Kin­der­li­te­ra­tur – mehr als nur ein paar Worte

Ein Kinderbuch zu übersetzen, ist sehr herausfordernd. Diese Herausforderung wird aber nur selten gewürdigt. Als Kinderbuchleserin und -bloggerin hat sich unsere Gastautorin für uns mit dem Thema beschäftigt. Von

Junge Übersetzerinnen bei der Arbeit. Carlton Alfred Smith: Die erste Unterrichtsstunde, 1893. Quelle: WikiCommons

Zunächst muss ich ein­ge­ste­hen: Als Kind­heits­päd­ago­gin und Vor­le­se­rin von Bil­der- und Kin­der­bü­chern habe ich mich noch nie ernst­haft mit der Über­set­zung von Kin­der­li­te­ra­tur aus­ein­an­der­ge­setzt. Tat­säch­lich ist mir erst durch die Arbeit in einer bilin­gua­len Ein­rich­tung auf­ge­fal­len, dass es gute und weni­ger gute Über­set­zun­gen gibt. So war ich begeis­tert von dem Bil­der­buch The Lion Insi­de.1 In der deut­schen Aus­ga­be Der Löwe in Dir, über­setzt von Pia Jün­gert, stol­per­te ich dann aber über Wör­ter und Rei­me, die in ihrem Fluss nicht ans eng­li­sche Ori­gi­nal herankamen.

Sowohl den Inhalt als auch die Spra­che in Bil­der­bü­chern bewer­te ich wäh­rend der Arbeit mit die­sem päd­ago­gisch wert­vol­len Medi­um und seit eini­ger Zeit wöchent­lich auf mei­nem Kin­der­li­te­ra­tur-Blog BIL­DER­buch­weg­wei­ser. Aller­dings habe ich den Text bzw. die Spra­che meist dem/der Verfasser_in zuge­ord­net und nicht bewusst dem/der Übersetzer_in.
Im Zuge die­ses Gast­be­trags begann ich also ande­re begeis­ter­te Leser_innen zu fra­gen, inwie­fern sie die Über­set­zung der Lite­ra­tur wür­di­gen, aber auch kri­tisch beur­tei­len. Im Fol­gen­den möch­te ich auf­zäh­len, was mich als Kind­heits­päd­ago­gin bei mei­ner Recher­che bewegt hat und wei­ter­hin gedank­lich beschäftigt.

Das Wich­tigs­te bei Bil­der- und Kin­der­bü­chern ist es, den rich­ti­gen Ton zu tref­fen. Eine Spra­che zu fin­den, die der des Über­set­zers in der eige­nen Spra­che ent­spricht.2 Zusätz­lich zu den Bedeu­tun­gen und Deu­tungs­mög­lich­kei­ten der Wör­ter muss man sich also auch mit dem Sprach­stil sowie dem All­ge­mein­wis­sen der Ziel­grup­pe und den Ver­kaufs­in­ter­es­sen des Ver­la­ges aus­ein­an­der­set­zen. Das klingt nach einer gro­ßen Aufgabe.

Ein­drück­lich beschreibt Kirs­ten Boie die auf­ge­tre­te­ne Dis­kus­si­on im Kon­takt mit dem eng­li­schen Über­set­zer ihres Kin­der­buchs Som­mer­by: Die Eng­län­der sind bekannt für ihren schwar­zen, maka­be­ren Humor und muten die­sen auch ger­ne ihren Kin­dern zu. So woll­te der Über­set­zer David Hen­ry Wil­son die Groß­mutter, wel­che die Kin­der zum ers­ten Mal sehen, ein­drück­li­cher dar­stel­len als im Ori­gi­nal. Die Schrot­flin­te soll­te nicht locker unter dem Arm bau­meln, sie soll­te auch abge­feu­ert wer­den. Wei­ter wer­den für die Kin­der statt der deut­schen Namen eng­li­sche ver­wen­det. Da die Cha­rak­te­re aus der obe­ren Mit­tel­klas­se kom­men, soll­te der Über­set­zer auf eng­li­sche Namen zurück­grei­fen, die den­sel­ben sozia­len Hin­ter­grund sug­ge­rie­ren.3 Hoch­span­nend fin­de ich zum einen, wie viel Ein­fluss der Über­set­zer auf ein Werk neh­men kann, und zum ande­ren auch, dass Namen Kon­no­ta­tio­nen haben!

