Mein ers­tes Mal: Ste­fa­nie Bose

Stefanie Bose entdeckt „Hotel Balkán“ in einer Buchhandlung in Bratislava und beginnt damit ihre erste große Übersetzungsreise – und erfährt, wie eng Übersetzen und Leben manchmal miteinander verbunden sind. Von

Hintergrundbild: Rudy Issa, Unsplash.

In der Rei­he „Mein ers­tes Mal“ berich­ten Übersetzer:innen von ihrer ers­ten lite­ra­ri­schen Über­set­zung. Sie plau­dern aus dem Näh­käst­chen, berich­ten von den Lei­den des jun­gen Übersetzer:innenlebens und ver­ra­ten, in wel­che Fal­le man als Anfänger:in bloß nicht tap­pen soll­te. Alle Bei­trä­ge der Rei­he sind hier nachzulesen.

Es war im Mai 2024 in einer Buch­hand­lung in Bra­tis­la­va auf dem Heim­weg von mei­ner ers­ten Vice-Ver­sa-Über­set­zungs­werk­statt … da bin ich zufäl­lig auf ein schlich­tes Buch gesto­ßen, das Debüt der jun­gen slo­wa­ki­schen Autorin Miros­la­va Kuľ­ko­vá. Ich bin ein visu­el­ler Mensch und grei­fe nur nach Büchern, deren Cover mich optisch und hap­tisch anspre­chen, und die­ses in mat­tem beige-schwarz gehal­te­ne Buch mit einer oran­ge­nen „Bauch­bin­de“ ist mir sofort ins Auge gesprun­gen. (Der deut­sche Ver­lag hat sich für ein ganz ande­res Cover ent­schie­den, mit viel auf­fäl­li­gem Rot und einem gra­fisch sti­li­sier­ten Hotel. Das ist nicht ganz so mein Fall, aber viel­leicht braucht der deut­sche Markt es etwas pla­ka­ti­ver.) Der Titel Hotel Bal­kán wirkt auf den ers­ten Blick the­ma­tisch nicht so slo­wa­kisch (muss es ja eigent­lich auch nicht), aber der Klap­pen­text hat mich direkt über­zeugt. Außer­dem gehör­te das Buch  zu den Top Ten-Nomi­nier­ten für den slo­wa­ki­schen Lite­ra­tur­preis Ana­soft Lite­ra 2024 und erhielt im Rah­men die­ses Wett­be­werbs den Publi­kums­preis. Es han­delt sich um zusam­men­hän­gen­de Kurz­ge­schich­ten – ein unter­schätz­tes Gen­re, das ich sehr mag. Die Lek­tü­re für die Heim­fahrt im Zug war gesichert.

Wie­der zuhau­se ver­blieb es ein paar Mona­te auf mei­ner men­ta­len To-Do-Lis­te, bis ich zufäl­lig erfuhr, dass sich ein hie­si­ger Ver­lag für das Buch inter­es­sier­te. Es gab jedoch bereits eine deut­sche Lese­pro­be. Mir blieb das Herz ste­hen – ach bit­te, ich woll­te es doch so gern über­set­zen! Ich kon­tak­tier­te den Ver­le­ger und – ein­mal auf­at­men – das Buch war nicht ver­ge­ben und der Ver­le­ger danu­be books wür­de ger­ne mit mir zusam­men­ar­bei­ten und das Buch her­aus­brin­gen. Wir stimm­ten uns ab und mein ers­tes Mal Ver­trags­ver­hand­lun­gen ver­lief recht ent­spannt. Gemein­sam haben wir dann beim Slo­wa­ki­schen Lite­ra­tur­in­sti­tut Bra­tis­la­va einen För­der­an­trag ein­ge­reicht, der weni­ge Mona­te spä­ter bewil­ligt wur­de. Außer­dem bewarb ich mich für ein slo­wa­ki­sches Resi­denz­sti­pen­di­um … und bekam es!

