„War­um nicht mal mit Ket­chup schreiben?“

Gesa Kunter wurde im vergangenen Jahr für ihre Übersetzung des Buches „Schreib! Schreib! Schreib!“ mit dem Sonderpreis „Neue Talente“ des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet. Wir haben sie zu dem Buch, der Übersetzung und der Auszeichnung befragt. Interview:

Die Ausgezeichnete im Kreise von Gratulantinnen: die Juryvorsitzende des Deutschen Jugendliteraturpreises, Prof. Dr. Heike Elisabeth Jüngst, Momo, Gesa Kunter und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (von links nach rechts). © AKJ/Sebastian Kissel

Dir wur­de am 12. Okto­ber 2018 der Son­der­preis „Neue Talen­te“ des Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­prei­ses ver­lie­hen. Wie fühlt es sich an, als Über­set­ze­rin an einem Abend 10.000 € zu ver­die­nen? Dafür muss man ja sonst eini­ge Hun­dert Norm­sei­ten übersetzen.

Unwirk­lich und fan­tas­tisch! Und dabei wäre es ja schon ohne das Preis­geld eine so gro­ße Ehre.

Schreib! Schreib! Schreib! ist, wie der Name eigent­lich schon sagt, ein Auf­for­de­rung zum Schrei­ben. Die bei­den Autorin­nen Kata­ri­na Kuick und Ylva Karls­son berich­ten nicht nur aus ihrer eige­nen Arbeit, son­dern geben auch vie­le Anre­gun­gen, wie Kin­der und Jugend­li­che selbst Geschich­ten schrei­ben und dar­in bes­ser wer­den kön­nen. Was war beim Über­set­zen aus dem Schwe­di­schen die größ­te Herausforderung?

Neben dem Tref­fen des rich­ti­gen Tons war das, sich manch­mal fast kom­plett vom Ori­gi­nal zu lösen und selbst lus­ti­ge Tex­te zu schrei­ben, zum Bei­spiel einen Non­sens-Vers, der sich nicht über­set­zen ließ, aber auch vie­le kniff­li­ge Wort­spie­le, für die Ersatz gefun­den wer­den muss­te: Wör­ter, die durch unter­schied­li­che Beto­nung eine Bedeu­tungs­ver­schie­bung erfah­ren (in der deut­schen Fas­sung Kater und Qatar). So auch die Lis­te mit den ver­rückt klin­gen­den Orts­na­men, für die ich exis­tie­ren­de deut­sche Äqui­va­len­te gesucht habe (wie Lieb­los oder Lin­sen­ge­richt). Her­aus­for­dernd war ins­ge­samt natür­lich auch, mit den vie­len Buch­tipps und ‑bei­spie­len umzu­ge­hen; also eine Kennt­nis der schwe­di­schen Titel zu haben und dann zu über­le­gen, wel­che davon im deut­schen Kin­der- und Jugend­buch­markt bekannt sind, und wo bes­ser Ent­spre­chun­gen gefun­den wer­den soll­te – und wel­che genau.

Gesa Kun­ter, gebo­ren 1980 in Gie­ßen, stu­dier­te Skan­di­na­vis­tik und Anglis­tik. Sie ist Lek­to­rin in einem Kin­der- und Jugend­buch­ver­lag und lebt in Frankfurt/Main und Berlin.

Kannst du beschrei­ben, wel­chen Ton du für Kuicks und Karls­sons Schreib­rat­ge­ber gesucht hast?

Im Ori­gi­nal ist der Ton meist sehr locker und humor­voll, das habe ich für den deut­schen Text eben­falls ver­sucht. Aber es gibt auch die Stel­len, wo theo­re­ti­sche und fach­li­che Punk­te behan­delt wer­den. Die­se Pas­sa­gen soll­ten nicht total her­aus­fal­len und plötz­lich kno­chen­tro­cken zu lesen sein, son­dern flüs­sig und gut verständlich.

Die Loka­li­sie­rung, also die Anpas­sung an den deut­schen Sprach­raum, hat auch die Jury des DJLP beson­ders beein­druckt. Ihr habt zum Bei­spiel auch Inter­views mit deut­schen Autorin­nen ein­ge­fügt. Wie kam es dazu?

Dass ein Groß­teil der Inter­views mit den schwe­di­schen Autoren durch deut­sche ersetzt wer­den, war die Idee des Ver­lags – was ich eben­falls ganz rich­tig und wich­tig fand; das Buch wird für deut­sche Leser dadurch ein­fach noch inter­es­san­ter. Die Ideen für die deut­schen Text­bei­spie­le sind im Wech­sel ent­stan­den, eini­ge stam­men aus dem Lek­to­rat, eini­ge von mir.

Als Bei­spie­le wer­den auch Tex­te von Teen­agern abge­druckt. Wie bist Du mit die­sem Mate­ri­al umgegangen?

