Wie viel Clè­ves steckt drin?

„La Princesse de Clèves“ gilt als Meilenstein des französischen Romans – doch wie bringt man höfische Zurückhaltung, psychologische Feinheit und literarischen Stil ins Deutsche? Der Blick auf verschiedene Übersetzungen zeigt, wie stark Wortwahl und Tonfall das Bild einer Epoche mitprägen. Von

Illustrationen von Sergey Solomko für eine Ausgabe von 1925. Quelle: WikiCommons

Gan­ze 72 Jah­re lang herrsch­te Lud­wig XIV., auch bekannt als „Son­nen­kö­nig“, über Frank­reich. Bei sei­nem Tod im Jah­re 1715 hat­te sich sein Ein­fluss weit über das eige­ne Land hin­aus aus­ge­dehnt: Von der Archi­tek­tur über die Gar­ten­ge­stal­tung bis hin zur Klei­dung ahm­te man die an sei­nem Hof herr­schen­de Mode nach. Neben Musi­kern wie Lul­ly und Fran­çois II. Cou­perin („Le Grand“) för­der­te Lud­wig XIV. auch zahl­rei­che Schrift­stel­ler. Komö­die wie Tra­gö­die erleb­ten mit Moliè­re bezie­hungs­wei­se Corn­eil­le und Raci­ne ihre Blütezeit. 

Wäh­rend die­se Autoren sich an Vor­bil­dern ori­en­tie­ren konn­ten, han­delt es sich beim Roman der fran­zö­si­schen Klas­sik um eine Neu­erfin­dung. Der hero­isch-galan­te Roman des Barock war aus­schwei­fend, spiel­te in der fer­nen Ver­gan­gen­heit (so wie die Autor:innen sie sich vor­stell­ten) und beschrieb zahl­rei­che unwahr­schein­li­che Aben­teu­er zu Was­ser und zu Lan­de. Ab der zwei­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts ori­en­tier­te man sich dann an der Gat­tung der Novel­le, fass­te sich deut­lich kür­zer, ließ fran­zö­si­sche Figu­ren auf­tre­ten und streb­te danach, die Din­ge (inner­halb der Gren­zen der Schick­lich­keit) wirk­lich­keits­ge­treu dar­zu­stel­len. Literaturwissenschaftler:innen ver­or­ten hier die Geburts­stun­de des moder­nen Romans.

Typisch für den Roman der Epo­che sind Drei­ecks­kon­stel­la­tio­nen, die dadurch zustan­de kom­men, dass ein Mann und eine Frau hei­ra­ten, ohne dass letz­te­re bereits weiß, was es bedeu­tet, zu lie­ben. Die­ses Wis­sen erlangt sie erst dadurch, dass ein wei­te­rer Mann hin­zu kommt, was zu see­li­schen Kon­flik­ten führt. Als Höhe­punkt der Roman­pro­duk­ti­on der Epo­che wer­den die Roma­ne der Madame de Lafay­et­te bezeich­net, gebo­ren 1634 als Marie-Made­lei­ne Pio­che de la Ver­gne, Ver­trau­te von Hen­ri­et­te d’Angleterre, der Schwä­ge­rin des Königs, und bekannt für ihren Salon, in dem sich pro­mi­nen­te Schrift­stel­ler ver­sam­mel­ten. Mit ihrem Zeit­ge­nos­sen Raci­ne ver­bin­det sie die Auf­fas­sung von Lie­be als zer­stö­re­ri­sche Kraft, die Eifer­sucht her­vor­bringt, das Motiv der Ent­sa­gung sowie die jan­se­nis­ti­sche Ansicht, dass nicht jeder aus­er­wählt ist und der Mensch sei­nem Schick­sal nicht ent­rin­nen kann.

Der ihr zuge­schrie­be­ne Roman La Prin­ces­se de Clè­ves erschien 1678 ohne Namens­nen­nung. Der Wunsch nach Anony­mi­tät war damals für eine vor­neh­me Dame mit guten Bezie­hun­gen zum Hof nach­voll­zieh­bar – öffent­lich als Autorin von Lie­bes­ro­ma­nen auf­zu­tre­ten, hät­te ihrem Ruf gescha­det –, doch die Fach­welt ist sich nicht einig, ob Madame de Lafay­et­te das Werk tat­säch­lich selbst ver­fasst hat. Eini­ge, wie zum Bei­spiel der Roma­nist Jür­gen von Sta­ckel­berg, sehen ihren guten Freund Jean-Reg­nault de Segrais in die­ser Rol­le und sie ledig­lich als Ideen­ge­be­rin. Fest steht, dass ver­schie­de­ne im Salon ver­keh­ren­de Per­so­nen an der Ent­ste­hung betei­ligt waren, dar­un­ter auch der Apho­ris­ti­ker Fran­çois de La Rochefoucauld. 

Die Kri­tik, die La Prin­ces­se de Clè­ves an der höfi­schen Gesell­schaft übt, war wohl ein wei­te­rer Grund für die anony­me Ver­öf­fent­li­chung. Zwar spielt der Roman über 100 Jah­re vor sei­ner Ent­ste­hungs­zeit, doch Eitel­keit, Lie­bes­hän­del und Intri­gen präg­ten auch wäh­rend der Regent­schaft Lud­wigs XIV. den All­tag. Rea­le Per­so­nen und Ereig­nis­se bil­den den Rah­men des Romans – Hein­rich II. starb tat­säch­lich 1559 an den Fol­gen einer Tur­nier­ver­let­zung und sei­ne Frau Katha­ri­na von Medi­ci sowie sei­ne lang­jäh­ri­ge Gelieb­te Dia­na von Poi­tiers tre­ten eben­so auf wie sei­ne Schwie­ger­toch­ter Maria Stuart. Haupt­ge­gen­stand des Romans, des­sen Hand­lung sich schnell zusam­men­fas­sen lässt, ist die Ana­ly­se der Lei­den­schaf­ten der auf­tre­ten­den Per­so­nen; mehr noch als um einen his­to­ri­schen han­delt es sich um einen psy­cho­lo­gi­schen Roman.

Die Titel­hel­din trägt zu Beginn noch den Namen Made­moi­sel­le de Char­tres. Sie wur­de von ihrer Mut­ter fern vom Hof erzo­gen und aus­drück­lich vor den schlech­ten Sit­ten und der Heu­che­lei gewarnt, die dort herr­schen. Als sie am Hof erscheint, sind alle von ihrer Anmut und Beschei­den­heit ange­tan; ein Mon­sieur de Clè­ves gewinnt ihre Hand. Sie ach­tet ihn, liebt ihn jedoch nicht, wor­un­ter er lei­det. Als der für sei­ne zahl­rei­chen Erobe­run­gen bekann­te Mon­sieur de Nemours nach län­ge­rer Abwe­sen­heit an den Hof zurück­kehrt, geschieht sowohl mit ihm als auch mit der jun­gen Frau etwas: Sie liebt zum ers­ten Mal, er inter­es­siert sich zum ers­ten Mal für nur eine Frau. Madame de Char­tres bemerkt die Nei­gung ihrer Toch­ter und warnt sie auf ihrem Ster­be­bett aus­drück­lich davor, ihr nach­zu­ge­ben. Die­se zieht sich zuneh­mend von der Gesell­schaft zurück. Als ihr Mann sie auf die­ses selt­sa­me Ver­hal­ten anspricht, gesteht sie ihm, Gefüh­le für einen ande­ren zu haben, nennt jedoch sei­nen Namen nicht. 

