Light ist ziem­lich heavy

Light Novels sind ein boomendes Genre aus Japan - die Übersetzungen dieser Textsorte werden aber besonders schlecht bezahlt. Jetzt wehren sich die Übersetzer*innen. Von und

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Light Novels boomen. Hintergrundbild: Efe Kurnaz via Unsplash

Viel­leicht haben Sie schon mal von Light Novels gehört, zum Bei­spiel über die Peti­ti­on, die eine bes­se­re Bezah­lung für Light-Novel-Über­set­zen­de for­dert. Oder in einer Ver­lags­vor­schau oder einer Buch­hand­lung. Sie soll­ten sich den Begriff auf jeden Fall mer­ken, denn die deut­schen (Manga-)Verlage ver­su­chen gera­de ver­stärkt, ihr jun­ges Publi­kum für die­se Lite­ra­tur­gat­tung zu begeistern.

Was ist eine Light Novel? Grob gesagt: ein Unter­hal­tungs­ro­man aus Japan. Dort ist es gang und gäbe, eng­li­sche Begrif­fe zu kom­bi­nie­ren, um Pro­duk­te zu ver­mark­ten. Poké­mon ist zum Bei­spiel ursprüng­lich abge­lei­tet von „Pocket Mons­ter“. Mit „Light Novel“ (bzw. japa­nisch aus­ge­spro­chen „rai­to nobe­ru“ ライトノベル oder kurz „rano­be“) wer­den Roma­ne bezeich­net, die sich vor allem an eine jun­ge Ziel­grup­pe rich­ten und meist auf dem Cover sowie im Innen­teil mit Illus­tra­tio­nen im Man­ga-Stil ver­se­hen sind. Das Wort „light“ bezieht sich vor allem auf die Art des Inhalts und weni­ger auf die Sei­ten­zahl. Vie­le Light Novels wei­sen über 300 Sei­ten auf, sind also streng genom­men ziem­lich „hea­vy“. Light Novels erschei­nen in Japan in der Regel im soge­nann­ten „bunko“-Format, das ist in etwa DIN A5-Grö­ße. Die Sei­ten sind sehr dünn und eng beschrie­ben. Die über­setz­ten deut­schen Fas­sun­gen erschei­nen hin­ge­gen im regu­lä­ren Taschenbuchformat.

Nicht ein­mal in der japa­ni­schen Ver­lags­welt gibt es eine fes­te Defi­ni­ti­on, wel­che Kri­te­ri­en ein Roman erfül­len muss, um „light“ zu sein. Statt­des­sen gilt grob: Was unter einem Light Novel-Imprint ver­öf­fent­licht wird, ist eine Light Novel. Bekann­te Imprints sind zum Bei­spiel Cobalt bun­ko aus dem Ver­lag Shu­ei­sha oder Den­ge­ki bun­ko aus dem Hau­se KADOKAWA / Ascii Media Works. Teil­wei­se gehö­ren zu den Labels auch (monat­li­che) Maga­zi­ne, in denen ein­zel­ne Kapi­tel aus den Roma­nen des Labels vor­ab­ge­druckt wer­den. Ja, rich­tig: Japan hat (noch) eine flo­rie­ren­de Lite­ra­tur­zeit­schrif­ten­sze­ne! Auch in die­sem Bereich wächst aller­dings der Umsatz mit den ebook-Ausgaben.

