Die Stim­men Afri­kas spre­chen vie­le Sprachen

Seit 10 Jahren bietet das Literaturfestival „stimmen afrikas“ in Köln Autorinnen und Autoren aus Afrika eine Plattform. Von 6.-9. November wurde in Form von Lesungen, Diskussionen, Werkstätten und Aufführungen die Vielfalt der afrikanischen Literatur gefeiert. Von

Mũkoma wa Ngũgĩ, Bibi Bakare-Yusuf, Elnathan John und Sarah Lapido Manyika bei der Podiumsdiskussion in Köln. Bild © Herby Sachs

Ver­gan­ge­ne Woche sorg­te ein kurio­ser sprach- und kul­tur­po­li­ti­scher Fall für Auf­ruhr in Nige­ria. Der nige­ria­ni­sche Film Lionhe­art wur­de vom Aus­wahl­gre­mi­um der Oscars in der Kate­go­rie „Bes­ter inter­na­tio­na­ler Film“ dis­qua­li­fi­ziert. Der Grund: Im Film wer­de zu viel Eng­lisch gespro­chen und nicht genug in der loka­len Spra­che, was den Regeln der Kate­go­rie wider­spre­che. In nur 11 Minu­ten des ins­ge­samt 95-minü­ti­gen Films über eine jun­ge Nige­ria­ne­rin, die das Trans­port­un­ter­neh­men ihres Vaters über­neh­men will, wird Igbo gespro­chen, den Rest der Zeit eine ande­re Amts­spra­che Nige­ri­as: Eng­lisch. Laut der Regis­seu­rin Gene­vie­ve Nna­ji spie­gelt die Spra­che des Fil­mes wider, wie in Nige­ria gespro­chen wird. Eng­lisch sei eine Brü­cke zwi­schen den über fünf­hun­dert Spra­chen Nige­ri­as. Dafür bei inter­na­tio­na­len Prei­sen dis­qua­li­fi­ziert zu wer­den, ist bit­ter und unfair.

Es scheint nur gerecht, den Kul­tur­schaf­fen­den Afri­kas jeg­li­che Platt­form zu bie­ten, ihre Sicht der Din­ge dar­zu­stel­len und aus­zu­le­ben. Eine wun­der­vol­le Mög­lich­keit ist das Köl­ner Fes­ti­val „stim­men afri­kas“, ein Fes­ti­val für Lite­ra­tur und alles, was dazu­ge­hört. Denn nicht nur im Film haben die Stim­men Afri­kas es schwer, gehört und ernst­ge­nom­men zu wer­den. Das vier­tä­gi­ge Fes­ti­val bie­tet schon das zehn­te Jahr in Fol­ge eine Büh­ne für Dis­kus­sio­nen und Aus­tausch, die die aus bei­na­he zwan­zig ver­schie­de­nen Län­dern ange­reis­ten Gäs­te mit stol­zem Enthu­si­as­mus wahrnehmen.

Ein­ge­la­den sind gro­ße Namen der afri­ka­ni­schen Lite­ra­tur und Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten mit unter­schied­li­chen Schwer­punk­ten und Fach­ge­bie­ten. Für einen roten Faden sorgt das offi­zi­el­le The­ma „crossing bor­ders“, doch schon bei der Eröff­nungs­ver­an­stal­tung drängt sich neben dem Über­schrei­ten von Gren­zen unter­schwel­lig ein wei­te­res The­ma auf: Mehr­spra­chig­keit. Sie domi­niert unauf­dring­lich den Eröff­nungs­abend und kommt bei vie­len der Ver­an­stal­tun­gen immer wie­der auf.