Was bei­de nicht ahnen: Mon­sieur de Nemours hat das Gespräch belauscht und errät, dass er gemeint ist. Mon­sieur de Clè­ves errät dies mit der Zeit eben­falls, hält aber das Ver­hält­nis der bei­den für enger, als es tat­säch­lich ist. Nach­dem sei­ne Eifer­sucht ihn ins Grab gebracht hat, macht Mon­sieur de Nemours der Wit­we einen Hei­rats­an­trag, den sie ablehnt. Sie zieht sich völ­lig vom Hof zurück und stirbt jung.

Die Figu­ren des Romans ver­su­chen viel­fach, die eige­nen Gefüh­le oder Taten zu ver­ber­gen, was jedoch nicht immer funk­tio­niert, da jeder jeden beob­ach­tet und in Erfah­rung gebrach­te Geheim­nis­se sofort wei­ter­erzählt wer­den. Eifer­sucht hin­dert die han­deln­den Per­so­nen dar­an, die Din­ge ratio­nal zu betrach­ten und macht sie anfäl­lig für Irr­tü­mer. Hin­zu kom­men Zufäl­le, die der Hand­lung eine Wen­dung geben. Das Norm­be­wusst­sein von Madame de Clè­ves ist einer­seits stark genug, damit sie sich ihrer Gefüh­le schämt, ande­rer­seits zu schwach, um sie die­se Gefüh­le unter­drü­cken zu las­sen – so beschreibt es Fritz Peter Kirsch in sei­nem Über­blick Epo­chen des fran­zö­si­schen Romans.

Sie han­delt inkon­se­quent und befin­det sich in einer aus­weg­lo­sen Situa­ti­on. Häu­fig ver­sucht sie, Din­ge dadurch zu errei­chen, dass sie etwas nicht tut. Dies spie­gelt sich in der Spra­che des Romans wider. Die Lito­tes, die Beja­hung durch Ver­nei­nung des Gegen­teils, wird sehr häu­fig ver­wen­det. Eben­so auf­fäl­lig ist die indi­rek­te Kom­mu­ni­ka­ti­on – Din­ge wer­den häu­fig ange­deu­tet statt klar aus­ge­spro­chen. Auf die­se Beson­der­hei­ten muss sich auch eine Über­set­zung ein­las­sen. Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung stellt die uns frem­de höfi­sche Lebens­welt mit all ihren Gebräu­chen und Ver­gnü­gun­gen dar. Die han­deln­den Per­so­nen sind größ­ten­teils real, wes­we­gen es unab­ding­bar ist, sich mit dem geschicht­li­chen Hin­ter­grund ver­traut zu machen.

La Prin­ces­se de Clè­ves wur­de bereits im 18. Jahr­hun­dert mehr­fach ins Deut­sche über­tra­gen. Die Über­set­zung von Fried­rich Schulz aus dem Jahr 1790 ist auf Ama­zon bei zwei ver­schie­de­nen Her­aus­ge­bern sowohl in Papier­form als auch als E‑Book erhält­lich. Dabei stellt das E‑Book aus der Rei­he RUTHe­Books Klas­si­ker mit einem Preis von 99 Cent die güns­tigs­te Mög­lich­keit dar, den Roman ken­nen­zu­ler­nen. Rat­sa­mer ist selbst­ver­ständ­lich eine Über­set­zung neue­ren Datums. Für die­sen Arti­kel wur­den die fol­gen­den neu oder anti­qua­risch in Papier­form erhält­li­chen Über­set­zun­gen aus dem 20. und 21. Jahr­hun­dert berücksichtigt:

  • Paul Hans­mann, in einer Über­ar­bei­tung ver­öf­fent­licht 1986 von der Haren­berg Kom­mu­ni­ka­ti­on Ver­lags- und Medi­en­ge­sell­schaft Dort­mund. Die ursprüng­li­che Über­set­zung erschien 1913 im Georg Mül­ler Ver­lag Mün­chen. Hans­mann leb­te von 1882 bis 1936 und war auch als Thea­ter­dich­ter tätig.
  • Hans Broem­ser, ver­öf­fent­licht 1948 im Mat­thi­as-Grü­ne­wald-Ver­lag Mainz. Wer er war, ist nicht mehr her­aus­zu­fin­den, jedoch erschie­nen im glei­chen Ver­lag bis 1963 noch wei­te­re Über­set­zun­gen aus dem Fran­zö­si­schen von ihm, haupt­säch­lich von theo­lo­gi­schen Werken.
  • Fer­di­nand Har­de­kopf, erschie­nen 2011 als über­ar­bei­te­te Neu­aus­ga­be im Manes­se Ver­lag Zürich. Har­de­kopf leb­te von 1876 bis 1954 und war als Jour­na­list, Schrift­stel­ler und Über­set­zer aus dem Fran­zö­si­schen tätig. Die ers­te Fas­sung der Über­set­zung wur­de 1957 im glei­chen Ver­lag ver­öf­fent­licht – offen­sicht­lich post­hum. Ein Ver­gleich der Fas­sun­gen unter­ein­an­der zeigt, dass die Ände­run­gen ledig­lich die Wahl ein­zel­ner Wör­ter sowie die Recht­schrei­bung (z. B. daß/dass) betreffen.
  • Julia (Mari­an­ne) Kirch­ner, erschie­nen 1967 im Insel Ver­lag Frank­furt am Main. Über die Über­set­ze­rin ist bekannt, dass sie 1937 gebo­ren wur­de und sich auch ita­lie­ni­scher Lite­ra­tur wid­me­te, vor allem Wer­ken von Italo Calvino.
  • Eva und Ger­hard Hess, erschie­nen 1983 bei Reclam. Bei­de gemein­sam hat­ten bereits 1946 bei der Dieterich’schen Ver­lags­buch­hand­lung in Mainz eine Über­set­zung ver­öf­fent­licht. Mit Reclam wur­de ein Ver­trag über eine neue Über­set­zung geschlos­sen. Ger­hard Hess (1907−1983) ist als Roma­nist und Über­set­zer aus dem Fran­zö­si­schen bekannt. Eva Hess war ver­mut­lich sei­ne Frau.

