Könnt ihr in drei Sätzen das Projekt Trimaran vorstellen?
SW: Der Trimaran ist ein zweisprachiges Übersetzungsprojekt in Form eines Lyrikmagazins, das zum Ziel hat, die Lyriklandschaften der Niederlande, Flanderns und Deutschlands miteinander zu vernetzen. Im Zentrum steht ein Übersetzungsworkshop, an dem vier Autor*innen aus den genannten Regionen teilnehmen, die Paare bilden und sich gegenseitig übersetzen – unterstützt von professionellen Übersetzer*innen und mithilfe von Interlinearfassungen. Das Heft ergänzt diesen übersetzerischen Kern mit einem sogenannten Mantelteil bestehend aus Essays, Interviews und Informationen rund um die verschiedenen Lyriklandschaften.
Woher kommt eure Begeisterung für die niederländische Sprache?
SW: Ich habe Mitte der Neunziger Jahre mit dem Erasmus-Stipendium ein Semester in Utrecht verbracht. Dort habe ich mich so wohl gefühlt und mich mit einer ungeheuren Aufbruchstimmung in die Sprache, die Kultur und den Alltag begeben, dass es irgendwann fast schon selbstverständlich war, dass die ersten Übersetzungsanfragen kamen. Am Anfang habe ich als Ergänzung zur literaturwissenschaftlichen Methode übersetzt, als eine Art Hermeneutik: Man übersetzt einen Text und versucht, alle Verästelungen und Nuancen zu verstehen. Ich habe damals ein paar Autor*innen regelmäßig übersetzt und übersetze seit gut sechs Jahren hauptberuflich.
CW: Ich wohne schon seit über 20 Jahren in Aachen, also unmittelbar an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien. Man könnte meinen, das allein hätte bei einer poesieinteressierten Person wie mir schon ausschlaggebend sein können, aber so war es nicht. Den eigentlichen Ausschlag, mich mit der niederländischen Literatur und Poesie auseinanderzusetzen, gab ein Aufenthaltsstipendium, das ich 2009 in Amsterdam verbracht habe. Mich interessierte vor allem die Stadt, ihre Geschichte und ihre Architektur, damit wollte ich mich poetisch auseinandersetzen. Ich habe dort den Dichter Tsead Bruinja kennengelernt und beim gemeinsamen Kaffeetrinken kamen wir ins Gespräch. Ich schreibe und publiziere selbst Gedichte, und mittlerweile verstehe ich die niederländischen und flämischen Dichter*innen als meine unmittelbaren Kolleg*innen.
Wer hatte die zündende Idee, ein grenzübergreifendes, zweisprachiges Poesiemagazin zu verlegen?
CW: Ich bekam eine Anfrage von der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen. Esther Kinsky, die wiederum mit Annelie David befreundet ist, nahm Kontakt zur Kunststiftung auf, weil die beiden angefangen hatten, sich gegenseitig zu übersetzen. Sie haben die Rudimente einer Idee präsentiert, aus der dann später der Trimaran erwachsen ist. Wir haben das Gespräch mit dem Nederlands Letterenfonds in Amsterdam und mit den flämischen Kollegen von Flanders Literature gesucht und diese als Mitherausgeber gewinnen können. Später haben wir dann Stefan mit an Bord geholt. Zu zweit bilden wir den Kern der Redaktion.
SW: Die Idee des Trimaran war von Anfang an auch, die Dynamik fortzusetzen, die dadurch entstand, dass die Niederlande und Flandern 2016 Gastland der Frankfurter Buchmesse waren. Wir wollten Kontinuitäten ermöglichen. Aus dieser Idee ist der Trimaran geboren und es war ein glücklicher Zufall, dass Esther Kinsky und Annelie David schon vorgearbeitet hatten. Gerade für den Poesieaustausch ist es eines der Haupterfordernisse, Kontinuität zu schaffen, und der Trimaran ist dafür natürlich ein wunderbares Podium.
