Tanz auf dem Vulkan

Douglas Rushkoffs „Survival of the Richest“ taucht in die Welt der superreichen Tech-Giganten ein und enthüllt in der deutschen Fassung von Stephan Gebauer die größten Gefahren unserer Gegenwart. Doch was macht das Sachbuch zu einer guten Übersetzung? Von

"Survival of the Richest" von Douglas Rushkoff. Hintergrundbild: Chris Appano via Unsplash

Kann es eigent­lich eine Stei­ge­rung von unsicht­bar geben, so rein logisch? Logisch viel­leicht nicht, aber ja, es gibt sie. Die Anfang 2024 so tra­gisch früh ver­stor­be­ne Anne Emmert hat einen her­vor­ra­gen­den Bei­trag dazu geschrie­ben, hier auf Tralalit: „Sti­pen­di­en­be­wer­bun­gen mit Sach­buch­über­set­zun­gen blei­ben beson­ders oft erfolg­los, in Sach­buch­re­zen­sio­nen auch gro­ßer Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten wird noch häu­fi­ger als ohne­hin schon unter­schla­gen, dass es sich über­haupt um Über­set­zun­gen han­delt, und für die Über­set­zung von Non­fic­tion wer­den so gut wie kei­ne Prei­se ver­ge­ben: Von den 60 Über­set­zer­prei­sen in der Sti­pen­di­en­da­ten­bank des VdÜ berück­sich­ti­gen nur sechs (theo­re­tisch) auch Sach­bü­cher. Die Fol­ge: Vie­le, die schwer­punkt­mä­ßig Sach­li­te­ra­tur über­set­zen, haben das Gefühl, in unse­rer Zunft der Unsicht­ba­ren die Aller­un­sicht­bars­ten zu sein.“

Ich bin auch Über­set­ze­rin von Sach- und Fach­bü­chern, und mich stört es gar nicht per se, dass ich noch unsicht­ba­rer bin, noch voll­stän­di­ger hin­ter mei­nen Tex­ten ver­schwin­de. Wenn ich im Schein­wer­fer­licht ste­hen woll­te, hät­te ich mei­nen wun­der­ba­ren Beruf sicher kom­plett ver­fehlt und dra­ma­tisch miss­ver­stan­den. Aber es bedeu­tet eben lei­der auch, dass dadurch der Abgrund hin­sicht­lich der Bedrän­gung durch maschi­nel­le Über­set­zun­gen noch näher rückt. Sehr zu Unrecht, wie ich fin­de. Im Fol­gen­den möch­te ich also den Ver­such wagen, hier eine Sach­buch­re­zen­si­on zu lie­fern, und zwar auch unter über­set­zungs­kri­ti­schen Gesichtspunkten. 

Doch zunächst zum Buch: Dou­glas Rush­koff wid­met sich in Sur­vi­val of the Richest einer Grup­pe glo­bal agie­ren­der Unter­neh­mer und Inves­to­ren (gehen Sie ruhig wei­ter, hier gibt es nichts zu gen­dern), den super­rei­chen und eben­so mäch­ti­gen Tech-Mil­li­ar­dä­ren – genau­er: ihrem Mind­set, das eine gro­ße Rol­le im Buch spielt. In drei­zehn Kapi­teln skiz­ziert der Autor, der sich selbst als mar­xis­tisch gepräg­ten Medi­en­theo­re­ti­ker und „Cyber­punk“ der ers­ten Stun­de bezeich­net, die Visio­nen die­ser mäch­ti­gen Män­ner und ihre Prep­per-Men­ta­li­tät (von pre­pared, vor­be­rei­tet sein) sowie den Vor­keh­run­gen, die sie tref­fen, um sich im Fal­le der Apo­ka­lyp­se, die sie selbst beschleu­ni­gen, in Sicher­heit brin­gen zu kön­nen – sei es in einer Bun­ker­an­la­ge in Neu­see­land, in schwim­men­den Städ­ten, im vir­tu­el­len Uni­ver­sum oder auf dem Mars.