Wie soll man die­sen Text aus dem 17. Jahr­hun­dert für Leser:innen des 20. Jahr­hun­derts über­set­zen? Die­se Fra­ge stellt sich bereits beim Titel. Die Haupt­per­son wird in allen deut­schen Fas­sun­gen als „Prin­zes­sin“ bezeich­net. Auch der Titel „Fürs­tin“ wäre denk­bar gewe­sen und hät­te weni­ger an eine Königs­toch­ter den­ken las­sen − man den­ke an die Abhand­lung Il Prin­ci­pe von Nicolò Machia­vel­li, die hier­zu­lan­de unter dem Titel Der Fürst bekannt ist. Und wel­che Stadt führt das unglück­li­che Ehe­paar da eigent­lich im Namen? Wer sie auf der Land­kar­te sucht, wird in Deutsch­land fün­dig: Kle­ve liegt in Nord­rhein-West­fa­len an der Gren­ze zu den Nie­der­lan­den. Die bis 1935 übli­che Schreib­wei­se „Cle­ve“ fin­det sich bei Hans­mann und Broem­ser – die drei ande­ren Über­set­zun­gen sind mit Die Prin­zes­sin von Clè­ves betitelt.

Der Roman beginnt mit einer Beschrei­bung des Lebens am fran­zö­si­schen Königs­hof in den 50er-Jah­ren des 16. Jahr­hun­derts und einer Vor­stel­lung aller Figu­ren, die im Fol­gen­den eine Rol­le spie­len wer­den. Antoine Adam bezeich­net in sei­ner Ein­lei­tung zur fran­zö­si­schen Aus­ga­be von 1966 die ers­ten Sei­ten als „abschre­ckend für den moder­nen Leser“, zumal die Per­so­nen recht ste­reo­ty­pisch beschrie­ben wer­den. Auf die zeit­ge­nös­si­sche Leser­schaft muss der Ein­stieg anders gewirkt haben; mög­li­cher­wei­se weck­te das Her­auf­be­schwö­ren ver­gan­ge­ner Zei­ten Sehn­süch­te. Schau­en wir uns die ers­ten Sät­ze an:

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La magni­ficence et la galan­te­rie n’ont jamais paru en France avec tant d’éclat que dans les der­niè­res années du règ­ne de Hen­ri second. Ce prin­ce était galant, bien fait et amou­reux; quoi­que sa pas­si­on pour Dia­ne de Poi­tiers, duch­es­se de Valen­ti­nois, eût com­men­cé il y avait plus de vingt ans, elle n’en était pas moins vio­len­te et il n’en don­nait pas des témoign­ages moins éclatants.
Com­me il réus­sis­sait admi­ra­blem­ent dans tous les exer­ci­ces du corps, il en fai­sait une de ses plus gran­des occu­pa­ti­ons. C’étaient tous les jours des par­ties de chas­se et de pau­me, des bal­lets, des cour­ses de bagues, ou de sem­bla­bles diver­tis­se­ments; les cou­leurs et les chif­fres de Mme de Valen­ti­nois parais­sai­ent par­tout, et elle parais­sait elle-même avec tous les ajus­tem­ents que pou­vait avoir Mlle de la Marck, sa peti­te-fil­le, qui était alors à marier.

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Pracht und Galan­te­rie sind nie mit mehr Glanz in Frank­reich her­vor­ge­tre­ten als in den letz­ten Jah­ren der Herr­schaft Hein­richs II. Die­ser König war lie­bens­wür­dig, schön und ver­liebt. Wie­wohl sei­ne Nei­gung zu Dia­na von Poi­tiers, der Her­zo­gin von Valen­ti­nois, schon län­ger als zehn Jah­re bestehen moch­te, war sie nichts­des­to­we­ni­ger lei­den­schaft­lich und er bezeug­te sie ihr durch auf­fal­len­de Bewei­se. Da er in allen Übun­gen des Kör­pers mit bewun­derns­wer­ten Erfol­gen gekrönt war, mach­te er sie zu einer sei­ner Haupt­be­schäf­ti­gun­gen. Jeden Tag gab es Reit- und Ball­spie­le, Tanz­fes­te, Ring­s­te­chen oder ähn­li­che Belus­ti­gun­gen, über­all lie­ßen sich Madame de Valen­ti­nois’ Far­ben und Namens­zü­ge sehen, und sie sel­ber erschien mit der reich geschmück­ten Made­moi­sel­le de la Marck, ihrer Enke­lin, die gera­de mann­bar gewor­den war.

Hans­mann 1913/1986

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Nie­mals blüh­ten in Frank­reich Pracht und höfi­sche Art mit sol­chem Glanz wie wäh­rend der letz­ten Jah­re Hein­richs II. Der König war ele­gant, wohl­ge­stal­tet und der Lie­be zuge­tan. Vor mehr als zwan­zig Jah­ren schon hat­te sei­ne Nei­gung zu Dia­na von Poi­tiers, der Her­zo­gin von Valen­ti­nois, begon­nen und noch immer nichts von ihrem Feu­er ver­lo­ren, wie er sehr sicht­bar bezeug­te. In jeder Art von Lei­bes­übung war er wun­der­bar gewandt, und sie bil­de­ten eine sei­ner Haupt­be­schäf­ti­gun­gen. Da waren alle Tage Jagd­par­tien und Ball­spie­le, Balet­te, Ring­s­te­chen und ähn­li­che Ver­an­stal­tun­gen. Ueber­all aber sah man die Far­ben und Initia­li­en der Frau von Valen­ti­nois, und sie erschien selbst mit allem Prunk, den die Sor­ge um ihre eben hei­rats­fä­hig gewor­de­ne Enke­lin, das Fräu­lein von der Marck, forderte.

Broem­ser 1948

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Zu kei­ner Zeit haben Pracht und Galan­te­rie sich in Frank­reich glän­zen­der ent­fal­tet als wäh­rend der letz­ten Regie­rungs­jah­re des Königs Hein­rich II. Die­ser Fürst war rit­ter­lich, wohl­ge­stalt und ver­liebt; obwohl sei­ne Lei­den­schaft für Dia­na von Poi­tiers, Her­zo­gin des Lan­des Valen­ti­nois, schon seit mehr als zwan­zig Jah­ren bestand, hat­te sie an Feu­er nichts ein­ge­büßt, und eben­so glü­hend waren die Zeug­nis­se geblie­ben, durch die er sie bekun­de­te. Ein Meis­ter aller kör­per­li­chen Übun­gen, pfleg­te er die­se mit uner­müd­li­cher Hin­ge­bung. Täg­lich wur­den Jagd­par­tien und Ball­spie­le ver­an­stal­tet, Bal­let­te, Rin­gel­rei­ten und ähn­li­che Belus­ti­gun­gen. Über­all prang­ten die Far­ben und Initia­len der Madame de Valen­ti­nois; und sie selbst erschien in einem Auf­putz, wie er viel­leicht ihrer Enke­lin, der Made­moi­sel­le de la Marck, zuge­kom­men wäre, einem jun­gen Mäd­chen, das gera­de ins hei­rats­fä­hi­ge Alter getre­ten war.

