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Am 19. Oktober 2018 fand sich eine zusammengewürfelte Gruppe von Sprachbegeisterten in der Pablo-Neruda-Bibliothek in Berlin zusammen. Vier von ihnen kamen auf Einladung des Festivals Latinale: Gabriela Bejerman, Diana Garza Islas, Queen Nzinga Maxwell und die Autorin dieser Zeilen. Der offiziellen Einladung zufolge handelte es sich um eine Übersetzungswerkstatt – in Wirklichkeit aber war es ein gastfreundliches Willkommen in der Sprache, bei der wir zu Besuch waren; mit anderen Worten eine herzliche Einladung, die eigenen Beine auf sprachlich fremdem Boden auszuruhen.
Es hätte keinen besseren Ort für ein solches Gast-Spiel geben können. Die Dichterinnen waren auf der Durchreise, noch nicht vollständig an die neue Zeitzone und Temperatur gewöhnt. Und ebenso wie sie wurde während der vier Stunden in der Bibliothek auch ihre Literatur zu einer bewegten, unruhigen Reisenden zwischen den Sprachen (Spanisch, Englisch, Deutsch). Die Aufregung war verständlich, denn wenn die Literatur ihr angestammtes Sprachhaus verlässt und sich zu einem anderen aufmacht, wird sie sich – ohne es darauf angelegt zu haben – über ihre Persönlichkeit klar. Wenn sie einem neuen Medium ausgesetzt ist, entdeckt sie ihre Bedürfnisse, ihre Gepflogenheiten und ihre Manien. Dadurch wurde das Übersetzen, wie eine metaphorische Reise, zu einer Selbsterkundungsfahrt der ästhetischen Angebote, die wir Dichterinnen machen.
Aus diesem Grund waren die Präsentationen zu Beginn des Workshops auch keine Routineangelegenheit, sondern der Ausgangspunkt für die Einordnung der verschiedenen Schreibformen. Und während die Gedichte allmählich ihre germanophone Gestalt annahmen, offenbarten sich hier und da die Sinnlichkeit und Sanftheit der Sprache Bejermans, die Verspieltheit und Klanglichkeit in Garza Islas’ Poesie und die rhythmische und selbstreflexive Spannung von Queen Nzinga Maxwell.
Laura Haber und Timo Berger waren verantwortlich dafür, uns als Gastgeber in ihrer Sprachherberge bestmöglich unterzubringen: in Dialogräumen, die mit den vereinten Kräften der mehrsprachigen Profi- und Amateur-Übersetzerinnen und ‑übersetzer im Workshop zu errichten waren.
Einer der Schlüssel zu dem, was ich gastliche Übersetzung nennen möchte, liegt wohl darin, den Dialog zwischen dem schon geschriebenen und dem in der Zielsprache noch zu schreibenden Text nicht abreißen zu lassen. Es ginge insofern darum, die Anliegen des Gedichts beiderseits miteinander zu verkoppeln: Woher? Warum? Wohin? Diese Ausgangsfragen erzeugten eine Umgebung der Übersetzbarkeit, die die Übersetzerinnen und Übersetzer nun im – notwendigerweise dynamischen – Austausch erkunden mussten. Die Autorinnen sahen sich ihrerseits in der Pflicht, die Lebensgeschichte der Gedichte zu erhellen, da ja nur sie von deren Kindheit und Triebkräften erzählen konnten. Schon diese Rekonstruktionen waren eine erste – mal verschämte, mal freizügige – unfreiwillige Übersetzung.
Sie ließen also ihre Gedichte zu Wasser, entließen sie ins Unbekannte, wo sie die Workshop-Gruppe ereilten, die plötzlich nicht nur zwei Sprachen gleichzusetzen, sondern auch neue Wörter, Beschreibungen und Bilder zu erschaffen hatte. Die Magie der Gedichtübersetzung ließ der poetischen Ader zum Glück freie Bahn und der Sprache Raum zum Dahinfließen in unaufhörlicher Wandlung.
Die gastliche Übersetzung lässt sich in ihrer Funktionsweise also auch als eine Übersetzungs-Performance verstehen. Die Werkstatt verwandelte sich in eine Sonderzone des aktiven Sprachkontakts. Schließlich mussten auch schwer in Einklang zu bringende Faktoren übertragen werden, wie Stimme (Rhythmus, Reim, Tonfall), Autorschaft (semantische, historische, biografische Bezüge) oder Interpretation. Das Tagesergebnis war letztlich von dem unmittelbaren Zugang zu den Grundlagen der Traumsprache von Garza Islas, der Schelmensprache von Bejerman, dem selbstreflexiven spoken word von Maxwell und der prägnanten und gedrängten Bildersprache der Autorin dieser Zeilen geprägt. In diesem Sinne zeigte sich die Übersetzung in ihrem den Umständen geschuldeten Wesen und ihrer Erfahrungsdimension, wo Urteile, Vorurteile und Eindrücke sich mit auf die Reiseroute der Texte zwischen Treue und Freiheit begaben.
Auch wenn die Literatur der eingeladenen Dichterinnen in diesem Fall nur zu Besuch war, konnte sie sich dank der warmherzigen Gastfreundschaft schließlich doch ein wenig heimisch fühlen, das neue Sprachhaus anerkennen und sogar bislang unerkannte Vorzüge an sich selbst entdecken. Die gastliche Übersetzung entpuppte sich also angenehmerweise als Entdeckerin neuer Wesensformen der Sprache. Sich durch neue Landschaften treiben zu lassen, macht sie nur vielfältiger und lebensvoller.