Per­so­nen, die die­ses Mind­set ver­in­ner­licht haben (also die Elon Musks, Jeff Bezos’, Mark Zucker­bergs und Peter Thiels die­ser Welt), ver­ste­hen sich als Mit­glie­der einer Eli­te, hegen All­machts­fan­ta­sien, stre­ben nach Mono­pol­stel­lun­gen, sind nicht wil­lens, staat­li­che Regu­la­ri­en zu akzep­tie­ren und schau­en auf „den Rest“, also „uns“, her­ab. Das Men­schen­bild die­ser Super­rei­chen ist, nun ja, pro­ble­ma­tisch. Sie betrach­ten Men­schen, so Rush­koff, aus­schließ­lich als Sub­jek­te, Arbeits­kräf­te, die es mög­lichst effi­zi­ent aus­zu­beu­ten gilt, oder eben als Kon­su­men­ten. Sicher, man braucht sie – aber auf Abstand gehal­ten, sehr gro­ßem Abstand, am bes­ten so groß, dass sie voll­stän­dig aus dem Sicht­feld verschwinden. 

Einen wei­ten Teil des Buches neh­men Rush­koffs Gedan­ken zu den öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen ein, die maß­geb­li­che Bedeu­tung für die Her­aus­bil­dung der Tech-Unter­neh­men hat­ten und haben. Als poten­zi­el­len Aus­weg aus den Pro­ble­men, die die­se Ent­wick­lung maß­geb­lich vor­an­ge­trie­ben hat (öko­lo­gisch im Sin­ne der Res­sour­cen­aus­beu­tung, die zu Umwelt- und Kli­ma­zer­stö­rung führt, sowie poli­tisch mit der Kon­zen­tra­ti­on von Macht und Kapi­tal in weni­gen Hän­den), sieht der Autor eine radi­ka­le Abkehr vom Pri­mat des Wachs­tums – auch die Idee eines „grü­nen Wachs­tums“ hält er für Augen­wi­sche­rei, das Ergeb­nis wird nicht aus­rei­chen, um die Kata­stro­phe auf­zu­hal­ten. Ohne­hin wer­den sich die Tech-Gigan­ten davon nur schwer begeis­tern las­sen, denn ihr Reich­tum grün­det auf Wachs­tum – mög­lichst in sei­ner expo­nen­ti­el­len Ausprägung.

Mein per­sön­li­ches Urteil über das Buch: Es ist ein Sach­buch, wie ich es lie­be. Ein wahr­haf­ti­ger eye ope­ner, der auf nied­rig­schwel­li­ge Wei­se sei­nen Leser·innen eine der größ­ten Gefah­ren der Gegen­wart vor Augen führt, die unse­re Gesell­schaf­ten und Lebens­grund­la­gen fun­da­men­tal bedro­hen. Hoch infor­ma­tiv, dabei ent­spannt, aber mit hoher Sach­kom­pe­tenz geschrie­ben und sau­ber durch­struk­tu­riert, frei von Red­un­dan­zen und ohne mis­sio­na­ri­schen Eifer. Dass das Buch im Ori­gi­nal bereits 2022 erschie­nen ist, bedingt, dass die jüngs­te Ent­wick­lung (Elon Musk mit der Ket­ten­sä­ge im Zen­trum der poli­ti­schen Macht) kei­ne Berück­sich­ti­gung fin­den konn­te, aber das macht den Essay und sei­ne Befun­de in gewis­ser Wei­se noch stär­ker, denn vor der Folie der aktu­el­len Ereig­nis­se lesen sich Rush­koffs Argu­men­te nur umso hell­sich­ti­ger, die Gegen­wart erscheint als fol­ge­rich­tig. Ich wün­sche Sur­vi­val of the Richest eine lan­ge Lebens­dau­er auf der Bestsellerliste.