Har­de­kopf 1957/2011

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Nie­mals trat die Nei­gung zu Pracht und höfi­scher Gesel­lig­keit in Frank­reich so glanz­voll in Erschei­nung wie in den letz­ten Jah­ren der Regie­rung Hein­richs II. Der König war galant, wohl­ge­stal­tet und ver­liebt; hat­te auch sei­ne Lei­den­schaft für Dia­na von Poi­tiers, Her­zo­gin von Valen­ti­nois, schon vor mehr als zwan­zig Jah­ren begon­nen, so war sie doch nicht min­der hef­tig gewor­den und sei­ne Gunst­be­wei­se nicht weni­ger glän­zend. Da er sich bei allen rit­ter­li­chen Übun­gen wun­der­bar geschickt zeig­te, gehör­ten sie zu sei­nen liebs­ten Beschäf­ti­gun­gen. Kein Tag ver­ging ohne Jagd­par­tien und Ball­spie­le, Tanz­fes­te, Ring­s­te­chen oder ähn­li­che Lust­bar­kei­ten. Die Far­ben und Initia­len der Frau von Valen­ti­nois tauch­ten über­all auf, und sie selbst zeig­te sich in Klei­dern, wie ihre Enke­lin, das Fräu­lein de la Marck, die damals im hei­rats­fä­hi­gen Alter stand, sie hät­te tra­gen können.

Kirch­ner 1967

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Pracht­lie­be und höfi­sches Wesen stan­den in Frank­reich nie­mals in sol­chem Glan­ze wie in den letz­ten Jah­ren der Regie­rung Hein­richs II. Der König war wohl­ge­stal­tet, von rit­ter­li­cher Art und ver­lieb­tem Wesen; obwohl sei­ne Lei­den­schaft für die Her­zo­gin von Valen­ti­nois, Dia­ne de Poi­tiers, schon über zwan­zig Jah­re dau­er­te, war sie dar­um nicht weni­ger hef­tig, und er bezeug­te sie ihr mit nicht min­der auf­fal­len­den Bewei­sen. Da Hein­rich II. sich in allen kör­per­li­chen Übun­gen durch gro­ße Erfol­ge aus­zeich­ne­te, gehör­ten sie zu sei­nen liebs­ten Beschäf­ti­gun­gen. Kein Tag ver­ging ohne Jagd­par­tien, Ball­spie­le, Tanz­fes­te, Rin­gel­ste­chen und ähn­li­che Ver­gnü­gun­gen. Über­all waren die Far­ben und Initia­len der Her­zo­gin von Valen­ti­nois zu sehen, und sie selbst zeig­te sich eben­so reich geschmückt wie ihre Enke­lin Made­moi­sel­le de la Marck, die damals ins hei­rats­fä­hi­ge Alter trat.

Hess und Hess 1983

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Bei der Über­ar­bei­tung der Über­set­zung von Hans­mann hat man eini­ge Feh­ler über­nom­men. Nicht seit zehn, son­dern seit zwan­zig Jah­ren liebt der König die Her­zo­gin. War­um „par­ties de chas­se“ mit „Reit­spie­le“ statt mit „Jagd­par­tien“ über­setzt wur­de, ist schwer nach­voll­zieh­bar. Was den Ver­gleich der Her­zo­gin mit ihrer Enke­lin betrifft, geht auch Broem­ser in eine fal­sche Rich­tung: Im Ori­gi­nal steht, die Älte­re klei­de sich so, wie es für die Jün­ge­re ange­mes­sen wäre. Bei Hess und Hess schmü­cken sich tat­säch­lich bei­de – ob die Enke­lin es tat­säch­lich tut, las­sen sowohl Har­de­kopf als auch Kirch­ner eben­so offen wie Madame de Lafayette. 

In Bezug auf das „jeu de pau­me“ ist der Ver­gleich mit der älte­ren Fas­sung von Har­de­kopf inter­es­sant. Dort ist von „Rakett­ball­spie­len“ die Rede, eine Wort­wahl, die vor dem geis­ti­gen Auge der Lesen­den eher das Gemein­te erschei­nen lässt als die unbe­stimm­ten „Ball­spie­le“: Es han­delt sich um einen Vor­läu­fer des heu­ti­gen Ten­nis (hier eine in die Zeit pas­sen­de Illus­tra­ti­on). Der Über­be­griff für all die Lieb­lings­be­schäf­ti­gun­gen des Königs lau­tet im Ori­gi­nal „exer­ci­ces du corps“. 

Broem­sers Über­set­zung „Lei­bes­übung“ wirkt sehr alt­mo­disch, da man als deut­sches Äqui­va­lent für „corps“ heu­te das Wort „Kör­per“ ver­wen­det (auch sei­ne Über­set­zung von „paraît­re“ mit „blü­hen“ ganz am Anfang sticht als etwas schwüls­tig her­vor). Auf­fäl­lig ist auch Kirch­ners Ent­schei­dung für „rit­ter­li­che Übun­gen“; sie passt jedoch zur „höfi­schen Gesel­lig­keit“ aus ihrem ers­ten Satz. Bei­de Adjek­ti­ve fin­den sich auch in ande­ren Über­set­zun­gen des Roman­an­fangs, wenn auch an ande­ren Stel­len. Den Par­al­le­lis­mus von „pas moins“ im zwei­ten Satz behal­ten mit „nicht min­der“ / „nicht weni­ger“ (bzw. umge­kehrt) nur Kirch­ner sowie Hess und Hess bei. Har­de­kopf hebt die Stel­le auf eine ande­re Wei­se her­vor, näm­lich durch die Kom­bi­na­ti­on des Sub­stan­tivs „Feu­er“ mit dem sinn­ver­wand­ten Adjek­tiv „glü­hend“.

Als Bei­spiel für die indi­rek­te Kom­mu­ni­ka­ti­on, bei der die Din­ge nicht aus­ge­spro­chen, son­dern nur ange­deu­tet wer­den, soll ein Aus­zug aus einer län­ge­ren Pas­sa­ge die­nen. Mon­sieur de Nemours hat es geschafft, mit Madame de Clè­ves allein zu sein. Bis vor Kur­zem hat er noch um die Hand der Köni­gin von Eng­land gewor­ben – nun zeigt er kein Inter­es­se mehr an ihr und scheint ins­ge­samt stark ver­än­dert, was allen am Hof auf­fällt. Genau zu die­sem The­ma äußert er sich …

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Il y a des per­son­nes à qui on n’ose don­ner d’autres mar­ques de la pas­si­on qu’on a pour elles que par les cho­ses qui ne les regar­dent point; et, n’osant leur fai­re paraît­re qu’on les aime, on vou­drait du moins qu’elles vis­sent que l’on ne veut être aimé de per­son­ne. L’on vou­drait qu’elles sus­sent qu’il n’y a point de beau­té, dans quel­que rang qu’elle pût être, que l’on ne regar­dât avec indif­fé­rence, et qu’il n’y a point de cou­ron­ne que l’on voulût ache­ter au prix de ne les voir jamais.

