Stim­men aus Sápmi

Samische Kultur wird sichtbarer – in Literatur, Museen und Medien. „Das Echo der Sommer“ zeigt, wie Übersetzung mehr sein kann als Sprachtransfer: ein politischer Akt des Erinnerns und Widerstands. Von

"Das Echo der Sommer". Hintergrundbild: Chris Weiher via Unsplash

In den letz­ten Jah­ren ist das Inter­es­se an der sami­schen Kul­tur und Lite­ra­tur spür­bar gewach­sen, und zwar nicht nur inner­halb der skan­di­na­vi­schen Län­der, son­dern weit dar­über hin­aus. Die­se zuneh­men­de Auf­merk­sam­keit mani­fes­tiert sich auf viel­fäl­ti­ge Wei­se und zeigt, wie das sami­sche Erbe und die sami­sche Stim­me auf glo­ba­ler Ebe­ne immer stär­ker Gehör fin­den. Beson­ders deut­lich wird dies nicht nur in musea­len Kon­tex­ten – etwa in der Aus­stel­lung Das Land spricht im Fin­ni­schen Insti­tut Ham­burg, die einen wich­ti­gen Bei­trag zur Prä­sen­ta­ti­on und Ver­mitt­lung sami­scher Kul­tur leis­tet, oder in der Neu­be­stü­ckung der Samm­lung im Muse­um Euro­päi­scher Kul­tu­ren in Ber­lin –, son­dern eben­so in ande­ren Medi­en und Aus­drucks­for­men. Fil­me wie Eat­na­mea­met – Our Silent Strugg­le, digi­ta­le Spie­le wie Skáb­ma – Snow­fall und die Arbei­ten sami­scher Künstler:innen auf Kunst­bi­en­na­len tra­gen dazu bei, ein viel­schich­ti­ges Bild sami­scher Iden­ti­tä­ten und Lebens­wel­ten in den inter­na­tio­na­len kul­tu­rel­len Dia­log einzubringen.

Eben­so zeigt sich die Bedeu­tung des Sami­schen auf den gro­ßen lite­ra­ri­schen Büh­nen, etwa beim Gast­land­auf­tritt Nor­we­gens auf der Leip­zi­ger Buch­mes­se 2025, wo die viel­fäl­ti­gen Aspek­te und Her­aus­for­de­run­gen sami­scher Iden­ti­tät in den Vor­der­grund gerückt wur­den. Und auch auf der Buch­mes­se in Göte­borg 2024, bei der Autorin­nen wie Elin Anna Lab­ba und Ann-Helén Laesta­di­us her­vor­tra­ten, die mit ihren Wer­ken ein­drucks­voll die kom­ple­xen Ver­flech­tun­gen von Spra­che, poli­ti­schen Rech­ten und Erin­ne­rungs­kul­tur der sami­schen Völ­ker verhandeln.

Die­se wach­sen­de Sicht­bar­keit ist zwei­fel­los ein bedeu­ten­der Schritt auf dem Weg zu einer brei­te­ren Aner­ken­nung der sami­schen Kul­tur. Doch gleich­zei­tig ist sie nicht frei von poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Span­nun­gen. Gera­de im Rah­men von gro­ßen, medi­al beach­te­ten Ver­an­stal­tun­gen besteht die Gefahr, dass indi­ge­ne Kul­tu­ren auf ste­reo­ty­pe Kli­schees redu­ziert oder in folk­lo­ris­ti­schen Insze­nie­run­gen ver­ein­facht dar­ge­stellt wer­den. Sol­che Dar­stel­lun­gen kön­nen die viel­schich­ti­ge Rea­li­tät und die leben­di­ge Kul­tur der Sam:innen ver­zer­ren. Über­set­zun­gen neh­men in die­sem Kon­text eine beson­ders wich­ti­ge Rol­le ein: Sie sind nicht nur ein­fa­che sprach­li­che Über­tra­gun­gen, son­dern hoch­kom­ple­xe Akte kul­tu­rel­ler Ver­mitt­lung. Über­set­zung eröff­net Mög­lich­kei­ten der Ver­stän­di­gung und des Aus­tauschs, wirft aber zugleich auch Fra­gen zu Macht­ver­hält­nis­sen, Sicht­bar­keit und kul­tu­rel­ler Aneig­nung auf.