Doch was macht das Buch zu einer gelun­ge­nen Über­set­zung? Dazu eini­ge Vor­be­mer­kun­gen. Nicht­wis­sen­schaft­li­che Über­set­zungs­kri­tik und ihre Kri­te­ri­en schei­nen in der Pra­xis eine Are­na des Dau­er­frusts zu sein. 1 Auch der hoff­nungs­fro­he Blick in die Fach­li­te­ra­tur schafft (zumin­dest bei mir) kei­ne Klar­heit: „Die Beur­tei­lung von über­set­ze­ri­schen Leis­tun­gen ist auch des­we­gen […] ein aktu­el­les The­ma, weil die seit Jahr­zehn­ten ange­stell­ten Bemü­hun­gen um eine objek­ti­ve Bewer­tung trans­la­to­ri­scher Qua­li­tät immer wie­der an den diver­gie­ren­den Auf­fas­sun­gen dar­über schei­tert, wor­in die­se eigent­lich bestehen soll […].“ 2 Und schlim­mer noch: „Es muss also gefragt wer­den, in wie­weit (sic) das in der Über­set­zungs­kri­tik ent­wi­ckel­te Instru­men­ta­ri­um auf die kon­kre­te Pra­xis anwend­bar ist, oder ob nicht viel­mehr ein theo­re­ti­scher Über­bau ent­wi­ckelt wur­de, der in der kon­kre­ten Arbeit am Text nur wenig hilf­reich ist.“ 3 Und, man ahnt es schon, auf das über­setz­te Sach­buch sind selbst die­se unschar­fen Kri­te­ri­en nur bedingt übertragbar.

Auch der Rea­li­täts­check ist ernüch­ternd. Oft genug wird in Rezen­sio­nen gar nicht deut­lich, dass es sich um ein über­setz­tes Werk han­delt, es also einen zwei­ten Autor, eine zwei­te Autorin gibt – auch hier: das gilt umso mehr noch für das Sach­buch. Und wo doch ein oder zwei Sät­ze zur Qua­li­tät der Über­set­zung fal­len, ver­blei­ben die­se häu­fig im Unge­fäh­ren. Die Über­set­zung ist dann „gut“ (viel­leicht sogar „über­zeu­gend“ oder „kon­ge­ni­al“) oder „schlecht“, die Kri­te­ri­en, die zu die­ser Bewer­tung geführt haben, blei­ben aber nicht sel­ten unklar. Das ist umso miss­li­cher in Zei­ten, in denen die oben genann­ten Tech-Gigan­ten sich auch auf dem Feld der KI-basier­ten Über­set­zun­gen breit machen und den Beruf des lite­ra­ri­schen Über­set­zers bedrän­gen, denn es ver­stärkt noch die „invi­si­bi­li­ty of the trans­la­tor“. 4 (Ich hof­fe ja übri­gens, dass sich die Buch­bran­che für die Tech-Indus­trie am Ende als öko­no­misch zu mar­gi­nal erwei­sen wird, um dort viel Geld in die wei­te­re Ent­wick­lung hin­ein­zu­pum­pen.) Und auch hier gilt: Das Sach­buch mit sei­ner grö­ße­ren Nähe zu „Fak­ten“ und „Rea­li­tät“ gilt, sol­che Stim­men hört man hier und da auch inner­halb der Bran­che, als die gefähr­de­te­re Spar­te, die ers­te, die der maschi­nel­len Über­set­zung zum Opfer fal­len wird.