Inzwi­schen spielt sich vie­les sogar kom­plett im Netz ab. Bereits Anfang der 2000er Jah­re boom­ten kurz­zei­tig „Han­dy­ro­ma­ne“, geschrie­ben am und für das mobi­le Inter­net auf dem (Klapp-)Handy. Auf Web­por­ta­len wie Mahō no i‑rando 魔法のiらんど („Ich-Insel der Magie“) oder No-Ichi­go 野いちご („Feld-Erd­bee­ren“) ver­öf­fent­lich­ten schon damals Laienschriftsteller*innen ihre Geschich­ten in Epi­so­den. Die belieb­tes­ten Titel wur­den als Print­ver­si­on publi­ziert, sogar TV-Seri­en und Kino­fil­me wur­den pro­du­ziert. 2004 wur­de dann die Platt­form Shō­setsuka ni narō 小説家になろう („Lasst uns Roman-Autor*innen wer­den“) gegrün­det, auf der die User*innen ihre eige­nen Tex­te hoch­la­den und ihrem Publi­kum gra­tis zur Ver­fü­gung stel­len. Die Sei­te schlug ein wie eine Bom­be. Aktu­ell sind dort über eine Mil­li­on Wer­ke mit fast 17 Mil­lio­nen Kapi­teln ver­füg­bar. Auf die Platt­form geht unter ande­rem die Popu­la­ri­tät des Gen­res „ise­kai” 異世界 („ande­re Welt“) zurück: Dar­in wird der (meist männ­li­che) Prot­ago­nist nach sei­nem Tod in unse­rer Welt in einer ande­ren (Fantasy-)Welt wie­der­ge­bo­ren, in der Regel stär­ker, klü­ger und attrak­ti­ver als in sei­nem alten Leben. Ein bekann­ter Ver­tre­ter ist The Rising of the Shield Hero (A: Yusagi Aneko; Ü: Bernd Sambale).

Light Novels sind oft Teil grö­ße­rer Cross-Media-Fran­chi­ses, das heißt, dass erfolg­rei­che Titel in Man­ga (Comic)-, Ani­me (Zei­chen­trick)-, oder gar Video­spiel-Form adap­tiert wer­den. Die umge­kehr­te Rich­tung ist aber genau­so mög­lich. Dies bie­tet sich an, da es sich bei Light Novels meist um lang­lau­fen­de Seri­en han­delt. Der japa­ni­sche Ver­kaufs­zah­len-Spit­zen­rei­ter 2024 mit 1,3 Mil­lio­nen ver­kauf­ten Bän­den, Die Tage­bü­cher der Apo­the­ke­rin – Geheim­nis­se am Kai­ser­hof von Natsu Hyu­ga (Ü: Ellen Mar­ci­us), umfasst im Ori­gi­nal aktu­ell 15 Bän­de. Zudem ver­fü­gen Light Novels über eine gro­ße inhalt­li­che Band­brei­te. Von Fan­ta­sy und Roman­zen über Aben­teu­er bis hin zu „Sli­ce of Life“-Titeln ohne viel Hand­lung ist prak­tisch alles zu haben. Auch Sci­ence Fic­tion, Kri­mis oder Schul­ge­schich­ten mit japa­ni­schem Set­ting sind im Angebot.

Der wirt­schaft­li­che Erfolg gibt den Ver­la­gen recht. Im Jahr 2022 wur­den in Japan mit Light Novels in Print­form Schät­zun­gen zufol­ge rund 21 Mil­li­ar­den Yen (ca. 130 Mil­lio­nen Euro) umge­setzt. Hin­zu kom­men noch ein­mal ca. 6 Mil­li­ar­den Yen (ca. 38 Mil­lio­nen Euro) für Light-Novel-ebooks. Im deutsch­spra­chi­gen Raum haben sich Light Novels nach anfäng­li­chen Schwie­rig­kei­ten erst 2017 durch Tokyo­pops Ver­öf­fent­li­chung von Reki Kawa­ha­ras Sword Art Online (Ü: Vere­na Maser, Miryll Ihrens) eta­blie­ren kön­nen. Inzwi­schen hat sie prak­tisch jeder deut­sche Man­ga-Ver­lag im Pro­gramm, und es gibt sogar Klein­ver­la­ge, die nur Light Novels publi­zie­ren. Im Buch­la­den fin­det man das Gen­re der­zeit meis­tens in der Man­ga-Abtei­lung. Eine Plat­zie­rung neben Der Herr der Rin­ge und Co. ist für den Moment Wunschdenken.

Ligh­te Novel = leich­te Übersetzung?

