in jenem Momen­te mei­nen Gefüh­len bloß in Aus­ru­fen der See­len­qual Luft mach­te, nicht aber mich sogleich auf die­se Mensch­heit stürz­te, um in dem Ver­su­che, sie mit Stumpf und Stiel aus­zu­rot­ten, mei­nen Unter­gang zu fin­den! (Fried­rich Pola­ko­vics, 1970) 

Wun­derst du dich dar­über, dass sol­che Gedan­ken mich zu Wut­aus­brü­chen hin­ris­sen? Ich wun­de­re mich nur, dass ich mich in dem Augen­blick nicht, anstatt mei­ne Emp­fin­dun­gen im lau­ten Aus­druck mei­ner See­len­qua­len abzu­re­agie­ren, unter die Mensch­heit stürz­te und bei dem Ver­such, sie zu ver­nich­ten, umkam. (Chris­ti­an und Ursu­la Gra­we, 1986) 

Widt­mann unter­schlägt die Bedeu­tung von „peri­sh“, das so viel wie „umkom­men“ bedeu­tet. Die­ses Wort ver­leiht der Aus­sa­ge von Fran­ken­steins Mons­ter eine melan­cho­li­sche Note. Sein Bedürf­nis nach Rache ent­springt der Ableh­nung, die es durch die Men­schen erfah­ren hat, doch sie zu ver­nich­ten bedeu­tet zugleich sei­nen eige­nen Unter­gang. Mit die­sem Satz nimmt die Krea­tur, die Fran­ken­steins Leben Schritt für Schritt zer­stört, gewis­ser­ma­ßen ihr eige­nes Ende vor­weg. Dass die­ses Wort in Widt­manns Über­set­zung fehlt, ver­än­dert den gesam­ten Absatz. Auch in der Fischer-Aus­ga­be ist die­ser Feh­ler – neben wei­te­ren – zu fin­den. Soll­te die­se Über­set­zung also wei­ter­hin ver­legt wer­den, wäre eine Über­ar­bei­tung wünschenswert.

Wäh­rend über den Über­set­zer Heinz Widt­mann so gut wie nichts bekannt ist, las­sen sich zu Fried­rich Pola­ko­vics zumin­dest eini­ge Infor­ma­tio­nen fin­den. Er war ein öster­rei­chi­scher Schrift­stel­ler, der zeit­le­bens Wer­ke von Ian Fle­ming, Oscar Wil­de und Rudyard Kipling über­setz­te. Erstaun­lich ist, dass sei­ne Ver­si­on von 1970 nicht nur älter wirkt als die ältes­te deutsch­spra­chi­ge Über­set­zung, son­dern auch deut­lich schwüls­ti­ger. Sei­ne Spra­che ist der­art auf­ge­bla­sen, über­trie­ben pathe­tisch und künst­lich, dass man beim Lesen ent­we­der unwei­ger­lich lachen muss – oder sich weni­ger vor dem Inhalt als viel­mehr vor der dra­ma­ti­schen Aus­drucks­stär­ke des Über­set­zers gruselt.

Ansät­ze davon zei­gen sich bereits in der zitier­ten Pas­sa­ge. Nimm’s dich noch wun­der“ mag man noch als öster­rei­chi­schen Dia­lekt ver­bu­chen, doch schon For­mu­lie­run­gen wie mit Stumpf und Stiel aus­zu­rot­ten“ für des­troy zei­gen die Frei­hei­ten, die sich der Über­set­zer genom­men hat. Über­trei­bun­gen und Über­spit­zun­gen fin­den sich an zahl­rei­chen Stel­len: Aus „bright visi­ons of exten­si­ve useful­ness“ wer­den „strah­len­de Visio­nen spä­te­ren, segens­rei­chen Wir­kens“, aus „incle­men­cy of the wea­ther“ ein „unge­nä­di­ger Wet­ter­gott“, aus „student’s thirst for know­ledge“ die „Wiss­be­gier eines Stu­dio­sus“. Doch nicht nur in ein­zel­nen Phra­sen steckt immer ein Hauch zu viel – auch gan­ze Sät­ze oder Absät­ze sind in Pola­ko­vics’ Über­set­zung oft dop­pelt so lang wie in ande­ren Fas­sun­gen. Ein Beispiel:

