In der Literatur haben Frauen schon immer viel geschlafen – viele von ihnen unfreiwillig. Man denke an Dornröschen, Shakespeares Juliet oder Lewis Carrolls Alice. Im Gegensatz zu diesen Wegbereiterinnen möchte die namenlose Protagonistin in Ottessa Moshfeghs eigenwilligen Roman Mein Jahr der Ruhe und Entspannung gar nichts anderes mit ihrem Leben anfangen als zu schlafen.
Also beschließt sie „Winterschlaf“ zu halten und mit Hilfe einer außerordentlichen Vielzahl von Schlafmitteln den Großteil des Jahres in einem Dämmerzustand zu verbringen, in dem sie möglichst wenig vom eigenen Leben mitbekommen kann. Das Ganze könnte eine Aussteigerfabel aus weiblicher Perspektive sein – wäre die Protagonistin nicht wohlhabend und überdurchschnittlich attraktiv (wie sie selbst immer wieder betont) und somit in Amerikas neoliberalem Zentrum, New York, gesellschaftlich akzeptiert.
Moshfeghs Protagonistin, die gleichzeitig auch die Erzählerin des Romans ist, müsste man eigentlich unsympathisch finden. Die Bitterkeit und Verachtung, mit der sie über die New Yorker Kunstszene, die intellektuelle Elite, ihre Eltern und ihre wenigen Freunde lästert, wirken in einem Jahrzehnt der beschönigenden Instagram-Filter fast schon befremdlich. Dass der Roman dennoch funktioniert, ist das große Verdienst der Autorin, die hier ihr ganzes sprachliches Können unter Beweis stellt. Moshfeghs Originalsprache ist überaus präzise, der Ton ihrer Erzählerin trocken, stellenweise lakonisch.
Die deutsche Übersetzung von Anke Caroline Burger gelingt am besten, wenn die Erzählstimme zur Ruhe kommt und die eigene Erfahrungswelt in schlichter Sprache reflektiert. Solche Passagen gibt es in dem Roman genügend und bieten der Übersetzerin die Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Es ist ebenso der Übersetzerin zu verdanken, dass man sich als Leserin der deutschen Fassung von dieser durchaus gewöhnungsbedürftigen Erzählerin durch die Geschichte führen lässt. Burger gelingt es, die eigenwilligen Charaktere auch in der Übersetzung nicht zu bloßen Karikaturen verkommen zu lassen, was kein geringes Verdienst ist.
Leider schmälern jedoch sprachliche Ungenauigkeiten, die vor allem bei der Übersetzung der witzigsten und satirischsten Stellen des Romans zum Vorschein kommen, die Qualität der deutschen Fassung. Bei genauerer Lektüre der Übersetzung stößt man unfreiwillig auf einige Dissonanzen, die man zunächst als Kleinigkeiten abtun möchte. In ihrer Summierung haben diese allerdings so gravierende Auswirkungen, dass sie die Figurenzeichnung beeinflussen und die Komik des Romans abschwächen.
Deutlich wird dies beispielsweise an folgender Stelle:
She’d buy a single chocolate at the Go-diva store, then we’d walk around all the shops and my mother would call things „cheap“ and „hick-style“ and „a blouse for the Devil’s whore.“ She kind of came alive at the perfume counter. „This one smells like a hooker’s panties“.Sie spendierte mir eine einzige Praline bei der Codiva-Confiserie, dann sahen wir uns ausgiebig in den Läden der Shopping Mall um. Meine Mutter nannte alles „billig“ und „geschmacklos“ und „Kleidung für des Teufels Hure“. In der Parfümabteilung kam sogar richtig Leben in sie. „Hier stinkt’s ja wie im Slip einer Bordsteinschwalbe“.
Es ist nur schwer nachvollziehbar, warum die Übersetzerin hier einen so blumigen – wenn auch verbreiteten – Euphemismus wie „Bordsteinschwalbe“ gewählt hat. Das Wort passt weder so recht zur Erzählerin, die sich gern und großzügig an dem vulgären Vokabular der Neuzeit bedient, noch zu deren Mutter, die ihre Tochter, sofern sie sie nicht gänzlich vernachlässigt, von klein auf als ebenbürtige Erwachsene behandelt und vor dieser kein Blatt vor den Mund nimmt. Dies wird in der vorangestellten Aufzählung mehr als deutlich. Zumal die deutsche Übersetzung an dieser Stelle auch die Komik des Originals, in dem eine Mutter im konservativen Amerika Worte wie „whore“ oder „hooker“ unverblümt den Mund nehmen darf, nicht gekonnt überträgt.
Solche kleinen, sprachlichen Verfehlungen, die den Ton der Vorlage nicht ganz treffen, möchte man gern entschuldigen, doch leider handelt es sich dabei nicht um Einzelfälle. Übersetzungen wie diese müssten eigentlich jeden modernen Leser stutzig machen:
Reva often spoke about „settling down.“ That sounded like death to me.Reve redete oft davon, sie wolle endlich „solide werden“. Für mich klang das wie ein Todesurteil.
Eine Redewendung wie „settling down“, die so tief im amerikanischen Liebesjargon verwurzelt ist, mag schwer übersetzbar scheinen. Man muss jedoch nur kurz versuchen, sich die deutschen Pendants zu dieser in New York lebenden, hoch gebildeten, in der Kunstszene arbeitenden 26-Jährigen Erzählerin und ihrer besten Freundin Reva vorzustellen. Es ist unwahrscheinlich, dass zwanghaft unverkrampfte Berliner Mittzwanziger Ausdrücke wie „solide werden“ in ihrem Sprachgebrauch haben.