Das Echo der Sommer

Elin Anna Lab­bas Roman Das Echo der Som­mer, der im April 2025 im S. Fischer Ver­lag in der Über­set­zung von Han­na Granz erschien, lie­fert ein beson­ders prä­gnan­tes Bei­spiel für die­se kom­ple­xe Situa­ti­on. Es han­delt sich um ihr ers­tes Werk, das ins Deut­sche über­tra­gen wur­de. Ihr vor­he­ri­ges Buch Her­rar­na sat­te oss hit (2020) ist zwar bereits auf Eng­lisch erschie­nen (The Rocks Will Echo Our Sor­row), hat jedoch bis­lang im deutsch­spra­chi­gen Raum kei­ne Rezep­ti­on erfahren.

Der Roman spielt in Sáb­me und ist tief in der sami­schen Lebens­welt ver­an­kert. Er erzählt die Geschich­te von Rávdná und ihrer Toch­ter Ingá, die zu ihrem ange­stamm­ten Som­mer­la­ger zurück­keh­ren – nur um fest­zu­stel­len, dass die­ser Ort in den 1960er Jah­ren durch den Bau des Stau­sees Áhká­já­vr­re unwie­der­bring­lich ver­lo­ren gegan­gen ist. Die­ses durch staat­li­che und wirt­schaft­li­che Inter­es­sen erzwun­ge­ne Flu­ten zer­stör­te nicht nur Häu­ser, son­dern for­cier­te auch die Umsied­lung von Grä­bern und schnitt wich­ti­ge Ren­tier­her­den­rou­ten ab. Far inte till havet fun­giert somit als lite­ra­ri­sches Zeug­nis, das über rein his­to­ri­sche Dar­stel­lun­gen hin­aus­geht und durch emo­tio­na­le sowie ima­gi­na­ti­ve Erzähl­for­men ein dif­fe­ren­zier­tes Bild der sami­schen Erin­ne­rungs­kul­tur zeichnet.

Das Buch erschien 2024 gleich­zei­tig in der schwe­di­schen Ori­gi­nal­fas­sung (Far inte till havet) und in einer nord­sa­mi­schen Über­set­zung (Ale mana mer­rii, über­setzt von Lea Sim­ma) beim glei­chen Ver­lag, Nor­stedts. Die­se par­al­le­le Ver­öf­fent­li­chung ver­deut­licht ein zen­tra­les Dilem­ma vie­ler indi­ge­ner Autor:innen: Obwohl Nord­sa­misch ihre Mut­ter­spra­che und ein essen­zi­el­ler Teil ihrer kul­tu­rel­len Iden­ti­tät ist, sehen sich vie­le durch Jahr­zehn­te der Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik und Mar­gi­na­li­sie­rung gezwun­gen, ihre lite­ra­ri­sche Stim­me zunächst in der domi­nan­ten Mehr­heits­spra­che zu erheben.

Die­ses Span­nungs­feld wirft grund­le­gen­de Fra­gen auf: Wel­che Facet­ten sami­scher Kul­tur, Iden­ti­tät und Geschich­te fin­den durch die zuneh­men­de inter­na­tio­na­le Sicht­bar­keit tat­säch­lich Gehör – und wel­che blei­ben unsicht­bar oder wer­den gar aus­ge­blen­det? Wird die sami­sche Kul­tur dabei auf folk­lo­ris­ti­sche Kli­schees redu­ziert, oder gelingt es, ihre kom­ple­xen Rea­li­tä­ten und Her­aus­for­de­run­gen authen­tisch und viel­schich­tig dar­zu­stel­len? Und schließ­lich: Wie kön­nen Über­set­zun­gen und media­le Ver­mitt­lung dazu bei­tra­gen, ein tie­fe­res Ver­ständ­nis der sami­schen Per­spek­ti­ve zu för­dern, ohne dabei in kul­tu­rel­le Aneig­nung zu ver­fal­len oder bestehen­de Macht­ver­hält­nis­se zu repro­du­zie­ren? Die­se Fra­gen sind ent­schei­dend, wenn es dar­um geht, nicht nur ober­fläch­li­che Sicht­bar­keit zu schaf­fen, son­dern in glo­ba­len Dis­kurs­räu­men ech­te Aner­ken­nung und Teil­ha­be sami­scher Stim­men zu ermöglichen.

