Ein Leit­fa­den zum Pit­chen von Übersetzungen

Oder: Warum wir die bösen Maschinen mit Büchern bewerfen sollten. – Die vielfach prämierte Übersetzerin Lara Vergnaud hat eine nicht ganz ernst gemeinte Anleitung für Übersetzer:innen geschrieben, die auf der Suche nach einem Verlag sind. Oder vielleicht doch etwas ernster, als uns lieb ist? Von

Die­ser Essay ist ursprüng­lich in eng­li­scher Spra­che bei Words Wit­hout Bor­ders erschie­nen.
Über­set­zung: The­re­sa Rüger

Sag nicht, es sei das bes­te Buch, das du seit Lan­gem gele­sen hast, selbst wenn das stimmt, und vor allem dann nicht, wenn es stimmt.

Sag, du hast das Buch auf einem Nacht­flug durch­ge­le­sen, mit quen­geln­dem Klein­kind auf dem Schoß, weil es näm­lich so war, und Lektor*innen wis­sen eine Pri­se Mensch­lich­keit zu schätzen.

Schreib kei­ne zu lan­ge Mail, in der Kür­ze liegt die Würze.

Schreib eine Mail, die lang genug ist, um Inter­es­se zu wecken.

Hak nach, aber nicht zu oft, oder zu früh.

Sag nicht Kei­ne Eile!, wenn eine Lek­to­rin dir ver­spricht, zeit­nah zu ant­wor­ten, das pas­siert eh nicht.

Sag nicht Kei­ne Sor­ge!, wenn eine Lek­to­rin dein Pro­jekt nach zehn Mona­ten ablehnt und sich für die spä­te Ant­wort ent­schul­digt, du hast dir näm­lich sehr wohl Sor­gen gemacht, stimmt’s?

Sag Dan­ke für Ihre Zeit, über­quel­len­de Post­fä­cher und dro­hen­de Dead­lines haben wir doch alle, und den Kopf voll mit all­zu rea­len exis­ten­zi­el­len Sorgen.

Sei nicht zu for­mell, sonst outest du dich als älte­ren Millennial.

Sei nicht zu locker, sonst ver­schreckst du die älte­ren Millennials.

Sag nicht Ich bin gespannt auf ihre Rück­mel­dung!, nie­mand mag Schleimer.

Sag nicht Mir ist auf­ge­fal­len, dass Sie gar nichts von XYZ in Ihrem aktu­el­len Pro­gramm haben, nie­mand mag Kritiker.

Ver­wen­de eine ver­bind­li­che Abschieds­flos­kel wie Wärms­tens oder Herz­lich, Adver­bi­en ver­mit­teln unmit­tel­bar Intimität.

Ant­wor­te nicht mit einem trau­ri­gen Tier-GIF, auch wenn die betref­fen­de Lek­to­rin selbst eins als Ant­wort schickt (das bedeu­tet NEIN).

Ant­wor­te nicht mit einem Scherz oder einem Kom­men­tar zum Wet­ter – Früh­ling im Anmarsch! –, auch wenn die Lek­to­rin  einen als Ant­wort schickt – Fröh­li­cher Herbst­an­fang! – (das bedeu­tet VIELLEICHT).

Leg nicht all dei­ne Eier in einen Korb, ich mei­ne, eine Lek­to­rin, am Ende war­test du Jah­re auf eine Antwort.

Leg all dei­ne Eier in einen Korb, wenn es der edels­te Korb ist, den du je gese­hen hast, per­fekt geformt für dei­ne Einer, ich mei­ne, Bücher.

Hol nicht dei­ne Autorin oder die Agen­tin dei­ner Autorin mit ins Boot, zu vie­le Köche ver­der­ben den Brei.

Hol dei­ne Über­set­zer-Freun­din­nen mit ins Boot, allein in einen Drink zu heu­len macht unglücklich.

Such dir kei­ne Spra­chen bzw. Län­der aus, für die sich nie­mand interessiert.