Bibi Bak­a­re-Yus­uf, nige­ria­ni­sche Ver­le­ge­rin, Co-Grün­de­rin von Cas­sa­va Press und Gast­ku­ra­to­rin des Fes­ti­vals, zitiert in ihrer Anspra­che den kenia­ni­schen Schrift­stel­ler und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Ngũ­gĩ wa Thiong’o: „Wir müs­sen uns von der Gewalt­herr­schaft der Ein­spra­chig­keit befrei­en. Ein­spra­chig­keit ist das Koh­len­di­oxid der Kul­tur. Mehr­spra­chig­keit ist der Sauerstoff.“

In der Tat, die Stim­men Afri­kas spre­chen vie­le Spra­chen – in den 54 Län­dern des Kon­ti­nents gibt es über 2100 Spra­chen – was auch im Rah­men des Fes­ti­vals immer wie­der her­vor­ge­ho­ben wird. Und das, obwohl, oder viel­leicht gera­de weil, Eng­lisch auch in der afri­ka­ni­schen Lite­ra­tur­land­schaft die domi­nan­te Spra­che ist. Cas­sa­va Press, der Ver­lag Bibi Bak­a­re-Yus­ufs, gibt bis­lang kei­ne Bücher in afri­ka­ni­schen Spra­chen her­aus, son­dern nur auf Eng­lisch. Sie betont zwar, wel­ches Poten­zi­al der Markt für Lite­ra­tur in den „eige­nen Spra­chen“ ber­ge, doch noch sei die­ser im Ent­ste­hen, denn erst müss­ten über­haupt Wer­ke in den vie­len Spra­chen Afri­kas geschrie­ben werden.

Eine Spra­che wird nicht zufäl­lig domi­nant. Die vie­len Spra­chen des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents wur­den vom Kolo­nia­lis­mus dezi­miert, und die Ent­schei­dung, in euro­päi­schen Spra­chen zu schrei­ben, muss­ten afri­ka­ni­sche Autorin­nen und Autoren immer wie­der (gegen­über ande­ren und sich selbst) recht­fer­ti­gen. In sei­nem viel­zi­tier­ten Essay Eng­lish and the Afri­can Wri­ter schrieb Chi­nua Ache­be bereits 1965:

Es gibt in Afri­ka nur weni­ge Län­der, wo man die Spra­che der frü­he­ren Kolo­ni­al­mäch­te abschaf­fen und zugleich die damit ver­bun­de­nen Mög­lich­kei­ten der gegen­sei­ti­gen Ver­stän­di­gung bewah­ren könn­te. Die afri­ka­ni­schen Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler, die sich ent­schie­den haben, auf Eng­lisch oder Fran­zö­sisch zu schrei­ben, sind dem­nach kei­ne unpa­trio­ti­schen Bes­ser­wis­ser, die nur den aus­län­di­schen Markt im Blick haben. Sie sind viel­mehr Neben­pro­duk­te der­sel­ben Vor­gän­ge, aus denen auch die neu­en afri­ka­ni­schen Staa­ten ent­stan­den sind. (eige­ne Übersetzung)

Das Essay Chi­nua Ache­bes ist Bei­trag zu einer Dis­kus­si­on über Eng­lisch in afri­ka­ni­scher Lite­ra­tur, die The­ma der „Con­fe­rence of Afri­can Wri­ters of Eng­lish Expres­si­on“ in Ugan­da im Jah­re 1962 war und unter ande­rem von Obia­jun­wa Wali im Jahr dar­auf mit dem Essay The Dead End of Afri­can Lite­ra­tu­re fort­ge­führt wur­de. Wali ist über­zeugt, dass ein afri­ka­ni­scher Autor, der in sei­ner eige­nen Spra­che denkt und fühlt, auch in die­ser Spra­che schrei­ben muss. Eben­falls ein Ver­fech­ter der Lite­ra­tur in afri­ka­ni­schen Spra­chen ist der kenia­ni­sche Autor Ngũ­gĩ wa Thiong’o, der sei­ne spä­te­ren Wer­ke in sei­ner Mut­ter­spra­che Kikuyu und nicht mehr auf Eng­lisch ver­fasst. Sein Sohn Mũko­ma wa Ngũ­gĩ, eben­falls Autor und Dich­ter, bringt bei der Podi­ums­dis­kus­si­on „Kul­tur, Sprach­po­li­ti­ken und Macht“ des „stim­men afrikas“-Festivals einen Aspekt ins Spiel, den sei­ne Vor­fah­ren nicht mit ein­be­zo­gen haben, näm­lich Über­set­zung: „Das Ein­zi­ge, wor­über sie nicht gespro­chen haben, ist Über­set­zung. Dabei wäre es offen­sicht­lich gewe­sen. Über­set­zung soll­te im Zen­trum stehen.“

