Eine deut­sche Americanah

Anette Grubes Fassung von Chimamanda Ngozi Adichies vielsprachigem Roman „Americanah“ zeigt: Es gibt keine perfekte Übersetzung einer Vorlage, sondern nur verschiedene Grade der Fremdheit.

Von

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in das es die Hauptfigur Ifemelu verschlägt. © Freyja Melsted

Chi­ma­man­da Ngo­zi Adi­chie schöpft in ihren Büchern aus dem Wort­schatz meh­re­rer Spra­chen. Sie ver­mischt eng­li­sche Stan­dard­spra­che mit Igbo, wei­te­ren nige­ria­ni­schen Spra­chen, Pidgin-Eng­lisch und einer Sprach­va­ri­an­te, wie sie nicht-anglo­pho­ne Ein­wan­de­rer in den USA spre­chen. Mache wer kann! Ame­ri­ca­nah, Adi­chies drit­ter Roman, ist ein Werk, das vor sprach­li­cher Viel­falt nur so strotzt – eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung für ihre deut­sche Über­set­ze­rin Anet­te Gru­be, der sie sich wacker stellt. Die Wir­kung der deut­schen Über­set­zung ist jedoch oft eine ande­re als die des eng­li­schen Tex­tes. Adi­chie ver­wen­det Stil­ele­men­te, die ihren Text für eine west­li­che Leser­schaft auf vie­ler­lei Ebe­nen fremd wir­ken las­sen. Die­se Ele­men­te sind im deut­schen Text stel­len­wei­se geglät­tet oder gar weggelassen.

In Ame­ri­ca­nah schreibt Adi­chie über jun­ge Men­schen, die in ver­schie­de­nen Ecken der Welt nach einer Iden­ti­tät suchen. Die bei­den Haupt­fi­gu­ren, Ife­me­lu und Obin­ze, ler­nen sich in Nige­ria ken­nen. Ife­me­lu erhält ein Sti­pen­di­um für ein Stu­di­um in den USA, ihre Jugend­lie­be Obin­ze ver­schlägt es nach Eng­land. Die bei­den ver­su­chen sich in anfangs frem­den Län­dern ein sta­bi­les Leben auf­zu­bau­en. Iro­nie und Über­trei­bun­gen gehö­ren eben­so zu Chi­ma­man­das Erzähl­stil wie eine offe­ne und direk­te Art, Ras­sis­mus, Sexis­mus und unglei­che Macht­ver­hält­nis­se in der Gesell­schaft anzu­spre­chen. Dabei ver­packt Adi­chie kon­tro­ver­se The­men in all­täg­li­che Situa­tio­nen. Sie schreibt über Haa­re, Klei­dung, Essen und Online-Dating-Platt­for­men. Adi­chie wirft dabei die Fra­ge auf, wie Bey­on­cé wohl mit einem natür­li­chen Afro aus­se­hen wür­de und lässt dar­über nach­den­ken, dass Michel­le Oba­mas Haa­re ihr ver­mut­lich nicht glän­zend glatt vom Kopf wachsen.

Doch Ame­ri­ca­nah ist auch eine Lie­bes­ge­schich­te (und schämt sich des­sen nicht): Zwei Men­schen, die sich als Jugend­li­che inein­an­der ver­lie­ben und für immer zusam­men­blei­ben wol­len, aber vom Leben vor eine Pro­be nach der ande­ren gestellt wer­den. Man­che Prü­fun­gen sind zu hart für das jun­ge Paar und das Leben führt sie in unter­schied­li­che Rich­tun­gen – doch die Lie­be, die sie für­ein­an­der emp­fin­den, ver­geht nie. Eine Geschich­te mit all den aus Hol­ly­wood bekann­ten Kli­schees, die ame­ri­ka­ni­scher nicht sein könnte.