Spra­che als Wider­stand und kul­tu­rel­le Begegnung

Han­na Granz’ Über­set­zungs­stra­te­gie für Das Echo der Som­mer illus­triert ein­drück­lich, dass Über­set­zung immer auch poli­ti­scher und kul­tu­rel­ler Akt ist. Im Mit­tel­punkt steht dabei die bewuss­te Erhal­tung der mehr­spra­chi­gen Dimen­si­on des Romans, ins­be­son­de­re durch das Bei­be­hal­ten der nord­sa­mi­schen Aus­drü­cke im deut­schen Text. Die­se Ent­schei­dung ist nicht nur eine ästhe­ti­sche, son­dern vor allem eine ethi­sche Hal­tung gegen­über der sami­schen Spra­che und Kultur.

Ein prä­gnan­tes Bei­spiel hier­für fin­det sich bereits früh im Roman, wenn zen­tra­le nord­sa­mi­sche Wen­dun­gen wie „Buor­re iđit“ („Guten Mor­gen“) oder „Mon nohkken“ („Ich bin ein­ge­schla­fen“) unüber­setzt im deut­schen Text erschei­nen – ohne Fuß­no­ten oder Her­vor­he­bun­gen. Die­se Wör­ter wer­den naht­los in den Dia­log ein­ge­bet­tet, sodass sich die Leser­schaft anhand des Kon­texts ihre Bedeu­tung erschlie­ßen muss. Granz setzt somit auf deren Bereit­schaft, sich auf die sprach­li­che Anders­ar­tig­keit ein­zu­las­sen, statt die sami­sche Spra­che zu domes­ti­zie­ren oder zu erklä­ren. Die­se Pra­xis steht im Ein­klang mit dem Kon­zept der For­eig­niza­ti­on (nach Über­set­zungs­wis­sen­schaft­ler Law­rence Venuti), dem­zu­fol­ge die Fremd­heit und Ver­schie­den­heit in der Über­set­zung bewahrt wer­den soll, um kul­tu­rel­le Viel­falt sicht­bar zu machen anstatt sie zu nivellieren. 

Dar­über hin­aus zeigt sich Granz’ Sen­si­bi­li­tät in der Varia­ti­on ihres Vor­ge­hens: An ande­ren Stel­len im Roman wird die Bedeu­tung der sami­schen Aus­drü­cke im Fol­ge­satz oder durch den Kon­text klä­rend mit­ge­lie­fert, sodass der fremd­spra­chi­ge Anteil zwar prä­sent, die Ver­ständ­lich­keit aber erhal­ten bleibt. Die Über­set­zung eröff­net somit für ein deutsch­spra­chi­ges Publi­kum nicht nur Zugang zu einer sami­schen Lebens­welt, son­dern lädt auch dazu ein, Mehr­spra­chig­keit als Chan­ce und Berei­che­rung zu begrei­fen. Sie macht sicht­bar, wie Spra­che als Trä­ger von Iden­ti­tät und Geschich­te fun­giert und setzt sich zugleich gegen den Ver­lust und die Mar­gi­na­li­sie­rung der sami­schen Spra­che ein.

 Rhyth­mus und Resonanz 

Ein ver­tief­tes Ver­ständ­nis der Über­set­zungs­stra­te­gie von Han­na Granz erfor­dert eine genaue­re Betrach­tung der syn­tak­ti­schen und pro­so­dischen Beson­der­hei­ten des Ori­gi­nals, die cha­rak­te­ris­ti­sche Merk­ma­le der nord­sa­mi­schen Sprach­struk­tur auf­wei­sen und in der deut­schen Fas­sung bewusst reflek­tiert, wenn auch modi­fi­ziert, werden.

