Über­set­zung des Monats: Das Meer der Libellen

„Das Meer der Libellen“ ist die wahre Liebe von Yvonne Adhiambo Owuors eigenwilliger Heldin Ayaana, die auf einer kenianischen Insel aufwächst. Die Übersetzerin Simone Jakob macht deren große Voyage bis ans andere Ende der Welt zu einer betörend sinnlichen Erfahrung. Von

Über­set­zung des Monats Januar
Titel

Das Meer der Libellen

Autorin

Yvonne Adhi­am­bo Owuor

Über­setzt von

Simo­ne Jakob

Ori­gi­nal­spra­che

Eng­lisch

Ori­gi­nal­ti­tel

The Dra­gon­fly Sea

Ver­lag

Dumont

In den letz­ten Jahr­zehn­ten hat Chi­na die Bezie­hun­gen zum afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent aus­ge­baut und Mil­li­ar­den­sum­men in sei­ne Infra­struk­tur inves­tiert. Die­ses Unter­fan­gen hat einen inter­es­san­ten, obgleich wenig über­ra­schen­den Neben­ef­fekt: Man beginnt sich plötz­lich auch wie­der für die wenig bekann­te sino-afri­ka­ni­sche Geschich­te zu inter­es­sie­ren. So kam es, dass 2005 der chi­ne­si­sche Staat zum Jubi­lä­um der ers­ten See­fahrt des Kom­man­deurs Zheng He, der zu Zei­ten der Ming-Dynas­tie mit einer rie­si­gen Flot­te auf sie­ben gro­ße Expe­di­tio­nen ging, einer jun­gen Kenia­ne­rin und angeb­li­chen Nach­fah­rin der chi­ne­si­schen See­fah­rer, Mwa­ma­ka Sha­ri­fu, ein Stu­di­um an einer chi­ne­si­schen Uni finanzierte.

Auf­ge­wach­sen ist Sha­ri­fu auf einer klei­nen Insel namens Pate an der Nord­küs­te Keni­as, die seit Jahr­hun­der­ten von See­fah­rern aus aller Welt heim­ge­sucht wird. Wahr­schein­lich waren Schiff­brü­chi­ge der Flot­te Zheng Hes auf der Insel gelan­det, nur so lässt sich erklä­ren, war­um chi­ne­si­sche Kera­mik und ande­re Hin­ter­las­sen­schaf­ten dort gefun­den wur­den. Auch in den Gesich­tern der Bewoh­ner Pates meint man chi­ne­si­sche Züge zu erkennen.

In dem Roman Das Meer der Libel­len, über­setzt von Simo­ne Jakob, wird Mwa­ma­ka Sha­ri­fu nie nament­lich erwähnt. Sei­ne Autorin, die Kenia­ne­rin Yvonne Adhi­am­bo Owu­or, hat sich aber der Geschich­te ihrer beson­de­ren Her­kunft bedient und den Stoff in einen moder­nen Bil­dungs­ro­man ver­wan­delt, der neben den poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Ver­net­zun­gen Keni­as vor allem die gro­ßen The­men des Lebens umfasst – Fami­lie, Lie­be, Vergänglichkeit.

Owu­or, die in Eng­land und Aus­tra­li­en krea­ti­ves Schrei­ben stu­dier­te, lie­fert mit Das Meer der Libel­len ihren zwei­ten gro­ßen Roman (ihren erfolg­rei­chen Erst­ling Der Ort, an dem die Rei­se endet hat auch Simo­ne Jakob über­setzt). In der Sen­dung titel, the­sen, tem­pe­ra­men­te führt sie über die Insel und macht ihre schrift­stel­le­ri­schen Ambi­tio­nen ganz deutlich:

[…] Euro­pä­er kamen hier­her und über­schrie­ben den Ort mit ihrer Geschich­te. Und dann wächst eine gan­ze Gene­ra­ti­on auf, die denkt, dass wir kei­ne Wur­zeln in der Geschich­te haben. Mei­ne Lands­leu­te sind ver­wirrt, sie den­ken, unse­re Geschich­te begann erst als die Euro­pä­er kamen. Und das ist ein Teil der afri­ka­ni­schen Tra­gö­die und der von Kenia.