Such dir Spra­chen bzw. Län­der aus, für die sich nie­mand inter­es­siert, solan­ge du dich für sie inter­es­sierst und Zeit erüb­ri­gen kannst.

Bezieh dich nicht auf Tages­po­li­ti­sches, was könn­test du dazu schon sagen?

Kor­rek­tur, bezieh dich sehr wohl auf Tages­po­li­ti­sches, Schrei­ben ist immer poli­tisch und alle Über­set­ze­rin­nen sind Autorin­nen, also sind alle Über­set­ze­rin­nen poli­tisch, also hast du dazu eine gan­ze Men­ge zu sagen.

Pfle­ge einen sta­bi­len Social Media-Auf­tritt, ver­su­che zwi­schen 1- und 1000-mal pro Jahr zu posten.

Wobei, lass das mit Social Media bes­ser sein, du willst ja nicht die bösen Maschi­nen füttern.

Wobei, mach wei­ter! Maschi­nen machen Feh­ler, und wenn du genü­gend Sand ins Getrie­be wirfst, dann ros­tet es viel­leicht, oder es gibt den Geist auf, und/oder geht irgend­wann in Flam­men auf.

(Noch bes­ser, wirf mit Büchern; lass uns gemein­sam die bösen Maschi­nen mit Büchern bewerfen!)

Pitch nicht zwei Bücher auf ein­mal – zum Bei­spiel einen Roman, der nach dem Ara­bi­schen Früh­ling in Tune­si­en spielt, und eine femi­nis­ti­sche Kri­tik des Gesund­heits­sys­tems – sonst denkt die Lek­to­rin noch, es gin­ge um ein Buch, ant­wor­tet enthu­si­as­tisch Klingt groß­ar­tig! Machen wir!, und du musst die Sache vor­sich­tig rich­tig­stel­len und sie rudert enthu­si­as­tisch zurück, Viel­leicht nächs­tes Mal!

Pitch kein Buch, das du gar nicht wirk­lich über­set­zen willst, nur weil es hip/zeitgemäß/sexy etc. ist.

Pitch ein Buch, das hoff­nungs­los unhip oder unzeit­ge­mäß ist oder gera­de so sexy wie ein Paar klo­bi­ge Doc Mar­tens (wobei, eigent­lich sind die schon ein biss­chen sexy, oder?), ein­fach weil du es magst.

Erst Tip­pen, dann Den­ken. Wenn du zum Bei­spiel einen Paläs­ti­na-Roman pitchst – ein Buch, das so schön und wahr­haf­tig ist, dass du beim Über­set­zen wei­nen musst – und die Lek­to­rin ant­wor­tet, sie hät­ten schon einen Paläs­ti­na-Roman – mit dem Sub­text: Noch einen brau­chen wir sicher­lich nicht! – schreib nicht zurück: Brau­chen wir wohl! Die meis­ten haben sich bei sol­chen Din­gen eh schon auf eine Mei­nung ein­ge­schos­sen. Denk es dir ein­fach, oder erzähl es einer Freun­din, oder schmug­gel es in einen alber­nen klei­nen Essay: Brau­chen. Wir. Wohl!

Wobei, schreib doch zurück (mach es!!!), wenn du nichts sagst, wer sonst? (Die Ant­wort lau­tet: ein paar, aber nicht viele.)

Bie­te kei­ne unbe­zahl­te Über­set­zungs­pro­be an.

Bie­te eine unbe­zahl­te Über­set­zungs­pro­be an, wenn es das bes­te Buch ist, das du je gele­sen hast, und es dich auf jeden Fall umbrin­gen wird, wenn du es nicht übersetzt.

Über­treib nicht (Es ster­ben tat­säch­lich Men­schen, schon ver­ges­sen?), ver­such es lie­ber mit zurück­hal­ten­der Aufrichtigkeit.

Mach kei­ne unbe­zahl­te Fleiß­ar­beit, sag zum Bei­spiel nicht zu, einen „Über­blick“ der „bes­ten“ „Nord­afri­ka­ni­schen“ Lite­ra­tur zu erstellen.

