
Für diesen Beitrag habe ich Norwegisch-Übersetzer:innen darum gebeten, einen kleinen Fragebogen auszufüllen, und auf diese Weise ihre Übersetzungen vorzustellen – die in den grauen Boxen genannten Übersetzer:innen sind somit die Autor:innen dieses Artikels. Dabei ist eine abwechlungsreiche Liste mit Büchern zusammengekommen, die im Rahmen des Gastlandauftritts Norwegens auf der Leipziger Buchmesse 2025 erscheinen. Hier ist für alle etwas dabei – viel Spaß beim Stöbern!
Worum geht’s? Helga, Tochter aus gutem Hause, verdingt sich aufgrund einer Wette als Hausmädchen und lernt auf diese Weise ganz andere Lebensumstände sowie einen feschen Chauffeur kennen.
Übersetzerische Lieblingselemente: Zeitkolorit der 20er Jahre, in denen dieses mehrfach verfilmte, aber heute fast vergessene Buch angesiedelt ist, samt dem entsprechenden Vokabular aus der Küche.
Das Buch in drei Worten: Norwegens Irmgard Keun
Sigrid Boo / Gabriele Haefs: Dienstmädchen für ein Jahr (Vi som går kjøkkenveien), 2025, Rowohlt Verlag, 272 Seiten, 25 Euro.
Worum geht’s? 1914: Jeden Sommer werden die Brüder Arnstein (12) und Truls (9) in die Wälder bei Oslo geschickt, weil sie lernen sollen, von der Natur zu leben. Für die Jungen ist dies ein grandioses, teils auch brutales Abenteuer. Sie sind die „Fürsten der Nordmarka“. 1985: Filip, angehender Künstler, wächst im selben Haus auf und will wissen, weshalb Großvaters und Onkel Truls’ Familien einen makabren Kleinkrieg gegeneinander führen. Er entlockt dem sterbenden Arnstein eine tragische Geschichte.
Übersetzerische Lieblingselemente: Die kunstvolle, aber nie verwirrende Verflechtung der beiden Erzählebenen, die bildhafte Sprache (lange kamen die alten, analogen Wörterbücher nicht mehr so häufig zum Einsatz), das „Huck-Finn-Element“, die Schilderung meiner geliebten Nordmarka, die sich seitdem wenig verändert hat.
Das Buch in 3 Worten: tragikomisch, künstlerisch, sprachschöpferisch
Lars Elling / Frank Zuber: Die Prinzen vom Birkensee (Fyrstene av Finntjern), Penguin Verlag, Februar 2025, Roman, 336 Seiten, 24 Euro.
Worum geht’s? Wie immer ausschließlich autobiographisch schreibt Espedal – dem sein Schreiblehrer Jon Fosse eingeschärft hatte, über alles zu schreiben außer sich selbst – über Heranwachsen, Schule und Studium, Leselust und Schreiblust – und erotische Lust, natürlich.
Übersetzerische Lieblingselemente: Was Espedal schreibt, ist wie immer (beinahe) egal, denn sein Stil hat eine soghafte, oft dramatische Wirkung dank souverän komponierter Sätze, Abschnitte, Romanteile – und dank seiner immer mitschwingenden Selbstironie.
Das Buch in 3 Worten: Familiengeschichte, Zeitgeschichte, Mentalitätsgeschichte
Tomas Espedal / Hinrich Schmidt-Henkel: Lust (Lyst), Matthes&Seitz Berlin, 2025, Roman, 320 Seiten, 23,99 Euro.
Worum geht’s? Erika Fatland begibt sich auf Spurensuche in Portugals vergangenes Weltreich, hat dafür unzählige Länder bereist, Menschen verschiedenster Couleur getroffen und verbindet auf faszinierende Art das Damals und das Heute.
Übersetzerische Lieblingselemente: Erika Fatland besticht durch ihren einzigartigen Erzählstil, offen, wissbegierig, humorvoll und beweist zugleich einen unfassbaren Mut als Reiseschriftstellerin.
Das Buch in 3 Worten: überraschend, aufschlussreich, mitreißend
Erika Fatland / Daniela Stilzebach: Seefahrer (Sjøfareren), Insel, 2025, Sachbuch, 750 Seiten, 30 Euro.
Worum geht’s? Geir Gulliksen, der Meister des Unbequemen, seziert mit psychologischem Fingerspitzengefühl das Familiensystem einer norwegischen Kleinstadtfamilie über drei Generationen hinweg – ein vielschichtiger Roman über Herkunft, Klasse und die Suche nach einer männlichen Identität.
