Eine sternenklare Nacht, verschneite Dörfer, klirrende Kälte – selbst wenn es dieses Jahr mit weißen Weihnachten wieder Essig wird, versetzt uns diese wunderbare Erzählung in Winterstimmung: „Wie schön wäre es jetzt, mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Ofenbank zu liegen, in aller Ruhe ein Pfeifchen zu rauchen und durch die selige Schläfrigkeit hindurch die Koljadki und Lieder der fröhlichen Burschen und Mädchen zu hören, die sich in Scharen unter den Fenstern drängen.“ Im ukrainischen Dorf Dikanka schläft in dieser trubeligen Weihnachtsnacht kein Mensch: Während die jungen Leute singend um die Häuser ziehen, scheint die ältere Generation samt und sonders damit beschäftigt, sich zu heimlichen Stelldicheins in fremde Häuser zu schleichen. Nur der Schmied Wakula bleibt dem ausgelassenen Treiben missmutig fern, denn Oxana, die eitle Dorfschöne (von der man „beinahe in aller Welt, auf der einen Seite von Dikanka ebenso wie auf der anderen Seite von Dikanka“ spricht), hat ihn mal wieder verschmäht – er soll ihr erst wieder unter die Augen treten, wenn er ihr „Schuhe wie die der Zarin“ mitbringt. Doch um die zu bekommen, müsste es schon mit dem Teufel zugehen. Praktischerweise weilt der in dieser Nacht höchstpersönlich unter ihnen (wovon die Dörfler, obwohl sie ihn ständig im Munde führen, natürlich nichts ahnen). Eigentlich will sich der Höllenfürst an Wakula rächen, weil der ihn auf einem Bild in der Kirche höchst unvorteilhaft dargestellt hat. Doch der ebenso fromme wie bauernschlaue Wakula dreht den Spieß um und reitet auf dem Rücken des Teufels zum Zarenpalast nach St. Petersburg. Mit leisem Spott und liebevoller Ironie führt Gogol seine Figuren in all ihrer Selbstverliebtheit, Treulosigkeit, Wichtigtuerei und Tratschsucht vor. Dorothea Trottenberg mischt nicht weniger kunstvoll als das russische Vorbild lebendige Schilderungen mit volkstümlichen Elementen, sodass sich ihre Neuübersetzung genauso vergnüglich liest wie das Original. Herrlich illustriert von Mehrdad Zaeri, zeigt die Geschichte, wie weit man es mit etwas Chuzpe und Gottvertrauen bringen kann. HW
Liest man die französische Version, Macadam, hat man schnell das Gefühl, der Erzähler sitzt einem gegenüber. Liest man die Übersetzung von Sina de Malafosse, Macadam oder Das Mädchen von Nr. 12, ist es genauso. Jedes Mal, wenn eine der 11 Geschichten aus dem Erzählband von Jean-Paul Didierlaurent zu Ende ist, herrscht Stille – und Lust und Neugier auf die nächste Kurzgeschichte. In medias res beginnen die Geschichten, kurz, dicht, stringent aufgebaut, spannend, schnell am Punkt: Die unerhörte, unerwartete Neuigkeit wird erzählt, sei es von dem Pfarrer, dem eine Verehrerin bei der Beichte so auf die Nerven geht, dass er sich heimlich ein Gerät zulegt, womit er sich zerstreut; oder die wundervolle Liebesgeschichte von Mathilde, dem Mädchen von Nr. 12, und deren Begegnung mit einem Unbekannten… oder das böse Geheimnis des Bewohners der Anlage „Les Glycines“ in der Kurzgeschichte „Brume“, mit der Didierlaurent den Prix Hemingway 2010 erhalten hat. Lust auf mehr? Dann lies eine weitere Geschichte aus dem Erzählband des Elsässers Jean-Paul Didierlaurent, den Sina de Malafosse übersetzt hat. Es ist ihr gelungen, die sprachlichen Bilder gut umzusetzen, mit denen Didierlaurent gerne spielt. Die Alltagssprache, sowie die unterschiedlichen Sprachebenen in der Umgangssprache, hat sie sehr gekonnt in eine einfache, kraftvolle, jedoch nicht derbe Sprache übertragen. Die im Französischen viel häufiger verwendeten Kraftausdrücke hat sie geglättet: So wird aus dem derben „il l’emmerdait“ ein „er konnte sie mal kreuzweise“. Emotionale Momente, die Hoffnungen in der Liebesgeschichte von Mathilde sind vielleicht manchmal ein bisschen kitschig übersetzt, nehmen aber der Geschichte weder Tiefe noch Ironie: „Seither lebte Mathilde nur noch für diese kurze Begegnung, die jeden Tag ihr Dasein versüßte.“ („Mathilde ne vivait plus que pour cette brève rencontre qui, tous les jours, venait enchanter son existence.“) 11 Geschichten mit Charme und Lebensklugheit – genau richtig für Winterabende. HM
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