The dif­fe­rent acci­dents of life are not so chan­geable as the fee­lings of human natu­re. (Mary Shel­ley, 1831) 

Wie wan­del­bar ist doch das Men­schen­herz! Nicht ein­mal die Wech­sel­fäl­le des Lebens rei­chen an sei­ne Wider­sprüch­lich­keit her­an! (Fried­rich Pola­ko­vics, 1970) 

Die Zufäl­le des Lebens sind nicht so wech­sel­haft wie die Emp­fin­dung der mensch­li­chen Natur. (Karl Bru­no Leder und Gert Leetz, 1968) 

Die ver­schie­de­nen Zufäl­le des Lebens sind nicht so wech­sel­haft wie mensch­li­che Gefüh­le. (Alex­an­der Pech­mann, 2006) 

Der zitier­te Satz stammt aus einem Abschnitt, in dem Fran­ken­stein sei­nem treu­en Zuhö­rer Walt­on – dem Kapi­tän eines Schif­fes gen Nord­pol, das Fran­ken­stein auf­nimmt – von der Ent­ste­hung der Krea­tur und sei­nen Emp­fin­dun­gen bei deren Anblick berich­tet. Was in ande­ren Fas­sun­gen als nüch­ter­ne, retro­spek­ti­ve, aber doch phi­lo­so­phi­sche Fest­stel­lung inten­diert ist, wird bei Pola­ko­vics zu einer Rei­he empha­ti­scher Aus­ru­fe, die offen­bar Fran­ken­steins Ver­zweif­lung und ins­ge­samt fra­gi­len Gemüts­zu­stand beto­nen sol­len. Ver­stärkt wird dies durch Pola­ko­vics’ bedau­erns­wer­tem Hang zu Aus­ru­fe­zei­chen an Stel­len, an denen kei­ne vor­ge­se­hen sind. 

Bereits sei­ne Über­set­zung der ein­lei­ten­den Sät­ze lässt ver­mu­ten, dass er sich eher als Über­set­zer eines dra­ma­ti­schen Mono­logs versteht:

How can I descri­be my emo­ti­ons at this cata­stro­phe, or how delinea­te the wretch whom with such infi­ni­te pains and care I had endea­vou­red to form? (Mary Shel­ley, 1831) 

Wie fan­ge ich’s an, Euch die Emp­fin­dung zu beschrei­ben, wel­che mich in dem schick­sal­haf­ten Augen­bli­cke durch­beb­ten, da das Ver­häng­nis sei­nen Anfang nahm? Wie gebe ich euch ein treu­li­ches Abbild der Spott­ge­burt, wel­che ich mit unend­li­cher Mühe und Sorg­falt zu for­men ver­sucht? (Fried­rich Pola­ko­vics, 1970) 

Wie könn­te ich Ihnen beschrei­ben, was ich emp­fand, und das Unge­tüm schil­dern, das ich da mit so viel Mühe und Fleiß geschaf­fen? (Karl Bru­no Leder und Gert Leetz, 1968) 

Wie kann ich mei­ne Gefüh­le ange­sichts die­ser Kata­stro­phe schil­dern, wie den elen­den Teu­fel beschrei­ben, auf des­sen Erzeu­gung ich solch unend­li­che Mühe und Sorg­falt ver­wen­det hat­te? (Alex­an­der Pech­mann, 2006) 

Auch das Ori­gi­nal klingt – zumin­dest in der zwei­ten Hälf­te des Sat­zes – durch­aus etwas schwer­fäl­lig und alter­tüm­lich. Wie dar­aus jedoch Pola­ko­vics’ Über­set­zung ent­ste­hen konn­te, lässt sich wohl nur damit erklä­ren, dass an die­ser Stel­le sei­ne eige­nen dich­te­ri­schen Ambi­tio­nen die über­set­ze­ri­schen über­schat­tet haben. Die­se Her­an­ge­hens­wei­se hat in sei­ner Fran­ken­stein-Über­set­zung nicht nur einen befremd­li­chen Effekt, son­dern schlicht­weg auch einen ver­frem­den­den, der durch die hin und wie­der anzu­tref­fen­de öster­rei­chi­sche Mund­art ver­stärkt wird. Die Über­set­zung erreicht ihren komi­schen Höhe­punkt vor allem dann, wenn die Krea­tur Fran­ken­stein immer wie­der als „Erden­wurm“ (im Ori­gi­nal „man“) bezeichnet.

