
Vielleicht haben Sie schon mal von Light Novels gehört, zum Beispiel über die Petition, die eine bessere Bezahlung für Light-Novel-Übersetzende fordert. Oder in einer Verlagsvorschau oder einer Buchhandlung. Sie sollten sich den Begriff auf jeden Fall merken, denn die deutschen (Manga-)Verlage versuchen gerade verstärkt, ihr junges Publikum für diese Literaturgattung zu begeistern.
Was ist eine Light Novel? Grob gesagt: ein Unterhaltungsroman aus Japan. Dort ist es gang und gäbe, englische Begriffe zu kombinieren, um Produkte zu vermarkten. Pokémon ist zum Beispiel ursprünglich abgeleitet von „Pocket Monster“. Mit „Light Novel“ (bzw. japanisch ausgesprochen „raito noberu“ ライトノベル oder kurz „ranobe“) werden Romane bezeichnet, die sich vor allem an eine junge Zielgruppe richten und meist auf dem Cover sowie im Innenteil mit Illustrationen im Manga-Stil versehen sind. Das Wort „light“ bezieht sich vor allem auf die Art des Inhalts und weniger auf die Seitenzahl. Viele Light Novels weisen über 300 Seiten auf, sind also streng genommen ziemlich „heavy“. Light Novels erscheinen in Japan in der Regel im sogenannten „bunko“-Format, das ist in etwa DIN A5-Größe. Die Seiten sind sehr dünn und eng beschrieben. Die übersetzten deutschen Fassungen erscheinen hingegen im regulären Taschenbuchformat.
Nicht einmal in der japanischen Verlagswelt gibt es eine feste Definition, welche Kriterien ein Roman erfüllen muss, um „light“ zu sein. Stattdessen gilt grob: Was unter einem Light Novel-Imprint veröffentlicht wird, ist eine Light Novel. Bekannte Imprints sind zum Beispiel Cobalt bunko aus dem Verlag Shueisha oder Dengeki bunko aus dem Hause KADOKAWA / Ascii Media Works. Teilweise gehören zu den Labels auch (monatliche) Magazine, in denen einzelne Kapitel aus den Romanen des Labels vorabgedruckt werden. Ja, richtig: Japan hat (noch) eine florierende Literaturzeitschriftenszene! Auch in diesem Bereich wächst allerdings der Umsatz mit den ebook-Ausgaben.
Inzwischen spielt sich vieles sogar komplett im Netz ab. Bereits Anfang der 2000er Jahre boomten kurzzeitig „Handyromane“, geschrieben am und für das mobile Internet auf dem (Klapp-)Handy. Auf Webportalen wie Mahō no i‑rando 魔法のiらんど („Ich-Insel der Magie“) oder No-Ichigo 野いちご („Feld-Erdbeeren“) veröffentlichten schon damals Laienschriftsteller*innen ihre Geschichten in Episoden. Die beliebtesten Titel wurden als Printversion publiziert, sogar TV-Serien und Kinofilme wurden produziert. 2004 wurde dann die Plattform Shōsetsuka ni narō 小説家になろう („Lasst uns Roman-Autor*innen werden“) gegründet, auf der die User*innen ihre eigenen Texte hochladen und ihrem Publikum gratis zur Verfügung stellen. Die Seite schlug ein wie eine Bombe. Aktuell sind dort über eine Million Werke mit fast 17 Millionen Kapiteln verfügbar. Auf die Plattform geht unter anderem die Popularität des Genres „isekai” 異世界 („andere Welt“) zurück: Darin wird der (meist männliche) Protagonist nach seinem Tod in unserer Welt in einer anderen (Fantasy-)Welt wiedergeboren, in der Regel stärker, klüger und attraktiver als in seinem alten Leben. Ein bekannter Vertreter ist The Rising of the Shield Hero (A: Yusagi Aneko; Ü: Bernd Sambale).
