
Wenn ich darüber nachdenke, welche Übersetzungen mich geprägt haben, fallen mir als Erstes die Donald-Duck-Heftchen und die Asterix-und-Obelix-Bände ein, die ich als Kind und Jugendliche verschlungen habe. Erika Fuchs’ Inflektive „ächz, keuch, stöhn“ sind seither in meinen Sprachgebrauch übergegangen, und Gudrun Penndorfs deutsche Entsprechungen zur anspielungsreichen Sprache von René Goscinny kann ich bis heute auswendig. Allerdings habe ich mir lange keinerlei Gedanken darüber gemacht, dass es sich um Übersetzungen handelte, und habe die Namen der Übersetzerinnen und was sie bei ihrer kreativen Eindeutschung alles geleistet haben, erst viel später erfahren.
An heutigen literarischen Übersetzungen könnte ich sehr viele nennen, die ich stilbildend finde, die Auswahl fällt mir schwer. Aus diesem Grund eine sozusagen meta-literarische Empfehlung für all diejenigen, die sich mit Sprache und Übersetzung beschäftigen wollen: Die Neuübersetzung von Raymond Queneaus Exercices de Style durch Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Die 1947 erschienenen Stilübungen sind ein berühmter Text des Oulipo-Schriftstellers Queneau, der weniger daran interessiert war, was ein literarischer Text erzählt, als daran, wie er es tut. Ein und dieselbe kurze Episode über einen Mann in einem Bus, der später noch einmal an einem Bahnhof auftaucht, wird über hundert Mal variiert. Mal als Krimi, mal als Liebesschnulze, mal als Science-Fiction, aber auch in unterschiedlichen lyrischen Formen, aus unterschiedlichen Perspektiven und in unterschiedlichen Tonlagen (komisch, tragisch, politisch, traumwandlerisch) wird erzählt. Die Oulipo-Schule experimentierte mit bestimmten Schreibregeln, sodass die Episode auch manchmal quasi mathematisch oder in einer Art Code abgewandelt wird.
Die Exercices de Style sind in viele Sprachen übersetzt worden, ins Deutsche zuerst von Ludwig Harig und Eugen Helmlé im Jahr 1961. Doch erst Hinrich Schmidt-Henkel und Frank Heibert sind der Modernität der Vorlage ganz gerecht geworden und haben die Stilübungen ins 21. Jahrhundert katapultiert. Ihren spielerischen, immer leicht ironischen umgangssprachlichen Sound hört man in den neu übersetzten Texten, in den erstmals auf Deutsch vorliegenden Exercices inédits, und in einem herrlichen Anhang „Mögliche mögliche Stilübungen“. Hier zum Beispiel der Anfang der Variante „Lesbisch“: „Mann, Mann, Mann, monsterheiß jetzt zu Mittag, die Kawa noch in der Werkstatt und der Bus voll bis obenhin. Und alles Typen. Moment, da ist doch eine, die sieht ganz süß aus, superlanger Hals, und der Hut ist interessant, so mit Borte statt Band, aber ziemlich butch.“
Also kurz, nicht nur eine Übersetzung, sondern auch eine Übersetzungsschule und als solche auf jeden Fall ein Meisterwerk!

Zeitschrift Übersetzen des VdÜ.

Raymond Queneau/Frank Heibert/Hinrich Schmidt-Henkel: Stilübungen. (Im französischen Original: Exercices de Style.)
Suhrkamp 2016 ⋅ 224 Seiten ⋅ 22 Euro
www.suhrkamp.de/buecher/stiluebungen-raymond_queneau_22495.html