Noch kei­ne Über­set­zung für Weihnachten?

Es gibt kaum Schöneres, als sich an einem kalten Wintertag in ein Buch zu vertiefen! Zum Abschluss des Jahres empfehlen wir sechs hervorragend übersetzte Lieblingsbücher zum Verschenken oder Selberlesen. Von , und

Felix emp­fiehlt Katha­ri­na Erben und Clau­dia Steinitz

Wäre das Über­set­zen ein Kör­per­teil, so wäre es wahr­schein­lich die Vul­va. Nicht nur ver­fü­gen die meis­ten, die sich die­sem Metier wid­men, über eine sol­che; mit dem Über­set­zen teilt sie auch das Schick­sal, zugleich all­ge­gen­wär­tig und dra­ma­tisch unter­re­prä­sen­tiert zu sein. Liv Ström­quists im bes­ten Sin­ne auf­klä­re­ri­scher Comic zeigt auf, wie ver­hee­rend ver­klemmt der öffent­li­che Dis­kurs über das weib­li­che Geschlecht noch immer ist und mit welch lächer­li­chen Argu­men­ten (vor allem männ­li­che) Gynä­ko­lo­gen aus­ge­rech­net seit der Auf­klä­rung [sic!] an der Unter­drü­ckung weib­li­cher Selbst­be­frie­di­gung und ‑bestim­mung gear­bei­tet haben. Die frea­kig-gelehr­te Prä­sen­ta­to­rin die­ses glei­cher­ma­ßen amü­san­ten wie scho­ckie­ren­den Streif­zu­ges durch die Geschich­te der Vul­va spricht in Katha­ri­na Erbens Über­set­zung ein locke­res und hin­ter­sin­ni­ges Deutsch, das Jugend­li­che eben­so erreicht wie Erwachsene.

Liv Strömquist/Katharina Erben: Der Ursprung der Welt (im schwe­di­schen Ori­gi­nal: Kunska­pens frukt) Avant Ver­lag 2017, 140 Sei­ten, 19,95 €

Kein Buch wäre bes­ser geeig­net gewe­sen, Thea Dorn im Lite­ra­ri­schen Quar­tett zu einer lobens­wer­ten, wenn auch wei­test­ge­hend fol­gen­lo­sen Abbit­te gegen­über allen ver­ges­se­nen Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zern zu ver­an­las­sen. Clau­dia Stei­nitz‘ Neu­über­set­zung die­ses rot­zi­gen Gefäng­nis-Klas­si­kers aus der Feder einer der kraft­volls­ten Autorin­nen Frank­reichs ist ein furio­ses Spiel mit der Frei­heits­rhe­to­rik der Auf­klä­rung, dem Räu­ber-Jar­gon der Fünf­zi­ger­jah­re und dem femi­nis­ti­schen Dis­kurs unse­rer Tage. Gemein­sam mit der Prot­ago­nis­tin Anick rüt­telt sie an den Gefäng­nis­mau­ern unse­rer auto­ri­tä­ren Spra­che und erfin­det wun­der­ba­re Wör­ter wie „Engels­fres­se“ oder „sies­ten“. Bei aller Unbän­dig­keit ist das aber nie flach, son­dern immer poe­tisch. Mein Lieb­lings­satz: „Das Schiff, das die Kano­nen auf die Spat­zen gerich­tet hat­te, ver­sank im Lauf der Tage, ohne Spu­ren zu hinterlassen.“

Alber­ti­ne Sarrazin/Claudia Stei­nitz: Der Aus­bruch (im fran­zö­si­schen Ori­gi­nal: La Cava­le). Ink Press 2018, 528 Sei­ten, 26 €

Julia emp­fiehlt Chris­tia­ne Burk­hardt und Tho­mas Weiler

Falls du’s ver­ges­sen haben soll­test, mein Lie­ber, muss ich dich eben dar­an erin­nern: Ich bin dei­ne Frau.“ – Mit vol­ler Wucht beginnt Chris­tia­ne Burk­hardts fan­tas­ti­sche Über­set­zung des bereits 2014 erschie­nen Romans des ita­lie­ni­schen Autors Dome­ni­co Star­no­ne. Burk­hardt schafft es, der sen­gen­den Hit­ze, die von die­sen ers­ten Sei­ten der Frus­tra­ti­on und Ver­zweif­lung auf den Leser über­geht, auch in der deut­schen Fas­sung zu vol­ler Wir­kung zu ver­hel­fen. Der Wech­sel zum gesit­te­te­ren, ana­ly­ti­schen Ton des zwei­ten Teils gelingt mühe­los. So ent­steht das ver­stö­ren­de Por­trät einer Ehe, des­sen Stim­men noch lan­ge nachhallen.

