Gro­ße klei­ne Spra­che Geor­gisch (Teil II)

Der diesjährige Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse hat georgischsprachigen Übersetzerinnen und Übersetzern viel Arbeit, aber selten die gebührende öffentliche Aufmerksamkeit beschert. Hier daher die Antworten auf zu selten gestellte Fragen. Von

Ein georgisches Stilleben von Niko Pirosmani. Quelle: WikiCommons
Es gibt etwa 7000 Spra­chen auf der Welt; davon wird aber nur ein win­zi­ger Bruch­teil ins Deut­sche über­setzt. In  die­ser Rubrik fra­gen wir Men­schen, die Meis­ter­wer­ke aus unter­re­prä­sen­tier­ten und unge­wöhn­li­chen Spra­chen über­set­zen und uns so Zugang zu wenig erkun­de­ten Wel­ten ver­schaf­fen. Für die geor­gi­sche Spra­che beant­wor­ten gleich zwei Geor­gisch-Über­set­ze­rin­nen unse­re Fra­gen: Im ers­ten Teil Rachel Gratz­feld und hier Ana­sta­sia Kamarauli.

Wie hast Du Geor­gisch gelernt?

Ich bin gebür­ti­ge Geor­gi­e­rin. Ich wur­de 1993 in Tbi­li­si gebo­ren und habe die ers­ten sie­ben Jah­re mei­ner Kind­heit in mei­ner Hei­mat ver­bracht. Es waren nicht die bes­ten Zei­ten, post­so­wje­ti­scher Cha­os, Bür­ger­krieg, Per­spek­tiv­lo­sig­keit. Mein Vater war im Abcha­si­en­krieg und starb 1999 an des­sen Fol­gen, so blieb mei­ne Mut­ter allein­er­zie­hend mit drei klei­nen Kin­dern, und als sie Ende der 90er die Mög­lich­keit bekam, über ein Hum­boldt-Sti­pen­di­um nach Deutsch­land zu kom­men, nahm sie uns mit. Spä­ter folg­te eine Anstel­lung als Dozen­tin für Kau­ka­sio­lo­gie an der J.W. Goe­the Uni­ver­si­tät, seit 2001 leben wir schon in Frank­furt. Ich habe in Geor­gi­en nur die ers­te Klas­se besucht und das auch nur für eini­ge Mona­te, das merkt man, auch wenn ich auf Geor­gisch spre­che. Mei­ne gan­ze Bil­dung habe ich auf Deutsch genos­sen, dem­entspre­chend ist mein Wort­schatz auf Deutsch grö­ßer als auf Geor­gisch. In den ers­ten Jah­ren in Deutsch­land muss­te ich so inten­siv die Spra­che erler­nen, dass ich das Geor­gisch fast ver­ges­sen hät­te. Ich muss­te dann zu mei­ner Mut­ter­spra­che „zurück­keh­ren“.

Auch heu­te noch pas­siert es mir oft, dass sich „deut­sche“ For­mu­lie­run­gen bei mir ein­schlei­chen, wenn ich auf Geor­gisch spre­che. Inzwi­schen muss ich geste­hen, dass mein Deutsch bes­ser ist als mei­ne eigent­li­che Mut­ter­spra­che – die Distanz zur Hei­mat macht sich doch bemerk­bar. Des­we­gen habe ich auch ange­fan­gen zu über­set­zen – jedoch nur aus dem Geor­gi­schen ins Deut­sche und nicht umge­kehrt – es hilft mir, mei­ne Mut­ter­spra­che nicht zu vergessen.

Wie sieht die geor­gi­sche Lite­ra­tur­sze­ne aus?