Das Herzstück eures Magazins bildet der Austausch zweier Dichter*innen, die in einer Übersetzungswerkstatt an den Übersetzungen von Texten des jeweils anderen arbeiten. Wie sieht die gemeinsame Arbeit der Duos aus, und welche Rolle nehmt ihr dabei ein?
CW: Wir bilden zwei Paare pro Heft, ein flämisch-deutschsprachiges und ein niederländisch-deutschsprachiges Paar. Dabei achten wir darauf, dass es Autor*innen sind, die einerseits ausreichend Gemeinsamkeiten haben, andererseits aber mit ihren jeweiligen Poetologien auch ein Spannungsfeld erzeugen, aus dem ein poetischer Funkenschlag entstehen kann. Die Duos suchen jeweils zehn Gedichte aus und können dann selbst entscheiden, wie sie vorgehen möchten. Die Vorgehensweise hängt vor allem von den Sprachkenntnissen ab. Wenn die Paare keine Kenntnisse der jeweils anderen Sprache haben, stellen wir ihnen Interlinearfassungen zur Verfügung, die wir von professionellen Literaturübersetzer*innen erstellen lassen. Der Prozess ist trotzdem weiterhin offen, die Interlinearfassungen bilden lediglich eine Grundlage. Die Texte bekommen sie vor einem Treffen im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen, damit sie sich einarbeiten können. In Straelen arbeiten sie dann mehrere Tage gemeinsam an den Übersetzungen.
SW: Es geht letztendlich nicht nur darum, dass sich die Lyriker*innen übersetzen – zuerst müssen sie überhaupt erst definieren, was das für sie bedeutet – sondern dass sie auch einen Einleitungstext übereinander und über den Übersetzungsprozess schreiben und ein neues, gemeinsames Projekt entwickeln. Solche Kooperationsprojekte können beispielsweise ein gemeinsames Gedicht, ein Foto-Poem oder eine dokumentierte Arbeitskorrespondenz sein. Sie sollen also nicht nur übersetzen, sondern darüber hinaus auch etwas entstehen lassen, was es vorher nicht gab und das es ohne diese Bedingungen nicht gegeben hätte. Wir freuen uns auch darüber, wenn die Autor*innen im redaktionellen Teil des Magazins Gedichtbände aus ihren Sprachen empfehlen möchten. Für all das ist es essenziell, dass man sich kennt und ein Arbeitsvertrauen zueinander aufbaut. Ich betone immer, dass die Art des Übersetzens nicht definiert ist, dass die Dichter*innen einen großen Freiraum haben und sich dafür entscheiden können, Verfahrensweisen des Gedichts, Entstehungsprozesse und Methoden nachzuübersetzen. Sie bekommen auch die Möglichkeit, visuell zu arbeiten und können für sich bestimmen, was Übersetzen in ihrem Fall ist: Ist es Nachdichten, ist es eine Coverversion oder ist es sogar ein Antwortgedicht auf das vorliegende Gedicht?
Aber die Arbeit geht über die Workshops hinaus, oder?
SW: Die Duos haben mehrere Monate Zeit für die verschiedenen Textsorten und wir bieten ihnen an, sich gegenseitig zu besuchen, was zurzeit natürlich vor allem in Form von Zoomkonferenzen stattfindet.
CW: Das ist sehr bedauerlich, weil gerade wechselseitige Besuche nicht nur dazu beitragen können, dass man intensiver an den Übersetzungen arbeiten kann, sondern auch zum Entstehen einer dauerhaften Beziehung. Das ist der Wunsch des Trimaran: Wir möchten Dichter*innen in Kontakt bringen und dazu beitragen, dass sie möglichst auch im Austausch bleiben – sei es über die wechselseitige Lektüre oder die Wahrnehmung des Anderen. Das hat bei Ulrich Koch und Erik Spinoy super funktioniert – Ulrich Koch übersetzt weiterhin Gedichte von Erik Spinoy. Sie haben ausreichend Verwandtschaft entdeckt und das Bedürfnis entwickelt, einander weiter zu folgen.
