Stefania Bertola wurde 1952 in Turin geboren. Neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin aus dem Englischen sowie als Drehbuchautorin hat sie zahlreiche Romane verfasst, die fast alle in ihrer Heimatstadt spielen. Erzählt werden Geschichten von Liebe, Freundschaft, Feindschaft und Familienbanden; in jedem Roman findet mindestens ein Liebespaar zueinander. Die Vielzahl an handelnden Personen macht die Bücher etwas unübersichtlich, oft kann man erst beim zweiten oder dritten Lesen richtig folgen. Mehrmaliges Lesen lohnt sich auch wegen der vielen Details: Jede Figur bis hin zur kleinsten Nebenfigur ist sehr ausführlich und individuell gezeichnet und die Texte stecken voller Zitate und Anspielungen, wobei eine besondere Vorliebe der Autorin für Jane Austen stets deutlich wird (2017 erschien anlässlich des 200. Todestages der britischen Schriftstellerin Ragione & Sentimento, eine moderne und piemontesische Version von Jane Austens Sense and Sensibility, die bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde).
Bertolas Romane mögen – was die Handlung betrifft – unter die sogenannte Chick-Lit fallen, sind für dieses Genre jedoch im Grunde nicht typisch. Die auftretenden Personen sind dafür stets einen Hauch zu schräg und die Situationen einen Hauch zu unwahrscheinlich. Im Grunde macht sich die Autorin die ganze Zeit liebevoll über ihre Figuren lustig und man kann sich fragen, ob ihre vor Ironie sprühenden Bücher nicht als liebevolle Parodien auf anspruchslose Liebesromane zu verstehen sind.
In ihrem Heimatland Italien hat Stefania Bertola im Laufe der Jahre immer mehr an Ansehen gewonnen. Spätestens seit ihrem 2013 erschienenen Roman Ragazze mancine (dt. Mit Links, Übersetzung von Karin Diemerling, erschienen 2015 bei Piper), der das Thema Armut behandelt, gilt sie als ernstzunehmende Autorin. Seit 2010 erscheinen ihre Bücher im Turiner Verlag Einaudi, der schon Heimat von Cesare Pavese und Natalia Ginzburg war.
Ingrid Icklers Übersetzung des Romans Romanzo Rosa (Einaudi 2012) erschien 2013 unter dem Titel Happy End und Blümchenkaffee bei Goldmann. Das Buch spielt in einem Kurs, in dem vermittelt werden soll, wie man einen Heftchenroman schreibt. Wir haben es mit drei stilistisch unterschiedlichen Textebenen zu tun: einer Rahmenhandlung, in der die 58-jährige Bibliothekarin Olimpia von sich und den anderen Teilnehmenden erzählt und das Fortschreiten des Kurses beschreibt; den sehr ausführlichen Anweisungen, die die Kursleiterin Leonora jeden Tag verteilt und aus denen hervorgeht, wie das jeweils nächste Kapitel zu gestalten ist; und Olimpias Roman, der anhand dieser Anweisungen Stück für Stück wächst.
Die Rahmenhandlung ist eher skizzenhaft und sowohl für einen Roman generell als auch für die Autorin untypisch. Man könnte an Giovanni Boccaccios Decamerone denken, in dem ja keine wirkliche Entwicklung der zehn Erzählenden stattfindet, sondern die Erzählungen selbst im Mittelpunkt stehen. Leonoras Anweisungen beziehen sich auf den sozialen Stand von Held und Heldin des zu schreibenden Romans (undenkbar, dass seiner niedriger ist – wenn es zu Anfang so aussieht, kann dies nur eine Täuschung sein), akzeptable Hindernisse und schließlich die Auflösung hin zum Happy End, bei dem die Heldin den Heiratsantrag des Helden anzunehmen hat. Im Roman der Ich-Erzählerin Olimpia geht es um eine Herstellerin von Marmelade, die sich von dem Erben einer gigantischen Marmeladen-Marke auf den ersten Blick unwiderstehlich angezogen fühlt und ihn nach diversen Widrigkeiten in Form von Streit um Besitzansprüche, einer zickigen Verlobten und einer Irrfahrt bis in die Emirate schließlich bekommt.