Dem Erschei­nen mei­nes ers­ten eige­nen Buches (kei­ne Antho­lo­gie, kei­ne Zeit­schrift, kein Kata­log!) stand also nichts mehr im Weg und ich freu­te mich rie­sig. Die Resi­denz im mit­tel­slo­wa­ki­schen Ban­s­ká Štiav­ni­ca im April und Mai 2025 war wun­der­bar, um tief in die Über­set­zung ein­zu­stei­gen, ins Sprach­bad abzu­tau­chen und kon­zen­triert zu arbei­ten, ohne von den Ablen­kun­gen des hei­mat­li­chen All­ta­ges unter­bro­chen zu wer­den. Natür­lich hat­te ich auch Respekt vor die­sem ers­ten gro­ßen Pro­jekt. Aber der Kom­pro­miss: ein Buch – meh­re­re zusam­men­hän­gen­de kür­ze­re Geschich­ten und die ins­ge­samt über­sicht­li­che Sei­ten­zahl im Ori­gi­nal (knapp 160 Sei­ten), inklu­si­ve der zahl­rei­chen Zeich­nun­gen zwi­schen den Kapi­teln – schien mir ein guter Einstieg.

Der Erzähl­band Hotel Bal­kán ver­sam­melt sie­ben Geschich­ten. Jede spielt in einem ande­ren Land des Bal­kan (gut, um sei­ne Geo­gra­fie-Kennt­nis­se über die Regi­on auf­zu­fri­schen) und trotz­dem sind sie mit­ein­an­der ver­bun­den. Die Erzäh­le­rin reist von Land zu Land, um mit Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern dar­über zu spre­chen, wie und ob die zer­bro­che­nen Bezie­hun­gen auf dem Bal­kan (unter ande­rem nach dem Zer­fall Jugo­sla­wi­ens) wie­der repa­riert wer­den kön­nen. Sie trifft dabei neben offi­zi­el­len Staats­ver­tre­tern aller Cou­leur haupt­säch­lich auf jun­ge Frau­en, die ihr aus ihrem Leben erzäh­len. In jedem Land und jeder Stadt gibt es ein Hotel Bal­kán, in dem sie mal mehr, mal weni­ger aben­teu­er­lich über­nach­tet. Neben Geo­gra­fie und Lan­des­kun­de erfährt man oder frau aus jedem Land eine inter­es­san­te Beson­der­heit und ich habe beim Über­set­zen viel Neu­es gelernt.

Beson­ders span­nend war auch die Online-Dis­kus­si­on, an der die Autorin und ich teil­ge­nom­men haben. Das For­mat ist ver­pflich­ten­der Teil der Resi­denz und wird mode­riert und auf­ge­zeich­net. Es war das ers­te Mal, dass wir uns gese­hen und mit­ein­an­der gespro­chen haben – sofor­ti­ge Sym­pa­thie und eine gute Wel­len­län­ge. Wir haben span­nen­de Fra­gen zur Ent­ste­hung des Buches und wit­zi­ge Par­al­le­len zwi­schen Text und Begleit­um­stän­den des Über­set­zungs­pro­zes­ses dis­ku­tiert. Die zufäl­li­gen (?) Ähn­lich­kei­ten waren mir beim Über­set­zen bei­na­he unheim­lich vor­ge­kom­men. Die Prot­ago­nis­tin spricht in einer Geschich­te zum Bei­spiel davon, wie sie zum Mit­tag jun­gen Spi­nat kauft – eine Zutat, die ich selbst just an die­sem Tag in mei­ner Ein­kaufs­ta­sche hat­te, obwohl ich sie sonst sel­ten kau­fe. In einer ande­ren Stadt des Bal­kans ersteht sie eine Post­kar­te – Prish­tina city of love steht darauf. 

Auch ich befand mich in der slo­wa­ki­schen Stadt der Lie­be, denn in Ban­s­ká Štiav­ni­ca (Schem­nitz – eine UNESCO-Stadt!) gibt es ein Muse­um, die Bank der Lie­be, in der man sei­nen per­sön­li­chen Lie­bes­be­weis in ein Schließ­fach legen kann. Außer­dem hat der slo­wa­ki­sche Dich­ter Andrej Slád­ko­vič dort sei­ner Mari­na das längs­te (gleich­na­mi­ge) Lie­bes­ge­dicht der Welt geschrie­ben, in der gan­zen Stadt sind Her­zen zu fin­den. Bei der Über­set­zung habe ich gelernt, dass es in Zagreb ein Muse­um der zer­bro­che­nen Bezie­hun­gen gibt, in das man eben­falls sei­ne per­sön­li­chen Erin­ne­rungs­ge­gen­stän­de brin­gen kann. Was für eine selt­sa­me Par­al­le­le. Es gab noch mehr, die ich aber nicht alle auf­zäh­len kann.

