
In den letzten Jahren ist das Interesse an der samischen Kultur und Literatur spürbar gewachsen, und zwar nicht nur innerhalb der skandinavischen Länder, sondern weit darüber hinaus. Diese zunehmende Aufmerksamkeit manifestiert sich auf vielfältige Weise und zeigt, wie das samische Erbe und die samische Stimme auf globaler Ebene immer stärker Gehör finden. Besonders deutlich wird dies nicht nur in musealen Kontexten – etwa in der Ausstellung Das Land spricht im Finnischen Institut Hamburg, die einen wichtigen Beitrag zur Präsentation und Vermittlung samischer Kultur leistet, oder in der Neubestückung der Sammlung im Museum Europäischer Kulturen in Berlin –, sondern ebenso in anderen Medien und Ausdrucksformen. Filme wie Eatnameamet – Our Silent Struggle, digitale Spiele wie Skábma – Snowfall und die Arbeiten samischer Künstler:innen auf Kunstbiennalen tragen dazu bei, ein vielschichtiges Bild samischer Identitäten und Lebenswelten in den internationalen kulturellen Dialog einzubringen.
Ebenso zeigt sich die Bedeutung des Samischen auf den großen literarischen Bühnen, etwa beim Gastlandauftritt Norwegens auf der Leipziger Buchmesse 2025, wo die vielfältigen Aspekte und Herausforderungen samischer Identität in den Vordergrund gerückt wurden. Und auch auf der Buchmesse in Göteborg 2024, bei der Autorinnen wie Elin Anna Labba und Ann-Helén Laestadius hervortraten, die mit ihren Werken eindrucksvoll die komplexen Verflechtungen von Sprache, politischen Rechten und Erinnerungskultur der samischen Völker verhandeln.
Diese wachsende Sichtbarkeit ist zweifellos ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer breiteren Anerkennung der samischen Kultur. Doch gleichzeitig ist sie nicht frei von politischen und kulturellen Spannungen. Gerade im Rahmen von großen, medial beachteten Veranstaltungen besteht die Gefahr, dass indigene Kulturen auf stereotype Klischees reduziert oder in folkloristischen Inszenierungen vereinfacht dargestellt werden. Solche Darstellungen können die vielschichtige Realität und die lebendige Kultur der Sam:innen verzerren. Übersetzungen nehmen in diesem Kontext eine besonders wichtige Rolle ein: Sie sind nicht nur einfache sprachliche Übertragungen, sondern hochkomplexe Akte kultureller Vermittlung. Übersetzung eröffnet Möglichkeiten der Verständigung und des Austauschs, wirft aber zugleich auch Fragen zu Machtverhältnissen, Sichtbarkeit und kultureller Aneignung auf.
Das Echo der Sommer
Elin Anna Labbas Roman Das Echo der Sommer, der im April 2025 im S. Fischer Verlag in der Übersetzung von Hanna Granz erschien, liefert ein besonders prägnantes Beispiel für diese komplexe Situation. Es handelt sich um ihr erstes Werk, das ins Deutsche übertragen wurde. Ihr vorheriges Buch Herrarna satte oss hit (2020) ist zwar bereits auf Englisch erschienen (The Rocks Will Echo Our Sorrow), hat jedoch bislang im deutschsprachigen Raum keine Rezeption erfahren.
Der Roman spielt in Sábme und ist tief in der samischen Lebenswelt verankert. Er erzählt die Geschichte von Rávdná und ihrer Tochter Ingá, die zu ihrem angestammten Sommerlager zurückkehren – nur um festzustellen, dass dieser Ort in den 1960er Jahren durch den Bau des Stausees Áhkájávrre unwiederbringlich verloren gegangen ist. Dieses durch staatliche und wirtschaftliche Interessen erzwungene Fluten zerstörte nicht nur Häuser, sondern forcierte auch die Umsiedlung von Gräbern und schnitt wichtige Rentierherdenrouten ab. Far inte till havet fungiert somit als literarisches Zeugnis, das über rein historische Darstellungen hinausgeht und durch emotionale sowie imaginative Erzählformen ein differenziertes Bild der samischen Erinnerungskultur zeichnet.