Wie bereits dis­ku­tiert, ist die Bezeich­nung „light“ ziem­lich irre­füh­rend, vor allem, wenn es um Über­set­zun­gen die­ses Gen­res geht. Light Novels sind alles ande­re als leicht zu über­set­zen und genau­so anspruchs­voll wie alle ande­ren Roma­ne. Da wären zunächst die logis­ti­schen Pro­ble­me: Da Light Novels in der Regel Teil eines Cross-Media-Ange­bots sind, wäre es eigent­lich wün­schens­wert, dass sämt­li­che For­ma­te und Adap­tio­nen von der­sel­ben Per­son über­setzt wer­den, vom ers­ten bis zum letz­ten Band. Allein aus Zeit­grün­den ist das aber meist nicht mach­bar. Das führt dazu, dass sich zwei (oder noch mehr) Per­so­nen stän­dig über Inhal­te und For­mu­lie­run­gen aus­tau­schen müs­sen – jeden­falls wäre das wün­schens­wert, ist in der Rea­li­tät aber oft nicht umsetzbar.

Der Zeit­fak­tor ist der Knack­punkt beim Light-Novel-Über­set­zen: Idea­ler­wei­se soll­te ein hal­bes Jahr Bear­bei­tungs­zeit zur Ver­fü­gung ste­hen, um einen Band adäquat ins Deut­sche zu über­tra­gen. Die Fans bren­nen aller­dings auf die Fort­set­zung der Geschich­te und wün­schen sich daher einen Ver­öf­fent­li­chungs­rhyth­mus, wie sie ihn von Man­ga gewohnt sind. Das heißt: alle zwei bis drei Mona­te ein neu­er Band. In ande­ren Län­dern löst man die­ses Pro­blem zum Bei­spiel durch Team-Über­set­zun­gen oder durch kapi­tel­wei­se Ver­öf­fent­li­chun­gen. Der rei­ne Online-Ver­lag JNC Nina nutzt die­ses Modell inzwi­schen auch auf dem deutsch­spra­chi­gen Markt. Ins­ge­samt muss jedoch kon­sta­tiert wer­den, dass die Erwar­tungs­hal­tung des Publi­kums dazu führt, dass die Über­set­zen­den zeit­lich über­las­tet sind. Dar­un­ter kann die Qua­li­tät leiden.

Das Über­set­zen von Light Novels ist beson­ders des­halb zeit­auf­wän­dig, da im Ori­gi­nal teil­wei­se kein Lek­to­rat statt­ge­fun­den hat – was dann beim Über­set­zen nach­ge­holt wer­den muss. In Sachen Schreib­stil wei­sen Light Novels eini­ge spe­zi­fi­sche Cha­rak­te­ris­ti­ka auf. Es wird viel Wert auf die Mimik und Ges­tik der Figu­ren gelegt, auf das Visu­el­le. Oft kann man sich beim Lesen bereits gut vor­stel­len, wie eine Sze­ne spä­ter in einer Man­ga-Adap­ti­on zeich­ne­risch umge­setzt wer­den könnte. 

Außer­dem sind Light Novels sehr dia­log­las­tig. Sogar das Schwei­gen wird in Form von „…“ im Dia­log ein­ge­baut (ein Phä­no­men, das einem auch in „regu­lä­ren“ japa­ni­schen Roma­nen begeg­net). Gleich­zei­tig kom­men die Dia­log­pas­sa­gen teil­wei­se völ­lig ohne Inquit-For­meln aus, weil das Japa­ni­sche mit­hil­fe der soge­nann­ten „Rol­len­spra­che“ („yaku­wa­ri-go“) unter­schied­li­che Sprecher*innen kenn­zeich­nen kann (die­se begeg­net einem teils auch im Man­ga). Das kann zum Bei­spiel in Form beson­de­rer Ver­ben gesche­hen oder durch jeweils ande­re For­men des Pro­no­mens „ich“: „ata­shi“ gilt zum Bei­spiel als ste­reo­typ weib­lich, „ore“ hin­ge­gen als ste­reo­typ männ­lich. Im Deut­schen muss bei der Über­set­zung des­we­gen oft neu­er Text hin­zu­ge­fügt wer­den, um deut­lich zu machen, wer gera­de spricht.

Ein Bei­spiel aus Band 4 von The Saint’s Magic Power is Omni­po­tent (A: Yuka Tachi­ba­na; Ü: Lau­ra Kaiser):

「次に向かう討伐では、MPポーションを多く用意する必要がありますね。魔道師も増えましたし」
「はい。材料が少し足りないのですが、なるべく高ランクのポーションを用意しようと思います」
「後は術の発動をもう少し早くできるように訓練しましょうか。見たところ、もっと早くできますよね?」
「……」
顎に手を添えた師団長様から、思わず視線を逸らす。
これ以上早くですか?