So wie mit den übri­gen Ori­gi­nal­tex­ten auch: Ich habe ver­sucht, den indi­vi­du­el­len Ton gut zu tref­fen – und das war ja tat­säch­lich hier sehr wich­tig, da die Tex­te alle sehr unter­schied­lich und teil­wei­se expe­ri­men­tell sind.

Das gra­fi­sche Gedicht der 13-jäh­ri­gen Kla­ra ist zum Bei­spiel typo­gra­fisch sehr kom­plex. Über­haupt fällt das Buch durch die auf­wen­di­ge Gestal­tung auf. Wie ver­lief für dich als Über­set­ze­rin die Zusam­men­ar­beit mit der Herstellung?

Als Über­set­ze­rin hat man mit der Her­stel­lungs­ab­tei­lung des Ver­lags sel­ten direkt zu tun. Dafür steht ja die Lek­to­rin als Pro­jekt­ma­na­ge­rin dazwi­schen. Wenn man bei der Gestal­tung eines Buches dar­auf ange­wie­sen ist, dass der Text in ein bestimm­tes Lay­out passt, so wie in die­sem Buch, spielt die Lek­to­rin, hier war das Matthea Dör­rich, die Stel­len an den Über­set­zer zurück, wo gekürzt (oder etwas ein­ge­fügt) wer­den muss. Das kann dann durch­aus meh­re­re Schlei­fen dre­hen! Die Her­stel­lung des Ver­lags hat viel an den unter­schied­li­chen Schrif­ten, den Bil­dern usw. gearbeitet.

Habt ihr auch etwas neu hin­zu­ge­fügt oder weggelassen?

Grö­ße­re Text­stel­len haben wir nicht weg­ge­las­sen, aber die Anzahl der Buch­bei­spie­le vari­iert leicht; wenn wir ein Buch an einer Stel­le gestri­chen haben, gibt es woan­ders dafür viel­leicht ein Bei­spiel mehr. Ver­wei­se auf die Bücher Wun­der von Raquel J. Pala­cio oder Herr Bel­lo von Paul Maar haben wir als Ersatz für unbe­kann­te­re schwe­di­sche Tex­te gewählt. Nur in der deut­schen Ver­si­on wird so auch der Cha­rak­ter Fre­der­i­co Doret­ti, bes­ser bekannt als Rico, genannt. Der größ­te Unter­schied zum Ori­gi­nal fin­det sich auf Sei­te 40/41: Im schwe­di­schen Buch ist hier in der Mit­te eine Tor­te abge­bil­det, weil das auf ein in Schwe­den belieb­tes Gedicht über den Bäcker Bagar Beng­ts­son von Lenn­art Hell­sing anspielt. Bei uns kennt das aber nie­mand. Im deut­schen Buch fin­det sich auf der Dop­pel­sei­te daher die Abbil­dung einer Brief­mar­ke, pas­send zu dem vom Stil gut dazu pas­sen­den Gedicht Der Brief­mark von Joa­chim Ringelnatz.

Auf den letz­ten Sei­ten wer­den drei Sta­di­en eines Text­lek­to­rats abge­druckt. Wie hast du das auf Deutsch nachgebaut?

Die Kom­men­ta­re hier waren eben­falls Teil des­sen, was ich aus dem Schwe­di­schen über­setzt habe. Im Lek­to­rat wur­den die Text­stel­len dann von zwei ver­schie­de­nen Schrei­bern mit der Hand in den ent­spre­chen­den deut­schen Text ein­ge­fügt, mit­samt aller Unter­strei­chun­gen und Markierungen.

Du arbei­test ja im Haupt­be­ruf auch als Lek­to­rin. Hat das dei­nen Blick auf den Text beson­ders geprägt?

Das schwe­di­sche Ori­gi­nal war erst ein­mal eine groß­ar­ti­ge Vor­la­ge zum Über­set­zen. Unschö­ne Din­ge, die einem viel­leicht sonst als Über­set­zer auf­fal­len, wie Wie­der­ho­lun­gen oder inhalt­li­che Feh­ler, gab es hier nicht. Und mit dem Lek­to­rat mei­ner eige­nen Über­set­zung war ich dann ganz begeis­tert! Mei­ne Lek­to­rin hat ganz ent­schei­dend dazu bei­getra­gen, dass alles so gewor­den ist, wie es ist: Nicht nur durch ein tol­les sprach­li­ches Lek­to­rat – wir waren auch ein gutes Team, als es dar­um ging, Ideen zu sam­meln und kom­pli­zier­te Stel­len zu lösen. Der Per­spek­tiv­wech­sel ist tat­säch­lich jedes Mal inter­es­sant für mich beim Über­set­zen: plötz­lich die­je­ni­ge zu sein, die lek­to­riert wird. In die­sem Fall aber war es eine abso­lu­te Bereicherung.