Romanzo Rosa kann insgesamt als Parodie auf das Genre des Heftchenromans gelesen werden. Die fiktive Reihe „Melody“ ist eine Anspielung auf die in Italien tatsächlich existierenden Harmony-Romane, die mit den Erzeugnissen des Bastei-Verlags in Deutschland vergleichbar sind. Der Name Harmony fällt gegen Ende von Ne parliamo a cena (dt. Nur nichts anbrennen lassen, Übersetzung von Anja Giese), einem älteren Werk von Stefania Bertola, und die fiktiven Romane um die jugendliche Heldin Dany Delizia, die in Ragazze mancine/Mit Links erwähnt werden, gehen in eine ähnliche Richtung. Das Genre des Groschenromans taucht in Bertolas Werk immer wieder auf und wird hier ausführlich gewürdigt.
In der Übersetzung wird das italienische Melody in der Regel ebenfalls mit „Melody“ wiedergegeben, seltener mit „Melody-Roman“ u. ä. Das titelgebende romanzo rosa kommt im Text überhaupt nur am Anfang vor und wird mit „Liebesroman“ übersetzt.
Relativ am Anfang erklärt Leonora den ambitionierten Nachwuchsautorinnen und ‑autoren, was bei der Wahl des Namens für Held und Heldin zu beachten ist – sie dürfen auf keinen Fall gängig und alltäglich sein. Da im Italienischen für Vornamen andere Muster üblich sind als im Deutschen, ist die Fantasie der Übersetzerin gefragt:
Ottimi sono nomi di fenomeni atmosferici, nomi di luoghi geografici, o semplicemente parole che non sono nomi, o insiemi di sillabe che non sono parole: Tempest, Dakota, Lutecia, Nyree, Alisea, Sabaka, Girasol. […] Se proprio volete utilizzare per il vostro eroe un nome normale, lo renderete particolare con la desinenza ‚-us‘: Marcus, Julius, Simonus, Pierus. Ottima anche l’iniziale K, a svecchiare degli evergreen: Karl, Kaspar, Kristian. Splendido il binomio K piú us: Kamillus.Sehr gut geeignet sind Wetterphänomene, geografische Bezeichnungen oder Worte, die gar keine Namen sind, aber auch Silben, die zusammengesetzt kein geläufiges Wort ergeben: Orkan, Dakota, Lutezia, Nyree, Alisea, Sabaka, Sonuma. […] Wenn Sie Ihrem Helden einen normalen Namen geben wollen, dann wählen Sie die Endsilbe ‚us‘: Markus, Julius, Simonus, Petrus. Auch der Anfangsbuchstabe ‚K‘ eignet sich, um längst vergessene Namen aufzupolieren: Karl, Kaspar, Kristian. Am besten ein ‚K‘ und ein ‚us‘ wie in Kamillus.
Als Beispiel für einen von einem Wetterphänomen abgeleiteten Namen muss im Original Tempest herhalten; tempesta ist der Sturm. Im Deutschen wird daraus das eher maskulin und türkisch klingende Orkan. Girasole bedeutet im Italienischen „Sonnenblume“, Sonuma scheint dagegen in der Reihe „Silben, die zusammengesetzt kein geläufiges Wort ergeben“ zu stehen.
Noch schwieriger gestaltet sich die Sache offenbar bei den Herren. Die Namen Marcus und Julius sind im Deutschen im Gegensatz zum Italienischen alltäglich. Der Buchstabe K existiert im Italienischen nur in Fremdwörtern, während er im Deutschen ein normaler Bestandteil des Alphabets ist, und Karl ist nun sicher kein ungewöhnlicher Name. Die Übersetzung ist hier eher verfremdend zu nennen, die gleiche Wirkung wie im Original wird nicht erzielt.