Mit Das Meer der Libel­len will Owu­or also nicht weni­ger als einen eige­nen moder­nen Mythos schaf­fen, der Keni­as gemein­sa­me Geschich­te mit Län­dern und Kul­tu­ren jen­seits des Wes­tens akzen­tu­iert. Der Roman beginnt und endet auf der Insel, wo sei­ne Prot­ago­nis­tin, ein char­man­tes, aber eigen­sin­ni­ges Mäd­chen namens Aya­a­na als Toch­ter einer Aus­ge­sto­ße­nen eine unkon­ven­tio­nel­le Schu­le durch­lebt. Die Schil­de­run­gen ihrer Kind­heit, geprägt von der väter­li­chen Abwe­sen­heit und der ste­ti­gen Sehn­sucht nach dem Meer, zäh­len zu den Höhe­punk­ten die­ses 600 Sei­ten lan­gen Romans. Die erstaun­lich plas­ti­schen Beschrei­bun­gen der Düf­te, Geräu­sche und Far­ben sind in Simo­ne Jakobs Über­set­zung sinn­lich erfahrbar:

Dusk stal­ked the Lamu Archipelago’s lar­gest and sul­le­nest island, trud­ging from Siyu on the north coast, upen­ding Kizingitini’s fishing fleets befo­re swo­o­ping sou­thwest to brood over a Pate Town that was alre­a­dy mol­de­ring in the malai­se of unre­qui­ted year­nings. Brui­sed by end­less deeds of gui­le, sie­ge, war, and seduc­tion, like the island that con­tai­ned it, Pate Town mark­ed melan­cho­lic time.
Die Abend­däm­me­rung pirsch­te sich an die größ­te und trüb­sin­nigs­te Insel des Lamu-Archi­pels her­an, wan­der­te über Siyu an der Nord­küs­te über die Fang­flot­ten von Kizin­gi­tini nach Süd­wes­ten und erreich­te schließ­lich Pate Town, das in uner­füll­ter Sehn­sucht dahin­siech­te. Von end­lo­sen Hin­ter­hal­ten, Bela­ge­run­gen, Krie­gen und Ver­lo­ckun­gen zer­mürbt, zeig­te die Stadt – eben­so wie die Insel, auf der sie sich befand – alle Anzei­chen von Melancholie.

Wie vie­le erfolg­rei­che afri­ka­ni­sche Autorin­nen und Autoren schreibt Owu­or in der eng­li­schen Spra­che, die neben Swa­hi­li zu den Amts­spra­chen Keni­as gehört (wo es noch über fünf­zig wei­te­re Spra­chen gibt). Bereits als Kind lernt ihre Prot­ago­nis­tin: “In the world, Eng­lish has the big­gest ears” („Mit Eng­lisch erreicht man auf die­ser Welt die meis­ten Ohren“) – ein Satz ganz in der Tra­di­ti­on von Chi­nua Ache­be und sei­nen Nach­fol­gern, die sich bewusst für die eng­li­sche als lite­ra­ri­sche Spra­che ent­schie­den, auch wegen ihrer Reich­wei­te auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent. Trotz­dem hat­te sich schon Ache­be dafür aus­ge­spro­chen, dass dann die eng­li­sche Spra­che zu etwas ganz und gar Eige­nem gemacht wer­den müs­se und hat bei­spiels­wei­se sein Meis­ter­werk Alles zer­fällt mit Igbo-Wör­tern unterlaufen.