Mei­ne Resi­denz­woh­nung war genau­so spar­ta­nisch wie die beschrie­be­nen Hotel­zim­mer, etwas feucht und teil­wei­se dun­kel, da sie sich in einem Gebäu­de mit dicken Wän­den befand. Das Gefühl des Fremd­seins und der Abwe­sen­heit eines rich­ti­gen Zuhau­ses konn­te ich eben­so gut nach­voll­zie­hen wie die beschrie­be­nen zufäl­li­gen Begeg­nun­gen auf Rei­sen, die Unter­hal­tun­gen mit Frem­den und der ver­än­der­te Blick. Dank des Inter­nets ver­folg­te ich die Rei­se­rou­te anhand ech­ter Foto­gra­fien und Bil­der, war qua­si „live“ dabei, was bei­spiels­wei­se nütz­lich war für die Beschrei­bung der nicht-fik­ti­ven Archi­tek­tur der Bal­kan­städ­te. Im Buch flo­gen oft Raben (oder Krä­hen?) umher und krächz­ten, in mei­ner Resi­denz hör­te ich jeden Tag Amseln sin­gen und Turm­fal­ken pfei­fen. Aber die Raben ent­pupp­ten sich als lin­gu­is­ti­sches Problem. 

Im Slo­wa­ki­schen ist ein Rabe gram­ma­ti­ka­lisch weib­lich, im Deut­schen männ­lich. Die Krä­he wäre zwar eine mög­li­che Ent­spre­chung, aber ihr Name klingt nicht so weich und mys­tisch, eher gehäs­si­ger und här­ter. Dazu kommt, dass Raben mit dem Tod asso­zi­iert wer­den, der im Slo­wa­ki­schen eben­falls eine Frau ist, was sehr gut zu den Prot­ago­nis­tin­nen in den Erzäh­lun­gen passt, die oft unter toxi­schen Män­nern und alt­her­ge­brach­ten Wert­vor­stel­lun­gen zu lei­den haben. Die Fra­ge, wie es im Deut­schen sein soll (der Rabe oder die Krä­he), habe ich mit der Autorin noch nicht abschlie­ßend geklärt. Aber sie war selbst davon über­rascht, dass ihr die­ser Aspekt gar nicht so bewusst war. Es ist auf jeden Fall ein Vor­teil, dass sie selbst auch Deutsch versteht.

Die Arbeit am Buch war für mich fast wie eine medi­ta­ti­ve Rei­se, es strahl­te eine inne­re Ruhe aus und zog mich in sei­nen Bann. Die Autorin spricht teils schwer ver­dau­li­che The­men an: Krieg und Trau­ma­ta, Macht­miss­brauch, Unter­drü­ckung von Frau­en und schwie­ri­ge Fami­li­en­ver­hält­nis­se. Sie ver­wen­det eine redu­zier­te Spra­che, spielt mit Leer­stel­len und dem zwi­schen den Zei­len Les­ba­ren. Auch die schwarz-wei­ßen Zeich­nun­gen und der unauf­ge­reg­te, teils sach­li­che, teils lyri­sche Stil der Autorin tru­gen zur melan­cho­li­schen, aber doch hoff­nungs­vol­len Stim­mung des Tex­tes und mei­nes Über­set­zungs­pro­zes­ses bei.