Dome­ni­co Starnone/Christiane Burk­hardt: Auf immer ver­bun­den (im ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal: Lac­ci). DVA Ver­lag 2018, 176 Sei­ten, 18,80 €

Bäu­me sind ein unter­schätz­tes Sujet der Kin­der­li­te­ra­tur und dies völ­lig zu Unrecht, wie die­ser wun­der­bar detail­ver­lieb­te und beein­dru­ckend illus­trier­te Band beweist. In Tho­mas Wei­lers unauf­ge­reg­ter Spra­che erzählt das Buch von der immensen Bedeu­tung der Pflan­zen­welt für unse­re Kul­tur, unse­re Geschich­te und unse­re Gesell­schaft. Die Tex­te sind so ver­ständ­lich geschrie­ben, dass sie den kind­li­chen Wis­sens­durst stil­len, und gleich­zei­tig so anspruchs­voll, dass auch ande­re Gene­ra­tio­nen einen Mehr­wert aus der Lek­tü­re zie­hen dür­fen – eine Über­set­zung, mit der man erwach­sen wer­den kann.

Wojciech Gra­j­kow­ski, Piotr Socha/Thomas Wei­ler: Bäu­me (im pol­ni­schen Ori­gi­nal: Drze­wa). Gers­ten­berg Ver­lag 2018, 80 Sei­ten, 25,00 €

Frey­ja emp­fiehlt Dag­mar Ploetz und eine islän­di­sche Weihnachtsgeschichte

Hun­dert Jah­re Ein­sam­keit gehört für mich zu den bes­ten Büchern, die je geschrie­ben wur­den. Die unglaub­lich dicht erzähl­te Geschich­te der Fami­lie Buen­día in Macon­do ist irgend­wie auch die Geschich­te der gesam­ten Welt. Die älte­re Über­set­zung von Curt Mey­er-Cla­son ist schön, aber sehr frei und in vie­ler­lei Hin­sicht eine Inter­pre­ta­ti­on sei­ner Zeit. Die neue­re Über­set­zung beach­tet, dass sich das Bild Latein­ame­ri­kas seit der ers­ten Über­set­zung der 70er Jah­re ver­än­dert hat, erklärt weni­ger und bleibt schlicht, wo auch Már­quez mit Schlicht­heit beein­druckt. Wer die alte Fas­sung kennt, wird in der Neu­über­set­zung von Dag­mar Ploetz wei­te­re Facet­ten des Werks ent­de­cken kön­nen. Wer das Buch noch nie gele­sen hat, soll­te dies ohne­hin unbe­dingt tun.

Gabri­el Gar­cía Márquez/Dagmar Ploetz: Hun­dert Jah­re Ein­sam­keit (im spa­ni­schen Ori­gi­nal: Cien años de sole­dad). Kie­pen­heu­er & Witsch 2017, 528 Sei­ten, 25 €

Alle Jah­re wie­der, um die Weih­nachts­zeit her­um, suche ich mei­ne mitt­ler­wei­le von Gebrauchs­spu­ren gezeich­ne­te Aus­ga­be von Gun­nar Gun­n­ars­sons Aðven­ta her­aus. Die­ses Buch ein­mal im Jahr in der Advents­zeit zu lesen ist kei­nes­wegs mei­ne ori­gi­nel­le Idee, son­dern eine Weih­nachts­tra­di­ti­on vie­ler Islän­der. Von der Geschich­te gibt es eini­ge Ver­sio­nen, denn Islän­disch wur­de in den 1930er Jah­ren, als die Geschich­te ent­stand, kaum für lite­ra­ri­sche Zwe­cke genutzt. Daher erschien die Geschich­te erst auf Deutsch, dann auf Dänisch und wur­de auch vom Autor selbst in sei­ne eigent­li­che Mut­ter­spra­che über­setzt.  Eine ein­zi­ge „ori­gi­na­le“ Ver­si­on gibt es eigent­lich nicht. So wie die Haupt­fi­gur Bene­dikt, der gute Hir­te, Jahr für Jahr in das Hoch­ge­bir­ge zieht, um ein paar ver­lo­re­ne Scha­fe, die noch umher­ir­ren, in Sicher­heit zu brin­gen, gehört es für mich jedes Jahr zu Weih­nach­ten dazu, Bene­dikt, sei­nen Hund und sei­nen Ham­mel über knapp hun­dert Sei­ten auf ihrem Weg durch die Öde des islän­di­schen Hoch­lan­des zu beglei­ten. Die am wei­tes­ten ver­brei­te­te deut­sche Fas­sung stammt von Hel­mut de Boor (Reclam) und ist etwas alt­mo­disch – sie ist schließ­lich auch schon rela­tiv alt – und stel­len­wei­se eigen­wil­lig. Aber sie ist krea­tiv. Die Eigen­wil­lig­keit bekommt dem Text und ver­leiht ihm eine beson­de­re Fei­er­lich­keit. Die klei­ne Tra­di­ti­on, jedes Jahr ein Lieb­lings­buch wie­der­zu­le­sen, ist – unab­hän­gig von der Buch­wahl – übri­gens auch eine Empfehlung.

Gun­nar Gunnarsson/Helmut de Boor: Advent im Hoch­ge­bir­ge (im islän­di­schen „Ori­gi­nal“: Aðven­ta). Reclam 2017 (erst­mals 1941), 103 Sei­ten, 10 €

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