Das Buch erschien 2024 gleichzeitig in der schwedischen Originalfassung (Far inte till havet) und in einer nordsamischen Übersetzung (Ale mana merrii, übersetzt von Lea Simma) beim gleichen Verlag, Norstedts. Diese parallele Veröffentlichung verdeutlicht ein zentrales Dilemma vieler indigener Autor:innen: Obwohl Nordsamisch ihre Muttersprache und ein essenzieller Teil ihrer kulturellen Identität ist, sehen sich viele durch Jahrzehnte der Assimilationspolitik und Marginalisierung gezwungen, ihre literarische Stimme zunächst in der dominanten Mehrheitssprache zu erheben.
Dieses Spannungsfeld wirft grundlegende Fragen auf: Welche Facetten samischer Kultur, Identität und Geschichte finden durch die zunehmende internationale Sichtbarkeit tatsächlich Gehör – und welche bleiben unsichtbar oder werden gar ausgeblendet? Wird die samische Kultur dabei auf folkloristische Klischees reduziert, oder gelingt es, ihre komplexen Realitäten und Herausforderungen authentisch und vielschichtig darzustellen? Und schließlich: Wie können Übersetzungen und mediale Vermittlung dazu beitragen, ein tieferes Verständnis der samischen Perspektive zu fördern, ohne dabei in kulturelle Aneignung zu verfallen oder bestehende Machtverhältnisse zu reproduzieren? Diese Fragen sind entscheidend, wenn es darum geht, nicht nur oberflächliche Sichtbarkeit zu schaffen, sondern in globalen Diskursräumen echte Anerkennung und Teilhabe samischer Stimmen zu ermöglichen.
Sprache als Widerstand und kulturelle Begegnung
Hanna Granz’ Übersetzungsstrategie für Das Echo der Sommer illustriert eindrücklich, dass Übersetzung immer auch politischer und kultureller Akt ist. Im Mittelpunkt steht dabei die bewusste Erhaltung der mehrsprachigen Dimension des Romans, insbesondere durch das Beibehalten der nordsamischen Ausdrücke im deutschen Text. Diese Entscheidung ist nicht nur eine ästhetische, sondern vor allem eine ethische Haltung gegenüber der samischen Sprache und Kultur.
Ein prägnantes Beispiel hierfür findet sich bereits früh im Roman, wenn zentrale nordsamische Wendungen wie „Buorre iđit“ („Guten Morgen“) oder „Mon nohkken“ („Ich bin eingeschlafen“) unübersetzt im deutschen Text erscheinen – ohne Fußnoten oder Hervorhebungen. Diese Wörter werden nahtlos in den Dialog eingebettet, sodass sich die Leserschaft anhand des Kontexts ihre Bedeutung erschließen muss. Granz setzt somit auf deren Bereitschaft, sich auf die sprachliche Andersartigkeit einzulassen, statt die samische Sprache zu domestizieren oder zu erklären. Diese Praxis steht im Einklang mit dem Konzept der Foreignization (nach Übersetzungswissenschaftler Lawrence Venuti), demzufolge die Fremdheit und Verschiedenheit in der Übersetzung bewahrt werden soll, um kulturelle Vielfalt sichtbar zu machen anstatt sie zu nivellieren.
Darüber hinaus zeigt sich Granz’ Sensibilität in der Variation ihres Vorgehens: An anderen Stellen im Roman wird die Bedeutung der samischen Ausdrücke im Folgesatz oder durch den Kontext klärend mitgeliefert, sodass der fremdsprachige Anteil zwar präsent, die Verständlichkeit aber erhalten bleibt. Die Übersetzung eröffnet somit für ein deutschsprachiges Publikum nicht nur Zugang zu einer samischen Lebenswelt, sondern lädt auch dazu ein, Mehrsprachigkeit als Chance und Bereicherung zu begreifen. Sie macht sichtbar, wie Sprache als Träger von Identität und Geschichte fungiert und setzt sich zugleich gegen den Verlust und die Marginalisierung der samischen Sprache ein.