Auch Owu­or macht Das Meer der Libel­len zu einer poly­glot­ten Erfah­rung. Ihre Cha­rak­te­re unter­hal­ten sich unter ande­rem auf Kipa­te, dem swa­hi­li­schen Dia­lekt, der auf Pate gespro­chen wird. Mit­hil­fe von Apho­ris­men und Rede­wen­dun­gen lässt sie die loka­len, münd­lich über­lie­fer­ten Tra­di­tio­nen in den eng­lisch­spra­chi­gen Text ein­flie­ßen. In den aller­meis­ten Fäl­len inte­griert Owu­or die Über­set­zung in den eng­li­schen Textfluss:

Muni­ra said, “Kenya ni Kosi.” – Kenya is a gos­hawk. “Halei kuku wa wana.” It does not nur­tu­re the hen’s chicks. “Not­hing here…Marines, al-Shabaab…Now some are here dril­ling for oil.” She scof­fed. “They have cha­sed our peo­p­le away like goats. From their homes.” Despe­ra­te-toned. “Heki­ma, sala­ma.” Wis­dom is safety.
Kenya ni Kosi“ – Kenia ist wie ein Hüh­ner­ha­bicht, sag­te Muni­ra. „Halei kuku wa wana.“ Er füt­tert die Küken des Huhns nicht. „Hier gibt es nichts … nur Mari­nes, al-Shaba­ab … Jetzt boh­ren sie nach Öl.“ Sie schnaub­te. „Sie haben unse­re Leu­te aus ihren Häu­sern ver­jagt wie Zie­gen.“ Ver­zwei­felt füg­te sie hin­zu: „Heki­ma, sala­ma.“ Weis­heit ist Sicherheit.

Fast aber wünsch­te man sich, sie hät­te es nicht so oft getan und mehr Mut zur Ambi­va­lenz bewie­sen. Denn gera­de die unüber­setz­ten Stel­len ent­fes­seln die Fan­ta­sie beim Lesen und sind, wenn sie in einen kla­ren Kon­text ein­ge­bet­tet wer­den, den­noch zugänglich:

“Ayaaa­a­na! Haki ya Mungu…aieee!” The thre­at-dren­ched con­tral­to came from the bus­hes to the left of the man­gro­ves. “Aii, mwa­n­an­gu, mbo­na wani­te­sa?” Too clo­se. The girl aban­do­ned her cover, splas­hed through the low tide to reach open sands. Aya­a­na scram­bled from stone to stone, with the kit­ten clinging to her neck. She drop­ped out of sight.
„Ayaaa­a­na! Haki ya Mun­gu … aiee!“ Die Stim­me drang jetzt links von ihr aus den Büschen und klang bedroh­lich nah. „Aii, mwa­n­an­gu, mbo­na wani­te­sa?“ Aya­a­na ver­ließ ihr Ver­steck, wate­te durch das fla­che Was­ser, um den Sand­strand zu errei­chen, balan­cier­te von Stein zu Stein, wäh­rend sich das Kätz­chen an ihren Hals klam­mer­te, und rann­te davon.

Im Lau­fe des Romans kommt mit Chi­ne­sisch noch eine wei­te­re pro­mi­nen­te Spra­che hin­zu. Wie ihr Vor­bild zieht Aya­a­na als die „Nach­fah­rin“ in eine chi­ne­si­sche Hafen­stadt, um zu stu­die­ren: eine Odys­see, von der sie sich Bil­dung und Geld ver­spricht. Dabei ver­la­gert Owu­or sehr geschickt die Sym­pa­thien. Denn „fremd“ mögen einem zu Beginn des Romans die Insel­be­woh­ner und deren Leben mit sei­nen Ver­zwei­gun­gen und Wider­sprü­chen erschei­nen. Doch plötz­lich erscheint mit Chi­na eine ande­re Frem­de, die man fast gänz­lich durch die Per­spek­ti­ve Aya­a­nas erfährt. Wohl fühlt sich die Prot­ago­nis­tin dort nicht, das Land bleibt ihr selbst nach abge­schlos­se­nem Stu­di­um und inten­si­ven Sprach­kur­sen ver­schlos­sen. Aber wie so vie­le vor ihr wird auch sie erst in der Fer­ne mit den gro­ßen Fra­gen des Daseins kon­fron­tiert, bezeich­nen­der­wei­se in der Spra­che, die sie sich erst aneig­nen muss:

So what was life? The words 生活. Sheng huo. To live. Kuishi.
Was also war das Leben? Die Wor­te 生活. Sheng huo. Leben. Kuishi.