In eurer Übersetzungswerkstatt spielen Interlinearübersetzungen eine wichtige Rolle – welche Chance bietet diese besondere Übersetzungsform?
SW: Die Vorstellung ist meistens, dass eine Interlinearfassung eines Textes eine philologisch korrekte Textfassung ist, bei der auf alle poetischen Momente wie Klangfiguren, Mehrdeutigkeiten, Sprachverfahren, Neologismen verzichtet wird. Die Aufgabe der Übersetzer*innen bzw. der Dichter*innen wäre es dann, die Interlinearfassung immer weiter zu bearbeiten, bis es für ihn oder sie ein stimmiges Gedicht wird. In der Werkstatt verstehen wir die Interlinearfassungen aber vor allem als kreatives Material, als Arbeitsblätter, die auf Textcharakteristika aufmerksam machen. Die Autor*innen entscheiden dann, was sie damit machen, wie sie dieses Material ins Spiel bringen. Es gibt kaum einen Moment, wo ich schönere poetologische Gespräche erlebt habe als in diesen Übersetzungsworkshops, weil man ganz schnell von der Ebene „Was heißt das eigentlich?“ zu den Fragen kommt: „Wie ist das entstanden? Auf welcher poetologischen Vorstellung beruht das? Welche Sprachverfahren benutzt du eigentlich?“ Auch die Autor*innen erzählen oft, dass sie selten so intensiv und kollegial über diese Dinge geredet haben. Für die Lektüre sind diese Kontexte und Verortungen keine Voraussetzungen, aber in der Werkstatt muss vieles davon auf den Tisch. Das ist auch der Moment, in dem sich die Übersetzerduos entscheiden, auf welcher Ebene sie weiterarbeiten möchten. Die Interlinearfassungen stellen für mich deshalb weniger eine Methode dar, sondern sind ein zur Verfügung gestelltes Arbeitspapier. Es gibt ein schönes Beispiel von Herta Müller aus dem Projekt Poesie der Nachbarn, deren Übersetzungen Collagen aus Interlinearfassungen waren. Sie hat übersetzt, wie sie auch ihre eigenen Gedichte schreibt, in Form einer Collage und somit das Gedicht des anderen in der eigenen Methodik geborgen.
Achtet ihr bei der Auswahl der Dichter*innen darauf, ob sie bereits Übersetzungserfahrung haben?
SW: Für uns ist das kein Kriterium, aber manchmal ist das für die Dichter*innen ein Kriterium. Gerade für die niederländischsprachigen, die mit dem Arbeitsmaterial Interlinearfassung nicht so vertraut sind. Bei uns ist das Modell durch die großen Übersetzungsprojekte weitgehend bekannt, aber in den Niederlanden und Flandern gibt es eine gewisse Scheu. Einige Autor*innen sagen auch: Mein Deutsch ist überhaupt nicht gut und ich traue mich das eigentlich nicht. Dann versuchen wir und die moderierenden Übersetzer*innen, ihnen diese Arbeistweise zu vermitteln. Aber es gab auch schon Autor*innen, die abgelehnt haben, weil die Berührungsängste zu groß waren.
Unterscheiden sich die flämische, die niederländische und die deutsche Lyriklandschaft stark voneinander? Was zeichnet sie jeweils aus?
