Weit entfernt vom diskreten Ambiente der Salons von Saint-Germain-des-Prés, im Trubel der Frankfurter Buchmesse, so beginnt der Film Les Traducteurs (dt. Die Übersetzer) von Régis Roinsard. Diese Anfangsszene voller Getöse überzeugt durch ihre Authentizität, denn wer Publikationsrechte ergattern und Verträge aushandeln will, für den ist Frankfurt einfach ein Muss. Laut und medienwirksam inszeniert der Verleger Eric Anstrom (dargestellt von einem vielleicht etwas zu genervten und machiavellischen Lambert Wilson) die Ankündigung des letzten Bandes aus der Erfolgstrilogie seines Hauses: Der Mann, der nicht sterben wollte, dritter Teil der Serie Dädalus des rätselhaften Autors Oscar Brach.
Dieser Einstieg hat schon das Zeug, den Übersetzer-Zuschauer für sich zu gewinnen – einen Skeptiker (von Natur aus), voll freudiger Erwartung angesichts des vielversprechenden Titels, zugleich jedoch (berufsbedingt) ständig darauf aus, Ungereimtheiten und das Auseinanderklaffen von Fiktion und Realität aufzuspüren. Tatsächlich erinnert schon der Titel in Verbindung mit dem nordisch klingenden Namen des Herausgebers und der Geheimnistuerei um die Identität des Autors an die Millenium-Saga von Stieg Larson (besonders den Titel Verblendung, ins Deutsche übersetzt von Wibke Kuhn). Hier bewegen wir uns im „upper segment“ der knapp zehn Super-Bestseller mit jährlich sechsstelligen Verkaufszahlen, für die ein Verleger bis zum Äußersten gehen würde, um den Gral herauszubringen und die Einnahmen zu kassieren – und damit teilweise auch die Publikation all der nicht so gut verkäuflichen Autoren seines Hauses zu finanzieren.
Im Zeitalter der Digitalisierung und der Beschleunigung muss der Verleger, wenn er mit viel Glück und den nötigen Mitteln das große Los gezogen hat, die Konsequenzen all der Zugeständnisse, die er dafür machen musste, auf den Herstellungsprozess des Buches abwälzen. Das betrifft vor allem die Fristen, falls der Verlag des Originals zur Bedingung macht, dass das Werk in sämtlichen Übersetzungen gleichzeitig erscheint, um zu verhindern, dass sein „Schatz“ plötzlich von einem Tag auf den anderen frei zugänglich wird. Geht es hier auch nur um wenige Akteure in der Verlagswelt, ist doch der Kontext völlig glaubhaft dargestellt.
Ich selbst hatte (noch) nicht die Gelegenheit, einen dieser Bestseller zu übersetzen; aber ich kenne die Erfahrungsberichte des Übersetzers Dominique Defert, die offenbar als Inspiration für Roinsards Film dienten. 2013 erzählte Defert in BibliObs: „Ich habe Dan Brown in einem Bunker übersetzt, und mit zwei bewaffneten Bodyguards.“ Auf der 35. Tagung der Literaturübersetzer, auf der es um „Zeit übersetzen“ ging, war Dominique Defert einer der Referenten am Runden Tisch des Verbandes der Literaturübersetzer in Frankreich (ATLF) zum Thema „Immer schneller: Übersetzung und Erfolgslogik“. Dort beschrieb er dem staunenden Publikum die Bedingungen, unter denen er an der Übersetzung von Dan Browns Inferno mitgearbeitet hatte. Verschlossene Türen, „neutralisierte“ Computer, streng überwachter Internetzugang, bis hin zu den Fähnchen in den Landesfarben, mit denen in dem unterirdischen Großraumbüro die Bereiche der einzelnen Sprachen dekoriert waren: Manche Szenen aus dem Film wirken wie Inszenierungen dessen, was Dominique Defert damals berichtete.
Hinter diesen radikalen Maßnahmen wird nur allzu deutlich erkennbar, dass die Übersetzer unter Generalverdacht stehen, die Geheimhaltungspflicht zu verletzen und mit dem kostbaren Manuskript Produktpiraterie zu betreiben. Obwohl ein Übersetzer ganz offensichtlich als letzter ein Interesse daran haben kann, den Ast abzusägen, auf dem er sitzt, erweist sich der alte geflügelte Spruch vom traduttore, tradittore wieder einmal als zählebig. Hier setzt auch der Plot im Film Les Traducteurs an: Die ersten Seiten des so sorgsam gehüteten Manuskripts tauchen im Internet auf, der Pirat droht mit weiteren Veröffentlichungen, sofern man ihm nicht ein gigantisches Lösegeld zahlt, und der Verleger wird versuchen, den Übeltäter unter den neun Übersetzern zu enttarnen, die er engagiert hat und von denen einer oder eine in seinen Augen zwangsläufig der oder die Schuldige sein muss.