Zwei Jah­re vor Fried­rich Pola­ko­vics’ eigen­sin­ni­ger Über­tra­gung erschien die Fran­ken­stein-Über­set­zung von Karl Bru­no Leder und Gerd Leetz im Insel Ver­lag. Obwohl bei­de Über­set­zun­gen nahe­zu zeit­gleich ver­öf­fent­licht wur­den, schla­gen sie völ­lig unter­schied­li­che Wege ein. Dies unter­streicht ein­drucks­voll, dass nicht nur der Zeit­geist eine Rol­le spielt, son­dern auch die indi­vi­du­el­le Her­an­ge­hens­wei­se der Über­set­zen­den. Leder & Leetz wäh­len eine Stil­rich­tung, der auch ande­re moder­ne Über­set­zun­gen ver­fal­len. Im Ver­gleich wirkt ihre Ver­si­on – eben­so wie ande­re jün­ge­re Über­set­zun­gen – gera­de­zu ent­schlackt und sti­lis­tisch gestrafft, wie unter ande­rem das fol­gen­de Bei­spiel zeigt. Fran­ken­stein benennt die Ein­flüs­se sei­ner Jugend:

The rai­sing of ghosts or devils was a pro­mi­se libe­r­al­ly accor­ded by my favou­ri­te aut­hors, the ful­film­ent of which I most eager­ly sought; and if my incan­ta­ti­ons were always unsuc­cessful, I attri­bu­ted the fail­ure rather to my own inex­pe­ri­ence and mista­ke than to a want of skill or fide­li­ty in my ins­truc­tors. And thus for a time I was occu­p­ied by explo­ded sys­tems, ming­ling, like an unadept, a thousand con­tra­dic­to­ry theo­ries and floun­de­ring despera­te­ly in a very slough of mul­ti­fa­rious know­ledge, gui­ded by an ardent ima­gi­na­ti­on and chil­dish reaso­ning, till an acci­dent again chan­ged the cur­rent of my ide­as. (Mary Shel­ley, 1831) 

Das Beschwö­ren von Geis­tern oder Teu­feln war ein von mei­nen Lieb­lings­au­toren groß­zü­gig gege­be­nes Ver­spre­chen, des­sen Erfül­lung ich eif­rig anstreb­te, und wenn mei­ne Anru­fun­gen stets ohne Erfolg blie­ben, so schrieb ich das Miß­lin­gen eher mei­ner eige­nen Uner­fah­ren­heit und mei­nen Feh­lern zu als einen Man­gel an Glaub­wür­dig­keit bei mei­nen Leh­rern. Und so war ich die gan­ze Zeit mit über­hol­ten Theo­rien beschäf­tigt, brach­te wie ein Laie tau­send ein­an­der wider­spre­chen­de Sys­te­me durch­ein­an­der und müh­te mich ver­zwei­felt in einem wah­ren Sumpf der man­nig­fal­tigs­ten Wis­sen­schaf­ten ab, gelei­tet von wil­den Vor­stel­lun­gen und kin­di­schen Gedan­ken, bis ein unvor­her­ge­se­he­nes Ereig­nis mei­nem Lebens­lauf eine ande­re Rich­tung gab. (Karl Bru­no Leder und Gert Leetz, 1968) 