Der Titel Ame­ri­ca­nah ist ein Wort, das im Roman Frau­en bezeich­net, die sich nach der Rück­kehr aus den USA für Nige­ria unty­pi­sche Ver­hal­tens­wei­sen zuge­legt haben – sie tra­gen immer Was­ser in Plas­tik­fla­schen mit sich her­um, spre­chen gewis­se Lau­te anders aus als frü­her und sehen die Welt mit ame­ri­ka­ni­schen Augen. Eines ist klar: Der Aus­druck ist nicht unbe­dingt schmei­chel­haft. Ife­me­lu möch­te eben nicht das Kli­schee einer „Ame­ri­ca­nah“ erfül­len und kämpft mit Fra­gen ihrer eige­nen Iden­ti­tät. Dies zeigt sich auch auf sprach­li­cher Ebe­ne. So beschließt sie bewusst, nicht mit einem ame­ri­ka­ni­schen Akzent zu spre­chen, son­dern in einem nige­ria­ni­schen Eng­lisch. Zwei Vari­an­ten, die sich vor allem in der Aus­spra­che deut­lich von­ein­an­der unterscheiden.

Es ist kein leich­tes Unter­fan­gen, in einem Buch Hin­wei­se dar­auf zu geben, wie Wör­ter aus­ge­spro­chen wer­den. Doch Adi­chie gelingt es immer wie­der dar­an zu erin­nern, wie die Stim­men der Figu­ren im Ohr der Leser klin­gen könn­ten. So auch in fol­gen­dem Beispiel:

They hug­ged, loo­ked at each other, said all the things peo­p­le said who had not seen each other in many years, both lapsing into their Nige­ri­an voices and their Nige­ri­an sel­ves, lou­der, more heigh­ten­ed, adding “o” to their sentences.
Sie umarm­ten sich, mus­ter­ten sich, sag­ten all die Din­ge, die Leu­ten [sic] sagen, die sich seit vie­len Jah­ren nicht mehr gese­hen haben, bei­de spra­chen mit ihrer nige­ria­ni­schen Stim­me und ihrem nige­ria­ni­schen Selbst, lau­ter, höher und mit einem “o” am Ende der Sätze.

Für nige­ria­ni­sches Eng­lisch typi­sche Ein­wür­fe wie „eh“ oder „o“ kom­men im eng­li­schen Ori­gi­nal­text häu­fig vor, was dar­an erin­nert, dass die Figu­ren kein west­li­ches Stan­dard-Eng­lisch spre­chen. In der deut­schen Fas­sung wer­den die Par­ti­keln jedoch nie direkt über­nom­men, son­dern ent­we­der weg­ge­las­sen oder (immer wie­der unter­schied­lich) ins Deut­sche übertragen:

“Eh! Aun­ty Uju is lucky o!” Cheta­chi said.
„Ha. Tan­te Uju hat wirk­lich Glück, was?“, sag­te Chetachi.

Auch wenn die Par­ti­keln im Bei­spiel­satz über­setzt wer­den, geht der Ver­frem­dungs­ef­fekt, den sie im Eng­li­schen erzie­len, in der deut­schen Über­set­zung verloren.

Bücher afri­ka­ni­scher Autoren, die ihre Wer­ke auf Eng­lisch ver­fas­sen, sind im Hin­blick auf post­ko­lo­nia­le Theo­rien beson­ders inter­es­sant. Immer­hin ist Eng­lisch die Spra­che der ehe­ma­li­gen Unter­drü­cker, die sich in Län­dern wie Nige­ria nach der Unab­hän­gig­keit trotz­dem als offi­zi­el­le Amts­spra­che durch­set­zen konn­te. Es ist daher nicht über­ra­schend, dass sich das Eng­lisch in Wer­ken man­cher afri­ka­nisch­stäm­mi­ger Autorin­nen und Autoren bewusst von west­li­chen Stan­dard­va­ri­an­ten unter­schei­det und sie der Spra­che ihren indi­vi­du­el­len Stem­pel aufdrücken.