Die geor­gi­sche Lite­ra­tur hat sich enorm gewan­delt. Ange­fan­gen vom 5. Jahr­hun­dert n.Chr. ver­fügt Geor­gi­en über eine unun­ter­bro­che­ne Lite­ra­tur­tra­di­ti­on – so wie auch das geor­gi­sche Alpha­bet sich bis in das 5. Jahr­hun­dert n.Chr. zurück­da­tie­ren lässt. Der ältes­te erhal­te­ne Text der geor­gi­schen Lite­ra­tur ist Das Mar­ty­ri­um der Hei­li­gen Schu­scha­nik (in deut­scher Über­set­zung von Neli Ama­schu­ke­li und Iwa­ne Dscha­wachi­schwi­li erschie­nen 2018 beim Leip­zi­ger Lite­ra­tur­ver­lag).  Die­ses hagio­gra­phi­sche Werk weist ein­deu­ti­ge, lite­ra­ri­sche Qua­li­tät auf und kann daher als ers­ter Roman der Welt bezeich­net werden.

Unge­fähr bis zum 11. Jahr­hun­dert fin­det man in der geor­gi­schen Lite­ra­tur haupt­säch­lich kirch­li­che Wer­ke, ab dem 12. Jahr­hun­dert kom­men welt­li­che Schrif­ten hin­zu. Das geor­gi­sche Natio­nal­epos Der Recke im Tiger­fell von Scho­ta Rusta­we­li gilt als Meis­ter­werk die­ser Zeit. Die jewei­li­gen poli­ti­schen Gege­ben­hei­ten spie­gel­ten sich stets in der Lite­ra­tur wider – so hat die jahr­hun­der­te­lan­ge Herr­schaft der Per­ser über Geor­gi­en deut­li­che Spu­ren in der geor­gi­schen Lite­ra­tur hin­ter­las­sen. 1801 annek­tier­te das rus­si­sche Zaren­reich Geor­gi­en, d.h. ab dem 19. Jahr­hun­dert öff­net sich Geor­gi­en nach Wes­ten hin, denn die euro­päi­schen Ideen, Wer­te, Kul­tur und somit auch Lite­ra­tur fan­den über Russ­land ihren Weg in das Land. In den letz­ten zwei Jahr­hun­der­ten folg­te die geor­gi­sche Lite­ra­tur dem euro­päi­schen Vor­bild und so durch­lief auch sie die­sel­ben Lite­ra­tur­epo­chen: Roman­tik, Rea­lis­mus, Natu­ra­lis­mus, Expres­sio­nis­mus, sogar Sym­bo­lis­mus  und Dada fin­det man in der Lite­ra­tur Geor­gi­ens (und in der Kunst im Allgemeinen).

Es waren vor allem die „თერგდალეულები/Tergdaleulebi“ [1], die die moder­ne geor­gi­sche Lite­ra­tur begrün­de­ten und dadurch auch Trä­ger der Natio­nal­be­we­gung waren. Mit dem Ein­marsch der Roten Armee in Geor­gi­en 1921 muss­te die gesam­te Kunst sich einem ideo­lo­gi­schen Dog­ma unter­wer­fen, dem Sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus. Jeder der sich dem wider­setz­te, muss­te um sein Leben fürch­ten. Not­ge­drun­ge­ner Wei­se muss­ten die Autoren ihre Kri­tik sehr gut „ver­pa­cken“, ja regel­recht ver­ste­cken, damit ihre Schrif­ten nicht der Zen­sur zum Opfer fie­len. Die 70 Jah­re andau­ern­de sowje­ti­sche Herr­schaft kann als lite­ra­ri­sche Zäsur betrach­te­te wer­den – es fand kei­ne Ent­wick­lung statt.