Das bekann­tes­te und gleich­zei­tig ein sehr kon­tro­ver­ses Bei­spiel für die Anpas­sung des Inhalts an die Gesell­schaft scheint Pip­pi Lang­strumpf zu sein. Die ras­sis­ti­schen Begriff­lich­kei­ten der Ori­gi­nal­aus­ga­be wer­den unter Pädagog_innen immer wie­der dis­ku­tiert, ohne zu berück­sich­ti­gen, dass die belieb­te Pip­pi in der Über­set­zung bereits an die jewei­li­ge Ziel­kul­tur ange­passt wur­de. Abhän­gig vom Bild des Kin­des war Pip­pi im Schwe­den eine rich­tig fre­che Göre, wäh­rend sie in Deutsch­land schon in abge­schwäch­ter Form auf­trat und in Frank­reich, wo ange­pass­te und höf­li­che Kin­der bevor­zugt wer­den, in der Über­set­zung wei­ter gezähmt wur­de.4 Die­ser Sach­ver­halt über­rascht mich, vor allem des­halb, weil Ände­run­gen des Tex­tes auf­grund ras­sis­ti­scher Spra­che im Zuge der Urhe­ber­schaft kri­ti­siert wer­den. Ein Text, der sich in einer ande­ren Spra­che der Ziel­grup­pe (in die­sem Fall wohl den Eltern!) anpas­sen darf, soll­te sich doch auch den wan­deln­den Nor­men und Wer­ten einer Gesell­schaft anpas­sen dür­fen. Vor allem, wenn er Kin­der erreicht, die der geschicht­li­che Kon­text erst mal wenig interessiert.

Span­nend ist für mich wei­ter, dass es in vie­len Spra­chen für cha­rak­te­ri­sier­te Tie­re oder Din­ge kein Geschlecht gibt. In deut­schen Über­set­zun­gen kann der/die Übersetzer_in ver­su­chen, Ste­reo­ty­pe auf­zu­bre­chen, wie dies die Über­set­ze­rin Anna Schaub in Der Streik der Far­ben ele­gant gelöst hat. Dem „Rosa“ (Stift) wur­de eben kein typisch weib­li­ches Geschlecht zuge­ord­net. So schei­nen die Bio­gra­phie und das Wert­ver­ständ­nis des Über­set­zers das Werk in gewis­ser Wei­se zu beein­flus­sen, wie sie mit Sicher­heit auch des­sen Wahr­neh­mung des Ori­gi­nals beeinflussen.

Für mich stellt sich aber auch die Fra­ge an die Übersetzer_innen und Leser_innen von TraLaLit: Wird das Über­set­zen von Kin­der­li­te­ra­tur wirk­lich so wenig gewür­digt und unter­wirft sich eher dem Dik­tat der Anpas­sung an die Ziel­kul­tur als Mit­tel der Wahl, um die jun­ge Leser­schaft (und wohl auch die Eltern) nicht zu ver­un­si­chern, wie Wolf­gang Pöckl dies kürz­lich skiz­ziert hat?5 Ich wer­de jeden­falls ver­su­chen, von nun an über­setz­te Tex­te nach mög­li­chen Deu­tungs­ten­den­zen zu durch­leuch­ten und, wenn mög­lich, mit dem eng­li­schen Ori­gi­nal zu vergleichen.

Schreibst du auch einen Blog und möch­test eine Über­set­zung bei TraLaLit vor­stel­len? Dann schreib ein­fach an redaktion@tralalit.de. Wir freu­en uns immer über Anre­gun­gen und Gastbeiträge!
  1. Rachel Bright and Jim Field (Illus­tra­tor), The Lion insi­de, Orchard Books, 2016.
  2. Vgl. „Im Gespräch: Anna Schaub – Über­set­zung von Bil­der­bü­chern“, buchwegweiser.com, 2018.
  3. Vgl. Kirs­ten Boie, „So hei­ßen bei uns nur die Omas!“, erschie­nen in JuLit 2/18.
  4. Vgl. Sven­ja Blu­me, „Über­set­zen für Kin­der“, erschie­nen in JuLit 2/18.
  5. Vgl. Wolf­gang Pöckl, „Sprach­ge­fühl und das Über­set­zen von Kin­der­li­te­ra­tur“, erschie­nen in: Kreativität und Her­me­neu­tik in der Trans­la­ti­on (Hrsg. Lari­sa Cer­cel, Mar­co Agnet­ta, María Tere­sa Ami­do Loza­no), Narr Fran­cke Attemp­to, 2017.

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