Rhythmus und Resonanz
Ein vertieftes Verständnis der Übersetzungsstrategie von Hanna Granz erfordert eine genauere Betrachtung der syntaktischen und prosodischen Besonderheiten des Originals, die charakteristische Merkmale der nordsamischen Sprachstruktur aufweisen und in der deutschen Fassung bewusst reflektiert, wenn auch modifiziert, werden.
Hier ein konkretes Beispiel:
„Jag har fått tunga vågor, jag har byggt stora hjordar. Jag har blivit rik och jag har fått många barn. Fjällripor och vita renar, sommarstjärnor och hårda horn. Alla ser hur stor jag är, jag har hört det sägas. Jag har lyssnat när de talat om mig. Jag är vacker. Jag har blivit vacker.“
„Schweren Wellengang habe ich bekommen und große Herden habe ich gebildet. Ich bin reich geworden und habe viele Kinder. Berghühner und weiße Rentiere, Sommersterne mit harten Geweihen. Jeder sieht, wie groß ich bin, ich habe gehört, wie die Leute darüber reden. Ich habe gelauscht, wenn sie über mich gesprochen haben. Ich bin schön. Ich bin so schön geworden.“
„Schweren Wellengang habe ich bekommen und große Herden habe ich gebildet. Ich bin reich geworden und habe viele Kinder. Berghühner und weiße Rentiere, Sommersterne mit harten Geweihen. Jeder sieht, wie groß ich bin, ich habe gehört, wie die Leute darüber reden. Ich habe gelauscht, wenn sie über mich gesprochen haben. Ich bin schön. Ich bin so schön geworden.“
Dieser Text zeichnet sich durch die häufige Wiederholung des Satzanfangs „Jag har…“ („Ich habe…“) aus. Verbunden mit der parataktischen Struktur erinnert dies an Merkmale der nordsamischen Syntax, bei der durch serielle Aneinanderreihung von Verbphrasen und parallele Satzkonstruktionen eine rhythmisch-poetische Textur erzeugt wird. Die starke Parallelität und der Gleichklang der Sätze ergeben eine fast musikalische Satzmelodie, die mit der joikenden Erzählweise der samischen Kultur resoniert. Außerdem erzeugt die Aufzählung von Naturbildern („Fjällripor och vita renar, sommarstjärnor och hårda horn“) eine rhythmische Abfolge, die das sensorische Erleben der Natur konkretisiert und emotional auflädt.
In der Übersetzung wird die repetitive Struktur teilweise aufgelöst, um den natürlichen syntaktischen Fluss des Deutschen zu gewährleisten. Die Aneinanderreihung erfolgt anhand von Konjunktionen („und“), was im Deutschen als stilistisch eleganter empfunden wird. Das Ergebnis ist eine prosodische Anpassung, die die originäre Satzmelodie zielsprachengerecht nachbildet.
Die bewusste Übernahme des Begriffs „Sommersterne“ als kulturelles Lehnwort illustriert darüber hinaus einen bewahrenden Übersetzungsansatz, der nicht nur Lexeme transferiert, sondern auch kulturelle Konzepte bewahrt. Das Wort fungiert als Marker der samischen Weltsicht und erhält durch seine metaphorische Bildhaftigkeit auch im Deutschen eine poetische Funktion. Aus translatorischer Perspektive lässt sich hier von einer „kulturellen Äquivalenz“ sprechen, bei der nicht nur sprachliche Bedeutung, sondern auch die kulturelle Resonanz übertragen wird.
Übersetzung als Praxis des Zuhörens
Indem Granz von einer didaktischen Glättung absieht, implementiert sie eine Praxis des Nicht-Verstehens, die die Leser:innen in die Position versetzt, aktiv zu lernen, innezuhalten und die kulturelle Differenz auszuhalten. In einer Literaturwelt, in der Übersetzung oft als Dienstleistung für die Rezipient:innen verstanden wird, ist dies ein subversiver Akt. Nur in Fällen, in denen das Verständnis des Textes unumgänglich ist, fügt sie kurze Erläuterungen in den Satzfluss ein, ohne den Eindruck einer didaktischen Kommentierung zu erzeugen. So wird das kulturell Fremde nicht geglättet oder vereindeutigt, sondern bleibt als Andersheit erfahrbar. Die samischen Begriffe markieren im Deutschen Leerstellen, die eine Auseinandersetzung mit einer anderen kulturellen Ordnung einfordern. Diese Übersetzungspraxis korrespondiert mit der Struktur des Romans selbst, der zwischen erzählerischen Passagen, dokumentarischem Material und poetischen Fragmenten changiert. Labba arbeitet mit Auslassungen, Brüchen und Wiederholungen; sie erzählt nicht linear, sondern tastend und oft in Andeutungen.