Light Novels sind oft Teil größerer Cross-Media-Franchises, das heißt, dass erfolgreiche Titel in Manga (Comic)-, Anime (Zeichentrick)-, oder gar Videospiel-Form adaptiert werden. Die umgekehrte Richtung ist aber genauso möglich. Dies bietet sich an, da es sich bei Light Novels meist um langlaufende Serien handelt. Der japanische Verkaufszahlen-Spitzenreiter 2024 mit 1,3 Millionen verkauften Bänden, Die Tagebücher der Apothekerin – Geheimnisse am Kaiserhof von Natsu Hyuga (Ü: Ellen Marcius), umfasst im Original aktuell 15 Bände. Zudem verfügen Light Novels über eine große inhaltliche Bandbreite. Von Fantasy und Romanzen über Abenteuer bis hin zu „Slice of Life“-Titeln ohne viel Handlung ist praktisch alles zu haben. Auch Science Fiction, Krimis oder Schulgeschichten mit japanischem Setting sind im Angebot.
Der wirtschaftliche Erfolg gibt den Verlagen recht. Im Jahr 2022 wurden in Japan mit Light Novels in Printform Schätzungen zufolge rund 21 Milliarden Yen (ca. 130 Millionen Euro) umgesetzt. Hinzu kommen noch einmal ca. 6 Milliarden Yen (ca. 38 Millionen Euro) für Light-Novel-ebooks. Im deutschsprachigen Raum haben sich Light Novels nach anfänglichen Schwierigkeiten erst 2017 durch Tokyopops Veröffentlichung von Reki Kawaharas Sword Art Online (Ü: Verena Maser, Miryll Ihrens) etablieren können. Inzwischen hat sie praktisch jeder deutsche Manga-Verlag im Programm, und es gibt sogar Kleinverlage, die nur Light Novels publizieren. Im Buchladen findet man das Genre derzeit meistens in der Manga-Abteilung. Eine Platzierung neben Der Herr der Ringe und Co. ist für den Moment Wunschdenken.
Lighte Novel = leichte Übersetzung?
Wie bereits diskutiert, ist die Bezeichnung „light“ ziemlich irreführend, vor allem, wenn es um Übersetzungen dieses Genres geht. Light Novels sind alles andere als leicht zu übersetzen und genauso anspruchsvoll wie alle anderen Romane. Da wären zunächst die logistischen Probleme: Da Light Novels in der Regel Teil eines Cross-Media-Angebots sind, wäre es eigentlich wünschenswert, dass sämtliche Formate und Adaptionen von derselben Person übersetzt werden, vom ersten bis zum letzten Band. Allein aus Zeitgründen ist das aber meist nicht machbar. Das führt dazu, dass sich zwei (oder noch mehr) Personen ständig über Inhalte und Formulierungen austauschen müssen – jedenfalls wäre das wünschenswert, ist in der Realität aber oft nicht umsetzbar.
Der Zeitfaktor ist der Knackpunkt beim Light-Novel-Übersetzen: Idealerweise sollte ein halbes Jahr Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, um einen Band adäquat ins Deutsche zu übertragen. Die Fans brennen allerdings auf die Fortsetzung der Geschichte und wünschen sich daher einen Veröffentlichungsrhythmus, wie sie ihn von Manga gewohnt sind. Das heißt: alle zwei bis drei Monate ein neuer Band. In anderen Ländern löst man dieses Problem zum Beispiel durch Team-Übersetzungen oder durch kapitelweise Veröffentlichungen. Der reine Online-Verlag JNC Nina nutzt dieses Modell inzwischen auch auf dem deutschsprachigen Markt. Insgesamt muss jedoch konstatiert werden, dass die Erwartungshaltung des Publikums dazu führt, dass die Übersetzenden zeitlich überlastet sind. Darunter kann die Qualität leiden.
Das Übersetzen von Light Novels ist besonders deshalb zeitaufwändig, da im Original teilweise kein Lektorat stattgefunden hat – was dann beim Übersetzen nachgeholt werden muss. In Sachen Schreibstil weisen Light Novels einige spezifische Charakteristika auf. Es wird viel Wert auf die Mimik und Gestik der Figuren gelegt, auf das Visuelle. Oft kann man sich beim Lesen bereits gut vorstellen, wie eine Szene später in einer Manga-Adaption zeichnerisch umgesetzt werden könnte.