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Es gibt Damen, denen man kei­ne ande­ren Bewei­se der Lie­be, die man für sie hegt, zu geben wagt, als durch Din­ge, die sie gar nicht beach­ten; und da man nicht wagt, ihnen zu erken­nen zu geben, daß man sie liebt, so wünscht man wenigs­tens, daß sie sehen, wie man von nie­mand ande­rem geliebt sein will. Man wünscht, daß sie wis­sen, daß es kei­ne Schön­heit, wel­chen Ran­ges sie auch immer sein möch­te, gibt, die man nicht gleich­gül­tig betrach­tet; daß es kei­ne Kro­ne gibt, die man um den Preis, sie nie­mals zu sehen, kau­fen möchte.

Hans­mann 1913/1986

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Es gibt Frau­en, denen man sei­ne Lie­be nicht offen zu zei­gen wagt; und da möch­te man doch, daß sie sähen, wie wenig Wert man auf die Lie­be der ande­ren legt. Sie soll­ten wis­sen, daß wir kei­ne Frau, wie schön und wel­chen Ran­ges sie auch sei, anders als mit Gleich­gül­tig­keit betrach­ten; daß wir um den Preis, sie nicht wie­der­zu­sehn, kei­ne Kro­ne kau­fen möchten.

Broem­ser 1948

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Es gibt Per­so­nen, denen man die Nei­gung, die man für sie emp­fin­det, nur durch Din­ge, mit denen sie eigent­lich nichts zu tun haben, anzu­deu­ten wagt. Da man sich nicht getraut, ihnen offen zu zei­gen, dass man sie liebt, so möch­te man ihnen wenigs­tens den Beweis erbrin­gen, dass man von nie­mand ande­rem auf der Welt geliebt wer­den will. Man möch­te, dass ihnen klar wer­de, es gebe auf Erden kei­ne Schön­heit, wie hoch immer ihr Rang sei, auf die man nicht gleich­gül­tig hin­sä­he, und es gebe kei­ne Kro­ne, die man um den Preis des Ver­zichts auf die gelieb­te Frau erkau­fen möchte.

Har­de­kopf 1957/2011

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Es gibt gewis­se Men­schen, denen man sei­ne Lei­den­schaft nicht anders zu bekun­den wagt, als durch Din­ge, die sie nicht unmit­tel­bar ange­hen; und da man sei­ne Lie­be nicht zei­gen kann, möch­te man wenigs­tens, sie sähen, daß man von nie­mand ande­rem geliebt wer­den will. Man möch­te, sie wüß­ten, daß es kei­ne Schön­heit gibt, wel­chen Ran­ges auch immer, die einem nicht gleich­gül­tig wäre, und kei­ne Kro­ne, die man sich um den Preis erkau­fen wür­de, sie nie wie­der zu sehen.

Kirch­ner 1967

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Es gibt Men­schen, denen man die Lei­den­schaft, die man für sie emp­fin­det, nur durch Din­ge zu zei­gen sich getraut, die sie nicht selbst betref­fen; und da man nicht wagt, sie erken­nen zu las­sen, daß man sie liebt, so wünscht man wenigs­tens, sie möch­ten bemer­ken, daß man von nie­man­dem sonst geliebt wer­den will. Man wünscht, sie möch­ten wis­sen, daß es kei­ne Schön­heit, und wäre sie vom höchs­ten Ran­ge, gibt, die man nicht mit Gleich­gül­tig­keit betrach­tet, und kei­ne Kro­ne, die man gewin­nen woll­te um den Preis, sie nie wiederzusehen.

Hess und Hess 1983

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Hans­mann hat die For­mu­lie­rung „qui ne les regar­dent point“ mög­li­cher­wei­se als „qu’elles ne regar­dent point“ miss­ver­stan­den. Sei­ne Lösung „die sie gar nicht beach­ten“ ist schwer nach­voll­zieh­bar. Eben­so wie Broem­ser über­setzt er „ache­ter“ wört­lich mit „kau­fen“, was nach Super­markt klingt; die jün­ge­ren Über­set­zun­gen „erkau­fen“ oder „gewin­nen“ sind ele­gan­ter. „Pas­si­on“ gibt Hans­mann mit „Lie­be“ wie­der, was zu einer unnö­ti­gen Häu­fung im Deut­schen führt, da ja noch das zwei­mal ver­wen­de­te Verb „aimer“ zu über­set­zen ist. Die ande­ren Über­set­zer haben sich ent­we­der für die wört­li­che Lösung „Lei­den­schaft“ oder für „Nei­gung“ ent­schie­den. Broem­ser ist noch einen ande­ren Weg gegan­gen, indem er den Satz gekürzt hat. Dies erleich­tert das Ver­ständ­nis, lässt den ver­lieb­ten Nemours aber schnel­ler zum Punkt kom­men, als er es im Ori­gi­nal tut.

Auf­fäl­lig sind zwei Punk­te in der Über­set­zung von Har­de­kopf: „Den Beweis erbrin­gen“ impli­ziert, es habe bereits ein Gespräch zwi­schen dem Lie­ben­den und der Gelieb­ten gege­ben und sie zweif­le an sei­nen Gefüh­len. „Ver­zicht auf die gelieb­te Frau“ klingt, als bestehe ein Ver­hält­nis zwi­schen ihnen – es geht dem Lie­ben­den aber nur dar­um, die Gelieb­te sehen zu kön­nen. Kirch­ners Lösung wirkt schlicht und ele­gant, sie ist gut les­bar, ohne dabei auf Details des Ori­gi­nals zu verzichten.

Die von der zeit­ge­nös­si­schen Leser­schaft am hef­tigs­ten dis­ku­tier­te Sze­ne ist die­je­ni­ge, in der Madame de Clè­ves ihrem Mann ihre Gefüh­le für einen ande­ren gesteht. Ist eine sol­che Situa­ti­on rea­lis­tisch? Tut die Titel­hel­din das Rich­ti­ge? Geäu­ßert wur­den auch Pla­gi­ats­vor­wür­fe, da in einer 1670 ver­öf­fent­lich­ten Novel­le von Madame de Vil­le­dieu eine sehr ähn­li­che Sze­ne ent­hal­ten ist. Die Idee zu La Prin­ces­se de Clè­ves soll jedoch noch älter sein. Im Fol­gen­den ein Aus­zug, der wie­der­um zeigt, dass wich­ti­ge Din­ge im Roman meist nur ange­deu­tet werden.