SW: Ich staune vor allem über die Aufführungspraktiken in den Niederlanden und Flandern. Wir haben unserer zur Frankfurter Buchmesse gemeinsam herausgegebenen Anthologie Polderpoesie im Nachwort das Schlagwort „Öffentlichkeit“ vorangestellt, und dazu gehört auch die Beobachtung, dass Poesie im öffentlichen Raum präsent ist, dass es Stadsdichter gibt, die ihre Stadt mit Poesie bespielen, dass Poesie in Tageszeitungen abgedruckt wird, dass es Projekte wie das Poesietelefon gibt oder den Turm von Babel als interkulturelle Performancefläche – kurzum, dass sich sehr viel kreative Energie auf die Stadtöffentlichkeit richtet, was auch mit der Spoken-Word-Tradition und der Podiumstradition in den Niederlanden und Flandern zu tun hat. Man findet dort sehr viele unterschiedliche Aufführungspraktiken von Poesie, und das funktioniert in Deutschland noch ganz anders. Die Festivals sind bei uns auch im Kommen. Wir versuchen im Trimaran Leuchtturmprojekte wechselseitig vorzustellen, mit der Idee, dass die Regionen voneinander profitieren können. Und tatsächlich sind diese Leuchturmprojekte aus Flandern und den Niederlanden häufig diese Dichtung-in-der-Öffentlichkeit-Projekte, bspw. der Bau des Turms von Babel in Antwerpen. Und aus Deutschland kommen dann andere Projekte, zum Beispiel im letzten Heft die Frage nach der Übersetzbarkeit von Poesie in Gebärdensprache, verknüpft mit der Frage, ob man Texte, die in Gebärdensprache entstanden sind, auf Schriftsprache zurückführen kann. Das sind Unterschiede in den Perspektiven und Herangehensweisen in den jeweiligen Lyriklandschaften, die nicht gegeneinander ausgespielt werden müssen. Ganz im Gegenteil, die Szenen können voneinander profitieren. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass niederländischsprachige Autor*innen mehr Auftragsarbeiten machen. Das gehört zu ihrem Alltag. Bei den deutschsprachigen Autoren*innen habe ich den Eindruck, dass das erst in den letzten Jahren verstärkt aufgekommen ist.
CW: Aufträge gab es auch hier schon immer, nur wird das dann aber oft etwas verschämt und unter der Hand behandelt. Mitunter versucht man, die Auftragsarbeiten in die eigenen Gedichtbände zu integrieren, damit es nicht so offensichtlich ist, dass dies oder jenes ein Auftragsgedicht ist. Dabei ist es ja überhaupt nichts Ehrenrühriges. Wenn das Gedicht aber im öffentlichen Raum präsent ist, lässt sich ja kaum leugnen, dass es sich um ein Auftragsgedicht handelt, das speziell für diesen Ort, für diese Zeit, für diese Umstände entstanden ist, und das findet jetzt, hoffe ich zumindest, mehr und mehr auch im deutschsprachigen Raum statt. Die Diskussion über sehr präsente Gedichte im öffentlichen Raum hatten wir zuletzt mit der Gomringer-Debatte. Unabhängig von diesem Gedicht wünsche ich mir mehr Präsenz, nicht nur im urbanen öffentlichen Raum, sondern auch wie in den Niederlanden im TV. Dort gehört Poesie zum Programm der öffentlich-rechtlichen Sender, da gibt es zum Beispiel die tolle Reihe DichterBij, in der kleine Homestories gezeigt werden. Der Sender besucht Dichter*innen, filmt sie am Schreibtisch oder sonst wo, und am Ende liest er oder sie ein Gedicht vor. Ich finde es unheimlich herzerwärmend, das sowas mit einer Selbstverständlichkeit ausgestrahlt wird, unkommentiert, ohne eine Besonderheit daraus zu machen. Stattdessen wird Poesie in der Breite erlebbar gemacht, sie gehört dazu: im Fernsehen, in der Zeitung, im Stadtbild, auf der Bühne, und zwar mit fließenderen Übergängen von Spoken-Word-Artists hin zu den „Serious Poets“.