Heut­zu­ta­ge ist die geor­gi­sche Lite­ra­tur sehr divers gewor­den – sowohl sti­lis­tisch als auch the­ma­tisch. Man braucht zum Bei­spiel nur die­se drei Autoren/Bücher zu ver­glei­chen, um zu erken­nen, wie stark sie sich sti­lis­tisch von­ein­an­der unter­schei­den: Beka Ada­ma­schwi­li Best­sel­ler (Ü Sybil­la Hein­ze, Voland & Quist, 2017), Cha­tuna Tavdgi­rid­ze Der Fisch mit zwei Schat­ten (Ü Ana­sta­sia Kama­r­au­li, Wie­ser Ver­lag, 2018) und Kote Jan­die­ri Glo­ba­li­sie­rung (Ü Natia Mik­elad­ze-Bach­so­lia­ni, Klak Ver­lag, 2018) – wobei ich noch eini­ge mehr nen­nen könn­te. Gera­de bei den jün­ge­ren Autoren wer­den immer öfter The­men behan­delt, die vor­her eher tabui­siert waren, z.B.  Homo­se­xua­li­tät (Davit Gabu­nia Far­ben der Nacht, Ü Rachel Gratz­feld, Rowohlt Ver­lag, 2018; Guram Mats­kho­nash­vi­li Gldani, Ü Tamar Kotri­kad­se, Wie­ser Ver­lag, 2018; Tamar Tan­da­schwi­li Löwen­zahn­wir­bel­sturm in Oran­ge, Ü Natia Mik­elad­se-Bach­so­lia­ni, Resi­denz Ver­lag, 2018), Dro­gen und Sex (Luka Bak­a­nid­ze, Das drit­te Ufer, Ü Kat­ja Wol­ters, Klak Ver­lag, 2018; Zaza Bur­ch­ul­ad­ze Pas­si­ve Attack in Geor­gi­sche Gegen­warts­li­te­ra­tur, Ü Ana­sta­sia Kama­r­au­li, Rei­chert Ver­lag, 2010), Men­schen mit geis­ti­ger oder kör­per­li­cher Behin­de­rung (Eka­te­ri­ne Togo­nid­ze Ein­sa­me Schwes­tern, Ü Nino Ose­pash­vi­li & Eva Pro­fou­so­vá, Sep­ti­me Ver­lag, 2018; Nana Ekv­ti­mish­vi­li Das Bir­nen­feld, Ü Nino Ose­pash­vi­li & Eva Pro­fou­so­vá, Suhr­kamp Ver­lag, 2018). Ange­fan­gen von den Tergdal­eu­le­bi haben die geor­gi­schen Schrift­stel­ler schon immer eine gewis­sen gesell­schaft­li­che Rol­le gespielt – sie haben öffent­li­che Debat­ten aus­ge­löst, Tabus gebro­chen und dafür gesorgt, dass sich die Gesell­schaft ver­än­dert. Ich sehe die­se „Tra­di­ti­on“ noch immer unge­bro­chen in Geor­gi­en und man kann von einer Autoren­schaft spre­chen, die gemein­sam und geschlos­sen als lite­ra­ri­sches Sprach­rohr der Gesell­schaft auftritt.

Was soll­te man unbe­dingt gele­sen haben?