Um beur­tei­len zu kön­nen, ob die­se Ein­schät­zung gerecht­fer­tigt ist oder nicht, bräuch­te es zunächst ein­mal all­ge­mein akzep­tier­te Kri­te­ri­en. Um nicht miss­ver­stan­den zu wer­den: Ich maße mir nicht an, hier eine voll­um­fäng­li­che Über­set­zungs­kri­tik lie­fern zu kön­nen, mei­ne Vor­schlä­ge sind, im aller­bes­ten Fal­le, ein ers­ter Auf­schlag, und ich freue mich über jeden Kom­men­tar und jede Reak­ti­on, die ande­re Kri­te­ri­en nahe­le­gen. Aber irgend­wo müs­sen wir ja anfan­gen. Ich fokus­sie­re mich auf drei Aspek­te, auf die ich im Fol­gen­den die Auf­merk­sam­keit len­ken möch­te: Erzähl­ton, ter­mi­no­lo­gi­sche Prä­zi­si­on und Adap­ti­on an das Ziel­pu­bli­kum.

Wir haben es hier mit einem erzäh­len­den Sach­buch zu tun, bei dem die ver­han­del­ten Inhal­te für Nicht­ex­per­ten (wie mich) aber oft äußerst kom­plex sind. Das rele­van­te Fach­vo­ka­bu­lar kommt aus dem Bank- und Inves­ti­ti­ons­we­sen sowie aus der Welt des High-Tech und der Öko­no­mie. Die Wahl auf den renom­mier­ten Über­set­zer Ste­phan Gebau­er wird nicht zufäl­lig gefal­len sein, einer sei­ner Schwer­punk­te liegt genau dort, wie sei­ner Home­page zu ent­neh­men ist. Ein Match also, und das merkt man der Lek­tü­re an. Viel ist die Rede von Finan­zi­li­sie­rung, expe­ri­men­tel­lem Wachs­tum, Block­chain, Dis­kont-Bro­kern, Day­tra­ding, Kredit-„Körben“, Swaps, Deri­va­ten etc. Mit ober­fläch­li­cher Recher­che lie­ßen sich die­se Zusam­men­hän­ge nicht so sou­ve­rän über­set­zen, wie Gebau­er es tut. Der Ton glei­tet mit­un­ter fast ins Umgangs­sprach­li­che, das ist typisch für US-ame­ri­ka­ni­sche Autor·innen, sogar aus der Wis­sen­schaft, deren Ton­la­ge – auf der nach oben offe­nen Bil­dungs­spra­chen­ska­la –, meist ein oder zwei Level unter dem unse­ren liegt, sehr wohl­tu­end wie ich finde.

Bevor ich auf ein­zel­ne Text­stel­len ein­ge­he, möch­te ich mit allem Nach­druck dar­auf hin­wei­sen, dass es dabei nicht um rich­tig oder falsch, auch nicht um gut oder bes­ser geht. Viel­mehr möch­te ich die enor­me Spann­brei­te der Ein­zel­ent­schei­dun­gen auf­zei­gen, die – wenn es gelingt – am Ende zu einem kohä­ren­ten Gan­zen zusam­men­fin­den. Spoi­ler: In Sur­vi­val of the Richest ist das her­vor­ra­gend gelungen.

Eine spe­zi­el­le Pro­ble­ma­tik ergibt sich dar­aus, dass Gebau­er einen Umgang damit fin­den muss­te, wann und wie er die Fach­ter­mi­ni ins Deut­sche über­trägt und wann er sie bes­ser im Eng­li­schen belässt. Ein Draht­seil­akt zwi­schen Eng­lisch, „Deng­lisch“, Lehn­über­set­zun­gen und tat­säch­li­chen Über­set­zun­gen, bei dem stets der Rezi­pi­ent mit­ge­dacht wer­den muss: 

As a huma­nist who wri­tes about the impact of digi­tal tech­no­lo­gy on our lives, I am often mista­ken for a futu­rist. And I’ve never real­ly lik­ed tal­king about the future, espe­ci­al­ly for wealt­hy peo­p­le. The Q & A ses­si­ons always end up more like par­lor games, whe­re I’m asked to opi­ne on the latest tech­no­lo­gy buz­zwords as if they were ticker sym­bols on a stock exch­an­ge: AI, VR, CRISPR. The audi­en­ces are rare­ly inte­res­ted in lear­ning about how the­se tech­no­lo­gies work or their impact on socie­ty bey­ond the bina­ry choice of whe­ther or not to invest in them. But money talks, and so do I, so I took the gig.