SW: Interessant sind auch die Übersetzungsentwicklungen in Bezug auf die Poesie. Ins Niederländische werden – was Gedichtbände betrifft – vor allem ältere Autor*innen und (moderne) Klassiker übersetzt, in den letzten Jahren beispielsweise Enzensberger, die Kurzgedichte von Sebald, Friederike Mayröcker, im Paul-Celan-Jahr natürlich eine Neuauflage der Übersetzung von Ton Naaijkens. Ins Deutsche werden eher die Gegenwartsautor*innen übersetzt, was natürlich auch mit der Übersetzerstruktur zusammenhängt, aber vielleicht auch damit, wie man das andere wahrnimmt: Wir sehen, dass in den Niederlanden und Flandern aktuell ganz viel Spannendes passiert, und von der anderen Seite wird in Gedichtbänden eher (aber nicht nur) die deutschsprachige Lyriktradition gewürdigt. Bei Festivals kann man zum Glück in beiden Sprachregionen regelmäßig Dichter*innen aus der jeweils anderen Sprachen hören. Auch literarische Zeitschriften in den Niederlanden präsentieren immer wieder deutschsprachige Gegenwartspoesie.
CW: Dass deutlich mehr jüngere niederländischsprachige Dichter*innen ins Deutsche übersetzt werden, hängt insbesondere damit zusammen, dass die beiden Stiftungen – Nederlands Letterenfonds und Flanders Literature – deutschsprachige Übersetzungen und Verlage tatkräftig finanziell unterstützen. So ist es etwas risikoärmer, einen Gedichtband aus dem Niederländischen übersetzen zu lassen und auf Deutsch zu publizieren. In Deutschland gibt es eine derart institutionalisierte Förderung von Literaturübersetzungen in andere Sprachen in dieser Form nicht.
Lyrik ist selbst für Literaturfans oft ein rotes Tuch. Warum sollte man Gedichte lesen? Was ist die Stärke dieses Genres?
CW: Ich kehre die Frage immer gerne um: Warum sollte man keine Gedichte lesen? Ich bin es ein bisschen Leid, dass Dichter*innen sich immer erklären müssen. Das müssen andere Künstler*innen seltener. Ich glaube tatsächlich, dass die Hemmschwelle kleiner wäre, wenn Poesie, egal in welcher Form und aus welcher Zeit, präsenter ist. Wenn es selbstverständlicher wäre, dass ich an der nächsten Straßenecke an einem Gedicht vorbeilaufe, das auf 15 Metern Höhe an einer Häuserfassade steht, habe ich vielleicht auch weniger Scheu, wenn ich an anderen Stellen einem Gedicht begegne. Natürlich haben wir als Dichter*innen, aber auch die Bildungsinstitutionen, die Verantwortung, etwas für unsere Kunst zu tun. Wir könnten eine große bildungspolitische Debatte aufmachen, was in Hochschulen und Schulen bei der Poesievermittlung schiefläuft. Jedenfalls müsste man Dichter*innen sehr viel selbstverständlicher einladen, sie Teil des Schul- und Hochschulalltags werden lassen. Ansonsten gilt: Legt die Scheu ab, lasst euch überraschen, lasst euch irritieren, lasst euch verunsichern, traut euch dem Unverständnis auszusetzen. Habt keine Angst davor, etwas nicht zu verstehen, denn das ist nicht schlimm.
SW: Man muss sich die Chance geben, dem richtigen Gedicht zu begegnen. Dazu möchte der Trimaran seinen Teil beitragen.
Farben und Form spielen in eurem Magazin eine wichtige Rolle. Originalsprache und Übersetzung werden durch verschiedene Farben kenntlich gemacht und die besondere Form fällt natürlich direkt ins Auge – das Heft im Heft. Wer hatte die Ideen?
CW: Das haben wir einzig und allein der Gestalterin Anke Berßelis und dem Lilienfeld Verlag zu verdanken. Die Ursprungsidee kam von Jan Frerichs, der für den Lilienfeld Verlag immer wieder anspruchsvolle Printprojekte umsetzt: Es war die gestalterische Grundidee, ein Boot mit drei Rümpfen, einen Trimaran, als Magazin in Form eines Heftes im Heft nachzugestalten. Diese Form ermöglicht uns, den Kern des Projektes im Heft im Heft zu dokumentieren, und das Drumherum ist der ergänzende, erweiternde, ausblickende Mantel mit Interviews, Essays, etc.