Hier ein kon­kre­tes Beispiel:

„Jag har fått tun­ga vågor, jag har byggt sto­ra hjor­dar. Jag har bli­vit rik och jag har fått mån­ga barn. Fjäll­ri­por och vita renar, som­marst­jär­nor och hår­da horn. Alla ser hur stor jag är, jag har hört det säg­as. Jag har lys­s­nat när de talat om mig. Jag är vacker. Jag har bli­vit vacker.“ 

„Schwe­ren Wel­len­gang habe ich bekom­men und gro­ße Her­den habe ich gebil­det. Ich bin reich gewor­den und habe vie­le Kin­der. Berg­hüh­ner und wei­ße Ren­tie­re, Som­mer­ster­ne mit har­ten Gewei­hen. Jeder sieht, wie groß ich bin, ich habe gehört, wie die Leu­te dar­über reden. Ich habe gelauscht, wenn sie über mich gespro­chen haben. Ich bin schön. Ich bin so schön geworden.“

„Schwe­ren Wel­len­gang habe ich bekom­men und gro­ße Her­den habe ich gebil­det. Ich bin reich gewor­den und habe vie­le Kin­der. Berg­hüh­ner und wei­ße Ren­tie­re, Som­mer­ster­ne mit har­ten Gewei­hen. Jeder sieht, wie groß ich bin, ich habe gehört, wie die Leu­te dar­über reden. Ich habe gelauscht, wenn sie über mich gespro­chen haben. Ich bin schön. Ich bin so schön geworden.“

Die­ser Text zeich­net sich durch die häu­fi­ge Wie­der­ho­lung des Satz­an­fangs „Jag har…“ („Ich habe…“) aus. Ver­bun­den mit der para­tak­ti­schen Struk­tur erin­nert dies an Merk­ma­le der nord­sa­mi­schen Syn­tax, bei der durch seri­el­le Anein­an­der­rei­hung von Verb­phra­sen und par­al­le­le Satz­kon­struk­tio­nen eine rhyth­misch-poe­ti­sche Tex­tur erzeugt wird. Die star­ke Par­al­le­li­tät und der Gleich­klang der Sät­ze erge­ben eine fast musi­ka­li­sche Satz­me­lo­die, die mit der joi­ken­den Erzähl­wei­se der sami­schen Kul­tur reso­niert. Außer­dem erzeugt die Auf­zäh­lung von Natur­bil­dern („Fjäll­ri­por och vita renar, som­marst­jär­nor och hår­da horn“) eine rhyth­mi­sche Abfol­ge, die das sen­so­ri­sche Erle­ben der Natur kon­kre­ti­siert und emo­tio­nal auflädt.

In der Über­set­zung wird die repe­ti­ti­ve Struk­tur teil­wei­se auf­ge­löst, um den natür­li­chen syn­tak­ti­schen Fluss des Deut­schen zu gewähr­leis­ten. Die Anein­an­der­rei­hung erfolgt anhand von Kon­junk­tio­nen („und“), was im Deut­schen als sti­lis­tisch ele­gan­ter emp­fun­den wird. Das Ergeb­nis ist eine pro­so­dische Anpas­sung, die die ori­gi­nä­re Satz­me­lo­die ziel­spra­chen­ge­recht nachbildet.

Die bewuss­te Über­nah­me des Begriffs „Som­mer­ster­ne“ als kul­tu­rel­les Lehn­wort illus­triert dar­über hin­aus einen bewah­ren­den Über­set­zungs­an­satz, der nicht nur Lexe­me trans­fe­riert, son­dern auch kul­tu­rel­le Kon­zep­te bewahrt. Das Wort fun­giert als Mar­ker der sami­schen Welt­sicht und erhält durch sei­ne meta­pho­ri­sche Bild­haf­tig­keit auch im Deut­schen eine poe­ti­sche Funk­ti­on. Aus trans­la­to­ri­scher Per­spek­ti­ve lässt sich hier von einer „kul­tu­rel­len Äqui­va­lenz“ spre­chen, bei der nicht nur sprach­li­che Bedeu­tung, son­dern auch die kul­tu­rel­le Reso­nanz über­tra­gen wird. 