Dass es sich bei Das Meer der Libel­len um einen über­setz­ten Text han­delt, lässt sich die deut­sche Über­set­zung kaum anmer­ken – in die­sem Fall die rich­ti­ge Stra­te­gie. Zu viel merk­li­che Über­setzt­heit auf sprach­li­cher Ebe­ne wür­de den Text über­frach­ten, ja fast schon ablen­ken von den The­men und Moti­ven des Romans. Wo es not­wen­dig ist, ent­zweit, ver­bin­det und ver­schiebt Owours deut­sche Über­set­ze­rin Simo­ne Jakob gan­ze Satz­tei­le und sor­tiert Sät­ze völ­lig neu, alles stets zu gro­ßem Effekt. Eine all­zu nahe Ori­en­tie­rung am eng­li­schen Satz­bau hät­te die­sem Roman sei­ne ori­gi­nel­le Atmo­sphä­re genommen:

To cross the vast oce­an to their south, water-cha­sing dra­gon­flies with for­ebe­ars in Nor­t­hern India had hit­ched a ride on a seda­te “in-bet­ween sea­sons” mor­ning wind, one of the monsoon’s introits, the mat­lai. One day in 1992, four gene­ra­ti­ons later, under dark-purp­lish-blue clouds, the­se flee­ting beings sett­led on the man­gro­ve-frin­ged sou­thwest coast of a litt­le girl’s island.
Die Vor­fah­ren der Libel­len, die über das Was­ser jag­ten, stamm­ten aus Nord­in­di­en und hat­ten sich von einem mil­den früh­mor­gend­li­chen Wind, dem Mat­lai – ein Vor­bo­te des Mon­suns – über den rie­si­gen Oze­an im Süden tra­gen las­sen. Heu­te, vier Gene­ra­tio­nen spä­ter, an einem Tag des Jah­res 1992, lie­ßen sich die­se unbe­stän­di­gen Wesen unter einem mit dun­kel­vio­let­ten Wol­ken ver­han­ge­nen Him­mel an der man­gro­ven­ge­säum­ten Süd­west­küs­te der Insel nie­der, auf der ein klei­nes Mäd­chen lebte.

Das Meer der Libel­len ist ein ein­drück­li­cher Sog, der einem die Tür zu einer völ­lig ein­zig­ar­ti­gen Welt öff­net. Vor­wer­fen könn­te man sei­ner Autorin ein­zig ihren Hang zu einer lei­den­schaft­li­chen Emo­tio­na­li­tät, die ihre Figu­ren antreibt, und einer gewis­sen Sen­ti­men­ta­li­tät, die die­se aus­macht. Für deutsch­spra­chi­ge Lese­rin­nen und Leser, die all­zu streng zwi­schen Hoch­kul­tur und allem ande­ren dif­fe­ren­zie­ren und eine gewis­se erzäh­le­ri­sche Distanz erwar­ten, mag der Roman pha­sen­wei­se an der Schwel­le zum Kitsch ste­hen. Es wird gebe­tet (Gott ist das Meer), geweint, in Rosen­öl ein­bal­sa­miert, was das Zeug hält. Selbst eigent­lich drö­ge chi­ne­si­sche Voka­beln aus der Welt der Schiff­fahrt ver­mag Owu­or in einen roman­ti­schen Kon­text einzubetten:

Lai Jin then whispe­red into her ear, “Ni huxi. Brea­the.” Aya­a­na tur­ned to him, bereft of words. “I know,” he said, smi­ling at the water. He said, “Star­board: you­xi­an.” “You­xi­an,” she repea­ted. “Wea­ther fore­cast: tian­qi yubao.”
„Ni de huxi. Atmen Sie“, flüs­ter­te Lai Jin ihr ins Ohr. Aya­a­na sah ihn an, stumm vor Stau­nen. Ich weiß“, sag­te er und sah lächelnd aufs Meer hin­aus. Steu­er­bord: You­xi­an“, sag­te er. „You­xi­an“, wie­der­hol­te sie. Wet­ter­vor­her­sa­ge: Tian­qi Yubao.“ „Tian­qi Yubao“, wie­der­hol­te sie.