Außerdem sind Light Novels sehr dialoglastig. Sogar das Schweigen wird in Form von „…“ im Dialog eingebaut (ein Phänomen, das einem auch in „regulären“ japanischen Romanen begegnet). Gleichzeitig kommen die Dialogpassagen teilweise völlig ohne Inquit-Formeln aus, weil das Japanische mithilfe der sogenannten „Rollensprache“ („yakuwari-go“) unterschiedliche Sprecher*innen kennzeichnen kann (diese begegnet einem teils auch im Manga). Das kann zum Beispiel in Form besonderer Verben geschehen oder durch jeweils andere Formen des Pronomens „ich“: „atashi“ gilt zum Beispiel als stereotyp weiblich, „ore“ hingegen als stereotyp männlich. Im Deutschen muss bei der Übersetzung deswegen oft neuer Text hinzugefügt werden, um deutlich zu machen, wer gerade spricht.
Ein Beispiel aus Band 4 von The Saint’s Magic Power is Omnipotent (A: Yuka Tachibana; Ü: Laura Kaiser):
「次に向かう討伐では、MPポーションを多く用意する必要がありますね。魔道師も増えましたし」
「はい。材料が少し足りないのですが、なるべく高ランクのポーションを用意しようと思います」
「後は術の発動をもう少し早くできるように訓練しましょうか。見たところ、もっと早くできますよね?」
「……」
顎に手を添えた師団長様から、思わず視線を逸らす。
これ以上早くですか?
„Für unsere nächste Expedition werden wir eine große Menge an MP-Tränken benötigen. Schließlich hat auch die Zahl der Hofmagier zugenommen.“
„Das habe ich mir auch gedacht“, stimmte ich zu. „Die Zutaten sind zwar etwas knapp, aber ich wollte so viele hochrangige Tränke wie möglich zubereiten.“
„Außerdem würde ich gerne mit Euch den Einsatz der Kunst weiter üben.“ Der Ordensführer legte die Hand ans Kinn. „Ich habe den Eindruck, Ihr könntet sie noch schneller einsetzen, oder nicht?“
Unwillkürlich wandte ich den Blick ab.
Noch schneller?
Dieser typische Vertreter des Isekai-Genres mischt eine Fantasy-Welt („Hofmagier“) mit Videospiel-Sprache („MP-Trank“). Das Original kommt ohne Inquit-Formeln aus, diese wurden in der Übersetzung teils ergänzt. Die im Original fast am Ende stehende Gestik des Ordenführers wurde nach vorn gezogen, das durch „…“ markierte Schweigen gestrichen.
Ebenfalls ganz Manga-typisch werden in Light Novels Actionszenen durch passende Lautmalereien ergänzt. Für das japanischsprachige Publikum sind sie in der Regel sofort zuzuordnen, im Deutschen hingegen müssen sie in einen neuen beschreibenden Text umgemünzt werden. Weiterhin finden sich in Light Novels oft explizit verschriftlichte Schreie oder Keuchen, ob nun von Menschen oder Monstern. Ob diese ins Deutsche übernommen werden, richtet sich nach dem Gusto der Redaktion (auf den ersten Seiten von Band 1 von Sword Art Online finden wir zum Beispiel „Uaaah!“, „Haaa!“ und „UARGH!“). Daneben enthalten die Texte oft sehr viele Wiederholungen, sei es von einzelnen Begriffen oder ganzen inhaltlichen Zusammenhängen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Geschichte im Original kapitelweise erschienen ist und durch die Wiederholungen sichergestellt wird, dass alle Lesenden der Geschichte folgen können. In Buchform aber liest sich diese Häufung bestenfalls wie schlechter Stil (und wie bereits erwähnt: eine intensive Überarbeitung würde Zeit und damit Geld kosten).
Lighte Novel, lighte Bezahlung
Kurzum, Light Novels zu übersetzen ist anspruchsvoll und zeitaufwändig. Dieser Aufwand sollte entsprechend vergütet werden. Leider sieht die Realität meist anders aus. Größtenteils wird noch nicht einmal nach regulärer Börsenverein-Normseite abgerechnet, sondern nach von den Verlagen selbst definierter „Normseite“. Die Preise liegen weit unter denen, die für andere Unterhaltungsliteratur gezahlt werden. Bei den Verlagen scheint diese Realität immer noch nicht angekommen zu sein.