„Für unse­re nächs­te Expe­di­ti­on wer­den wir eine gro­ße Men­ge an MP-Trän­ken benö­ti­gen. Schließ­lich hat auch die Zahl der Hof­ma­gi­er zuge­nom­men.“
„Das habe ich mir auch gedacht“, stimm­te ich zu. „Die Zuta­ten sind zwar etwas knapp, aber ich woll­te so vie­le hoch­ran­gi­ge Trän­ke wie mög­lich zube­rei­ten.“
„Außer­dem wür­de ich ger­ne mit Euch den Ein­satz der Kunst wei­ter üben.“ Der Ordens­füh­rer leg­te die Hand ans Kinn. „Ich habe den Ein­druck, Ihr könn­tet sie noch schnel­ler ein­set­zen, oder nicht?“
Unwill­kür­lich wand­te ich den Blick ab.
Noch schnel­ler?


Die­ser typi­sche Ver­tre­ter des Ise­kai-Gen­res mischt eine Fan­ta­sy-Welt („Hof­ma­gi­er“) mit Video­spiel-Spra­che („MP-Trank“). Das Ori­gi­nal kommt ohne Inquit-For­meln aus, die­se wur­den in der Über­set­zung teils ergänzt. Die im Ori­gi­nal fast am Ende ste­hen­de Ges­tik des Orden­füh­rers wur­de nach vorn gezo­gen, das durch „…“ mar­kier­te Schwei­gen gestrichen.

Eben­falls ganz Man­ga-typisch wer­den in Light Novels Action­sze­nen durch pas­sen­de Laut­ma­le­rei­en ergänzt. Für das japa­nisch­spra­chi­ge Publi­kum sind sie in der Regel sofort zuzu­ord­nen, im Deut­schen hin­ge­gen müs­sen sie in einen neu­en beschrei­ben­den Text umge­münzt wer­den. Wei­ter­hin fin­den sich in Light Novels oft expli­zit ver­schrift­lich­te Schreie oder Keu­chen, ob nun von Men­schen oder Mons­tern. Ob die­se ins Deut­sche über­nom­men wer­den, rich­tet sich nach dem Gus­to der Redak­ti­on (auf den ers­ten Sei­ten von Band 1 von Sword Art Online fin­den wir zum Bei­spiel „Uaaah!“, „Haaa!“ und „UARGH!“). Dane­ben ent­hal­ten die Tex­te oft sehr vie­le Wie­der­ho­lun­gen, sei es von ein­zel­nen Begrif­fen oder gan­zen inhalt­li­chen Zusam­men­hän­gen. Dies lässt sich dadurch erklä­ren, dass die Geschich­te im Ori­gi­nal kapi­tel­wei­se erschie­nen ist und durch die Wie­der­ho­lun­gen sicher­ge­stellt wird, dass alle Lesen­den der Geschich­te fol­gen kön­nen. In Buch­form aber liest sich die­se Häu­fung bes­ten­falls wie schlech­ter Stil (und wie bereits erwähnt: eine inten­si­ve Über­ar­bei­tung wür­de Zeit und damit Geld kosten).

Ligh­te Novel, ligh­te Bezahlung

Kurz­um, Light Novels zu über­set­zen ist anspruchs­voll und zeit­auf­wän­dig. Die­ser Auf­wand soll­te ent­spre­chend ver­gü­tet wer­den. Lei­der sieht die Rea­li­tät meist anders aus. Größ­ten­teils wird noch nicht ein­mal nach regu­lä­rer Bör­sen­ver­ein-Norm­sei­te abge­rech­net, son­dern nach von den Ver­la­gen selbst defi­nier­ter „Norm­sei­te“. Die Prei­se lie­gen weit unter denen, die für ande­re Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur gezahlt wer­den. Bei den Ver­la­gen scheint die­se Rea­li­tät immer noch nicht ange­kom­men zu sein.

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