Über­set­zung als Pra­xis des Zuhörens 

Indem Granz von einer didak­ti­schen Glät­tung absieht, imple­men­tiert sie eine Pra­xis des Nicht-Ver­ste­hens, die die Leser:innen in die Posi­ti­on ver­setzt, aktiv zu ler­nen, inne­zu­hal­ten und die kul­tu­rel­le Dif­fe­renz aus­zu­hal­ten. In einer Lite­ra­tur­welt, in der Über­set­zung oft als Dienst­leis­tung für die Rezipient:innen ver­stan­den wird, ist dies ein sub­ver­si­ver Akt. Nur in Fäl­len, in denen das Ver­ständ­nis des Tex­tes unum­gäng­lich ist, fügt sie kur­ze Erläu­te­run­gen in den Satz­fluss ein, ohne den Ein­druck einer didak­ti­schen Kom­men­tie­rung zu erzeu­gen. So wird das kul­tu­rell Frem­de nicht geglät­tet oder ver­eindeu­tigt, son­dern bleibt als Anders­heit erfahr­bar. Die sami­schen Begrif­fe mar­kie­ren im Deut­schen Leer­stel­len, die eine Aus­ein­an­der­set­zung mit einer ande­ren kul­tu­rel­len Ord­nung ein­for­dern. Die­se Über­set­zungs­pra­xis kor­re­spon­diert mit der Struk­tur des Romans selbst, der zwi­schen erzäh­le­ri­schen Pas­sa­gen, doku­men­ta­ri­schem Mate­ri­al und poe­ti­schen Frag­men­ten chan­giert. Lab­ba arbei­tet mit Aus­las­sun­gen, Brü­chen und Wie­der­ho­lun­gen; sie erzählt nicht line­ar, son­dern tas­tend und oft in Andeutungen. 

 In die­ser Hin­sicht ist Granz’ Über­set­zung ein Bei­spiel für eine Form lite­ra­ri­scher Ver­mitt­lung, die weder voll­stän­di­ge Anglei­chung noch exo­ti­sie­ren­de Her­vor­he­bung anstrebt. Viel­mehr wird Über­set­zung als Pra­xis des Zuhö­rens ver­stan­den, die Dif­fe­renz nicht als Defi­zit, son­dern als Vor­aus­set­zung kul­tu­rel­ler Begeg­nung anerkennt.

Zwi­schen Ästhe­tik und Politik

Die behut­sa­me und sen­si­ble Behand­lung kul­tu­rel­ler Dif­fe­renz in Granz’ Über­set­zung steht in einem span­nungs­rei­chen Ver­hält­nis zu den para­tex­tu­el­len Ent­schei­dun­gen des deut­schen Ver­lags – beson­ders hin­sicht­lich Titel­wahl, Cover­ge­stal­tung und Vermarktung. 

Die Aus­ga­be des S. Fischer Ver­lags zeich­net sich durch eine sorg­fäl­ti­ge Gestal­tung und hoch­wer­ti­ge Aus­stat­tung aus. Der Titel Das Echo der Som­mer erzeugt eine poe­tisch abs­tra­hier­te, bei­na­he träu­me­ri­sche Atmo­sphä­re. Er evo­ziert Nach­hall, Erin­ne­rung und Ver­gäng­lich­keit – eine Stim­mung, die durch­aus zum lite­ra­ri­schen Ton­fall von Lab­bas Roman passt, aber zugleich den kon­fron­ta­ti­ven Impuls des Ori­gi­nal­ti­tels abschwächt. Far inte till havet („Geh nicht zum Meer/Geh/Reise nicht ans Meer“) ent­hält eine expli­zi­te War­nung, die im his­to­ri­schen Kon­text kolo­nia­ler Gewalt zu lesen ist: Die Auf­for­de­rung, das Meer – als Ort des Ver­schwin­dens, des Exils oder des Todes – zu mei­den, ver­weist auf Ver­lust, erzwun­ge­ne Bewe­gung und die Unsicht­bar­ma­chung sami­scher Kör­per. Auch die nord­sa­mi­sche Ver­si­on Ale mana mer­rii ent­hält die­se Dring­lich­keit. Der deut­sche Titel, atmo­sphä­risch und ele­gant, bleibt jedoch vage, fast schon aus­wei­chend. Gleich­zei­tig könn­te die­se ästhe­ti­sche Stra­te­gie als Ver­such ver­stan­den wer­den, die sami­sche Erfah­rung auf einer emo­tio­na­len Ebe­ne ver­mit­tel­bar zu machen – ein Zugang, der sich an die Erwar­tun­gen der deutsch­spra­chi­gen Leser­schaft anpasst und damit bewusst weni­ger kon­fron­ta­tiv ist.