Ein anderer Aspekt: Die Übersetzung neigt generell dazu, Dinge zu überinterpretieren oder sogar hinzuzufügen, die im Original gar nicht stehen. Ein Beispiel aus der Rahmenhandlung (Olimpia überlegt, wo ihr Melody spielen soll):
Ma certo! Scozia. Ho sempre desiderato andare in Scozia, a causa dei romanzi di una mia autrice preferita, Rosamunde Pilcher. Ho anche piú volte progettato di andarci nelle vacanze, e invece finisco sempre a Finale Ligure, due settimane a casa di mio fratello Beppe, con lui e la sua famiglia. Ma sono sempre in tempo, e anzi, sicuramente l’estate prossima ci vado.Ja, genau! Schottland, das ist es. Ich wollte schon immer nach Schottland, wegen der Romane meiner Lieblingsautorin Rosamunde Pilcher. Ich habe mehr als einmal geplant, dort Ferien zu machen – allen möglichen Aufwand betrieben, nur um schließlich doch im Ferienhaus meines Bruders in Finale Ligure zu landen, bei ihm und seiner Familie.
Aber ich habe immer noch Zeit, und vielleicht – ja ziemlich sicher sogar, sage ich mir tröstend – werde ich in den nächsten Sommerferien ins Land meiner Träume fahren.
Im Italienischen ist nicht die Rede davon, dass Olimpia Aufwand betrieben hat, um nach Schottland zu fahren, sie hatte es lediglich vor. Auch das tröstende Zureden und die Formulierung „Land meiner Träume“ finden sich im Original nicht.
Und ein Beispiel aus Leonoras Anweisungen (die Texte sollen erotisch, aber nicht pornographisch sein und wirkliche Liebeserfüllung darf es erst am Ende geben):
Questi baci vanno avanti parecchio, e suscitano grandi fremiti che però per i motivi a cui ho accennato precedentemente si risolveranno solo alle ultime pagine.Diese Art von Kuss geht schon recht weit und ruft bei den Leserinnen ein wohliges Schaudern hervor, die Spannung löst sich aus vorstehend genannten Gründen erst ganz am Schluss.
Erschauern hier wirklich die Leserinnen? Oder die Protagonistinnen? Aus dem Original geht dies nicht hervor. Hinzu kommt, dass „andare avanti parecchio“ eigentlich etwas anderes bedeutet – im Italienischen steht etwa „das mit den Küssen zieht sich recht lange hin“.
Aber damit nicht genug: An einigen Stellen finden sich in der Übersetzung eindeutige Fehler. Der cardine della porta ist nicht die Türklinke, sondern die Türangel (in der sich ein Wollfaden viel besser verfangen kann), ein saggio eines Musikers ist keine Probe, sondern ein öffentliches Vorspiel (warum sollten Angehörige bei einer Probe zuhören?) und irosamente heißt nicht „mit ironischem Unterton“, sondern „zornig, mit zornigem Unterton“.
Im folgenden Absatz steht in der Übersetzung gar das Gegenteil dessen, was das Original aussagt:
Personalmente, non ho mai messo lo smalto. Mi piacerebbe anche, in particolare accarezzo il sogno di metterlo diverso su ogni unghia, dieci sfumature di rosa, ma come si fa, sono una bibliotecaria, non ho la lavapiatti, e anche alcuni indumenti li lavo a mano. Le mie mani devono essere operative.Ich persönlich trage immer Nagellack. Mir würde es sogar gefallen, jeden Nagel mit einem anderen Rosaton zu lackieren, das reizt mich schon lange. Aber als Bibliothekarin? Unmöglich. Da ich keine Spülmaschine habe und auch manche Kleidungsstücke mit der Hand wasche, müssen meine Hände trotzdem gepflegt aussehen. Und das geht nur mit Nagellack. Aber eben mit dezentem.
Olimpia trägt aus den genannten Gründen nicht dezenten Nagellack, sondern überhaupt keinen. Ihre Hände müssen nicht gepflegt aussehen, sondern praktischen Zwecken dienen.