Mach unbe­zahl­te Fleiß­ar­beit, aber nur, wenn du zum Bei­spiel klar­stel­len willst, dass Nord­afri­ka kei­ne Ein­heit ist – Tune­si­en ist nicht Alge­ri­en ist nicht Marok­ko und so wei­ter – aber denk dar­an, es freund­lich zu sagen.

Nein, sag es nicht freund­lich, sag es so, wie du willst, denn Tune­si­en ist nicht Alge­ri­en ist nicht Marok­ko und so wei­ter, und das soll­te den Leu­ten klar sein.

Sei groß­zü­gig: Wenn dich zum Bei­spiel drei Nach­wuchs­über­set­ze­rin­nen jeweils fra­gen, ob du vor­hast, ein Buch zu über­set­zen, das du seit vier Jah­ren erfolg­los zu pit­chen ver­suchst (die­ser tune­si­sche Roman, den schein­bar nie­mand haben will…), lass viel­leicht ein­fach los. Ja, mach ruhig. Ver­such du’s mal.

Sei spar­sam bei der Inter­punk­ti­on: Aus­ru­fe­zei­chen für die USA, Punk­te für die Bri­ten, außer die Bri­ten leben in den USA. In die­sem Fall: Nur zu!

Ver­schwen­de kei­ne Zeit damit, Ver­la­gen hin­ter­her­zu­lau­fen. Sobald du dein Baby gefun­den hast, dein Magnum Opus, dei­nen was­ser­dich­ten Boo­ker-Kan­di­da­ten, pos­te dazu einen Tweet (X?) und lass sie zu dir kommen.

Wenn sie nicht zu dir kom­men, halt an dei­nem Baby fest (aber nicht zu fest, Babys sind zer­brech­lich), bis du über einen tra­di­tio­nel­le­ren Weg dei­nen Ver­lag gefun­den hast. Das Gan­ze ist wie die Suche nach einem See­len­ver­wand­ten – zeit­in­ten­siv. Aber irgend­wo da drau­ßen ist doch bestimmt die­se eine Per­son? Viel­leicht wird sie sich ein biss­chen zie­ren, viel­leicht wird sie dir schrei­ben, sie sei inter­es­siert aber habe kein Akqui­se-Bud­get, irgend­was von wegen War­ten auf das nächs­te Geschäfts­jahr, aber sie sei wirk­lich gro­ßer Fan und wol­le unbe­dingt mit dir arbei­ten. Und das ist schon in Ord­nung, du kannst war­ten, Die Lie­be ist lang­mü­tig und freund­lich, und so weiter. 

Hüte dich vor gro­ßen Ver­lags­häu­sern – viel Geld, aber wenig Herzblut.

Hüte dich vor klei­nen Ver­lags­häu­sern – wenig Geld, viel Herz­blut, aber man­che nut­zen dich trotz­dem aus (Sie­he: Zuschrei­bung [Man­gel an]; Bezah­lung [dürf­tig]).

Hüte dich vor Ver­all­ge­mei­ne­run­gen: Ver­le­ger sind auch nur Men­schen, und die meis­ten Men­schen sind meis­tens gut.

Misch dei­ne Meta­phern nicht, das wirkt in dei­ner Ziel­spra­che schlu­de­rig oder gar faul.

Misch dei­ne Meta­phern, eine Lite­ra­tur­über­set­ze­rin ist ganz sicher nicht schlu­de­rig oder faul.

Sei gedul­dig, beson­ders jetzt, und such dir viel­leicht ein zwei­tes Stand­bein, beson­ders jetzt, und bewirf die bösen Maschi­nen wei­ter mit Büchern, mit Lie­be aber auch mit Hass, genau, bewirf die bösen Maschi­nen mit Hass-Lie­be. Und wenn dein Wurf­arm müde wird, ruh dich aus, das Bücher-Busi­ness ist kein Sprint (genau wie die Revo­lu­ti­on), und wäh­rend du dich aus­ruhst, lies.

Genau, lies, über­set­ze, und so wei­ter und so fort.

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