Die Her­auf­ru­fung von Geis­tern oder Teu­feln war der Gegen­stand mei­nes hei­ßes­ten Bemü­hens, denn der­glei­chen war mir von mei­nem Lieb­lings­au­toren aufs Frei­zü­gigs­te ver­hei­ßen wor­den. Und den bestän­di­gen Miss­erfolg mei­ner Beschwö­rung schrei­be ich nicht nur zu bereit­wil­lig der eige­nen Uner­fah­ren­heit, den eige­nen Feh­lern zu, ohne jemals mei­nen Lehr­meis­tern man­geln­des Geschick oder gar Unglaub­wür­dig­keit vor­zu­wer­fen. So war ich eine Zeit lang völ­lig in Anspruch genom­men von aller­lei längst ver­worf­nen Denk­sys­te­men, ver­meng­te als ein ver­kehr­ter Adapt ein gan­zes Tau­send wider­sprüch­li­cher Theo­rien und müh­te mich ver­zwei­felt, in einem veri­ta­blen Sumpf aus Frag­men­ten der man­nig­fal­tigs­ten Wis­sens­ge­bie­te vor­an­zu­kom­men, geführt von der bren­nen­den Ein­bil­dungs­kraft einer kin­di­schen Ver­nunft – bis ein wei­te­rer Vor­fall mein Den­ken aber­mals in neue Bahn lenk­te. (Fried­rich Pola­ko­vics, 1970) 

Das Ver­spre­chen, Geis­ter und Teu­fel erwe­cken zu kön­nen, wur­de von mei­nen Lieb­lings­au­toren groß­zü­gig gege­ben und sei­ne Erfül­lung aufs sehn­lichs­te von mir gewünscht; und wenn mei­ne Beschwö­run­gen immer erfolg­los blie­ben, so schrieb ich mein Schei­tern eher mei­ner eige­nen Uner­fah­ren­heit und mei­nen Feh­lern zu als einem Man­gel an Geschick oder Glaub­wür­dig­keit auf­sei­ten mei­ner Leh­rer. Und so war ich eine Zeit­lang mit längst über­hol­ten Sys­te­men beschäf­tigt, ver­meng­te wie ein ahnungs­lo­ser Laie eine Unzahl sich wider­spre­chen­der Theo­rien und blieb ver­zwei­felt in einem wah­ren Sumpf von allem mög­li­chen Wis­sen ste­cken, wobei ich nur von blü­hen­der Phan­ta­sie und kin­di­schem Ver­ständ­nis gelei­tet wur­de, bis ein Vor­fall die Rich­tung mei­ner Gedan­ken von neu­em änder­te. (Chris­ti­an und Ursu­la Gra­we, 1986) 

Das Her­auf­be­schwö­ren von Geis­tern und Dämo­nen galt mei­nen Lieb­lings­au­toren durch­weg als viel­ver­spre­chend, sodass ich selbst eif­rig Ver­su­che auf die­sem Gebiet anstell­te. Und den ste­ten Miss­erfolg mei­ner Beschwö­run­gen schrieb ich eher mei­ner eige­nen Uner­fah­ren­heit und mei­nen Feh­lern zu als der man­geln­den Fach­kennt­nis oder Genau­ig­keit mei­ner Lehr­meis­ter. (Alex­an­der Pech­mann, 2006) 

An die­ser und vie­len wei­te­ren Stel­len wird sicht­bar, dass Shel­leys Ori­gi­nal nicht so leicht zu bezwin­gen ist. Einer­seits auf seman­ti­scher Ebe­ne – was bedeu­ten „explo­ded Sys­tems“ oder „a slough of mul­ti­fa­rious know­ledge“ (eine Anspie­lung auf The Pilgrim’s Pro­gress)? Ande­rer­seits stellt auch der Satz­bau mit sei­nen Ver­ket­tun­gen und Ein­schü­ben eine Her­aus­for­de­rung dar: Er trägt zwar zum ela­bo­rier­ten Stil der Autorin bei, birgt jedoch eben­falls Stol­per­fal­len. Die Unter­schie­de zwi­schen der Über­set­zung von Leder & Leetz und der von Pola­ko­vics dürf­ten für Leser:innen auf den ers­ten Blick erkenn­bar sein, wäh­rend die Abwei­chun­gen bei­spiel­wei­se zwi­schen der Über­set­zung von Leder & Leetz und der von den Gra­wes deut­lich sub­ti­ler – aber den­noch nach­voll­zieh­bar – sind.