Auf die Fra­ge, war­um er auf Eng­lisch schreibt und nicht auf Hausa, das in sei­ner Hei­mat­re­gi­on Nige­ri­as gespro­chen wird, ant­wor­te­te der eben­falls an der Dis­kus­si­on teil­neh­men­de Autor Elnathan John, nicht alle Autorin­nen und Autoren soll­ten zwangs­läu­fig in der jewei­li­gen Mut­ter­spra­che schrei­ben. Schrei­ben sei eine ernst­haf­te Ange­le­gen­heit und jeder sol­le in der Spra­che schrei­ben, in der er oder sie dem Text am bes­ten gerecht wer­den kön­ne. Er wür­de lie­ber auf Eng­lisch schrei­ben und pro­fes­sio­nel­le und spe­zi­ell aus­ge­bil­de­te Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer mit der Über­tra­gung in Hausa beauftragen.

Der­ar­ti­ge Über­set­zun­gen in afri­ka­ni­sche Spra­chen sind jedoch eine Sel­ten­heit, denn dafür feh­len die nöti­gen Infra­struk­tu­ren. Es gibt kaum qua­li­fi­zier­te Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer und vor allem wenig finan­zi­el­le Mit­tel, um die Über­set­zun­gen zu rea­li­sie­ren. Wie kann also auch für afri­ka­ni­sche Lite­ra­tur in nicht-euro­päi­schen Spra­chen eine bes­se­re Platt­form geschaf­fen wer­den? Wie kann man ermög­li­chen, dass Autorin­nen und Autoren in ihrer Mut­ter­spra­che schrei­ben kön­nen und den­noch wei­te Ver­brei­tung finden?

Dass es durch­aus Wege gibt, Über­set­zun­gen in afri­ka­ni­sche Spra­chen umzu­set­zen und zu ver­brei­ten, zeigt das beein­dru­cken­de Jala­da Trans­la­ti­on Pro­ject, das im Jah­re 2016 von Moses Kilo­lo ins Leben geru­fen wur­de. Der Text Ituĩ­ka Rĩa Mũrũn­garũ: Kana Kĩrĩa Gĩtũ­ma­ga Andũ Mathiĩ Marũn­giĩ, von Ngũ­gĩ wa Thiong’o in sei­ner Mut­ter­spra­che Kikuyu ver­fasst, wur­de erst vom Autor selbst mit dem Titel The Upright Revo­lu­ti­on: Or Why Humans Walk Upright ins Eng­li­sche über­setzt. Mit dem Ziel afri­ka­ni­schen Spra­chen, die lan­ge Zeit als min­der­wer­tig ange­se­hen wur­den, eine Platt­form zu bie­ten, wur­de die Kurz­ge­schich­te in 32 wei­te­re afri­ka­ni­sche Spra­chen über­setzt. Doch damit war noch lan­ge nicht Schluss. Seit der ers­ten Ver­öf­fent­li­chung ent­ste­hen ste­tig wei­te­re Über­set­zun­gen, momen­tan sind es 89.