Für Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer gibt es bei so viel Sen­ti­men­ta­li­tät zwei Mög­lich­kei­ten – ent­we­der ver­sucht man die­se ein­zu­dämp­fen, um dem Ziel­pu­bli­kum zu gefal­len, oder man lässt dem Gan­zen sei­nen Lauf und ver­traut dar­auf, dass der Text auch ohne kul­tu­rel­le Anpas­sun­gen sei­ne Leser­schaft fin­det. Jakob wählt einen Mit­tel­weg. Bei der Wort­wahl ori­en­tiert sie sich eng an der Vor­la­ge, ohne dabei all­zu wört­lich zu über­set­zen. Jedes noch so male­ri­sche oder gar über­bor­den­de Adjek­tiv zieht sie hin­über in die Über­set­zung, sie fügt sogar im Deut­schen ihre eige­nen Beschrei­bun­gen hin­zu und spricht bei­spiels­wei­se bei „wal­king wound“ von „einem wan­deln­den Geschwür, einer schwä­ren­den Wun­de“. Owu­or, mit ihrem Hang zum Dra­ma­ti­schen, hät­te das sicher gefreut.

Hin und wie­der durch­bricht sie den roman­ti­schen Fluss mit so mini­ma­len Ein­grif­fen, dass man sie leicht über­le­sen kann. Mit Hil­fe ver­gleichs­wei­se dumpf klin­gen­der Wör­ter lässt sie zum Bei­spiel wir­kungs­vol­le Kon­tras­te ent­ste­hen. So „glotzt“ (im Ori­gi­nal steht an der Stel­le das unauf­re­gen­de „stared“) zwi­schen all der „Ein­sam­keit“ und diver­sen ande­ren Emp­fin­dun­gen ein vor­bei­schwim­men­der Fisch und holt Aya­a­na aus ihrer Fan­ta­sie­welt. Als wei­te­res Mit­tel dient die­sem Zweck aber auch hier wie­der die Syn­tax, die Jakob ohne viel Feder­le­sen ihren Zwe­cken anpasst, um der recht leid­li­chen Ten­denz Owours, ein oder zwei beson­ders bedeu­tungs­schwe­re Wor­te einer Pas­sa­ge vor­an oder hin­ten­an­zu­stel­len, ent­ge­gen­zu­wir­ken. Zum Bei­spiel wird aus „Time-dis­sol­ving floa­ting.“ prag­ma­ti­scher Wei­se der voll­stän­di­ge Satz „Sie drif­te­te dahin, und jeg­li­ches Zeit­ge­fühl lös­te sich auf.“, was den Anschein einer recht frei­en Aus­le­gung erweckt. Aus dem Kon­text wird aller­dings klar, dass es sich dabei nur um Aya­a­nas Per­spek­ti­ve han­deln kann, die Jakob hier von aller künst­li­chen Schwe­re befreit.

Ent­stan­den ist so eine berüh­ren­de, aber nie rühr­se­li­ge Über­set­zung eines son­der­ba­ren Romans, die sich den Fän­gen des Ori­gi­nals hin­gibt, ohne sich zu sehr davon abhän­gig zu machen. Nur das all­zu kon­ven­tio­nel­le Ende, das der frei­mü­ti­gen Hel­din des Romans nicht gerecht wird, konn­te auch Jakob nicht vor dem Kli­schee bewah­ren. Aber viel­leicht ging es Owu­or letzt­lich weni­ger um den Plot als um die Sym­bo­lik – mit der Hoch­zeit (Spoi­ler!) von Aya­a­na und einem chi­ne­si­schen Schiffs­ka­pi­tän lässt Owu­or die Geschich­te sich wie­der­ho­len und ver­bin­det die bei­den Natio­nen aufs Neue. Damit macht sie vor allem eins deut­lich: Die Zukunft Keni­as (und viel­leicht auch sei­ner Lite­ra­tur) liegt nicht im Wes­ten. Es bleibt also spannend.