Als Huma­nist, der sich mit den Aus­wir­kun­gen der digi­ta­len Tech­no­lo­gie auf unser Leben beschäf­tigt, wer­de ich oft fälsch­li­cher­wei­se für einen Futu­ris­ten gehal­ten. Aber ich spre­che nicht ger­ne über die Zukunft, vor allem nicht vor rei­chen Leu­ten, denn die Fra­ge-und-Ant­wort-Run­de endet immer mit einer Art Gesell­schafts­spiel, in dem mei­ne Mei­nung zu den neu­es­ten Tech-Mode­wor­ten abge­fragt wird, so als han­del­te es sich um Ticker­sym­bo­le an der Bör­se: KI, VR, CRISPR. Die Zuhö­rer inter­es­sie­ren sich sel­ten für die Funk­ti­ons­wei­se die­ser Tech­no­lo­gien oder für ihre gesell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen jen­seits der binä­ren Ent­schei­dung, ob man inves­tie­ren soll­te oder nicht. Aber das Geld hat das Sagen, und also sprach ich auch und nahm die Ein­la­dung an.

Bei buz­zword wäre auch die Ver­wen­dung des eng­li­schen Begriffs denk­bar gewe­sen. Money talks, etwa: „Geld stinkt nicht“, ist hier in der Dop­pel­deu­tig­keit mit dem als Red­ner, tal­ker, ein­ge­la­de­nen Rush­koff zu über­set­zen. (Zum Kon­text: Rush­koff räumt hier ein, dass er, der Kapi­ta­lis­mus­kri­ti­ker, die eigent­lich für ihn unin­ter­es­san­te, aber hoch­do­tier­te Vor­trags­ein­la­dung annimmt, um davon sei­ne Hypo­thek und die Aus­bil­dung sei­ner Toch­ter zu bezah­len.) Gebau­er hat einen Weg gefun­den, die­se Dop­pel­deu­tig­keit zu erhal­ten: „Aber das Geld hat das Sagen“. Ich hät­te mich, glau­be ich, anders ent­schie­den, viel­leicht „Aber Geld regiert die Welt, so auch mei­ne“ gewählt, das ich etwas idio­ma­ti­scher fin­de. Damit hät­te ich dann aber die Dop­pel­deu­tig­keit von money talks auf­ge­ge­ben. 5

Ein gutes Bei­spiel für den Erzähl­ton ist das Folgende:

J.C. show­ed me how to hold and shoot a Glock at a series of out­door tar­gets shaped like bad guys, while he grum­bled about the way Sena­tor Dia­ne Fein­stein had arbi­tra­ri­ly limi­t­ed the num­ber of rounds one could legal­ly fit in a maga­zi­ne for the hand­gun. J.C. knew his stuff.

J.C. brach­te mir bei, mit einer Glock auf Papp­sil­hou­et­ten von Bösen Jungs zu schie­ßen, wäh­rend er dar­über schimpf­te, dass Sena­to­rin Dian­ne Fein­stein will­kür­lich die Zahl der Patro­nen in einem Maga­zin für das Pis­to­len­mo­dell beschränkt habe. J.C. konn­te man nichts erzäh­len.

He knew his stuff: Hier hät­te es vie­le ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten gege­ben, Gebau­er fin­det eine herr­lich lako­ni­sche, die per­fekt zum Erzähl­ton des Autors passt. 6

Wel­cher Wis­sens­stand kann beim Leser vor­aus­ge­setzt wer­den, was muss der Über­set­zer näher erläu­tern (wenn es der Autor nicht tut), ohne dass es aus­ufert und nervt? Und wenn ja, in wel­cher Form?