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[…] je vais vous fai­re un aveu que l’on n’a jamais fait à son mari; mais l’innocence de ma con­duite et de mes inten­ti­ons m’en don­ne la force. Il est vrai que j’ai des rai­sons pour m’éloigner de la cour et que je veux évi­ter les périls où se trou­vent quel­que­fois les per­son­nes de mon âge. […] Son­gez que pour fai­re ce que je fais, il faut avoir plus d’amitié et plus d’estime pour un mari que l’on en a jamais eu; con­dui­sez-moi, ayez pitié de moi, et aimez-moi enco­re, si vous pouvez.

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[…] ich will Ihnen ein Geständ­nis able­gen, wie man es noch nie­mals einem Gat­ten gemacht hat, doch mei­ne makel­lo­se Auf­füh­rung und Gesin­nung ermu­ti­gen mich dazu! Ich will mich wahr­lich nicht grund­los vom Hofe fern­hal­ten, ich will die Gefah­ren mei­den, denen oft Frau­en mei­nes Alters unter­lie­gen. […] Den­ken Sie dar­an, daß man, um so zu han­deln, wie ich han­del­te, mehr Freund­schaft und mehr Ach­tung vor einem Gat­ten haben muß, als irgend jemand hat­te. Lei­ten Sie mich, haben Sie Mit­leid mit mir und lie­ben Sie mich noch, wenn Sie es können!

Hans­mann 1913/1986

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[…] ich will Ihnen ein Geständ­nis machen, wie es noch kein Gemahl gehört hat. Die Kraft dazu gibt mir mein tadel­lo­ser Wan­del und die Unschuld mei­ner Absich­ten. Ja, ich habe Grün­de, vom Hofe fern zu blei­ben und Gefah­ren zu mei­den, denen Frau­en mei­nes Alters manch­mal aus­ge­setzt sind. […] Beden­ken Sie auch: Indem ich Ihnen dies geste­he, bezeu­ge ich Ihnen mehr Freund­schaft und Ach­tung, als jemals eine Frau ihrem Gemahl erwie­sen hat. Lei­ten Sie mich, haben Sie Mit­leid mit mir und lie­ben Sie mich, wenn Sie es nun noch vermögen.

Broem­ser 1948

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[…] ich will Ihnen ein Geständ­nis machen, wie es kei­ne Frau jemals ihrem Mann gemacht hat! Die Unta­del­haf­tig­keit mei­nes Wan­dels und mei­ner Absich­ten gibt mir die Kraft zu die­sem Ent­schluss. Ich habe in der Tat Grün­de, mich vom Hof fern­zu­hal­ten; ich möch­te den Gefah­ren aus dem Weg gehen, denen Per­so­nen mei­nes Alters manch­mal aus­ge­setzt sind. […] Beden­ken Sie: Um so zu han­deln, wie ich es in die­sem Augen­blick tue, muss man für sei­nen Gemahl eine Freund­schaft und eine Hoch­ach­tung hegen, wie sie wohl noch kei­ne Frau emp­fun­den hat. Hel­fen Sie mir, haben Sie Mit­leid und behal­ten Sie mich lieb, wenn Sie es können!

Har­de­kopf 1957/2011

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[…] ich will Ihnen etwas geste­hen, was man noch nie einem Ehe­mann gestan­den hat; doch die Unschuld mei­nes Han­delns und mei­ner Absich­ten geben mir die Kraft dazu. Es ist wahr, daß ich Grün­de besit­ze, mich vom Hofe zu ent­fer­nen, und daß ich die Gefah­ren ver­mei­den will, denen Frau­en mei­nes Alters oft aus­ge­setzt sind. […] Beden­ken Sie, um das zu tun, was ich tue, muß man mehr Freund­schaft und mehr Ach­tung für einen Gat­ten emp­fin­den, als es je ein Mensch getan hat; lei­ten Sie mich, haben Sie Mit­leid mit mir und lie­ben Sie mich noch, wenn Sie können.

Kirch­ner 1967

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[…] ich will Ihnen ein Geständ­nis machen, das noch nie ein Gat­te gehört hat; doch die Unschuld mei­nes Han­delns und mei­nes Wol­lens geben mir die Kraft dazu. Es ist wahr, ich habe Grün­de, mich vom Hofe fern­zu­hal­ten; es ist wahr, ich möch­te die Gefah­ren mei­den, die jun­gen Frau­en manch­mal dro­hen. […] Beden­ken Sie: um das zu tun, was ich tue, muß eine Frau mehr Lie­be und Ach­tung für ihren Gat­ten haben, als jemals ein Mensch besaß. Lei­ten Sie mich, haben Sie Mit­leid mit mir, und bewah­ren Sie mir Ihre Lie­be, wenn Sie es noch können.

Hess und Hess 1983

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Um das fran­zö­si­sche Sub­stan­tiv „mari“ ins Deut­sche zu über­set­zen, exis­tie­ren ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten. In den unter­schied­li­chen Über­set­zun­gen fin­den wir „Gemahl“, Gat­te“, „Ehe­mann“ und „Mann“, wobei die Wort­wahl inner­halb der glei­chen Über­set­zung wech­seln kann. Die deut­sche Fas­sung von Broem­ser wirkt durch die aus­schließ­li­che Ver­wen­dung von „Gemahl“ auf die heu­ti­ge Leser­schaft sehr alt­mo­disch und über­trie­ben fei­er­lich. Durch­aus inter­es­sant ist dage­gen sei­ne Ent­schei­dung, „l’innocence de ma con­duite et de mes inten­ti­ons“ mit „mein tadel­lo­ser Wan­del und die Unschuld mei­ner Absich­ten“ wie­der­zu­ge­ben und „inno­cence“ somit dop­pelt zu über­set­zen. Sowohl Kirch­ner als auch Hess und Hess über­set­zen das Sub­stan­tiv wört­lich mit „Unschuld“, Hans­mann mit dem Adjek­tiv „makel­los“. Har­de­kopfs „Unta­del­haf­tig­keit“ wirkt recht sperrig.

Hess und Hess über­set­zen „ma con­duite et mes inten­ti­ons“ mit „mein Han­deln und mein Wol­len“ − nicht ganz unpro­ble­ma­tisch (um pas­send zum Stil des Romans eine Lito­tes zu ver­wen­den), da in einem der nicht berück­sich­tig­ten Sät­ze von „mes actions“ die Rede ist, was eben­falls mit „mein Han­deln“ wie­der­ge­ge­ben wird. (Kirch­ner über­setzt „con­duite“ zwar auch mit „Han­deln“, „actions“ aber mit „Taten“.) Das zum Sub­stan­tiv „con­duite“ gehö­ri­ge Verb „con­dui­re“ taucht am Ende des Abschnitts auf. Alle Über­set­zen­den haben sich hier für „lei­ten“ ent­schie­den. Die Aus­nah­me ist Har­de­kopf, der 1957 „füh­ren“ ver­wen­de­te, wor­aus in der über­ar­bei­te­ten Fas­sung von 2011 „hel­fen“ wurde.