In manchen Momenten trifft die Übersetzung jedoch genau den richtigen Ton. Dies gilt insbesondere für die Kapitel von Olimpias Roman, die in die Rahmenhandlung eingebettet sind. Es scheint, als habe die Übersetzerin bei der Wiedergabe dieses kitschigen, absichtlich schlecht geschriebenen Texts ihren Spaß gehabt; man schaue sich nur Sätze wie diesen an:
Queste parole furono un’autentica stilettata al cuore di Robbie, che alla vista di Turquoise era rimasto scioccato, rendendosi conto di aver anelato a rivederla con tutto il suo essere […]Diese Worte waren wie ein Dolchstoß in Robbies Herz, dem bei Turquoises Anblick schlagartig klar geworden war, dass sein ganzes Wesen sehnsuchtsvoll danach gelechzt hatte, sie wiederzusehen.
Bei anderen Gelegenheiten werden wiederum Pointen verschenkt – z. B. im folgenden Fall:
[quattro computer] su cui si avventano molti di noi.
Io non mi avvento, e non faccio domande.[vier Computer], auf die nun ein regelrechter Run einsetzt.
Ich bleibe sitzen und habe auch keine Fragen.
Die Wiederholung des Verbs avventarsi im Original wirkt komisch, zumal eine Verwendung ohne Objekt (wie in mi avvento) ungebräuchlich ist. Die deutsche Übersetzung ist hier zu glatt und unauffällig.
In Leonoras Anweisungen wird u. a. der Satz „egli si impossessò della sua bocca“ zur Verwendung empfohlen, wörtlich etwa „er ergriff Besitz von ihrem Mund“. In der Übersetzung lesen wir „Er umschloss ihren sehnsuchtsvollen Mund mit seinen drängenden Lippen“. Im dritten Kapitel ihres Romans verwendet Olimpia genau diesen Satz, im Deutschen heißt es an der gleichen Stelle jedoch „[…] und presste seine Lippen auf die ihren“, das Wiedererkennen fällt also weg.
Nicht alle Romane von Stefania Bertola haben es in den deutschsprachigen Raum geschafft. Diejenigen, die ins Deutsche übersetzt wurden, sind bis auf eine Ausnahme (nämlich das am Anfang erwähnte Mit Links) allesamt im Goldmann Verlag erschienen. Beauftragt wurden insgesamt vier verschiedene Übersetzerinnen – neben den bereits erwähnten ist noch Claudia Franz zu nennen. Angesichts von Titeln wie Küss mich, Amore! und Ein Mann zum Verlieben wird klar, dass Stefania Bertolas Werk als seichte Unterhaltungsliteratur betrachtet wird,und es liegt die Vermutung nahe, dass auch auf die Übersetzungen nicht allzu viel Sorgfalt verwandt wurde.
Diese Analyse hat gezeigt, dass auch die Übersetzung von Romanzo Rosa dem Original und der Autorin nicht gerecht wird. Sie wirkt etwas flüchtig, als hätte der Übersetzerin nicht ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden. Ein sorgfältigeres Lektorat hätte einige Fehler aufspüren können, aber offenbar wollte der Verlag so viel Aufwand für ein Buch nicht treiben, das er als leichte Unterhaltung einsortiert. Es stellt sich die Frage, woher der Kaffee im Titel kommt, und verglichen mit dem Cover der italienischen Originalausgabe wirkt das deutsche deutlich billiger. Titel und Cover deuten bereits auf eine lieblose Behandlung hin und die Lektüre des Buchs verstärkt diesen Eindruck. Schade für die deutschsprachige Leserschaft, die zum Original keinen Zugang hat.
Stefania Bertola/Ingrid Ickler: Happy End und Blümchenkaffee. (Im italienischen Original: Romanzo Rosa.)
Goldmann 2013 ⋅ 289 Seiten ⋅ 7,99 Euro (nur als E‑Book erhältlich)
www.randomhouse.de/ebook/Happy-End-und-Bluemchenkaffee/Stefania-Bertola/Goldmann-TB/e439391.rhd