So wer­den bei Leder & Leetz den Theo­rien und Sys­te­men zum Bei­spiel jeweils ande­re Adjek­ti­ve zuge­ord­net, was den Sinn leicht ver­schiebt. Und aus „ardent phan­ta­sies“ wird bei ihnen „wil­de Vor­stel­lun­gen“, wäh­rend die Gra­wes mit „blü­hen­der Phan­ta­sie“ eine Über­set­zung wäh­len, die im Kon­text von „kin­di­schem Ver­ständ­nis“ etwas pas­sen­der erscheint. Zudem über­set­zen Leder & Leetz „cur­rent of my ide­as“ mit „Lebens­lauf“ – ein Begriff, der ande­re Asso­zia­tio­nen weckt und den Kern nicht ganz trifft, da hier doch die „Gedan­ken“ der ent­schei­den­de Aspekt sind. Den­noch wer­den sol­che Aus­le­gun­gen oder Abwei­chun­gen tat­säch­lich nur im direk­ten Ver­gleich mit dem Ori­gi­nal und ande­ren Über­set­zun­gen deut­lich. Wer die Über­set­zung für sich liest, dürf­te ins­ge­samt wenig zu bean­stan­den haben.

Im zitier­ten Bei­spiel wer­den auch die Unter­schie­de zwi­schen den Über­set­zun­gen, die auf der Fas­sung von 1831 basie­ren, und der Über­set­zung von Alex­an­der Pech­mann, die sich an der Urfas­sung von 1818 ori­en­tiert, deut­lich. Shel­ley hat die Pas­sa­ge im Ori­gi­nal ver­dich­tet und mit zusätz­li­chen Details ange­rei­chert. In der Urfas­sung ist weder von sich wider­spre­chen­den Theo­rien noch von ver­al­te­ten Sys­te­men die Rede. Die­ser Zusatz soll die Ein­flüs­se auf Fran­ken­stein stär­ker her­aus­ar­bei­ten und somit sei­ne Ent­wick­lung plau­si­bler machen. Gleich­zei­tig wirkt die über­ar­bei­te­te Fas­sung an man­chen Stel­len jedoch auch belehrender:

I do not know that the rela­ti­on of my mis­for­tu­nes will be useful to you, yet, if you are incli­ned, lis­ten to my tale. I belie­ve that the stran­ge inci­dents con­nec­ted with it will afford a view of natu­re, which may enlar­ge your facul­ties and under­stan­ding. (Mary Shel­ley, 1818) 

I do not know that the rela­ti­on of my dis­as­ters will be useful to you; yet, when I reflect that you are pur­suing the same cour­se, expo­sing yours­elf to the same dan­gers which have ren­de­red me what I am, I ima­gi­ne that you may dedu­ce an apt moral from my tale, one that may direct you if you suc­ceed in your under­ta­king and con­so­le you in case of fail­ure. (Mary Shel­ley, 1831) 

Ich weiß nicht, ob der Bericht mei­ner Miss­ge­schi­cke Ihnen nütz­lich sein wird, aber wenn Sie mögen, lau­schen Sie mei­ner Geschich­te. Ich glau­be, die merk­wür­di­gen Ereig­nis­se, die damit ver­bun­den sind, wer­den Ihnen eine Sicht­wei­se der Natur ver­mit­teln, die Ihren Ver­stand und Ihr Wis­sen erwei­tern könn­te. (Alex­an­der Pech­mann, 2006) 

Ich weiß nicht, ob die Erzäh­lung mei­ner Miss­ge­schi­cke Ihnen von Nut­zen sein wird; doch wenn ich beden­ke, dass Sie den­sel­ben Weg ver­fol­gen, sich den glei­chen Gefah­ren aus­set­zen, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin, dann kann ich mir vor­stel­len, dass Sie die rich­ti­gen Leh­ren aus mei­ner Geschich­te zie­hen, Leh­ren, die Ihnen den Weg zei­gen, wenn Sie mit Ihrem Unter­neh­men Erfolg haben, und Sie trös­ten, wenn Sie schei­tern. (Chris­ti­an und Ursu­la Gra­we, 1986) 