Übersetzerische Lieblingselemente: An meinen Lieblingsstellen des Romans wird der Erzähler zu einer Art Medium und lässt die Erinnerungen seiner Protagonisten in einem leisen, jedoch sehr eindringlichen Erzählton im Präsens durch sich hindurchfließen.
Das Buch in 3 Worten: episch, empathisch, schmerzhaft
Geir Gulliksen/ Andreas Donat: Oberes Tor, unteres Tor (Øvre port, nedre port), btb Taschenbuch, 2025, Roman, 416 Seiten, 15 Euro.
Worum geht’s? Der Nobelpreisträger zeigt sich in diesen Erzählungen aus der Frühzeit seines Schaffens als witziger Beobachter menschlicher Schwächen, wobei er mit spitzer Feder vor allem männliches Imponiergehabe schildert.
Übersetzerische Lieblingselemente: Hamsuns Liebe zu bereits zu seiner Zeit veralteten Ausdrücken, dazu die Notwendigkeit, da wir fünf Übersetzerinnen waren, eine einheitlich klingende Übersetzung zu schaffen.
Das Buch in drei Worten: witzig, ironisch, leidenschaftlich
Knut Hamsun / Maike Barth, Evelyn Dahlsrud, Dörte Giebel, Gabriele Haefs, Christel Hildebrandt: Eine ganz gewöhnliche Fliege und andere heitere Erzählungen (En flue av vanlig størrelse), Reclam Verlag, 2024, 190 Seiten, 20 Euro.
Worum geht’s?: Die ehemalige Bergsteigerin und neue Direktorin des Himmelfjell Hotel, Ingrid Berg, erwarten nach einer turbulenten, aber erfolgreichen Wintersaison neue Herausforderungen – beruflich wie privat.
Übersetzerische Lieblingselemente: Die Autorin schafft es auf wunderbare Weise, den Charme, die Besonderheiten und die Herausforderungen der norwegischen Natur mit den mitunter turbulenten Geschichten ihrer Protagonisten zu verbinden, und bietet dem Leser so auch die Möglichkeit, dem Alltag für ein paar Stunden zu entfliehen.
Das Buch in 3 Worten: charmant, naturnah, bezaubernd
Kjersti Herland Johnsen / Daniela Stilzebach: Sommer im Himmelfjell Hotel (Sommer på Himmelfjell Hotell), Atlantik, 2025, Unterhaltung, 400 Seiten, 18 Euro.
Worum geht’s? Eine Frau muss sich ihren verschütteten Erinnerungen stellen und erkennen, dass in ihrer Familie immer viel gelogen wurde und noch wird, und das vor allem auf Kosten des zum Sündenbock ausersehenen ältesten Kindes.
Übersetzerische Lieblingselemente: Ihr lebhafter Stil, die vielen Querverweise auf ihre anderen Bücher, und die Situationskomik, selbst dann, wenn es richtig düster und tragisch zugeht.
Das Buch in drei Worten: anklagend, ehrlich, schonungslos
Vigdis Hjorth / Gabriele Haefs: Wiederholung (Gjentakelse), S. Fischer Verlag, Roman, 160 Seiten, 22 Euro.
Worum geht’s? Helene Imislunds Prosadebüt ist ein Album alltäglicher Verstörung: Neun Kurzgeschichten über Menschen auf der Suche nach dem richtigen Leben, über die Mühe zwischenmenschlicher Beziehungen und die Einsamkeit.
Übersetzerische Lieblingselemente: Mindestens genauso spannend wie das, was gesagt wird, ist bei Helene Imislund das Ungesagte, die feinen Unter- und Zwischentöne, die Andeutungen und Vorausdeutungen, die vielsagenden Bilder und bei aller Tragik immer wieder auch der leise Humor.
Das Buch in 3 Worten: subtil, tiefgründig, pointiert
Helene Imislund / Nora Pröfrock: Aller Dinge Kern (Alle tings kjerne), Trottoir Noir, 2025, Kurzgeschichten, 144 Seiten, 22 Euro.
Worum geht’s? Kurz vor der Parlamentswahl herrscht in Oslo Terroralarm, und den beiden Ermittlern Liselott Benjamin und Martin Tong bleibt nicht viel Zeit, um die Katastrophe abzuwenden.
Übersetzerische Lieblingselemente: Im ersten Teil seiner neuen Trilogie fesselt Ingar Johnsrud mit einer politisch hochbrisanten und aktuellen Thematik, die sowohl spannend als auch erschreckend ist.
Das Buch in 3 Worten: fesselnd, erschreckend, aufrüttelnd
Ingar Johnsrud / Daniela Stilzebach: Echokammer (Patrioter), Droemer Knaur, 2025, Thriller, 448 Seiten, 16,99 Euro.