Hans­mann fällt in die­sem Abschnitt durch zu wört­li­che Lösun­gen unan­ge­nehm auf. „Wie man es noch nie­mals einem Gat­ten gemacht hat“ mag ja noch ange­hen, aber „als irgend jemand hat­te“? Auf­fäl­lig ist auch die Lösung von Hess und Hess für den Begriff „ami­tié“: Alle ande­ren Über­set­zen­den geben die­ses Sub­stan­tiv wört­lich mit „Freund­schaft“ wie­der. Im Reclam-Büch­lein heißt es „Lie­be“ − nicht ganz pas­send, weil Madame de Clè­ves genau die­ses Gefühl inner­halb ihrer Ehe nie­mals emp­fun­den hat. „Zunei­gung“ wäre viel­leicht noch eine Opti­on gewe­sen …? Von ein­zel­nen Details abge­se­hen wer­den die drei jün­ge­ren Über­set­zun­gen hier dem Ori­gi­nal gerecht und sind gut lesbar.

Erst zehn Sei­ten vor Schluss des Romans kommt es zum ers­ten offe­nen Gespräch zwi­schen Madame de Clè­ves und Mon­sieur de Nemours. Sie ver­sucht nicht län­ger, ihre Gefüh­le zu ver­ber­gen; er gesteht, dass er gelauscht hat, als sie ihrem Mann von die­sen Gefüh­len erzähl­te. Objek­tiv gese­hen stün­de einer Ehe zwi­schen den bei­den nichts im Wege, sie lehnt sei­nen Antrag jedoch ab. Nur weil sie bereits ent­schlos­sen ist, ihn nie wie­der zu sehen, ist sie zu dem Gespräch bereit. Auf der einen Sei­te sind es „Grün­de der Pflicht“, die die Titel­hel­din dazu bewe­gen, sich von Mon­sieur de Nemours und der Gesell­schaft ins­ge­samt zurück­zu­zie­hen: Schon ihre Mut­ter hat sie vor ihm gewarnt und ihr Mann ging davon aus, dass sie, ein­mal Wit­we gewor­den, ihren Gelieb­ten hei­ra­ten wer­de – eine Pro­phe­zei­ung, die sich nicht erfül­len soll. Auf der ande­ren befürch­tet sie, mit ihm unglück­lich zu wer­den. Aus dem fol­gen­den Aus­zug wird deut­lich, was in ihr vorgeht:

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„[…] je ne sau­rais vous avouer, sans hon­te, que la cer­ti­tu­de de n’être plus aimée de vous, com­me je le suis, me paraît un si hor­ri­ble mal­heur, que, quand je n’aurais point de rai­sons de devoir insur­mon­ta­bles, je dou­te si je pour­rais me résoud­re à m’exposer à ce mal­heur. […] M. de Clè­ves était peut-être l’unique hom­me du mon­de capa­ble de con­ser­ver de l’amour dans le maria­ge. Ma desti­née n’a pas vou­lu que j’aie pu pro­fi­ter de ce bon­heur; peut-être aus­si que sa pas­si­on n’avait sub­sis­té que par­ce qu’il n’en aurait pas trou­vé en moi. Mais je n’aurais pas le même moy­en de con­ser­ver la vôt­re : je crois même que les obs­ta­cles ont fait vot­re con­s­tance. Vous en avez assez trou­vé pour vous ani­mer à vain­cre et mes actions invo­lon­tai­res, ou les cho­ses que le hasard vous a app­ri­ses, vous ont don­né assez d’espérance pour ne vous pas rebuter.

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[…] ich wer­de Ihnen nicht ohne Scham beken­nen kön­nen, daß mir die Gewiß­heit, nicht mehr von Ihnen geliebt zu wer­den, wie ich es bin, ein so furcht­ba­res Unglück schie­ne, daß, wenn auch die unüber­wind­ba­ren Grün­de der Pflicht nicht bestün­den, ich mich kaum ent­schlie­ßen könn­te, mich sol­chem Unglück aus­zu­set­zen. […] Mon­sieur de Cle­ve war viel­leicht der ein­zi­ge Mann auf der Welt, wel­cher die Lie­be in der Ehe zu bewah­ren ver­moch­te. Mein Geschick woll­te es nicht, daß ich die­ses Glück aus­kos­ten soll­te; sei­ne Lei­den­schaft hat­te viel­leicht auch nur Bestand, weil er nicht ihres­glei­chen bei mir fand. Aber ich wür­de nicht das­sel­be Mit­tel, mir die Ihri­ge zu erhal­ten, haben: Denn ich glau­be sogar, daß die Hin­der­nis­se ihre Bestän­dig­keit bewirk­ten! Sie haben ihrer genug gefun­den, die Sie zu einer Besie­gung anfeu­er­ten, und mei­ne unab­sicht­li­chen Hand­lun­gen, oder die Din­ge, wel­che Sie der Zufall lehr­te, haben nur zu vie­le Hoff­nun­gen in Ihnen erweckt, um Sie nicht abzuschrecken!

Hans­mann 1913/1986

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[…] ich kann nicht ohne Scham gestehn, daß mir die Gewiß­heit, Ihre Lie­be bald zu ver­lie­ren, als ein schreck­li­ches Unglück erscheint. Sicher­lich könn­te ich mich ohne jene unüber­wind­li­chen Grün­de der Pflicht wohl kaum zu einem sol­chen Ent­schluß auf­raf­fen. […] Herr von Cle­ve war viel­leicht als der ein­zi­ge Mann auf der Welt fähig, die­se Lie­be auch in der Ehe zu bewah­ren. Das Schick­sal hat nicht gewollt, daß ich mich die­ses Glü­ckes erfreu­te. Aber ob nicht auch sei­ne Lei­den­schaft nur des­halb leben­dig geblie­ben ist, weil sie in mir kei­nen Wider­hall fand? Mir Ihre Lie­be jedoch zu erhal­ten, hät­te ich nicht das glei­che Mit­tel. Ich glau­be sogar, daß die Hin­der­nis­se der Grund für Ihre Bestän­dig­keit waren. Es gab ihrer soviel wie nötig, Sie zum Sieg anzu­sta­cheln; dazu ließ Ihnen mein unab­sicht­li­ches Tun und das, was Sie durch Zufall erfuh­ren, eben genug Hoff­nung, daß Sie nicht abge­schreckt wurden.