Als Ein­stieg in die geor­gi­sche Lite­ra­tur und damit in die geor­gi­sche Gedan­ken­welt bzw. Kul­tur wür­de ich allen die (moder­nen) geor­gi­schen Klas­si­ker emp­feh­len, dazu zäh­len Autoren wie Wascha-Pscha­we­la, Alex­and­re Kas­be­gi, Ilia Tschawtscha­wad­se, Mich­eil Dscha­wachi­schwi­li, Dawit Kldia­schwi­li, Tscho­la Lom­ta­tid­se, Tscha­bua Ami­red­schi­bi, Guram Dot­sch­a­naschwi­li, Otar Tschil­ad­se, Goderd­si Tscho­ch­eli. Ich bezie­he mich hier nur auf die Autoren, deren Wer­ke ins Deut­sche über­setzt wur­den. Von den heu­ti­gen Autoren kann ich fol­gen­de emp­feh­len: Aka Mor­chil­ad­ze (San­ta Espe­ran­za, Rei­se nach Kara­bach, Ü Natia Mik­elad­se-Bach­so­lia­ni, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, 2017), Lasha Bug­ad­ze (Der ers­te Rus­se, Ü Rachel Gratz­feld & Sybil­la Hein­ze, Frank­fur­ter Ver­lags­an­stalt, 2018), Beka Ada­ma­schwi­li (Best­sel­ler, Ü Sybil­la Hein­ze, Voland & Quist, 2017), Tam­ri Fkhakad­ze (Gärt­nern im Kriegs­ge­biet, Ü Iuno­na Guru­li, Dagye­li, J & D), Nai­ra Gela­schwi­li (Ich bin sie, Ü Lia Wittek,Verbrecher Ver­lag, 2017), Archil Kikod­ze (Der Süd­ele­fant, Ü Nino Hara­ti­schwi­li & Mar­tin Bütt­ner, Ull­stein, 2018), Anna Kord­za­ia-Sama­da­schwi­li (Wer hat die Tschai­ka getö­tet? Schu­scha­niks Kin­der, Ü Sybil­la Hein­ze, Ver­lag Hans Schil­ler, 2016). Hier sind nur eini­ge weni­ge genannt, es gibt noch sehr viel mehr zu ent­de­cken und ich bin mir sicher, jeder Leser fin­det etwas für sei­nen Geschmack in der geor­gi­schen Literatur.

Was ist noch nicht übersetzt?

Vie­les! Wobei man hier unter­schei­den muss zwi­schen über­setzt und ver­öf­fent­licht. Ich bin mir sicher, dass es vie­le Über­set­zer gibt, die wie ich, mehr über­setzt haben, als letz­ten Endes auch ver­öf­fent­licht wurde.

Ich bin der Mei­nung, dass noch mehr von den Klas­si­kern über­setzt wer­den soll­ten und ein biss­chen mehr von geor­gi­schen Autorin­nen. Auch wenn die Zahl der weib­li­chen Stim­men in der geor­gi­schen Lite­ra­tur zuge­nom­men hat, so bin ich über­zeugt, dass es noch mehr zu ent­de­cken gibt. Ein Anfang war die Frau­en­an­tho­lo­gie Tech­no der Jagua­re (Die Erzäh­lun­gen wur­den über­setzt aus dem Geor­gi­schen von Maia Tabu­ka­schwi­li, Maka Kan­del­a­ki, Ana­sta­sia Kama­r­au­li, Irma Schio­la­schwi­li, Susan­ne Schmidt und Mari­am Kama­r­au­li, Frank­fur­ter Ver­lags­an­stalt, 2013), in dem neue weib­li­che Stim­men vor­ge­stellt wur­den. 2018 kam dann noch Bit­te­re Bon­bons (Hrsg. Rachel Gratz­feld, Edi­ti­on fünf) her­aus, eine Antho­lo­gie mit Erzäh­lun­gen von drei­zehn jun­gen Autorinnen.

Was sind die größ­ten Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen aus dem Geor­gi­schen? Wie gehst Du damit um?

Geor­gisch ist eine emo­tio­na­le, meta­pho­ri­sche Spra­che, oft ist etwas außer­or­dent­lich gut oder außer­or­dent­lich schlecht. Wenn man den Text dann direkt ins Deut­sche über­setzt, kann es gut sein, dass der Aus­gangs­text viel zu über­la­den wirkt. In sol­chen Fäl­len muss man dann schau­en, dass man Text ein wenig „leich­ter“ macht. Es gibt im Deut­schen für fast alles ein ganz bestimm­tes Wort, wohin­ge­gen man sich im Geor­gi­schen oft mit einer Umschrei­bung zufrie­den­ge­ben muss. Bei einem mei­ner letz­ten Über­set­zun­gen (Goderd­si Tscho­ch­eli Der schar­lach­ro­te Wolf, Frank­fur­ter Ver­lags­an­stalt 2018) schrieb der Autor „ein Kreuz aus Metall, das sich dreht“ und mein­te damit schlicht einen Dreh­kreuz. Cha­tuna Tavdgi­rid­ze hat­te in ihrem Text oft For­mu­lie­run­gen, in denen es nur so vor Adjek­ti­ven gewim­melt hat.