Drei Fra­gen an Simo­ne Jakob

Was ist Ihnen per­sön­lich beim Über­set­zen wichtig?

Im Spek­trum zwi­schen wort­wört­li­cher, ver­frem­den­der Über­set­zung und ein­deut­schen­der Über­tra­gung in der Tra­di­ti­on Mar­tin Luthers („Man muss die Mut­ter im Hau­se, die Kin­der auf der Gas­se, den ein­fa­chen Mann auf dem Markt danach fra­gen und den­sel­ben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach über­set­zen.“) wür­de ich mich eher in der Nähe des zwei­ten Pols ver­or­ten. Mir ist es wich­tig, dem Ori­gi­nal gerecht zu wer­den und gleich­zei­tig den Lese­rin­nen und Lesern einen Text zugäng­lich zu machen, der ihnen sonst ver­schlos­sen blei­ben wür­de, und das idea­ler­wei­se so, dass ihnen dabei nicht stän­dig bewusst ist, dass sie eine Über­set­zung lesen. Gera­de die wun­der­ba­re afri­ka­ni­sche Lite­ra­tur ist hier in Euro­pa ja noch nicht so bekannt, wie sie es ver­dient hät­te, auch wenn sich das erfreu­li­cher­wei­se all­mäh­lich ändert.

Und was hat Ihnen beim Über­set­zen die­ses Romans am bes­ten gefallen?

Ich fin­de es nach all den Jah­ren, sowohl beim Lesen als auch beim Über­set­zen, immer noch ver­blüf­fend, dass man mit­hil­fe von ein paar hun­dert Sei­ten bedruck­tem Papier in frem­de Wel­ten ein­tau­chen kann – und das im Fall von „Das Meer der Libel­len“ sogar buch­stäb­lich –, sei­en es nun ande­re Län­der mit ihrer Geschich­te und Kul­tur, Phan­ta­sie­rei­che, frem­de Pla­ne­ten oder die Innen- und Gedan­ken­wel­ten der Figu­ren. Bücher sind gera­de jetzt not­wen­di­ger denn je, sie bie­ten Befrei­ung von einer teils sehr eng gewor­de­nen Welt, Ent­gren­zung und Hori­zont­er­wei­te­rung in einer Zeit, in der Rei­sen in der rea­len Welt nicht so ohne wei­te­res mög­lich sind. Yvonne Adhi­am­bo Owu­or gelingt es von der ers­ten Sei­te an, die Leser in eine unglaub­lich man­nig­fal­ti­ge, alle Sin­ne anspre­chen­de, viel­schich­ti­ge, poe­ti­sche und asso­zia­ti­ons­rei­che Geschich­te hin­ein­zu­zie­hen, und das mit einer lyri­schen, anspie­lungs­rei­chen, sinn­li­chen Spra­che und einer teils laby­rin­thisch-ver­schlun­ge­nen Syn­tax, denen bis in die feins­ten Ver­äs­te­lun­gen zu fol­gen nicht immer ein­fach, aber ein gro­ßes ästhe­ti­sches Ver­gnü­gen ist. Dass ich als Über­set­ze­rin den Aus­gangs­text bis in die­se kleins­ten Ver­zwei­gun­gen hin­ein ergrün­den kann, macht für mich den größ­ten Reiz aus. Her­aus­for­dern­de Bücher wie die­se hän­gen mir oft noch jah­re­lang nach, und wäh­rend ich dar­an arbei­te, nei­ge ich dazu, über die Figu­ren zu reden wie über ech­te Menschen.

Kön­nen Sie die Über­set­zung in drei Wor­ten beschreiben?

Blut, Schweiß und Trä­nen – Spaß bei­sei­te, ich wür­de sagen, kom­plex, episch, poe­tisch, sinn­lich, tief­grün­dig … Hm, das waren jetzt mehr als drei, aber wie soll man ein der­art über­bor­den­des, facet­ten­rei­ches Werk in so weni­ge Wor­te pressen?

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