Broem­ser 1948

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[…] ich kann nicht ohne Scham geste­hen, dass die Mög­lich­keit, von Ihnen ein­mal weni­ger geliebt zu wer­den als bis­her, mir als ein so furcht­ba­res Unglück erschie­ne, dass ich, auch wenn ich nicht im Bann unüber­wind­li­cher Pflich­ten stün­de, kaum die Kraft hät­te, mich ihm aus­zu­set­zen. […] Mon­sieur de Clè­ves war viel­leicht der ein­zi­ge Mann auf Erden, der sei­ne Lie­be auch in der Ehe zu bewah­ren wuss­te. Mein Geschick hat nicht gewollt, dass ich mich die­ses Glücks erfreu­en durf­te. Viel­leicht war sei­ne Lie­be auch nur des­halb so uner­schüt­ter­lich, weil sie von mir nicht erwi­dert wur­de. Doch um mir die Ihre zu erhal­ten, hät­te ich nicht das­sel­be Mit­tel. Ich glau­be sogar, dass Ihre Nei­gung nur wegen der Hin­der­nis­se so bestän­dig geblie­ben ist! An Grün­den hat es Ihnen ja nicht gefehlt, um Ihren Wil­len immer wie­der anzu­sta­cheln; mei­ne unab­sicht­li­chen Taten sowie man­ches, was der Zufall Ihnen kund­ge­tan haben wird, mag Sie immer von Neu­em dar­in bestärkt haben, sich nicht abschre­cken zu lassen.

Har­de­kopf 1957/2011

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[…] ich kann Ihnen nicht ohne Scham geste­hen, daß die Gewiß­heit, nicht mehr von Ihnen wie jetzt geliebt zu wer­den, mir ein schreck­li­ches Übel scheint und ich – wenn mich nicht unab­weis­ba­re Grün­de der Pflicht dazu zwän­gen – nicht wüß­te, ob ich mich die­sem Unglück aus­set­zen woll­te. […] Herr von Clè­ves war viel­leicht der ein­zi­ge Mann, der es ver­moch­te, sei­ne Lie­be in der Ehe zu bewah­ren. Mein Schick­sal hat nicht gewollt, daß ich die­ses Glück genie­ßen konn­te; viel­leicht war auch sei­ne Lei­den­schaft nur dau­er­haft, weil ich sie nicht erwi­der­te. Ich aber hät­te kei­ne Macht, mir Ihre Lie­be zu bewah­ren: Ich glau­be sogar, daß die Hin­der­nis­se der Grund für Ihre Bestän­dig­keit waren. Sie fan­den immer so vie­le Wider­stän­de, daß es Sie reiz­te, sie zu über­win­den, und mei­ne unfrei­wil­li­gen Ges­ten oder die Zufäl­le, die Ihnen mei­ne Lei­den­schaft zeig­ten, gaben Ihnen Hoff­nung genug, nicht den Mut zu verlieren. 

Kirch­ner 1967

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[…] ich kann Ihnen nicht ohne Scham geste­hen, daß die Gewiß­heit, von Ihnen nicht mehr geliebt zu wer­den wie bis­her, mir ein so furcht­ba­res Unglück scheint, daß ich, hät­te ich nicht unüber­wind­li­che Grün­de der Pflicht, dar­an zweif­le, ob ich mich ent­schlie­ßen könn­te, die­sen Schmerz zu tra­gen. […] Mon­sieur de Clè­ves war viel­leicht der ein­zi­ge Mann auf Erden, der in der Ehe die Lie­be hät­te bewah­ren kön­nen. Mein Geschick hat es mir ver­sagt, dies Glück zu genie­ßen; viel­leicht hat sei­ne Lei­den­schaft auch nur dar­um Bestand gehabt, weil ich sie nicht erwi­der­te. Aber ich hät­te nicht das glei­che Mit­tel, mir Ihre Lie­be zu erhal­ten; ich glau­be sogar, daß Ihre Treue den Hin­der­nis­sen zu dan­ken ist, die Ihren Wider­stand her­aus­for­der­ten; und man­cher­lei, das ich ohne Absicht tat oder der Zufall Ihnen ver­riet, gab Ihnen Hoff­nung genug, um nicht ent­mu­tigt zu werden.

Hess und Hess 1983

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Am wenigs­ten gelun­gen wirkt wie­der­um die Über­set­zung von Hans­mann, die klei­ne Feh­ler ent­hält und umständ­lich for­mu­liert. Broem­ser hat sich auch hier für eine Kür­zung ent­schie­den, wobei die wesent­li­chen Infor­ma­tio­nen erhal­ten blei­ben. Das Verb „ani­mer“ gibt er eben­so wie Har­de­kopf mit „ansta­cheln“ wie­der, was Mon­sieur de Nemours als Mann daste­hen lässt, der auf Erobe­run­gen aus ist – ein Ruf, den er am Hof hat­te, bevor er Madame de Clè­ves traf. Hans­manns Über­set­zung „anfeu­ern“ geht in die glei­che Rich­tung. Alle drei geben „rebu­ter“ pas­send dazu mit „abschre­cken“ wie­der. Har­de­kopf baut sogar noch ein „immer wie­der“ und ein „immer von Neu­em“ ein. In den bei­den ande­ren deut­schen Fas­sun­gen erscheint Nemours eher als treu­er Lie­ben­der. Mit „Treue“ über­set­zen Hess und Hess das fran­zö­si­sche „con­s­tance“ (das alle ande­ren wört­lich mit „Bestän­dig­keit“ wiedergeben).

Wel­che Über­set­zung sol­len des Fran­zö­si­schen nicht mäch­ti­ge nun lesen? Von den bei­den ältes­ten ist abzu­ra­ten. Hans­mann macht diver­se Feh­ler und sein Text wirkt heu­te eben­so wie der von Broem­ser alt­mo­disch. Die 2011 über­ar­bei­te­te Über­set­zung von Har­de­kopf ist mit 19,95 € die teu­ers­te (und bie­tet die aus­führ­lichs­ten Anmer­kun­gen, die dabei hel­fen, sich unter all den his­to­ri­schen Per­so­nen zurecht­zu­fin­den). Die Fas­sun­gen von Kirch­ner oder Hess und Hess sind aber genau­so gut les­bar. Da alle drei bereits ein wenig in die Jah­re gekom­men sind und eini­ge Stel­len ent­hal­ten, die nicht ganz opti­mal gelöst sind, wür­de sich auch eine Neu­über­set­zung des Klas­si­kers loh­nen. Die Beschrei­bung der Gemüts­zu­stän­de der Figu­ren ist heu­te noch eben­so fes­selnd wie vor fast 350 Jah­ren. Auch Tratsch und Heu­che­lei sind zeit­lo­se Themen.


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