Eine ähn­li­che Ambi­va­lenz, die sowohl ästhe­ti­sche als auch poli­ti­sche Ebe­nen berührt, zeigt sich in der Gestal­tung der Buch­co­ver der ver­schie­de­nen Aus­ga­ben bei Nor­stedts. Sowohl das schwe­di­sche als auch das sami­sche Cover prä­sen­tie­ren ein ein­drucks­vol­les Bild: Ein sami­sches Mäd­chen in tra­di­tio­nel­ler Tracht sitzt in einem Boot, das auf einem ruhi­gen See treibt. Die Farb­ge­stal­tung ist bewusst zwei­ge­teilt: Der unte­re Bereich des sami­schen Covers wird von einem tie­fen, dunk­len Grün (grån) domi­niert, wäh­rend das schwe­di­sche Cover einen eben­so tie­fen, dunk­len Blau­ton auf­weist. In bei­den Fäl­len wirkt die Farb­flä­che wie ein Block, der über das Foto gelegt ist und das Gesicht des Mäd­chens so über­la­gert, dass nur die Augen­par­tie sicht­bar bleibt – als rei­che das Was­ser ihr bis knapp unter die Nase. Die Farb­wahl und Gestal­tung schaf­fen eine Atmo­sphä­re von Bedro­hung und schlei­chen­dem Ver­schwin­den – eine visu­el­le Meta­pher für den Ver­lust einer Spra­che, einer Zuge­hö­rig­keit und einer Iden­ti­tät. Die Direkt­heit die­ser Dar­stel­lung ruft beim Betrach­ten unwei­ger­lich Fra­gen auf: Wer trägt die Ver­ant­wor­tung für das Bewah­ren die­ser Kul­tur? Wie kann ihre Sicht­bar­keit garan­tiert wer­den? Und nicht zuletzt: Wie kann Wider­stand gegen ihr Ver­schwin­den geleis­tet werden?

Ganz anders dage­gen wirkt das Cover der deut­schen Aus­ga­be. Dort domi­nie­ren hel­le Bir­ken­stäm­me vor einem kla­ren, unge­trüb­ten Him­mel, über denen sanft gel­be Blät­ter her­ab­fal­len. Die­se Sze­ne­rie erin­nert stark an die Ästhe­tik einer (kli­schee­haf­ten) nor­di­schen Idyl­le – ein Bild von Ruhe, Rein­heit und einer melan­cho­lisch-roman­ti­schen Natur­ver­bun­den­heit. Die dar­ge­stell­te Jah­res­zeit ist ver­mut­lich der Herbst, jener Moment im Jah­res­zy­klus, der tra­di­tio­nell mit Melan­cho­lie, Rei­fung und Abschied asso­zi­iert wird. Auch hier lie­ße sich durch­aus argu­men­tie­ren, dass die Bild­ge­stal­tung eine sym­bo­li­sche Les­art inten­diert: der Über­gang von einer Pha­se in die nächs­te, das Ver­ge­hen und Ver­blas­sen der Blät­ter als Meta­pher für Erin­ne­rung und Ver­lust. Doch trotz die­ser durch­aus nach­voll­zieh­ba­ren Inter­pre­ta­ti­on kann nicht über­se­hen wer­den, dass die Bild­spra­che in der deut­schen Aus­ga­be weit­ge­hend ent­po­li­ti­siert erscheint. Sie lädt eher zur stil­len Kon­tem­pla­ti­on und Beschau­lich­keit ein, weni­ger zur kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit den his­to­ri­schen und kul­tu­rel­len Pro­ble­ma­ti­ken, die das Buch thematisiert. 