Von einer „Leh­re“, also einer „apt moral“, die aus dem Roman gezo­gen wer­den soll, ist in Pech­manns Über­set­zung nicht die Rede. Zwar sug­ge­riert auch die Urfas­sung, dass die Lesen­den Erkennt­nis­se aus der Erzäh­lung gewin­nen könn­ten, doch die über­ar­bei­te­te Ver­si­on schlägt einen deut­lich war­nen­de­ren Ton­fall an. Wäh­rend in der einen Vari­an­te die „merk­wür­di­gen Ereig­nis­se“ im Vor­der­grund ste­hen, sind es in der ande­ren die „Gefah­ren“. In der Über­set­zung der Gra­wes wird die­ser Effekt noch ver­stärkt: Durch die Wie­der­ho­lung des Wor­tes „Leh­ren“, das ein­ge­fügt wur­de, um den letz­ten Teil des Sat­zes zu struk­tu­rie­ren, wird die­ser Aspekt der Lek­tü­re beson­ders betont.

Alex­an­der Pech­mann hat neben Fran­ken­stein auch ande­re Erzäh­lun­gen von Mary Shel­ley sowie eini­ge Wer­ke von Her­man Mel­ville und Mark Twa­in über­setzt. Sei­ne Fas­sung von Fran­ken­stein zeich­net sich durch die sorg­fäl­ti­ge Auf­be­rei­tung der Urfas­sung und den dazu­ge­hö­ri­gen Anmer­kun­gen aus. Sie ist stil­si­cher, wenn auch im Ver­gleich zurück­hal­tend, ohne dabei den Ori­gi­nal­text zu ent­stel­len. An man­chen Stel­len kommt man nicht umhin, sich ein biss­chen mehr Ver­ve zu wün­schen. Gera­de die älte­ren Über­set­zun­gen zeich­nen sich in eini­gen Pas­sa­gen durch eine gewis­se Kraft aus und scheu­en sich nicht vor sen­ti­men­ta­len Formulierungen. 

Einer der berühm­tes­ten Sät­ze aus Fran­ken­stein soll an die­ser Stel­le noch ein­mal die Eigen­hei­ten der unter­schied­li­chen Über­set­zun­gen unter­strei­chen. Die von den Men­schen ver­sto­ße­ne Krea­tur, von Ein­sam­keit gequält, for­dert von Fran­ken­stein, ihr ein weib­li­ches Eben­bild zu erschaf­fen. Zunächst will Fran­ken­stein die­sem Gesuch nach­kom­men, doch kurz vor der Voll­endung zer­stört er die weib­li­che Ver­si­on. Dar­auf­hin ben­nent die Krea­tur, die genau­en Umstän­de ihres Racheakts:

It is well. I go; but remem­ber, I shall be with you on your wed­ding-night. (Mary Shel­ley, 1831) 

Nun gut; ich gehe. Aber ver­las­se dich dar­auf: in dei­ner Braut­nacht wer­de ich bei dir sein. (Heinz Widt­mann, 1908) 

Nun gut, ich wer­de gehen, aber denk dar­an: Ich wer­de dich in dei­ner Hoch­zeits­nacht heim­su­chen! (Karl Bru­no Leder und Gert Leetz, 1968) 

Nun gut, so sei es denn! Ich gehe jetzt! Allein, sei des­sen ein­ge­denk: Ich wer­de dich besu­chen in dei­ner Hoch­zeits­nacht! (Fried­rich Pola­ko­vics, 1970) 

Wie du willst. Ich gehe, aber ver­giss nicht, ich wer­de in dei­ner Hoch­zeits­nacht bei dir sein. (Chris­ti­an und Ursu­la Gra­we, 1986) 

Nun gut. Ich gehe. Aber denk dar­an: In dei­ner Hoch­zeits­nacht wer­de ich bei dir sein. (Alex­an­der Pech­mann, 2006) 