Worum geht’s? Eine neue Ermittlerin, die nicht unbedingt sympathisch ist, verirrt sich in die korrupten Machenschaften der norwegischen Ölindustrie und muss sich zugleich den Erinnerungen an ihren verstorbenen Bruder stellen.
Übersetzerische Lieblingselemente: Unni Lindell, Norwegens meistgelesene Krimiautorin, hat einen sehr eigenen Stil – abrupte Zeitenwechsel, Gedankensprünge, Personenwechsel, und alles muss am Ende so übersetzt sein, dass es nicht wie eine schusselige Übersetzung klingt.
Das Buch in drei Worten: Mord, Intrigen, Geschwisterrivalität
Unni Lindell / Gabriele Haefs: Snø – ohne jeden Zeugen (Nabovarsel), Saga Egmont, 2025, 450 Seiten, 14,99 Euro.
Worum geht’s? Vier Jungs, rastlos unterwegs in Oslos Straßen, geraten Tag für Tag, line für line tiefer in eine Welt des Rauschs, der Gewalt und der Kriminalität – doch die Liebe zueinander macht sie unbesiegbar; sie sind füreinander die Familie, die sie selbst nie hatten und beschützen sich gegenseitig vor einer schonungslosen Welt.
Übersetzerische Lieblingselemente: Lovrenskis Text liest sich wie ein 250-seitiger Rap; Rhythmus, Slang und Vokabular ihrer verschiedenen Herkunftssprachen dominieren Ivors, Marcos, Jonas’ und Arjans Trip durch Oslos Abgründe.
Das Buch in 3 Worten: fadhi ku dirir
Oliver Lovrenski / Karoline Hippe: bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann? (Da vi var yngre), Hanser Berlin, 2025, Roman, 256 Seiten, 22 Eruo.
Worum geht’s? Ein Mann gabelt am Bahnhof eine Frau auf, und in einer überaus alkoholisierten Nacht erzählt sie ihm die verzweifelte Geschichte einer Schülerin, die von ihrem Lehrer hemmungslos ausgenutzt wurde und doch nicht von ihm loskommt.
Übersetzerische Lieblingselemente: Sprunghafte Erzählweise, viele Wiederholungen, die doch keine sind, winzigkleine Bedeutungsverschiebungen und viel Zeit- und Lokalkolorit aus einer Zechensiedlung kurz nach 1920.
Das Buch in drei Worten: noch immer brandaktuell!
Torborg Nedreaas / Gabriele Haefs: Nichts wächst im Mondschein (Av måneskinn gror det ingenting), 2025, Luchterhand, 304 Seiten, 22 Euro.
Worum geht’s?: Mit schonungsloser Ehrlichkeit schreibt die großartige Hanne Ørstavik über nichts Geringeres als die Liebe selbst und hinterfragt toxische Beziehungsmuster in der Gegenwart der Erzählerin in Bezug auf die Lieblosigkeit und Gewalt einer als traumatisch erlebten Kindheit.
Übersetzerische Lieblingselemente?: Ich liebe das atemlose, unmittelbare Element an Hannes Schreiben, vor allem die Passagen über ihre Kindheit haben eine Intensität, der man sich nicht entziehen kann.
Das Buch in 3 Worten: introspektiv, atemberaubend, ehrlich
Hanne Ørstavik / Andreas Donat: bleib bei mir (bli hos meg), Karl Rauch Verlag, 2025, Roman, 208 Seiten, 25 Euro.
Worum geht’s? Maria Parr, die als Astrid Lindgren von heute bezeichnet wird, schildert in poetischer und gleichzeitig realistischer Sprache den Alltag der siebenjährigen Ida und ihres fünfjährigen Bruder Oskar und scheut sich nicht, Themen wie Angst, Tod und Konflikte in kindgerechter Form aufzugreifen, ohne dabei die Leichtigkeit und den Humor zu vergessen.
Übersetzerische Lieblingselemente: Die Dialoge der Kinder und die Gedankengänge der großen Schwester, die so treffend die Probleme und Überlegungen der Kinder aufzeichnen.
Das Buch in 3 Worten: berührend, poetisch, spannend
Maria Parr / Christel Hildebrandt: Himbeereis am Fluss (Oskar og eg. Alle plassane vi er), Dressler, 2024, Kinderbuch, 205 Seiten, 15 Eruo.
Worum geht’s? Protagonistin Britt bricht aus den patriarchalen Strukturen aus, in denen sie so lange gefangen war, lernt dabei sehr viel über sich selbst, ihr jüngeres Ich und andere Frauen in ihrem Leben, und sorgt mit ihrem wütenden Aufschrei für eine Zäsur in ihrer Familiengeschichte.