Die­ser ambi­va­len­te Ein­druck wird zusätz­lich ver­stärkt durch die pro­mi­nent auf das deut­sche Cover auf­ge­kleb­te Wer­be­zei­le: Die neue star­ke Stim­me aus Skan­di­na­vi­en“. Einer­seits posi­tio­niert die­ser Slo­gan Elin Anna Lab­ba als eine wich­ti­ge, kraft­vol­le lite­ra­ri­sche Stim­me, die Auf­merk­sam­keit ver­dient und kul­tu­rell rele­vant ist. Ande­rer­seits aber löst er die Autorin aus ihrer kon­kre­ten kul­tu­rel­len und eth­ni­schen Ver­an­ke­rung. Die Zuge­hö­rig­keit zu Sáp­mi – dem sami­schen Gebiet – wird hier bewusst nicht genannt. Statt­des­sen tritt eine vage, geo­gra­fisch weit gefass­te Regio­nal­zu­schrei­bung in den Vor­der­grund: Lab­ba wird als Teil eines bekann­ten und kul­tu­rell eta­blier­ten Raums wahr­ge­nom­men – „Skan­di­na­vi­en“ fun­giert hier als eine Art Pro­jek­ti­ons­flä­che für Vor­stel­lun­gen von Authen­ti­zi­tät, Natur­ver­bun­den­heit und Sensibilität.

Gera­de vor dem Hin­ter­grund die­ser Beob­ach­tun­gen gewin­nen die anfangs gestell­ten Fra­gen noch­mals an Schär­fe und Dring­lich­keit. Elin Anna Lab­ba schreibt ihre Tex­te zwar auf Schwe­disch, doch das Nord­sa­mi­sche ist in ihrem Werk deut­lich spür­bar. Die­se Prä­senz mar­kiert nicht nur eine kul­tu­rel­le Dif­fe­renz, son­dern stellt auch die schwe­di­sche Spra­che als domi­nan­te, durch kolo­nia­le Geschich­te belas­te­te Spra­che in Fra­ge. In der deut­schen Über­set­zung von Han­na Granz wird exem­pla­risch sicht­bar, wie Über­set­zung mit die­ser kom­ple­xen Span­nung umge­hen kann: nicht indem sie Dif­fe­renz nivel­liert oder glät­tet, son­dern indem sie die­se Dif­fe­renz als Her­aus­for­de­rung annimmt und sicht­bar macht. Auf die­se Wei­se wird Über­set­zung zu einem Ort, an dem kul­tu­rel­le Hier­ar­chien nicht ein­fach fort­ge­schrie­ben, son­dern reflek­tiert und dekon­stru­iert wer­den. Die Zukunft des Sami­schen als Lite­ra­tur­spra­che ent­schei­det sich also nicht allein auf der Ebe­ne sprach­li­cher Pra­xis, son­dern auch an den Schnitt­stel­len kul­tu­rel­ler Ver­mitt­lung – jenen Stel­len, an denen Über­set­zun­gen ent­we­der dazu bei­tra­gen, Dif­fe­renz sicht­bar zu machen, oder an denen sie in die Struk­tu­ren domi­nan­ter Spra­chen und Märk­te ein­ge­schrie­ben werden. 

So wird Über­set­zung zu einem Akt des poli­ti­schen Aus­han­delns, der Stim­men nicht ver­stum­men lässt, son­dern ihnen Gehör ver­schafft – ganz im Sin­ne von Far inte till havet. Die­ses Bei­spiel zeigt, dass Lite­ra­tur und Über­set­zung eine eman­zi­pa­to­ri­sche Kraft ent­fal­ten kön­nen, wenn sie den Leser:innen nicht nur fer­ti­ge Ant­wor­ten, son­dern auch Fra­gen und das akti­ve Zuhö­ren zumu­ten. Erst in die­sem dia­lo­gi­schen Pro­zess kann ein tie­fe­res Ver­ständ­nis ent­ste­hen, das über blo­ße Ästhe­tik hin­aus­geht und die viel­schich­ti­gen Rea­li­tä­ten und Her­aus­for­de­run­gen indi­ge­ner Kul­tu­ren sicht­bar macht.


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