Wei­ter Ver­frem­dungs­ef­fek­te sind Wech­sel in ande­re Spra­chen. Adi­chie ver­wen­det Wör­ter und Sät­ze in Igbo und Pidgin-Vari­an­ten sowie Varia­tio­nen nicht-eng­lisch­spra­chi­ger Ein­wan­de­rin­nen und Ein­wan­de­rer. In man­chen Fäl­len gehen die­se „code-swit­ches“ in der Über­set­zung völ­lig ver­lo­ren. So wird aus dem Aus­ruf „Aje-but­ter! Uni­ver­si­ty boy! That must be what your pro­fes­sor mother taught you“ im Deut­schen „Du ver­wöhn­tes Weich­ei! Das muss dir dei­ne Pro­fes­so­ren­mut­ter ein­ge­re­det haben.“ Dabei ist es durch­aus mög­lich, die Wort­spie­le der Autorin ins Deut­sche zu über­tra­gen, und die Über­set­ze­rin zeigt auch, dass sie das kann:

The con­ver­sa­ti­ons were loud and swift, in French or Wol­of or Malin­ke, and when they spo­ke Eng­lish to cus­to­mers, it was bro­ken, curious, as though they had not quite eased into the lan­guage its­elf befo­re taking on a slan­gy Ame­ri­ca­nism. Words come out half-com­ple­ted. Once a Gui­ne­an brai­der in Phil­adel­phia had told Ife­me­lu, “Amma like, Oh Gad, Az someh.” It took many repe­ti­ti­ons for Ife­me­lu to under­stand that the woman was say­ing, “I’m like, Oh God, I was so mad.”
Die Gesprä­che wur­den laut und schnell geführt, auf Fran­zö­sisch oder Wol­of oder Malin­ke, und wenn sie mit den Kun­din­nen Eng­lisch spra­chen, war es immer gebro­chen und kuri­os, als hät­ten sie die Spra­che nicht rich­tig gelernt, bevor sie sich den Slang und die Ame­ri­ka­nis­men aneig­ne­ten. Wor­te kamen unvoll­stän­dig her­aus. In Phil­adel­phia hat­te ein­mal eine Flech­te­rin aus Gui­nea zu Ife­me­lu gesagt: „Igwa, o God, igwa sos­saua.“ Und es bedurf­te vie­ler Wie­der­ho­lun­gen, bis Ife­me­lu ver­stand, dass die Frau „Ich war, o Gott, ich war so sau­er“ sagte.

Anet­te Gru­bes Über­set­zung von „Ame­ri­ca­nah“ ist ein flüs­sig les­ba­rer, schö­ner, deut­scher Text. Erst der Blick in den Ori­gi­nal­text zeigt, dass gera­de des­we­gen doch so man­ches ver­lo­ren gegan­gen ist. Die Lese­rin oder der Leser des eng­li­schen Ori­gi­nals (sofern er oder sie nicht mit nige­ria­ni­schen Spra­chen und den Vari­an­ten des nige­ria­ni­schen Eng­lisch ver­traut ist) stol­pert immer wie­der über Stel­len, muss Sät­ze öfter als ein­mal lesen, oder über­fliegt sie, weil sie unver­ständ­lich sind. Das ist viel­leicht etwas anstren­gen­der als die Lek­tü­re eines flüs­sig les­ba­ren, schö­nen Tex­tes. Doch ein biss­chen dürf­ten Lese­rin­nen und Leser doch auch gefor­dert werden?!


Chi­ma­man­da Ngo­zi Adichie/Anette Gru­be: Ame­ri­ca­nah. (Im eng­li­schen Ori­gi­nal: Americanah.)

Fischer 2015 ⋅ 604 Sei­ten ⋅ 10 Euro

www.fischerverlage.de/buch/americanah/9783596185986

1 Comment

Add Yours
  1. 1
    Anja M

    Ich muss sagen dass mir die Über­set­zung nicht beson­ders gut gefal­len hat. Sehr häu­fig ist es mir pas­siert, dass ich die deut­sche For­mu­lie­rung holü­rig und unidio­ma­tisch fand, mir dage­gen genau vor­stel­len konn­te, wie der eng­li­sche Satz ein mal lau­te­te. Dazu kom­men so offen­sicht­li­che Feh­ler, wie die Über­set­zung des Seri­en­ti­tels „Fri­ends“ zu „Freun­de“, obwohl die Serie auch auf Deutsch Fri­ends heißt. Sowas fin­de ich schon echt peinlich…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert