Plötzlich Lockdown
Es ist ein paar Minuten nach 7 Uhr morgens. Mein Mann und ich stehen an einer menschenleeren Straße in Berlin. Auf der anderen Seite beginnt der Park, einige joggen, sonst ist niemand zu sehen. Noch nie war die Stadt so lange so leer. Es ist März, seit Kurzem erst ist klar geworden, dass das neuartige Corona-Virus sich zur globalen Pandemie entwickelt. Noch wissen wir wenig über die Krankheit und den Erreger, aber so wie ich verfolgen Tausende Tag für Tag Christian Drosten, den Chefvirologen und Experten für Corona-Viren an der Charité, der in seinem NDR-Podcast täglich den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Virus, dessen Übertragung und den zu ergreifenden Maßnahmen verständlich zusammenfasst.
Wie die meisten Übersetzerinnen arbeite ich – wenn ich übersetze – selbstständig und zu Hause. Die allgemeine Verschiebung der Arbeitswelt in die eigenen vier Wände merke ich also nur daran, dass sich auch mein anderer Job in die Heimarbeit verlagert. Beim Spaziergang in der leeren Stadt schleichen sich Fragmente von Rilkes Herbsttag in mein Bewusstsein: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr / Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“, und ich bin dankbar. Dankbar dafür, ein Dach über dem Kopf zu haben, und dankbar für den Menschen, mit dem ich dieses Dach teile; dankbar, dass wir nicht Hals über Kopf die Stadt verlassen oder wie viele andere aus dem Ausland rückgeführt werden müssen; dankbar, dass die Supermarktregale immer wieder aufgefüllt werden, und dankbar für ein geregeltes Einkommen, für Stabilität, für Gesundheit.
Noch sind die Ängste diffus, die Risiken der Infektion kaum bekannt. Niemand weiß, wie lange die Situation anhalten wird. Wie in der Schule lernen wir täglich neue Vokabeln: „Infektionsgeschehen“, „Übertragungsketten“, „Viruslast“, „systemrelevant“, „kritische Infrastruktur“, „Superspreading-Events“ … Vermutlich fällt das uns Spracharbeitern besonders auf, da wir jeden Tag mit Texten in verschiedenen Sprachen auf Tuchfühlung gehen.
Wir wissen noch nicht, wie lange welche Einschränkungen in Kraft bleiben, ob man nun Masken tragen soll oder nicht (man soll!), und welche Branchen in welcher Form und welchem Ausmaß durch die Situation beeinträchtigt werden.
Die eigenen Privilegien
Einige Besonderheiten unseres Jobs kommen Literaturübersetzerinnen und ‑übersetzern in der Krise zugute: Wir arbeiten zu Hause an meist umfangreichen Projekten, häufig über mehrere Monate. Wer also gerade ein oder mehrere Übersetzungen begonnen hat, wird erst einmal kaum Veränderungen spüren. Im Unterschied zu den ebenfalls hart betroffenen Autorinnen und Autoren machen Lesungshonorare bei den wenigsten von uns den Großteil der Einkünfte aus. Grundsätzlich sind die Arbeitsbedingungen aber prekär. Als Selbstständige mit niedrigen Seitenhonoraren sind wir abhängig von regelmäßigen Aufträgen durch Verlage und auch vom Buchmarkt – mit etwas verzögerter Wirkung. Denn wenn Übersetzer und Übersetzerinnen am Gewinn aus Buchverkäufen beteiligt werden, dann meistens erst ab dem tausendsten oder fünftausendsten verkauften Exemplar – und solche Zahlen erreicht kaum eine Publikation. Häufiger kommt es vor, dass das nächste Buch eines Autors, dessen erste Übersetzung sich gut verkauft hat, dann als Folgeauftrag auch übersetzt wird.
In den ersten Tagen und Wochen wird also meine Halbtagsstelle auf Heimarbeit umgestellt. Es fällt mir zu Hause noch schwer, mich zu konzentrieren – zum Glück ist das Literaturhaus, wo ich arbeite, geschlossen, es stehen unkomplizierte Aufgaben an, und auf dem Übersetzerinnenschreibtisch im Arbeitszimmer liegen keine dringenden Aufträge. Irgendwie habe ich Zeit, aber so recht will sich keine Muße einstellen.
Das Übersetzungsprojekt „Francisco de Goya – Träume und Albträume – Briefe“, an dem ich bis vor Kurzem gearbeitet habe, ist praktisch abgeschlossen. Es wurde von verschiedenen Stiftungen finanziert und die Honorare sind bereits ausbezahlt. Die Übersetzungen sind fertig, die meisten Lektorate mit Verleger und Herausgebern erledigt, das Buch ist gesetzt und jetzt geht es nur noch um den letzten Feinschliff.
Andere Projekte werden gestrichen oder in eine unbekannte Zukunft verschoben. Selbstverständlich ohne Vorschuss. Im März glauben wir noch, die Leipziger Buchmesse, eines der beiden wichtigsten Ereignisse der Literaturbranche, werde stattfinden. Erst nach und nach dämmert es, dass sich auch für uns vieles radikal verändern wird. Aber nicht nur die Messe fällt aus, auch außerhalb davon geplante Lesungen und Buchvorstellungen werden abgesagt. Gewissermaßen leben wir eine Weile im Irrealis – Veranstaltungen hätten stattfinden sollen, tun es aber nicht. Vor allem diejenigen Übersetzerinnen und Übersetzer, die zusätzlich anderen Nicht-Übersetzungstätigkeiten wie Sprachunterricht, Dolmetscherei, Workshopleitung etc. nachgehen, um die Übersetzungshonorare aufzustocken, trifft die Absagewelle hart.
Mich interessiert, wie es anderen ergeht. Mittels eines Fragebogens höre ich mich ein bisschen im Kreis befreundeter Kolleginnen und Kollegen um. Heraus kommt ein heterogenes Bild, bei dem sich ein paar Tendenzen abzeichnen. Auf europäischer Ebene bemüht sich die Interessenvertretung der Literaturübersetzerinnen und ‑übersetzer CEATL um einen möglichst repräsentativen Überblick. Bei Redaktionsschluss lagen leider noch keine Ergebnisse vor.
„Im Frühling ist eine Übersetzung von mir erschienen, mein zweites Buch. Leider sind alle Lesungen dazu ins Wasser gefallen – Leipziger Buchmesse (das wäre viel Publikum gewesen), verschiedene Literaturhäuser …
Das wär mir auch persönlich wichtig gewesen, ich möchte Sachen machen, in die ich noch reinwachsen muss, die aufregend sind für mich, um nicht in einen Stillstand zu fallen. Ich habe auch meine Bequemlichkeit oder Feigheit (huch, ein Podium! Ob ich das nicht doch lieber jemand anderem überlasse …) und auch wirtschaftliche Zweifel (Wär‘s nicht doch lukrativer, putzen zu gehen?). Da sind Termine und Veranstaltungen wichtig, zu denen sagt man ja, weil man weiß, dass man raus muss, und dann kann man sich nicht mehr drücken.“
„Ich lebe als Autorin und Übersetzerin in Barcelona, aber einen guten Teil meines Einkommens bestreite ich mit Deutschunterricht. Auch Lesungshonorare sind für uns sehr zentral. Alle Lesungen und Literaturfestivals sind abgesagt oder verschoben worden. Ab Juni habe ich auch keine Deutschkurse mehr, zum einen, weil hier dann 3 Monate Sommerferien sind, zum anderen, weil in Spanien schon jetzt 30 % der Menschen ihre Arbeit durch die Pandemie verloren haben und sich den Luxus Deutschunterricht für die Kinder auf lange Sicht nicht mehr leisten können. Die Zukunft der Sprachenschule steht also in den Sternen, es ist unklar, ob es nach den Ferien überhaupt weitergehen wird.“ – Kathrin Schadt
„Einige Aufträge wurden auf unbestimmte Zeit verschoben – im Zusammenhang mit der kanadischen Buchmesse beispielsweise, oder die Juryarbeit vom Senat auf den Herbst. Da ich oft von der Hand in den Mund lebe und Aufträge manchmal nur eine Woche vor Arbeitsbeginn hereinkommen, ist es schwierig, einzuschätzen, was gekommen wäre. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, in den letzten 10 Jahren Auftragslücken gehabt zu haben, wie es der Fall von Mitte März bis Ende April war.“ – Odile Kennel
„Aufträge als Dozentin sind ersatzlos gestrichen oder vertagt worden. Damit sind in den Monaten seit dem Shutdown Aufträge in Höhe von mehreren Tausend Euro ausgefallen oder auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Durch die aktuelle Situation mit Kindern im Haushalt habe ich weniger Zeit, darum habe ich einen Auftrag für einen Langtext, den ich – in Absprache mit dem Verlag – schiebe. Das Lektorat ist ebenso wie ich von der Situation mit Kindern zu Hause betroffen. Dadurch verschiebt sich aber die Rechnung, außerdem kollidiert der Auftrag jetzt mit später angesetzten langen Übersetzungen. Inzwischen möchte der Auftraggeber den Text doch, meine Arbeitssituation hat sich aber insgesamt kaum verändert.“
„Ich habe Glück gehabt, denn auf meine Auftragslage als Übersetzer hat sich Corona bisher nicht nachweisbar ausgewirkt. Für eine Romanübersetzung, die sich in den Beginn der Pandemie hineinzog, bin ich schon bezahlt worden und zum Beispiel vom Jüdischen Museum Berlin oder vom Philosophie-Magazin habe ich bisher weiterhin Übersetzungsanfragen bekommen. Weil es mir beim Übersetzen eher leicht fällt, mich zu konzentrieren, hat auch die beengte Situation bei mir zu Hause darauf – anders als auf das Schreiben – keinen großen Einfluss.“ – Michael Ebmeyer
„In meinem Fall sind keine Aufträge verschoben oder abgesagt worden, aber ein Verlag hatte Anfang März noch signalisiert, dass sie sich insbesondere von der Londoner Buchmesse interessante neue Titel erhofften – und dass sie sich dann melden würden. Daraus ist nichts geworden.“
Rettungspakete und Corona-Hilfen
Die Hilfspakete, die ab März deutschlandweit geschnürt werden, vernachlässigen Einzelselbstständige und Kulturschaffende zunächst komplett, erst mit einiger Verspätung kommen einige Bundesländer doch noch darauf, Soforthilfefonds einzurichten. Fast täglich werden neue, allerdings unübersichtliche Hilfsangebote gemeldet, die Fristen und Einsatzbeschränkungen für die verschiedenen Töpfe sind sehr unterschiedlich. Wo keine Soforthilfefonds aufgelegt werden oder diese erschöpft sind, bleibt Übersetzerinnen und Übersetzern aufgrund der freiberuflichen Arbeit allerdings nur Hartz IV, wenn sie durch Corona in Not geraten. Hier und da wird der Zugang zur Grundsicherung vereinfacht, es müssen nicht die gesamten Vermögensverhältnisse offengelegt werden, aber auch das ist nicht flächendeckend gegeben. Einige konnten Gelder beantragen, werden die Unterstützung aber anteilig oder vollständig zurückzahlen, wie es das pünktlich nach Überweisung der Hilfe nachgesendete Schreiben des Berliner Senats verlangt, da sie doch nicht gebraucht wurde. In anderen Ländern sieht es mit Förderung und Auffangpaketen anders aus. Also schlechter. Dass Selbstständige in Deutschland die erhaltenen Hilfen meistens nicht zurückzahlen müssen, ist eher die Ausnahme. In Spanien beispielsweise, wo auch das Virus ziemlich übel gewütet hat, ist praktisch jede und jeder auf sich gestellt. In Mexiko gab es für Selbstständige die Möglichkeit, ihre eigenen staatlichen Rentenkonten anzuzapfen oder geförderte Kredite zu guten Konditionen aufzunehmen.
„Mein Bundesland gibt Soloselbstständigen keine Hilfen, sondern verweist auf ALG II, was in einer Bedarfsgemeinschaft nicht in Frage kommt. Bundesmittel sind nicht passgenau für meine Lage.“
„Ich habe eher zufällig noch am 31.3. (und nicht später) ‚Corona-Geld‘ beim Berliner Senat beantragt, und bin somit in der glücklichen Lage, dieses Geld auch als Privatentnahme, also für meinen Lebensunterhalt, verwenden zu können und nicht nur für Betriebskosten wie Leasing etc., was mit meiner Lebensrealität (und vermutlich der vieler anderer Soloselbstständigen) nichts zu tun hat.“ – Odile Kennel
„In Spanien gibt es für mich keine Unterstützung. Kein Hartz IV, in meinem Fall kein Arbeitslosengeld (und wenn, wären das vier Monate und danach ist Schluss. Es wird außerdem momentan auch gar nicht ausbezahlt, alle die ich kenne, warten seit Wochen), keine Soforthilfen (es gab wohl einmal die Möglichkeit, 200 € Soforthilfe für Einkäufe zu beantragen, es war aber so kompliziert, dass ich es nicht einmal versucht habe). Es gibt außerdem kein Kindergeld, kein Wohngeld. Nichts.“ – Kathrin Schadt
„Ich lebe in Mexiko und übersetze aus dem Deutschen. Ich hätte durchaus staatliche Hilfsangebote in Anspruch nehmen können, aber das wollte ich nicht machen, denn ich habe genug, um zusammen mit meinem Mann das Essen zu kaufen und die Miete zu bezahlen. In Mexiko leben mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in Armut, viele Menschen haben kein Geld zum Essen. Meine Situation ist im Vergleich sehr gut.“ – Lorel Manzano
„Mein Mann und ich sind in Brasilien beide an der Universität und haben früher nebenher übersetzt. Mittlerweile haben mir die Spannungen, vor allem auf politischer Ebene, die Zeit und die Konzentration zum Übersetzen genommen. Unser Leben war geprägt vom politischen Kampf gegen das rechte Regime, wir waren fast nur noch auf Demonstrationen – erst auf der Straße, jetzt im Netz. An den Universitäten erleben wir alle möglichen Arten von Repression und Zensur, und das kostet sehr viel Energie.“
Ab ins Neuland: Zoom-Boom der Online-Formate
Ebenso wie der politische Kampf in Brasilien verlagern sich zahlreiche Lesungen und Festivals ins Netz. Auch komplett neue Formate entstehen. Literaturpreise werden online und in anderen Medien vergeben, darunter einige der wichtigsten Preise für Literaturübersetzerinnen und ‑übersetzer: der Preis der Leipziger Buchmesse, der Internationale Literaturpreis Berlin, der Helmut‑M.-Braem-Preis, der diesmal in „kleinstem Kreis“ verliehen wurde.
Zahlreiche Veranstaltungen zum Welttag des Buches am 23. April, der eigentlich mit Lesungen, Festivals und Live-Aktionen begangen werden sollte, werden ebenfalls ins Netz verschoben, auch unter Beteiligung von Übersetzerinnen und Übersetzern. So greift das Münchner Übersetzer-Forum auf seinem neuen Instagram-Kanal das Motto #behindeverybook auf und zeigt Übersetzerinnen und Übersetzer mit den von ihnen übersetzten Büchern.
Die NZZ gibt einen sicher nicht vollständigen, aber doch ganz guten Überblick über die größten digitalen Literaturveranstaltungen, die während der Pandemie entstanden. Ich persönlich habe das von Donat Blum, Kathrin Bach und Melanie Katz kuratierte und organisierte Online-Literaturfestival „Viral“ sehr genossen. Schön zu beobachten war, wie sich alle Beteiligten mit der Zeit immer mehr mit dem anderen Medium anfreundeten und immer bessere Modi des Interagierens fanden.
Noch immer ist die Literatur-Wahrsage-Show der Drag-Queen Audrey Naline (alias Alexander Lehnert) meist sonntags auf Instagram ein Wochenhighlight, wenn sie denn stattfindet. Auch wenn es nicht explizit ums Übersetzen geht, zeigt das Format, wie der Übergang ins Digitale auch aussehen kann.
„Im Vergleich zu vielen Freundinnen und Freunden, denen die Auftrittshonorare weggebrochen sind oder die wochenlang ihre Kleingewerbe schließen mussten, hatte ich Glück. Nicht einmal die Veranstaltungsreihe ‚Let’s talk about class – Wege aus dem Klassenkampf‘ mussten wir absagen, wir konnten ein Streaming-Format daraus machen.“ – Michael Ebmeyer
„Die Präsentation meiner Übersetzung in Berlin ist schließlich ins Netz verlegt worden, ich habe sie gedolmetscht und als Übersetzerin des Romans auch zwei, drei Fragen gestellt bekommen, insofern hatte ich meine Herausforderung eben in anderer Form – auch sehr aufregend: online!“
So schalten wir uns regelmäßig in die Wohn- oder Arbeitszimmer verschiedenster Literaturmenschen und merken vielleicht, dass die Heimarbeit gar keine so schlechte Alternative sein muss. Vermutlich wird es in Zukunft insgesamt mehr digitale oder Mischformate geben – auch um der CO2-Bilanz willen eine gute Strategie.
„A room of one’s own“ – Warum muss das Private immer so politisch sein?!
Für diejenigen, die den Haushalt mit Kindern teilen, kommt eines der dicken Enden im Zeitraum zwischen dem 13. und dem 17. März: mit Schließung der Schulen und Umstellung auf Heimunterricht. Um die exponentielle Verbreitung des Virus zu verhindern und Übertragungsketten zu durchbrechen, werden Schulen und Kindergärten geschlossen bzw. auf Heimunterricht umgestellt. Für „systemrelevante Berufe“ wird Notbetreuung eingerichtet. Die Heimbeschulung ist je nach Lehrkraft unterschiedlich gestaltet – beim einen gibt es regen Austausch per E‑Mail oder sogar Videokonferenzen unter Kindern und Lehrkräften, bei den anderen beschränkt sich das schulische Angebot auf einen Stapel Arbeitsblätter, die abzuarbeiten sind.
Kolleginnen und Kollegen bestätigen, dass die Situation mit Kindern im Haushalt eine ganz andere ist als meine, dass prekäre Arbeitsverhältnisse noch viel prekärer werden. Hatten Literaturübersetzerinnen und ‑übersetzer mit Kindern es vorher schon schwer, den heimischen Schreibtisch gegen Störungen zu verteidigen und die Arbeit in die Zeiträumen zu verlegen, wenn die Kinder in Schule oder Kita sind, wird es jetzt für manche richtig eng. Wer schon vorher mit den Normseitenhonoraren, die 2017/18 im Durchschnitt bei 18,72 € lagen (die Empfehlung der Branchenverbände fängt bei 20€ an), nur sehr knapp die Miete bezahlten konnte, kommt jetzt in echte Nöte. Kurz, alles, was vorher schon krass war, wird jetzt richtig krass.
„Angenehm ist, wenn man nicht so früh aufstehen muss, aber es ist gleichzeitig unangenehm, dass keine Struktur vorgegeben ist. Und die Kinder lernen ungern allein – man muss sich viel kümmern. Auch Streit schlichten und trösten. Bei uns kommt erschwerend hinzu, dass wir erst vor einem halben Jahr aufs Land gezogen sind, da hat man sowieso noch wenig Kontakte (die für die Selbstständigkeit der Kinder ziemlich wichtig sind), und der ‚Integrationsprozess‘ steht durch Corona erst recht still. Auch Musikschule und Volleyballtraining fehlen. Den Kindern fällt die Decke auf den Kopf, trotz schöner Gegend rundherum. Schön, aber fad.
Ich hab schon auch manchmal das mulmige Gefühl, immer weniger konkurrenzfähig zu sein, allein durch das bisschen Arbeitspensum, das ich im Vergleich zu anderen schaffe. Nicht, dass mein Leben weniger schön wäre, aber es ist hinsichtlich des Übersetzens weniger zielgerichtet, langsamer.
Die schrittweise Öffnung der Schule ist gerade eine große Erleichterung, die Kinder gehen abwechselnd zur Schule, dadurch kleben sie nicht so aufeinander, ich hoffe auf weniger Spannungen, und so gibt es auch jeden Morgen einen Anlass aufzustehen.“
„Beide Kinder sind nach wie vor und noch für mehrere Wochen zu Hause. Es findet kein Präsenzunterricht statt. Die allmähliche Öffnung des Kindergartens führt eher zu mehr Komplikationen, weil das Kind dann mitten im Tag für nur eine Stunde weggebracht werden muss. Die Beschulung und gleichzeitige Beschäftigung des Vorschulkindes sind zeitaufwendig und nervenzehrend. Manchmal sitzen wir zu dritt an einem Tisch, Zoom-Konferenzen müssen abgesprochen werden, weil das Internet nicht für mehrere reicht.“
„Wir sind zu viert, die Wohnung ist klein. Ein Arbeitszimmer zu Hause habe ich nicht mehr, seit wir es zum zweiten Kinderzimmer umgewandelt haben, und seit Längerem auch keinen Büroplatz mehr. Unter „normalen“ Umständen bin ich werktags etliche Stunden alleine zu Hause und kann in Ruhe arbeiten. Einen Schreibtisch habe ich noch, und mit dem Laptop kann ich mich ja hinsetzen, wo ich will. Unter Corona-Bedingungen aber bleibt kein echter Rückzugsraum, und Homeschooling für einen 11- und einen 13-Jährigen, die sonst jede freie Minute auf Fußballplätzen verbringen, ist zermürbend für alle Beteiligten.“ – Michael Ebmeyer
„Mein Schreibtisch steht im Kinderzimmer, da unsere fast einjährige Kleine noch bei uns schläft. Das Zimmer ist sonst noch Wickel- und Spielzimmer.
Da unsere Tochter noch klein ist, betrifft uns die Kita-/Schulschließung nicht. Allerdings war das Besuchsverbot eine merkliche Einschränkung, weil die Großeltern zwei Monate lang keine Betreuung übernehmen konnten.“
Wo soll das alles enden?
Für mich werden erst jetzt die Auswirkungen der Pandemie auf meine Übersetzungstätigkeit deutlich. Denn die Goya-Briefe, die ich übersetzt habe, sollte eigentlich im Rahmen der großen Goya-Schau in Basel, die im Mai 2020 eröffnen sollte, ergänzend zum Ausstellungskatalog erscheinen. Nach jetzigem Stand wird die Ausstellung auf Oktober 2021 bis Januar 2022 verschoben. Und so geht es vielen mit ihren Projekten. Die Veranstaltungen, in deren Rahmen sie lanciert werden sollen, fallen weg oder werden verschoben. Auflagen werden kleiner und dadurch fallen Tantiemen weg. Buchverkäufe sinken wiederum durch ausgefallene Veranstaltungen. Die Einnahmen für Herausgeber und Übersetzerinnen durch die Verwertungsgesellschaft Wort, die analog zur GEMA jährlich Tantiemen für Texte ausschüttet, werden weniger. Und unabhängige Verlage kämpfen weiter ums Überleben, da Mischkalkulationen nicht mehr aufgehen. Noch lange werden wir – mit der gesamten Literaturbranche – die Folgen der Pandemie spüren. Einige unabhängige Verlage werden das Ganze sicher nicht überleben und viele größere Häuser reduzieren ihre Programme radikal. Die Frankfurter Buchmesse im Oktober soll zwar stattfinden, aber in völlig neuer, verkleinerter Form. Die für Literaturübersetzerinnen und ‑übersetzer wichtigen Gastlandauftritte wurden allesamt um ein Jahr verschoben.
Wie viele andere Branchen, werden auch Übersetzerinnen und Übersetzer im Literaturbetrieb besonders hart getroffen, deren Existenz schon vorher prekär war. Selbstständigkeit mit niedrigen Seitenhonoraren, Kinder im Haushalt, Wegfall von Lesungen und anderen Veranstaltungen, verschobene und gestrichene Bücher und in der Folge der Ausfall von Tantiemen sind die Faktoren, die uns besonders zu schaffen machen. Der Flickenteppich an Förderungen bot zwar einigen ein vorübergehendes Sicherheitsnetz, doch griffen sie Maßnahmen nicht überall.
Einige Hilfen konnten nur für Betriebskosten aufgewendet werden, in Bundesländern wie Niedersachsen waren dies die einzigen. Dort, wo es Unterstützung gab, die auch für den Lebensunterhalt verwendet werden durfte, wurden diejenigen, die sie beantragt hatten, postwendend und unter Androhung von Strafen aufgefordert, die Hilfen bei Nichtbedarf umgehend zurückzuzahlen. Aber immerhin: Es gab und gibt Unterstützung. Ganz im Gegensatz zu anderen Ländern.
Tatsächlich hat sich bei mir seit ungefähr Mitte Juni die Auftragslage wieder auf ein Niveau zurechtgeruckelt, das mit dem vor Corona vergleichbar ist. Was wir gelernt haben: Literatur findet auch in einer Pandemie ihren Weg zu den Menschen – und sei es auf dem Lastenrad des Buchhändlers, über den Gartenzaun der Verlegerin oder als Online-Lesung. Doch sicherlich wird die Krise auch für uns nicht ohne langfristige Folgen blieben.
„Ich denke, dass es vor allem für die großen Verlage zur Folge haben wird, dass sie ihr Programm reduzieren (ein Prozess, der längst begonnen hat). Die kleinen Verlage sind es gewohnt, mit nichts oder wenig zu arbeiten. Aber wenn der Vertrieb schwierig ist, wird es auch für sie schwierig. Für mich, die ich selten für große Verlage arbeite, sind die Folgen eher: Die öffentliche Hand wird in einen harten Sparmodus verfallen. Das betrifft Stipendien, Festivals, Literaturhäuser, Theaterprojekte, Zeitschriften … usw., die meine Auftraggeber bzw. Mitfinanzierer sind. Ich denke also, dass sich die Folgen für mich erst so richtig ab dem kommenden Jahr zeigen werden. Ich bin in hohem Maße von der öffentlichen Hand abhängig, da Lyrik und Markt nicht zusammengeht.“ – Odile Kennel
„Ich möchte etwas allgemeiner sprechen, in Bezug auf Kunst und Kultur. Dazu passt am besten der Satz, der die letzten Wochen durch die sozialen Medien geisterte: „If you think artists are useless, try to spend your quarantine without music, books, poems, movies, paintings and porn.“ Wenn die Systemrelevanz von Kunst in Frage gestellt wird, kann ich also nur mit offenem Mund staunen und fragen, ob das ein Witz ist. Kunst ist seit Anbeginn der Zeit Wesenszug des Menschen und Grundbedürfnis, sei es, sie zu schaffen oder sie zu konsumieren. Sie gehört dazu wie Brot und Wasser. Wir finden sie in allen Zeiten, in allen Epochen und unter widrigsten Bedingungen, sie findet immer ihren Weg. Warum? Weil sie so oder so uns innewohnt, weil wir sie brauchen und es ohne sie nicht geht, faktisch nicht geht, denn sie entsteht immer, trotzdem und auch zu jeder (Un-)Zeit. Dass die Kulturschaffenden während dieser Krise also um Unterstützung, vielmehr sogar um Anerkennung ihrer Arbeit betteln müssen, könnte schockierend sein. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es doch auch nichts Neues. So sehr Kunst einer Gesellschaft innewohnt, so sehr wurde sie schon immer nicht dementsprechend geachtet, wertgeschätzt und auch vergütet.“ – Kathrin Schadt
Seit dem 23. Juli gibt es ein umfassendes, „Neustart Kultur“ betiteltes Rettungspaket des Bundes für den gesamten Kulturbereich von Kinos über Museen bis hin zu Theatern und Literaturhäusern, die nicht überwiegend öffentlich finanziert sind. Die Hilfen von insgesamt 250 Millionen Euro können von Institutionen beantragt werden, um die allmähliche Wiederaufnahme des Kulturbetriebs unter den neuen Bedingungen zu unterstützen und die Mehrkosten bzw. Einnahmeausfälle abzufedern.
Zusätzlich gibt es 50 Millionen Euro für die Bundeskulturfonds, darunter auch der Deutsche Übersetzerfonds, der die Hilfe direkt an Übersetzer und Übersetzerinnen , indem das bestehende Stipendienprogramm umfänglich erweitert wird. Für Literaturübersetzerinnen und ‑übersetzer ein Segen, der die Krise hoffentlich nachhaltig abfedert. Und ein Zeichen der Wertschätzung von Kultur und Literatur. Denn Literatur und Kunst allgemein – das sollte spätestens im Lockdown klar geworden sein – ist ein grundlegendes Bedürfnis von uns Menschen.
Auch wenn die Pandemie für viele üble Konsequenzen mit sich gebracht hat und dies noch lange tun wird, zeigen sich doch einige Ansätze, die auch zukünftig weiterverfolgt werden sollten: Online-Formate, kleinere Verlagsprogramme, flächendeckende und nachhaltige Förderung. Durch die plötzlich notwendige digitale Vernetzung wurden neue Allianzen, neue Formen der Solidarität und der Zusammenarbeit möglich. Missstände wie die prekäre Arbeitsweise von Auftrag zu Auftrag mit zu niedrigen Honoraren oder die Problematik der Kinderbetreuung wurden offenbar und öffentlich, die zuvor nur denen bekannt waren, die darunter zu leiden hatten. Bleibt zu hoffen, dass diese Stimmen auch künftig gehört werden.
Auch wenn die Pandemie längst nicht vorbei ist und die Infektionszahlen in manchen Ländern erschreckende Dimensionen annehmen, dürfen wir nicht vergessen, dass wir Menschen anpassungsfähige Wesen und in der Lage sind, Krisen zu überstehen – manchmal gehen wir sogar gestärkt daraus hervor. Initiativen wie Neustart Kultur und die neuen Förderungen des Übersetzerfonds machen Hoffnung. Ob das allerdings für die Einzelnen oder gar für unseren Berufsstand als Ganzen über diese Krise hinaus das Überleben sichern kann, muss sich – wie so vieles – noch zeigen.