Auf Deutsch wirk­te es leicht infla­tio­när, wie zum Bei­spiel bei die­ser For­mu­lie­run­gen: nas­se, feuch­te Trop­fen. Ein Trop­fen setzt schon vor­aus, dass er flüs­sig ist und somit nass bzw. feucht, die zusätz­li­che Ver­wen­dung von Adjek­ti­ven ist in die­sem Fall nicht unbe­dingt nötig. Sol­che und ähn­li­che Bei­spie­le gibt es zu Hauf. Ein wei­te­res Pro­blem, mit dem ich immer wie­der kon­fron­tiert bin, ist die feh­len­de Lek­to­rats­kul­tur in Geor­gi­en. In der Regel wer­den die Tex­te nur auf ihre Ortho­gra­phie hin kor­ri­giert, sodass man gezwun­gen ist, noch bevor man mit dem eigent­li­chen Über­set­zen anfängt, den Text zu lek­to­rie­ren. Das mache ich aber immer in Abspra­che mit dem Autor, nur bei Tscho­ch­eli ging das nicht, weil er lei­der schon ver­stor­ben ist. Da stand ich vor der gro­ßen Fra­ge, die sich wohl jeder Über­set­zer eines Tages stellt: Darf ich das? Und wenn ja, wie viel darf ich?

Schwie­rig wird es auch, wenn Begrif­fe benutzt wer­den, die es so nur im Geor­gi­schen gibt – თამადა/Tama­da (auf Deutsch: Tisch­meis­ter) ist ein Bei­spiel dafür. Zwar ver­mit­telt „Tisch­meis­ter“ eine gro­be Idee des­sen, wor­um es sich bei einem Tama­da han­deln könn­te, aber wirk­lich über­set­zen lässt sich das Wort nicht.

Zum Schluss muss man sich auch immer fra­gen, wer wich­ti­ger ist: der Leser oder der Schrift­stel­ler? Damit mei­ne ich das Dilem­ma, vor dem man steht, wenn man ent­schei­den muss: mache ich es ver­ständ­li­cher, ange­neh­mer, les­ba­rer für das Publi­kum oder hal­te ich mich streng an das Ori­gi­nal bzw. an den Schrift­stel­ler. Der Über­set­zer soll­te einen Autor und sei­nen Text nicht ver­fäl­schen, er muss aber auch an den Leser den­ken, für den das Buch letz­ten Ende auch gedacht ist. Die­sen Balan­ce­akt zu meis­tern, gehört zu den gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen beim Übersetzen.

Was kann Geor­gisch, was Deutsch nicht kann?

 Das Geor­gi­sche unter­schei­det sich stark von den euro­päi­schen Spra­chen. Es gehört zu den Süd­kau­ka­si­schen Spra­chen, die mit den West- und Ost­kau­ka­si­schen Spra­chen die Kau­ka­si­schen Spra­chen bil­den (zu denen ca. 40 Spra­chen gezählt wer­den kön­nen, vie­le davon bedroht oder bereits aus­ge­stor­ben) und ist eine soge­nann­te Erga­tiv-Spra­che – wobei es eine beson­de­re Vari­an­te des­sen ist, weil es eine Split-Erga­tiv-Spra­che ist.  Da das Geor­gi­sche zu den agglu­ti­nie­ren­den Spra­chen zählt – die Wör­ter bestehen aus einem Stamm und zusätz­li­chen Mor­phe­men – kön­nen in einem Wort meh­re­re gram­ma­ti­sche Kate­go­rien (z.B. Ver­si­on und Kau­sa­ti­on) abge­bil­det wer­den. Das geor­gi­sche Verb ist poly­per­so­nal d.h. sowohl das Sub­jekt als auch das direk­te und indi­rek­te Objekt sind im Verb mar­kiert (manch­mal bis zu vier Aktanten).