Die Über­ar­bei­tung und das Lek­to­rat ste­hen noch aus, aber ich bin sehr zuver­sicht­lich. Es ist ein Text, der mir liegt und mir nahe­geht. Ein Text, der mich bei mei­nem ers­ten Mal Über­set­zungs­re­si­denz beglei­tet und gut getra­gen hat. Ich bin froh und dank­bar, dass ich die­se Erfah­rung machen durf­te. Bei der Arbeit an den ein­fühl­sa­men, oft kur­zen Abschnit­ten habe ich mich wei­ter dar­in geübt, krea­ti­ver und frei­er zu über­set­zen. Weni­ger am Text zu kle­ben, aber sowohl dem Text selbst als auch der Autorin treu zu blei­ben. Ich habe ganz neben­bei aber auch viel über die Befind­lich­kei­ten auf dem Bal­kan gelernt. Die Ein­bli­cke in unter­schied­li­che The­men sind das Span­nen­de an unse­rem Beruf. Beson­ders wich­tig ist mir der per­sön­li­che Aus­tausch mit den Autor:innen, die ich über­set­zen darf, weil die­ser nütz­li­che und manch­mal über­ra­schen­de Ein­sich­ten in den Text mit sich bringt und für bei­de Sei­ten berei­chernd sein kann. Die meis­ten sind dafür offen und dank­bar. Und ich bin es auch.

Manch­mal kommt es aller­dings anders als geplant und die Rea­li­tät wirft den Plan über den Hau­fen. Die Ver­öf­fent­li­chung des Buches muss­te aus ver­schie­de­nen Grün­den um ein hal­bes Jahr nach hin­ten ver­scho­ben wer­den, sodass Hotel Bal­kán schluss­end­lich nicht mei­ne ers­te eige­ne Buch­ver­öf­fent­li­chung wird. Vor­her erscheint im März 2026 (hof­fent­lich plan­mä­ßig und ohne Kom­pli­ka­tio­nen) beim neu­ge­grün­de­ten Allee Ver­lag der Roman Spo­me­nieš si na Trenčín? (aktu­el­ler Arbeits­ti­tel: Weißt du noch, Trenčín?) von Lukáš Caba­la, der aus eben­die­ser Stadt stammt, die 2026 eine der bei­den Kul­tur­haupt­städ­te Euro­pas sein wird.


Ste­fa­nie Bose lebt in Leip­zig. Frei­be­ruf­li­che (Lite­ra­tur-) Über­set­ze­rin sowie Sprach- und Kul­tur­mitt­le­rin für Slo­wa­kisch und Tsche­chisch. Nach dem Abitur Euro­päi­scher Frei­wil­li­gen­dienst in der Ost­slo­wa­kei. Anschlie­ßend Stu­di­um der West­sla­wis­tik mit Schwer­punkt Slowakisch/Tschechisch und Eth­no­lo­gie sowie zusätz­li­che Über­set­zungs­mo­du­le an der Uni­ver­si­tät Leip­zig. 2015–2024 Büroleitung/Assistenz für den Hono­rar­kon­sul der Slo­wa­ki­schen Repu­blik mit Sitz in Leip­zig. Lang­jäh­ri­ge Mit­ar­beit und Orga­ni­sa­ti­on von Kul­tur­pro­jek­ten (Kul­tur­his­to­ri­sches Muse­um Mag­de­burg, Stadt Leip­zig, Schau­büh­ne Lin­den­fels). Seit 2013 aktiv im Rah­men der Städ­te­part­ner­schaft zwi­schen dem säch­si­schen Leip­zig und dem mäh­ri­schen Brünn. Seit 11/2022 Vor­sit­zen­de des neu gegrün­de­ten Ver­eins Städ­te­part­ner­schaft Leip­zig – Brno e. V. sowie lang­jäh­ri­ges Mit­glied im Ver­ein Slo­wa­ken in Sach­sen / Slo­vá­ci v Sas­ku e. V. Seit 2011 Sprach- und Inte­gra­ti­ons­mit­t­le­rin (SprInt) für Slo­wa­kisch und Tsche­chisch. Tätig als Über­set­ze­rin u. a. von Bel­le­tris­tik und Lyrik, Sach- und Fach­tex­ten und jour­na­lis­ti­schen Tex­ten aus dem Tsche­chi­schen und Slo­wa­ki­schen, Lite­ra­tur­ver­mitt­le­rin, gele­gent­lich Mode­ra­to­rin von Lesungen/Veranstaltungen, Vor­trä­ge oder Recher­che, Redaktion/Texterstellung oder Kor­rek­tu­ren. Seit 2024 Wei­ter­bil­dung im Bereich Audio­deskrip­ti­on, Erfah­run­gen mit Über­ti­telung am Thea­ter, Drehbuch. 



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