Am deutlichsten hörbar sind solche Dissonanzen in der Übersetzung einer der wohl komischsten Stellen des Romans – einer meisterhaften, bitterbösen Abrechnung mit dem männlichen New Yorker Hipstertum:
I’d choose him a million times over the hipster nerds I’d see around town and at the gallery. In college the art history department had been rife with that specific brand of young male. An „alternative“ to the mainstream frat boys and premed straight and narrow guys, these scholarly, charmless, intellectual brats dominated the more creative departments. As an art history major, I couldn’t escape them. „Dudes“ reading Nietzsche on the subway […] when I’d been at parties with them, or out at bars, they’d ignore me. They were so self-serious and distracted with their look-alike companions that you’d think they were wrestling with a decision of such high stakes, the world might explode. They wouldn’t be distracted by „pussy,“ they would have me believe. The truth was probably that they were just afraid of vaginas, afraid that they’d fail to understand one as pretty and pink as mine…[Trevor] war gepflegt, sportlich, selbstbewusst und mir tausend Mal lieber als die Hipster, die mir in der Stadt oder der Galerie begegneten. Bei uns im Fachbereich Kunstgeschichte hatte es nur so vor solchen „Alternativen“ gewimmelt. Die waren vielleicht anders als die 08/15-Burschenschaftler und langweiligen Strebertypen, aber sie besaßen null Charme und gingen einem mit ihrem intellektuellen Gehabe auf die Nerven. In den Geisteswissenschaften traf man sie überall, und im Hauptfach Kunstgeschichte gab es erst recht kein Entkommen. In der U‑Bahn lasen sie Nietzsche […] Auf Partys oder in Bars wurde ich von solchen Männern konsequent ignoriert. Sie waren so in ihre ernsthaften Männergespräche vertieft, dass man meinen sollte, unglaublich wichtige Entscheidungen stünden an an, und wenn sie nicht gefällt würden, ginge die Welt unter. Sie wollten einem weismachen, dass sie sich von so etwas Banalem wie „Sex“ nicht ablenken ließen. In Wahrheit hatten sie wahrscheinlich Angst vor weiblichen Geschlechtsorganen, hatten Angst, dass sie eine schöne, rosige Muschi wie meine nicht verstehen würden…
Ob „mainstream frat boy and premed narrow and straight guys” hier wirklich adäquat übersetzt worden sind, ist durchaus fraglich. Warum das ironische „dudes“ und auch das Wort „brats“ gänzlich unterschlagen wurde, bleibt ebenfalls unklar, da sich auch im Deutschen für beide Begriffe Gegenstücke finden lassen. All dies sind jedoch Nachlässigkeiten, die man noch verzeihen will.
Die Übersetzerin hat gar nicht erst versucht das Wort „pussy“ ins Deutsche zu übertragen, sondern einfach durch das Wort „Sex“ ersetzt. Das ist nicht nur enttäuschend, sondern auch inhaltlich problematisch. Denn in dem Absatz geht es gar nicht um die Sex-Aversion männlicher Hipster, sondern um deren frauenverachtendes Verhalten, das sie mit Hilfe gespielter Sensibilität und ihres Pseudo-Intellekts verschleiern. Dies wird bereits im vorherigen Satz offensichtlich, zumal die Anführungszeichen andeuten, dass die Erzählerin die männliche Hipstersprache imitiert.
Der abwertende Begriff „pussy“ degradiert Frauen zu sexuellen Objekten und wurde von Moshfegh sicherlich bewusst verwendet, um die vermeintlich Alternativen als versteckte Machos zu stereotypisieren. Dass dies in der Übersetzung gänzlich verloren geht, ist bedauernswert. Möglich ist, dass die Übersetzerin ihr Vokabular für weibliche Geschlechtsorgane aufheben und lieber im nächsten Satz einstreuen wollte. Doch auch die deutsche Sprache hat mehr an abwertenden und pointierten Bezeichnungen zu bieten als es die Übersetzung des Romans suggeriert – das haben Autorinnen wie Elfriede Jelinek oder Charlotte Roche zu Genüge bewiesen.
Sobald die Moshfegh die Sprache einer desillusionierten und zynischen 26-jährigen imitiert, wirkt die deutsche Übersetzung altmodisch. Es scheint, als habe sich die Übersetzerin an den entscheidenden Stellen von der Obszönität und Modernität der Originalsprache einschüchtern lassen. „Let me be a cold bitch“ wird etwas ungelenk als „Ich war gern die eiskalte Trulla“ übersetzt, die „heorindünne[n] Zwillinge“, die sich im Original noch ein „high five“ geben dürfen, klatschen sich in der Übersetzung ab, und der „spit-covered penis“ muss in der Übersetzung ohne Epitheton auskommen. Das hat zur Folge, dass die Übersetzung dem schwarzen Humor der Vorlage nicht gerecht wird und der Roman an Originalität einbüßt.
Ein vergleichender Blick auf die amerikanische Covergestaltung lässt den Verdacht aufkommen, dass der Verlag bei der Zähmung des Originals seine Finger im Spiel hatte und auf alles Grelle und Ungestüme verzichten wollte. Das deutsche Cover, rosa statt neonpink, passt zur Übersetzung: Weniger Pop Art, mehr deutsches Biedermeier.
Ottessa Moshfegh/Anke Caroline Burger: Mein Jahr der Ruhe und Entspannung. (Im englischen Original: My Year of Rest and Relaxation)
Liebeskind 2018 ⋅ 320 Seiten ⋅ 22 Euro
https://www.liebeskind.de/buecher/neuerscheinungen/item/mein-jahr-der-ruhe-und-entspannung