SW: Es gibt im Redaktionsprozess immer irgendwann den Moment, wo Anke sagt: Schickt mir doch mal Texte. Und dabei geht es dann um Gedichte aus dem inneren Teil, das ist das Material, mit dem sie beginnt. Es ist wahnsinnig spannend zu schauen, wie sie sich von diesen Motiven anregen lässt, wie sie plötzlich irgendwo eine Fischschuppe versteckt, ein Segel, und Grafiken so überarbeitet, dass Text und Visualität eine Beziehung eingehen.
Am Ende eures Magazins findet sich eine Liste mit Neuerscheinungen. Wenn man sich in der niederländischsprachigen Lyriklandschaft auskennt, fällt auf, dass unzählige herausragende Lyriker*innen noch nicht übersetzt wurden. Wer sollte eurer Meinung nach ganz dringend übersetzt werden?
SW: Erfreulich ist, dass seit 2016 jährlich mehrere übersetzte Gedichtbände mit Poesie aus den Niederlanden und Flandern erscheinen. Ich würde zuerst dafür argumentieren, Projekte zu übersetzen und nicht im Kanon zu denken. Als Beispiel kann ich Das Einsame Begräbnis anführen, ein niederländisches Projekt, bei dem Dichter*innen Menschen zu Grabe tragen, die ohne Angehörige sterben. Die Dichter*innen verfassen Abschiedsgedichte für diese Menschen, die dann am Grab vorgetragen werden. Das Projekt wird mittlerweile in der Schweiz verwirklicht. Wenn wir auf den niederländischen Sprachraum gucken, könnte man ganz viele Projekte „nachbauen“. Etwa die grandiose Idee des Stadsdichter, der etwas ganz anderes ist als ein Writer in Residence (jemand der vor Ort ist, eine Lesung hält), sondern jemand, der aus der Stadt selbst kommt oder mit ihr verbunden ist, und für ein oder zwei Jahre Projekte für die Stadt und Poesie im städtischen Raum entwickelt und zu einer Art Poesiebotschafter wird. Für uns und den Trimaran ist es ein Anliegen, Strukturen zu schaffen, die sich positiv auf die Lyrikrezeption auswirken.
CW: Tatsächlich stellen die Hefte nicht nur Angebote an die Leser*innen dar, sondern auch an Übersetzer*innen und Verlage jenseits der Grenze, um zu sagen: Schaut her, das ist spannend, es ist auch schon ein Übersetzungsprozess angelaufen und darauf könnte man zurückgreifen. Mit diesem Hintergedanken suchen wir natürlich auch die Autor*innen für unser Übersetzungsprojekt aus: Wem wünschen wir jenseits der Grenze Aufmerksamkeit?
Auf welche Dichter*innen dürfen wir uns in der dritten Ausgabe des Trimaran freuen?
CW: Wir freuen uns auf und mit José F.A. Oliver aus Hausach, den andalusischen Schwarzwalddichter, wie er sich selbst gerne nennt, den wir mit Maud Vanhauwaert aus Antwerpen zusammengebracht haben, die auch Stadtdichterin in Antwerpen war und tolle Poesieprojekte in die Stadt gebracht hat, die beiden bilden ein Tandem. Und dazu Özlem Özgül Dündar, die unlängst für ihr Hörspiel „türken, feuer“ ausgezeichnet wurde, und Dean Bowen, der aus Rotterdam stammt und wirklich eine ganz außergewöhnliche Art der mehrsprachigen Poetologie in Gedichte umsetzt und ein neues zeitgemäßes Kreol entwirft.
Im Mantelteil widmet sich das Magazin in der kommenden Ausgabe u. a. Mehrsprachigkeit und Sprachwechseln. Die dritte Ausgabe erscheint im September/Oktober 2021.