Elnathan John betont, man müs­se gezielt Struk­tu­ren schaf­fen, um Über­set­zungs­ar­beit zu stär­ken. Das bedeu­te nicht nur Pro­jek­te wie Jala­da und Prei­se für Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, son­dern man müs­se das Über­set­zen gezielt unter­rich­ten. Über­set­zer müss­ten genau wie Autoren aus­ge­bil­det und geför­dert wer­den. Durch eine Ver­knüp­fung mit der Poli­tik, etwa durch die Ein­füh­rung von Über­set­zen als Unter­richts­fach und die Auf­nah­me in Schul­cur­ri­ku­la, wäre es mög­lich, die Pra­xis des Über­set­zens in einem öffent­li­chen Raum zu eta­blie­ren. Sein Fazit: „Wir soll­ten alle in die Poli­tik gehen.“

Auch die Ver­an­stal­te­rin­nen des Fes­ti­vals, Chris­ta Mor­gen­rath und Eva Werne­cke, leis­ten einen wich­ti­gen Bei­trag zur För­de­rung der Über­set­zung afri­ka­ni­scher Lite­ra­tur. 2017 etwa lei­te­ten sie die bis­lang ers­te und längst über­fäl­li­ge deut­sche Über­set­zung von Ngũ­gĩ wa Thiong’os Deko­lo­ni­sie­rung des Den­kens (über­setzt von Tho­mas Brück­ner) in die Wege, ein Stan­dard­werk der post­ko­lo­nia­len Lite­ra­tur- und Sprach­theo­rie. Zum zehn­jäh­ri­gen Jubi­lä­um von „stim­men afri­kas“ prä­sen­tie­ren sie die Antho­lo­gie Ima­gi­ne Afri­ca 2060, in der zehn Autorin­nen und Autoren aus zehn ver­schie­de­nen Län­dern ihre Zukunfts­vi­sio­nen für den Kon­ti­nent lite­ra­risch verarbeiten.

Afri­ka­ni­sche Lite­ra­tur steht nur sel­ten im Schein­wer­fer­licht, doch in den ver­gan­ge­nen Jah­ren bekommt sie im deutsch­spra­chi­gen Raum immer mehr Auf­merk­sam­keit. Mehr und mehr Ver­la­ge geben Über­set­zun­gen von Wer­ken afri­ka­ni­scher Autorin­nen und Autoren her­aus. Ein Trend, der sich hof­fent­lich fort­setzt, denn das Bild vie­ler Euro­päe­rin­nen und Euro­pä­er von den Kul­tu­ren Afri­kas ist auch heu­te noch von Ste­reo­ty­pen geprägt. Über­set­zun­gen afri­ka­ni­scher Lite­ra­tur und Ver­an­stal­tun­gen wie die „stim­men afri­kas“ in Köln leis­ten einen wich­ti­gen Bei­trag zu dem Pro­zess, die von kolo­nia­lis­ti­schem Den­ken beein­fluss­ten Vor­stel­lun­gen zu wider­le­gen. So kom­men afri­ka­ni­sche Autorin­nen und Autoren, Kul­tur­schaf­fen­de und Wis­sen­schaft­le­rin­nen selbst zu Wort. Und sie haben viel zu sagen, was nicht nur beein­druckt, son­dern auch hoff­nungs­voll stimmt, dass die nöti­gen Infra­struk­tu­ren immer bes­ser auf­ge­baut wer­den können.


Ngũ­gĩ wa Thiong’o/Thomas Brück­ner: Deko­lo­ni­sie­rung des Den­kens (im eng­li­schen Ori­gi­nal: Deco­lo­ni­s­ing the Mind). 

Unrast Ver­lag 2017 ⋅ 272 Sei­ten ⋅ 18 Euro

www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/dekolonisierung-des-denkens-detail


Hg. Chris­ta Mor­gen­rath und Eva Werne­cke: Ima­gi­ne Afri­ca 2060. (Tex­te von José Edu­ar­do Agu­alu­sa, Ellen Ban­da-Aaku, Ken Bugul, Aya Cis­so­ko, Yous­souf Ami­ne Elala­my, Ten­dai Huchu, Son­wa­b­i­so Ngco­wa, Okwiri Odu­or, Nii Ayik­wei Par­kes, Chi­ka Unig­we – über­setzt von Jut­ta Him­mel­reich, Gud­run Hon­ke und Micha­el Kegler)

Peter Ham­mer Ver­lag 2019 ⋅ 192 Sei­ten ⋅ 20 Euro

www.peter-hammer-verlag.de/buchdetails/imagine-africa-2060/

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