An dieser Stelle mehr zu verraten, wäre schade, denn der Film Les Traducteurs ist ja über die fiktionale Erzählung vom Übersetzen hinaus vor allem ein Thriller mit einem gelungenen Plot und mancherlei überraschenden Wendungen. Die Abgeschlossenheit des Bunkers bietet den idealen Rahmen für die Entwicklung eines hervorragenden „Whodunit“ à la Agatha Christies Mord im Orient-Express, auf das eine der Figuren übrigens ausdrücklich anspielt, als sie sich im Bunker einquartieren. Im zweiten Teil des Films schafft der Regisseur ein Gegengewicht zu der bedrückenden Abgeschiedenheit des Bunkers. Hier erzählt er in zahlreichen Rückblenden über den Autor, die Entstehung des Werks und die eigentliche Handlung, und in Vorausdeutungen zeigt er, wie der Verleger schließlich die Wahrheit erkennt, in beunruhigenden Face-to-Face-Einstellungen, über die ich kein weiteres Wort verlieren will, um der dramaturgisch perfekten Handlung nicht die Spannung zu nehmen.
Ein paar Worte dagegen kann ich zu dem sagen, was für mich eine der Stärken dieses Films ausmacht: zu den Figuren. Im Unterschied zur Literatur lässt der Film mit seinem spezifischen Tempo weniger Zeit für eine tiefere psychologische Darstellung der Figuren; umso bemerkenswerter ist es daher, wie hier mit wenigen Repliken und Wendepunkten lebenswahre Porträts von Übersetzern entstehen. So etwa zu Beginn des Films, als die Portugiesisch-Übersetzerin Thelma Alves (alias Maia Leite) von ihrer Kündigung erfährt und ihrem Gesprächspartner, der überrascht ist, dass sie von ihrer Übersetzungsarbeit allein nicht leben kann, verärgert entgegnet: „Seit wann kann man von einem einzigen Job überleben?“ Oder wenn der griechische Übersetzer (Manolis Mavromatakis), der zum Übersetzen allein sein wollte und aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen bei den anderen sitzen muss, mault: „Ich habe diesen Beruf doch nicht gelernt, um in einem Großraumbüro zu arbeiten.“
Besondere Erwähnung verdient auch die bemerkenswerte S. B. Knudsen in der Rolle der dänischen Übersetzerin Helen Tuxen. Ebenso realistisch wie die anderen Figuren verkörpert sie den Typ der hervorragend desillusionierten Übersetzerin, die mit dem Schreiben eigener Texte gescheitert und bei der Übersetzung gestrandet ist. Dasselbe gilt für die Szene, in der Katerina Anisinova, die schöne russische Übersetzerin (gespielt von Olga Kurylenko) mit der Eleganz einer Ophelia langsam auf den Grund des Swimmingpools sinkt. Der junge englische Übersetzer Alex Goodman missversteht ihre Handlung – wie sicher auch viele Zuschauer – und springt hinterher, um sie zu retten. An dieser Stelle lag mir allerdings, wie zweifellos vielen Übersetzern unter den Zuschauern, der Gedanke an einen Selbstmord völlig fern, und ich erkannte den Übersetzer wieder, der sogar die Gefühle beim Ertrinken aus eigener Erfahrung ausloten will, um sie in der Übersetzung besser wiederzugeben. Schließlich muss ich noch die Leistung des jungen Alex Lawther würdigen, der Alex Goodman im Film berührend und verstörend zugleich spielt. Allein schon mit ihm dürfte dieser Film ein breiteres Publikum erreichen, hat sich dieser junge Mann doch in einer sehr erfolgreichen Netflix-Serie (The End oft he f***ing World) einen Namen gemacht.
Mit ihrer Beziehung zu dem Autor, den sie übersetzen, ihrer Art zu übersetzen und den Beziehungen, die sie untereinander knüpfen, zeichnen diese Figuren ein schillerndes Bild von einem facettenreichen Beruf, in dem viele Übersetzerinnen und Übersetzer ihre Kollegen oder sich selbst wiedererkennen werden. Der Regisseur muss sich jedenfalls mit dem Beruf vertraut gemacht haben, auch wenn er nur den Hintergrund zu diesem Film liefert – wie gesagt, einem eindrucksvollen und unterhaltsamen Thriller.
Die Übersetzer. (französischer Originaltitel: Les Traducteurs)
Regie: Régis Roinsard, November 2019, 105 Minuten
Online (bisher nur in französischer Sprache) verfügbar unter: https://video-a-la-demande.orange.fr/film/