He pro­cee­ded to lay out the facts. He felt cer­tain that the “Event” – a gray swan, or pre­dic­ta­ble cata­stro­phe by our enemies, Mother Natu­re, or just by acci­dent – was ine­vi­ta­ble. He had done a SWOT ana­ly­sis – Strengths, Weak­ne­s­ses, Oppor­tu­ni­ties, and Thre­ats – on the situa­ti­on, and con­cluded that pre­pa­ring for cala­mi­ty requi­res us to take the very same mea­su­res as try­ing to pre­vent one. “By coin­ci­dence,” he explai­ned, “I am set­ting up a series of Safe Haven Farms in the NYC areas. ”

Er leg­te die Fak­ten dar. Er war über­zeugt, dass das »Ereig­nis« – ein Grau­er Schwan oder eine vor­her­seh­ba­re Kata­stro­phe, die durch einen feind­li­chen Angriff, durch Mut­ter Natur oder ein­fach durch Zufall aus­ge­löst wer­den könn­te – unver­meid­lich sei. Er hat­te eine SWOT-Ana­ly­se vor­ge­nom­men, das heißt Stär­ken, Schwä­chen, Chan­cen und Risi­ken unter­sucht, und war zu dem Schluss gelangt, dass man zur Vor­be­rei­tung auf ein Unglück die­sel­ben Maß­nah­men ergrei­fen müs­se wie zu sei­ner Ver­hin­de­rung. »Zufäl­lig stel­le ich gera­de meh­re­re Safe Haven Farms in der Umge­bung von New York fer­tig«, schrieb er.

Grey swan ist ein zumin­dest mir völ­lig unbe­kann­ter Aus­druck aus der Bör­sen­ter­mi­no­lo­gie, bei dem man eine klei­ne Erläu­te­rung in den deut­schen Text hät­te hin­ein­schmug­geln kön­nen. Ande­rer­seits gilt das für vie­le Begrif­fe im Buch, hät­te man jeden ein­zel­nen erläu­tern wol­len, hät­te sich der plau­dern­de Erzähl­ton wohl unwei­ger­lich in Rich­tung eines Hand­buchs für Finan­zen ver­scho­ben – und das kann man nicht wol­len. Die SWOT-Ana­ly­se hat Rush­koff (oder sein Lektor/seine Lek­to­rin) sel­ber näher erläu­tert, dieSafe Haven Farms erklä­ren sich wohl aus dem Kon­text, in jedem Fall wäre eine Über­set­zung recht sper­rig geworden.

Man­ches lässt sich gut in einer End­no­te erläu­tern, wenn man den Lese­fluss nicht stö­ren möch­te. In End­no­te 1 für Kapi­tel 9 heißt es zum Beispiel:

In der Rea­li­ty­show »Shark Tank« ver­su­chen Unter­neh­mens­grün­der, Mil­li­ar­dä­re wie Mark Cuban und Bar­ba­ra Cor­co­ran von ihren Geschäfts­vor­ha­ben zu überzeugen.

In der dazu­ge­hö­ri­gen Stel­le im Haupt­text (S. 156) nennt der Über­set­zer das deut­sche Äqui­va­lent Die Höh­le des Löwen, denn nur damit kann das deut­sche Lese­pu­bli­kum etwas anfan­gen. Die­se Anmer­kung wur­de vom Über­set­zer hinzugefügt.

Noch ein abschlie­ßen­der Blick in den Anmer­kungs­ap­pa­rat, dem man in der Regel nicht ansieht, wie viel Arbeit dahin­ter ste­cken kann. In Sur­vi­val of the Richest ist er mit zwan­zig (aller­dings eng gesetz­ten) Sei­ten quan­ti­ta­tiv noch rela­tiv über­schau­bar, aber auch er hat sei­ne Tücken. Die vie­len Links, die als Quel­le ange­ge­ben wer­den, sind noch dank­bar, da sie kei­ne oder nur wenig Recher­che erfor­dern, son­dern vor allem viel for­ma­le Fum­me­lei, bis auch das letz­te „online ver­füg­bar unter“ an Ort und Stel­le steht (dabei kann man/kann ich pri­ma Pod­casts hören). Bei der Lite­ra­tur sieht es anders aus.