Auf Sei­te 100 heißt es, es gebe „die­je­ni­gen, die ger­ne pla­nen, bevor sie anfan­gen zu schrei­ben, und die­je­ni­gen, die ein­fach drauf­los­schrei­ben“. Das ist ja auch unter Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zern ein ger­ne dis­ku­tier­tes The­ma. Zu wel­cher Grup­pe gehörst du?

Defi­ni­tiv zu den Pla­nern. Beim Über­set­zen aber ist das Gerüst ja stets vor­ge­ge­ben, die Gefahr, sich zu ver­zet­teln ist sowie­so um ein Viel­fa­ches geringer.

Wel­cher der Schreib­tipps funk­tio­niert denn beim Über­set­zen? Und wel­cher gar nicht?

Ganz prak­ti­sche Sachen, wie die Übun­gen zum Fin­den von Syn­ony­men, kann man natür­lich gut beim Über­set­zen anwen­den. Auch die krea­ti­ven Anre­gun­gen, etwa die Tipps, wie man auf Ideen für lus­ti­ge Namen kommt, hel­fen bestimmt. Ganz all­ge­mein den­ke ich, dass es auch beim Über­set­zen wich­tig ist, die Krea­ti­vi­tät spie­len zu las­sen und sich vom Ori­gi­nal zu lösen. Also war­um nicht mal einen Satz mit Streich­höl­zern legen oder mit Ket­chup schreiben?

Schreibst du selbst auch Geschichten?

Nein. Aber als Lek­to­rin hat man ja das Glück, Ideen für Bücher trotz­dem umset­zen zu kön­nen, indem man Autoren beauf­tragt, oder Stof­fe fin­det und dann an Über­set­zer weitergibt …

Im Buch geht es neben­bei immer auch um lite­ra­ri­sche Vor­bil­der. Hast du als Über­set­ze­rin ein Vorbild?

Nicht direkt, aber da ich als Über­set­ze­rin von soge­nann­ten „klei­nen Spra­chen“, in mei­nem Fall den skan­di­na­vi­schen arbei­te, bewun­de­re all jene, die es geschafft haben, sich in die­sem Gebiet einen Namen zu machen und nicht nur als Über­set­zer, son­dern auch als abso­lu­te Fach­leu­te für die­se Sprach­ge­bie­te gelten.

Wenn du einen zwei­ten Teil namens Über­setz! Über­setz! Über­setz! schrei­ben soll­test, was wür­dest du raten?

Zu Übun­gen, die die Krea­ti­vi­tät anre­gen, bestimmt auch. Und natür­lich den Grund­satz zu beher­zi­gen, mög­lichst nah am Ori­gi­nal zu blei­ben. Aber wenn nötig, auch zu wagen, sich vom Ori­gi­nal zu lösen, und in der eige­nen Spra­che nach­zu­bil­den, was sich nicht direkt über­tra­gen lässt. Dass man Spaß an der Recher­che­ar­beit haben muss. Dass es hilft, den Buch­markt gut zu ken­nen. Und lei­der auch, dass man sehr fle­xi­bel und unter Zeit­druck arbei­ten kön­nen muss, denn das sind ja Qua­li­tä­ten, die in der Pra­xis min­des­tens eben­so gefragt sind.

Wie hat der DJLP dein Leben ver­än­dert? Wirst du in Zukunft mehr übersetzen?

Der Preis war eine rie­si­ge Über­ra­schung – uner­war­tet und über­wäl­ti­gend. Ich habe als Stu­den­tin der Skan­di­na­vis­tik Kur­se im kin­der­li­te­ra­ri­schen Über­set­zen belegt, das Arbei­ten mit Kin­der- und Jugend­bü­chern aus Skan­di­na­vi­en war immer mein Wunsch; aber nie hät­te ich gedacht, dass das eines Tages hier­her füh­ren wür­de! Die Aus­zeich­nung hat mich daher abso­lut dazu ermun­tert, in Zukunft wie­der mehr zu übersetzen.

Anm. d. Red.: Die­ses Inter­view wur­de schrift­lich geführt.

<span=„book-info“>
Kata­ri­na Kuick/Ylva Karlsson/Gesa Kun­ter: Schreib! Schreib! Schreib! (Im schwe­di­schen Ori­gi­nal: Skriv om och om igen.)</span=„book-info“>

Beltz & Gel­berg 2016 ⋅ 144 Sei­ten ⋅ 14,95 Euro

www.beltz.de/kinder_jugendbuch/produkte/produkt_produktdetails/31056-schreib_schreib_schreib.html

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    Links im Januar – Spreeautoren

    […] hier drin­gend das her­vor­ra­gen­de Über­set­zer­blog TraLaLit emp­feh­len. Dort gibt es aktu­ell ein Inter­view mit Gesa Kun­ter. Sie wur­de 2018 mit dem Jugend­li­te­ra­tur­preis Neue Talen­te für die Über­set­zung des […]

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