In dieser Hinsicht ist Granz’ Übersetzung ein Beispiel für eine Form literarischer Vermittlung, die weder vollständige Angleichung noch exotisierende Hervorhebung anstrebt. Vielmehr wird Übersetzung als Praxis des Zuhörens verstanden, die Differenz nicht als Defizit, sondern als Voraussetzung kultureller Begegnung anerkennt.
Zwischen Ästhetik und Politik
Die behutsame und sensible Behandlung kultureller Differenz in Granz’ Übersetzung steht in einem spannungsreichen Verhältnis zu den paratextuellen Entscheidungen des deutschen Verlags – besonders hinsichtlich Titelwahl, Covergestaltung und Vermarktung.
Die Ausgabe des S. Fischer Verlags zeichnet sich durch eine sorgfältige Gestaltung und hochwertige Ausstattung aus. Der Titel Das Echo der Sommer erzeugt eine poetisch abstrahierte, beinahe träumerische Atmosphäre. Er evoziert Nachhall, Erinnerung und Vergänglichkeit – eine Stimmung, die durchaus zum literarischen Tonfall von Labbas Roman passt, aber zugleich den konfrontativen Impuls des Originaltitels abschwächt. Far inte till havet („Geh nicht zum Meer/Geh/Reise nicht ans Meer“) enthält eine explizite Warnung, die im historischen Kontext kolonialer Gewalt zu lesen ist: Die Aufforderung, das Meer – als Ort des Verschwindens, des Exils oder des Todes – zu meiden, verweist auf Verlust, erzwungene Bewegung und die Unsichtbarmachung samischer Körper. Auch die nordsamische Version Ale mana merrii enthält diese Dringlichkeit. Der deutsche Titel, atmosphärisch und elegant, bleibt jedoch vage, fast schon ausweichend. Gleichzeitig könnte diese ästhetische Strategie als Versuch verstanden werden, die samische Erfahrung auf einer emotionalen Ebene vermittelbar zu machen – ein Zugang, der sich an die Erwartungen der deutschsprachigen Leserschaft anpasst und damit bewusst weniger konfrontativ ist.
Eine ähnliche Ambivalenz, die sowohl ästhetische als auch politische Ebenen berührt, zeigt sich in der Gestaltung der Buchcover der verschiedenen Ausgaben bei Norstedts. Sowohl das schwedische als auch das samische Cover präsentieren ein eindrucksvolles Bild: Ein samisches Mädchen in traditioneller Tracht sitzt in einem Boot, das auf einem ruhigen See treibt. Die Farbgestaltung ist bewusst zweigeteilt: Der untere Bereich des samischen Covers wird von einem tiefen, dunklen Grün (grån) dominiert, während das schwedische Cover einen ebenso tiefen, dunklen Blauton aufweist. In beiden Fällen wirkt die Farbfläche wie ein Block, der über das Foto gelegt ist und das Gesicht des Mädchens so überlagert, dass nur die Augenpartie sichtbar bleibt – als reiche das Wasser ihr bis knapp unter die Nase. Die Farbwahl und Gestaltung schaffen eine Atmosphäre von Bedrohung und schleichendem Verschwinden – eine visuelle Metapher für den Verlust einer Sprache, einer Zugehörigkeit und einer Identität. Die Direktheit dieser Darstellung ruft beim Betrachten unweigerlich Fragen auf: Wer trägt die Verantwortung für das Bewahren dieser Kultur? Wie kann ihre Sichtbarkeit garantiert werden? Und nicht zuletzt: Wie kann Widerstand gegen ihr Verschwinden geleistet werden?
