
Zunächst muss ich eingestehen: Als Kindheitspädagogin und Vorleserin von Bilder- und Kinderbüchern habe ich mich noch nie ernsthaft mit der Übersetzung von Kinderliteratur auseinandergesetzt. Tatsächlich ist mir erst durch die Arbeit in einer bilingualen Einrichtung aufgefallen, dass es gute und weniger gute Übersetzungen gibt. So war ich begeistert von dem Bilderbuch The Lion Inside.1 In der deutschen Ausgabe Der Löwe in Dir, übersetzt von Pia Jüngert, stolperte ich dann aber über Wörter und Reime, die in ihrem Fluss nicht ans englische Original herankamen.
Sowohl den Inhalt als auch die Sprache in Bilderbüchern bewerte ich während der Arbeit mit diesem pädagogisch wertvollen Medium und seit einiger Zeit wöchentlich auf meinem Kinderliteratur-Blog BILDERbuchwegweiser. Allerdings habe ich den Text bzw. die Sprache meist dem/der Verfasser_in zugeordnet und nicht bewusst dem/der Übersetzer_in.
Im Zuge dieses Gastbetrags begann ich also andere begeisterte Leser_innen zu fragen, inwiefern sie die Übersetzung der Literatur würdigen, aber auch kritisch beurteilen. Im Folgenden möchte ich aufzählen, was mich als Kindheitspädagogin bei meiner Recherche bewegt hat und weiterhin gedanklich beschäftigt.
Das Wichtigste bei Bilder- und Kinderbüchern ist es, den richtigen Ton zu treffen. Eine Sprache zu finden, die der des Übersetzers in der eigenen Sprache entspricht.2 Zusätzlich zu den Bedeutungen und Deutungsmöglichkeiten der Wörter muss man sich also auch mit dem Sprachstil sowie dem Allgemeinwissen der Zielgruppe und den Verkaufsinteressen des Verlages auseinandersetzen. Das klingt nach einer großen Aufgabe.
Eindrücklich beschreibt Kirsten Boie die aufgetretene Diskussion im Kontakt mit dem englischen Übersetzer ihres Kinderbuchs Sommerby: Die Engländer sind bekannt für ihren schwarzen, makaberen Humor und muten diesen auch gerne ihren Kindern zu. So wollte der Übersetzer David Henry Wilson die Großmutter, welche die Kinder zum ersten Mal sehen, eindrücklicher darstellen als im Original. Die Schrotflinte sollte nicht locker unter dem Arm baumeln, sie sollte auch abgefeuert werden. Weiter werden für die Kinder statt der deutschen Namen englische verwendet. Da die Charaktere aus der oberen Mittelklasse kommen, sollte der Übersetzer auf englische Namen zurückgreifen, die denselben sozialen Hintergrund suggerieren.3 Hochspannend finde ich zum einen, wie viel Einfluss der Übersetzer auf ein Werk nehmen kann, und zum anderen auch, dass Namen Konnotationen haben!
Das bekannteste und gleichzeitig ein sehr kontroverses Beispiel für die Anpassung des Inhalts an die Gesellschaft scheint Pippi Langstrumpf zu sein. Die rassistischen Begrifflichkeiten der Originalausgabe werden unter Pädagog_innen immer wieder diskutiert, ohne zu berücksichtigen, dass die beliebte Pippi in der Übersetzung bereits an die jeweilige Zielkultur angepasst wurde. Abhängig vom Bild des Kindes war Pippi im Schweden eine richtig freche Göre, während sie in Deutschland schon in abgeschwächter Form auftrat und in Frankreich, wo angepasste und höfliche Kinder bevorzugt werden, in der Übersetzung weiter gezähmt wurde.4 Dieser Sachverhalt überrascht mich, vor allem deshalb, weil Änderungen des Textes aufgrund rassistischer Sprache im Zuge der Urheberschaft kritisiert werden. Ein Text, der sich in einer anderen Sprache der Zielgruppe (in diesem Fall wohl den Eltern!) anpassen darf, sollte sich doch auch den wandelnden Normen und Werten einer Gesellschaft anpassen dürfen. Vor allem, wenn er Kinder erreicht, die der geschichtliche Kontext erst mal wenig interessiert.
Spannend ist für mich weiter, dass es in vielen Sprachen für charakterisierte Tiere oder Dinge kein Geschlecht gibt. In deutschen Übersetzungen kann der/die Übersetzer_in versuchen, Stereotype aufzubrechen, wie dies die Übersetzerin Anna Schaub in Der Streik der Farben elegant gelöst hat. Dem „Rosa“ (Stift) wurde eben kein typisch weibliches Geschlecht zugeordnet. So scheinen die Biographie und das Wertverständnis des Übersetzers das Werk in gewisser Weise zu beeinflussen, wie sie mit Sicherheit auch dessen Wahrnehmung des Originals beeinflussen.
Für mich stellt sich aber auch die Frage an die Übersetzer_innen und Leser_innen von TraLaLit: Wird das Übersetzen von Kinderliteratur wirklich so wenig gewürdigt und unterwirft sich eher dem Diktat der Anpassung an die Zielkultur als Mittel der Wahl, um die junge Leserschaft (und wohl auch die Eltern) nicht zu verunsichern, wie Wolfgang Pöckl dies kürzlich skizziert hat?5 Ich werde jedenfalls versuchen, von nun an übersetzte Texte nach möglichen Deutungstendenzen zu durchleuchten und, wenn möglich, mit dem englischen Original zu vergleichen.
- Rachel Bright and Jim Field (Illustrator), The Lion inside, Orchard Books, 2016.
- Vgl. „Im Gespräch: Anna Schaub – Übersetzung von Bilderbüchern“, buchwegweiser.com, 2018.
- Vgl. Kirsten Boie, „So heißen bei uns nur die Omas!“, erschienen in JuLit 2/18.
- Vgl. Svenja Blume, „Übersetzen für Kinder“, erschienen in JuLit 2/18.
- Vgl. Wolfgang Pöckl, „Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur“, erschienen in: Kreativität und Hermeneutik in der Translation (Hrsg. Larisa Cercel, Marco Agnetta, María Teresa Amido Lozano), Narr Francke Attempto, 2017.