Übersetzerische Lieblingselemente: Wie in einer Liste angeordnet und voller Wut rantet Strømsborg, wie Mädchen und Frauen zu sein haben und hält damit der Gesellschaft den Spiegel vor.
Das Buch in 3 Worten: female rage, empowering
Linn Strømsborg / Karoline Hippe: Verdammt wütend (Faen Faen Faen), Dumont, 2024, Roman, 223 Seiten, 23 Euro.
Worum geht’s? Die Physikerin beschreibt sehr anschaulich und verständlich wie die Künstliche Intelligenz funktioniert, indem sie die Leserschaft, und gerade die Nicht-Fachleute, mitnimmt bis zu den Ursprüngen der Computer und Schritt für Schritt erklärt, wie es dazu gekommen ist, dass die KI heute so mächtig, allgegenwärtig, nützlich und auch gefährlich ist.
Übersetzerische Lieblingselemente? Die lockere Art, wie die Autorin hochkomplexe Verfahren und Systeme so erklärt und beschreibt, dass auch ein Laie sie gut versteht und Aufbau der KI und das Zusammenspiel verschiedener Interessen nachvollziehen kann.
Das Buch in 3 Worten: hochaktuell, aufschlussreich, verständlich
Inga Strümke / Christel Hildebrandt: Künstliche Intelligenz – Wie sie funktioniert und was sie für uns bedeutet (Maskiner som tenker), Rheinwerk Verlag, 2024, Sachbuch, 265 Seiten, 24,90 Euro.
Worum geht’s? Die Autorin reist auf den Spuren Dagny Juels von Kongsvinger in Norwegen über Berlin, Warschau und Krakau bis nach Tiflis, zeichnet dabei das Leben der Schriftstellerin und „Muse“ vieler Künstler und Ehefrau des polnischen Autors Przybyszewski nach bis hin zu ihrem tragischen Tod 1901 in der georgischen Hauptstadt.
Übersetzerische Lieblingselemente: Der Wechsel zwischen der Erforschung der historischen Person Dagny Juel und den heutigen Erlebnissen der Autorin auf ihrer Reise fordert eine Unterscheidung zwischen den Zeitebenen, wobei diese sich immer wieder ineinander verschränken.
Das Buch in 3 Worten: Zeitreise, feministische Sichtweise, tragisches Schicksal
Kristin Valla / Gabriele Haefs und Christel Hildebrandt: Die Schüsse von Tiflis – Auf den Spuren der Künstlerin Dagny Juel (Skuddene i Tbilisi – I fotsporene til bohemen Dagny Juel), Wallstein Verlag 2025, Roman, 256 Seiten, 24,00 Euro.
Worum geht’s? Eine erfolgreiche Autorin sucht einen Ort zum Schreiben, vergleicht ihre Situation mit der anderer schreibenden Frauen aus vielen Jahrhunderten und stellt fest, dass sie bei dem Versuch, das ideale „Zimmer für sich allein“ zu schaffen, gar nicht mehr zum Schreiben kommt.
Übersetzerische Lieblingselemente: Die vielen Zitate und Anspielungen auf andere Autorinnen, wie sie in den laufenden Text eingeflochten werden, und wie doch die laufende Handlung weitergebracht wird.
Das Buch in drei Worten: Kulturgeschichte, Ortsgebundenheit, Kreativität
Kristin Valla / Gabriele Haefs: Ein Raum zum Schreiben (Egne Steder), 2025, Mare Verlag, Betrachtungen, 272 Seiten, 24 Euro.
Worum geht’s? Der 15-jährige Hallstein, erstmals mit seiner etwas älteren Schwester Sissel für 24 Stunden ohne die Eltern allein zu Hause, wird durch eine Autopanne auf der nahen Landstraße und die Hilfe suchende Familie der Reisenden im Laufe einer Nacht mit der gesamten Bandbreite der menschlichen Existenz konfrontiert, buchstäblich von Geburt bis Tod, und natürlich einschließlich faszinierender, verwirrender Erotik.
Übersetzerische Lieblingselemente: Vesaas’ schlicht wirkender, in Wirklichkeit hoch entwickelter Personalstil, mit dem er Tiefes sagt, ohne tief zu schürfen.
Das Buch in 3 Worten: einfühlsam, stimmungsvoll, existentiell
Tarjei Vesaas / Hinrich Schmidt-Henkel: Frühlingsnacht (Vårnatt), Guggolz Verlag, Berlin 2025, Roman, 240 Seiten, 25,00 Euro.