Ganz anders dagegen wirkt das Cover der deutschen Ausgabe. Dort dominieren helle Birkenstämme vor einem klaren, ungetrübten Himmel, über denen sanft gelbe Blätter herabfallen. Diese Szenerie erinnert stark an die Ästhetik einer (klischeehaften) nordischen Idylle – ein Bild von Ruhe, Reinheit und einer melancholisch-romantischen Naturverbundenheit. Die dargestellte Jahreszeit ist vermutlich der Herbst, jener Moment im Jahreszyklus, der traditionell mit Melancholie, Reifung und Abschied assoziiert wird. Auch hier ließe sich durchaus argumentieren, dass die Bildgestaltung eine symbolische Lesart intendiert: der Übergang von einer Phase in die nächste, das Vergehen und Verblassen der Blätter als Metapher für Erinnerung und Verlust. Doch trotz dieser durchaus nachvollziehbaren Interpretation kann nicht übersehen werden, dass die Bildsprache in der deutschen Ausgabe weitgehend entpolitisiert erscheint. Sie lädt eher zur stillen Kontemplation und Beschaulichkeit ein, weniger zur kritischen Auseinandersetzung mit den historischen und kulturellen Problematiken, die das Buch thematisiert.
Dieser ambivalente Eindruck wird zusätzlich verstärkt durch die prominent auf das deutsche Cover aufgeklebte Werbezeile: „Die neue starke Stimme aus Skandinavien“. Einerseits positioniert dieser Slogan Elin Anna Labba als eine wichtige, kraftvolle literarische Stimme, die Aufmerksamkeit verdient und kulturell relevant ist. Andererseits aber löst er die Autorin aus ihrer konkreten kulturellen und ethnischen Verankerung. Die Zugehörigkeit zu Sápmi – dem samischen Gebiet – wird hier bewusst nicht genannt. Stattdessen tritt eine vage, geografisch weit gefasste Regionalzuschreibung in den Vordergrund: Labba wird als Teil eines bekannten und kulturell etablierten Raums wahrgenommen – „Skandinavien“ fungiert hier als eine Art Projektionsfläche für Vorstellungen von Authentizität, Naturverbundenheit und Sensibilität.
Gerade vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen gewinnen die anfangs gestellten Fragen nochmals an Schärfe und Dringlichkeit. Elin Anna Labba schreibt ihre Texte zwar auf Schwedisch, doch das Nordsamische ist in ihrem Werk deutlich spürbar. Diese Präsenz markiert nicht nur eine kulturelle Differenz, sondern stellt auch die schwedische Sprache als dominante, durch koloniale Geschichte belastete Sprache in Frage. In der deutschen Übersetzung von Hanna Granz wird exemplarisch sichtbar, wie Übersetzung mit dieser komplexen Spannung umgehen kann: nicht indem sie Differenz nivelliert oder glättet, sondern indem sie diese Differenz als Herausforderung annimmt und sichtbar macht. Auf diese Weise wird Übersetzung zu einem Ort, an dem kulturelle Hierarchien nicht einfach fortgeschrieben, sondern reflektiert und dekonstruiert werden. Die Zukunft des Samischen als Literatursprache entscheidet sich also nicht allein auf der Ebene sprachlicher Praxis, sondern auch an den Schnittstellen kultureller Vermittlung – jenen Stellen, an denen Übersetzungen entweder dazu beitragen, Differenz sichtbar zu machen, oder an denen sie in die Strukturen dominanter Sprachen und Märkte eingeschrieben werden.
So wird Übersetzung zu einem Akt des politischen Aushandelns, der Stimmen nicht verstummen lässt, sondern ihnen Gehör verschafft – ganz im Sinne von Far inte till havet. Dieses Beispiel zeigt, dass Literatur und Übersetzung eine emanzipatorische Kraft entfalten können, wenn sie den Leser:innen nicht nur fertige Antworten, sondern auch Fragen und das aktive Zuhören zumuten. Erst in diesem dialogischen Prozess kann ein tieferes Verständnis entstehen, das über bloße Ästhetik hinausgeht und die vielschichtigen Realitäten und Herausforderungen indigener Kulturen sichtbar macht.