Das Spe­zi­al­ge­biet von Ursu­la und Chris­ti­an Gra­we sind eigent­lich die Aus­ten-Roma­ne. Das Nach­wort, in dem sich Chris­ti­an Gra­we etwas abfäl­lig über den Stil der Autorin äußert, deu­tet womög­lich an, dass Fran­ken­stein nicht ganz sei­nem Geschmack ent­sprach. Dies merkt man der Über­set­zung, die an man­chen Stel­len tref­fen­der als die von Leder & Leetz, aber weni­ger schlicht als die von Pech­mann ist, nicht an. Das „heim­su­chen“ mag auf den ers­ten Blick gru­se­li­ger klin­gen, da es an spu­ken­de Geis­ter erin­nert, doch weit­aus schau­ri­ger und ein­dring­li­cher ist die Vor­stel­lung, dass die Krea­tur bei ihm sein wird. Beson­ders selt­sam ist an die­ser Stel­le wie­der Pola­ko­vics’ „besu­chen“ – als wür­de die Krea­tur in der Hoch­zeits­nacht an Fran­ken­steins Tür klop­fen wollen.

Auch die Über­tra­gung des Satz­an­fangs ver­deut­licht die vie­len Unter­schie­de zwi­schen den Über­set­zun­gen. Wäh­rend Pola­ko­vics in für ihn typi­scher Manier eini­ge Aus­ru­fe hin­zu­dich­tet, inter­pre­tiert Widt­mann „remem­ber“ in eine ganz ande­re Rich­tung. „Ver­lass dich drauf“ nimmt die Hand­lung vor­weg, obwohl zumin­dest Fran­ken­stein nicht sicher ist, ob die Krea­tur ihrem Ver­spre­chen tat­säch­lich Fol­ge leis­ten wird. Pech­manns „denk dar­an“ klingt hin­ge­gen etwas sanf­ter als das war­nen­de, ein­dring­li­che „aber ver­giss nicht“ der Gra­wes, die mit ihrem „wie du willst“ zei­gen, dass sie sich Spiel­raum schaf­fen. Wäh­rend ande­re Über­set­zun­gen den Fokus mehr auf die Ambi­va­lenz der Bezie­hung zwi­schen den Figu­ren legen, wäh­rend die Gra­wes bewusst eine stär­ke­re Dif­fe­ren­zie­rung der Stim­mun­gen im Text einbringen. 

So weist jede die­ser Fran­ken­stein-Über­set­zun­gen ihre eige­nen Merk­ma­le auf, die sie mal mehr, mal weni­ger lesens­wert machen. Dies zeigt erneut, dass alle Über­set­zen­den eige­ne Schwer­punk­te set­zen, wodurch sich der Blick auf den Roman bei jeder Lek­tü­re einer neu­en Über­set­zung leicht – oder spür­bar – ver­än­dern kann. Für eine ers­te Lek­tü­re des Klas­si­kers sind die Über­set­zun­gen von Heinz Widt­mann und Fried­rich Pola­ko­vics wenig geeig­net. Letz­te­re könn­te vor allem dann von Inter­es­se sein, wenn man den Roman beson­ders gut kennt, soll­te jedoch mit einer gewis­sen Tole­ranz gele­sen wer­den, da es frag­lich ist, ob es sich um eine wirk­lich ernst­haf­te Über­set­zung han­delt. Die soli­de Über­tra­gung von Karl Bru­no Leder und Gert Leetz dürf­te im Regal ste­hen­blei­ben, wäh­rend die Über­set­zung der Gra­wes aller­dings sti­lis­tisch ins­ge­samt mehr bie­tet. Wer dar­über­hin­aus die gesam­te Ent­ste­hungs- und Rezep­ti­ons­ge­schich­te von Fran­ken­stein nach­voll­zie­hen möch­te, ist mit Pech­manns Über­set­zung am bes­ten ver­sorgt – zumin­dest bis die nächs­te Neu­über­set­zung (eine gro­ße Net­flix-Ver­fil­mung von Guil­ler­mo Del Toro ist für den Herbst geplant) erscheint.


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