Auf­grund die­ser Eigen­schaft kann das geor­gi­sche Per­so­nal­pro­no­men til­gen und zählt dadurch zu den Pro-Drop-Spra­chen. Das hat in syn­tak­ti­scher Hin­sicht die Fol­ge, dass ein Satz sich auf nur ein Verb redu­zie­ren lässt. Zum Bei­spiel wür­de der deut­sche Satz „Er/Sie hat mir etwas gebracht“ im geor­gi­schen „momitana/მომიტანა“ hei­ßen. Das Geor­gi­sche hat auch mehr Kasus als das Deut­sche. Beson­ders „prak­tisch“ sind Instru­men­tal (drückt aus, dass mit­hil­fe des jewei­li­gen Mit­tels, eine Hand­lung aus­ge­führt wird), Adver­bi­al (drückt einen Zustand oder eine Ver­än­de­rung aus) und Voka­tiv (Anre­de-Kasus). D.h. vie­les muss nicht ver­ba­li­siert wer­den, son­dern kann durch gram­ma­ti­sche Mit­tel auf mor­pho­lo­gi­scher Ebe­ne aus­ge­drückt wer­den (was zur Fol­ge hat, dass der geor­gi­sche Aus­gangs­text in der Regel nicht so lang ist wie der deut­sche Aus­gangs­text).  Dar­über hin­aus kann mit einem ein­zi­gen Par­ti­kel (-o Endung) die indi­rek­te Rede mar­kie­ren. Und nicht ver­ges­sen darf man, dass das Geor­gi­sche weder Arti­kel (egal ob unbe­stimmt oder bestimmt) noch eine Genus-Unter­schei­dung kennt.

Damit sind hier nur ein paar lin­gu­is­ti­sche Eigen­hei­ten genannt, die das Über­set­zen aus dem Geor­gi­schen ins Deut­sche zu einer span­nen­den Ange­le­gen­heit machen.


[1] Auf Deutsch: Die, die vom Fluss Terek getrun­ken haben. Damit waren die­je­ni­gen gemeint, die ihre vor­wie­gend euro­päi­sche Bil­dung in Russ­land genos­sen haben und mit die­sem Wis­sen nach Geor­gi­en zurück­ge­kehrt sind. Eine detail­lier­te Ana­ly­se bie­tet Oli­ver Reis­ner in Die Schu­le der geor­gi­schen Nati­on. Eine sozi­al­his­to­ri­sche Unter­su­chung der natio­na­len Bewe­gung in Geor­gi­en am Bei­spiel der ‚Gesell­schaft zur Ver­brei­tung der Lese- und Schreib­kun­de unter den Geor­gi­ern’ (1850 – 1917), Rei­chert Ver­lag, 2004.
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Ana­sta­sia Kama­r­au­li wur­de 1993 in Tbi­li­si gebo­ren. Ihre über­set­ze­ri­sche Tätig­keit begann sie mit 16 Jah­ren, seit 2009 ist sie Mit­glied im EUTER­PE-Salon. 2011 nahm sie an der Über­setz­er­werk­statt in Strae­len zur För­de­rung von Nach­wuchs­über­set­zern (Hie­ro­ny­mus-Pro­gramm, Robert Bosch Stif­tung) teil. Ihre ers­te Über­set­zung, die Antho­lo­gie „Geor­gi­sche Gegen­warts­li­te­ra­tur“, ist 2010 im Rei­chert Ver­lag erschie­nen. Seit Novem­ber 2017 lei­tet sie im Auf­trag des Geor­gi­an Natio­nal Book Cen­ter, dem Orga­ni­sa­tor des Ehren­gas­t­auf­trit­tes Geor­gi­ens auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se 2018, das Koor­di­na­ti­ons­bü­ro in Frank­furt. (Foto: @ Mar­cus Bohl/Literaturhaus Vil­la Clementine)

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