Ein Bei­spiel: Anmer­kung 1 für Kapi­tel 8 (S. 270) lautet:

Wal­ter Lipp­mann, Die öffent­li­che Mei­nung. Wie sie ent­steht und wie sie mani­pu­liert wird, Mün­chen 1964, S. 9ff., S. 17 (im Ori­gi­nal: Public Opi­ni­on, New York 1997, S. 3, S. 10).

Gebau­er hat also zunächst recher­chiert, dass es eine deut­sche Über­set­zung des Titels gibt, um dar­in die gesuch­ten Zita­te (hier nur Schnip­sel, was es noch müh­se­li­ger macht) zu suchen und anzu­ge­ben. Gibt der Autor im Ori­gi­nal kei­ne Anga­ben über Sei­ten­zah­len oder Kapi­tel im (eng­li­schen) Buch – und selbst wenn: es sind ja nicht die Sei­ten im deut­schen Buch! – heißt es inten­siv und mit­un­ter ver­zwei­felt blät­tern. Mei­ner Erfah­rung nach sind Online- oder PDF-Suchen gar nicht so häu­fig mög­lich und noch sel­te­ner zitier­fä­hig. Wenn es kei­ne publi­zier­te deut­sche Text­fas­sung gibt, kann das Zitat vom Über­set­zer selbst über­setzt wer­den, das geht natür­lich deut­lich schnel­ler. Anmer­kun­gen wie die genann­te gibt es in Sur­vi­val of the Richest einige.

Mei­ne Absicht war es, zu zei­gen, dass auch Sach­buch­über­set­zen­de in die Köp­fe ihrer Autor·innen (und ihrer poten­zi­el­len Leser·innen) hin­ein­krab­beln, um die rich­ti­gen Sprach­bil­der und die rich­ti­ge Erzähl­stim­me für das Lese­pu­bli­kum des über­setz­ten Tex­tes zu fin­den. Dafür müs­sen sie Fach­ex­per­ti­se in zwei Sprach- und Kul­tur­räu­men mit­brin­gen. Ich habe mit Anne Emmert begon­nen, und ich schlie­ße auch mit ihr: „Die­se Kom­bi­na­ti­on aus lite­ra­ri­scher Gestal­tung und inten­si­vem Wirk­lich­keits­be­zug setzt das Sach­buch von der Fik­ti­on ab. Aller­dings sind die Gren­zen zur Fik­ti­on flie­ßend, beson­ders in Hin­blick auf Erzähl­stim­men, Hal­tung und Ton […].“



  1. Sie­he etwa Eve­li­ne Pas­set: Zwi­schen „Abflos­keln“ und wis­sen­schaft­li­cher Über­set­zungs­kri­tik – nichts mög­lich?, in: Der Über­set­zer, Juli/August 1990, S. 4; sowie Lisa Men­sing, In den Dia­log tre­ten, in: Tralalit, Mai 2024. 
  2. Zit. nach: Bea­te Som­mer­feld: Über­set­zungs­kri­tik. Model­le, Per­spek­ti­ven, Didak­tik, Poz­nan 2016. 
  3. Som­mer­feld, ebd. 
  4. Law­rence Venuti: The Translator’s Invi­si­bi­li­ty, New York, zwei­te, erw. Auf­la­ge 2008.
  5. DeepL spuckt hier übri­gens aus: „Aber Geld spricht, und das tue ich auch, also habe ich den Auf­tritt ange­nom­men.“ Thanks for the effort.
  6. DeepLs Vor­schlag ist hier übri­gens noch nicht mal schlecht („J.C. wuss­te, was er tat“, „J.C. kann­te sich aus“), aber eben deut­lich fla­cher.

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