Der Berg als Transformationsraum

Von einem der auszog, die Freiheit zurückzuerobern. Ivica Prtenjačas „Der Berg“ erzählt von einem stillen Umbruch. Klaus Detlef Olofs Übersetzung atmet die mediterrane Atmosphäre des Romans. Von

Wachturm am Mittelmeer. Bildquelle: Wikimedia Commons

In Ivica Prten­jačas Roman Der Berg begibt sich ein Mann aus der Zagre­ber Kul­tur­sze­ne einen Som­mer lang in die Ein­sam­keit einer kroa­ti­schen Insel und kehrt als ein ande­rer zurück. Klaus Det­lef Olof macht die Umbruch­stim­mung in der Über­set­zung gekonnt spür­bar und hat den Roman ein­drucks­voll aus dem Kroa­ti­schen ins Deut­sche übertragen.

Was beim Lesen pas­siert, gleicht einer Auto­fahrt raus aus der Stadt. Wo sich zu Beginn ein Haus an das ande­re reiht, wech­seln sich beim Ich-Erzäh­ler zunächst noch die Erin­ne­run­gen und Gedan­ken an ver­gan­ge­ne Tage in der Zivi­li­sa­ti­on ab – der ver­stö­ren­de Blick­wech­sel mit einem Unfall­op­fer, der ihm nachts den Schlaf raubt, die geschei­ter­te Ehe, die hoch­kan­te Kün­di­gung wegen einer ver­mas­sel­ten Aus­stel­lung mit sei­ner lau­ni­gen Rede zum krö­nen­den Abschluss:

Ich tat das mit jenem Genuss, mit dem man nicht durch­dach­te, aber befrei­en­de Din­ge tut. Schon Mona­te spä­ter war ich ganz woan­ders, eigent­lich über­all, nur nicht mehr auf sol­chen Ausstellungen.

So frei wie bedrückt lässt der Mann, der im Roman namen­los blei­ben wird, sei­nen bür­ger­li­chen All­tag hin­ter sich, um sich einen Som­mer lang auf eine klei­ne Adria­in­sel zurück­zu­zie­hen. Sinn­lee­ren Small­talk, der noch aus Ver­nis­sa­gen bei ihm nach­klingt, tauscht er gleich nach der Ankunft im ver­schla­fe­nen Insel­dörf­chen gegen ein­sil­bi­ge Dia­lo­ge mit Ein­hei­mi­schen und begibt sich in der neu­en Rol­le als Brand­wäch­ter hin­auf auf den Haus­berg des Eilands. Die oben ver­steck­te Kar­au­le, ein alter Wach­turm mit Blick auf Meer und Wäl­der, wird die neue Unter­kunft von einem, der froh ist, sei­ner alten Welt ent­kom­men zu sein, weil er ihr zuneh­mend müde gewor­den ist.

Der Über­druss, der ihn dort­hin gebracht hat, weicht schnell bana­len Tätig­kei­ten in der Natur und dem, was dort, fast wie der Zeit ent­ho­ben, geschieht. Skor­pio­ne, Pan­zer­schlei­chen und Spin­nen las­sen ihn nachts auf­schre­cken und schei­nen jede Rit­ze sei­nes Berg­ver­stecks zu ken­nen. Ein Glück, dass es zumin­dest den Pil­gern, die Wall­fahrt zur nahen Kapel­le machen, ver­bor­gen bleibt und auch ande­ren, die es gele­gent­lich dort­hin ver­schlägt, wie ver­schwitz­ten Bikern und Eso­te­ri­kern, die Tür­me aus klei­nen Stein­chen auf den Wan­der­we­gen hin­ter­las­sen. Der Ich-Erzäh­ler tritt sie alle wütend um. Auf täg­li­chen Rund­gän­gen mit Esel Vis­con­ti, der ihm dort oben treu­er und ein­zi­ger Gefähr­te, manch­mal auch geschätz­ter wie stum­mer Ansprech­part­ner ist, ver­schenkt er an ande­ren Tagen selbst­ge­ba­cke­nes Brot, an die, die sei­nen Weg kreu­zen: „Ich habe Angst, nicht mehr mit Men­schen leben zu kön­nen, aber eben­so nicht mehr ohne sie.“

Manch­mal trifft er auf den Kriegs­ve­te­ra­nen Tomo, ein Waf­fen­narr, der zusam­men mit sei­nem Nef­fen Zoe Jagd auf Wild­schwei­ne macht. Er gewinnt den vom Jugo­sla­wi­en-Krieg gezeich­ne­ten Eigen­bröt­ler lieb und wird, noch ehe er das selbst begreift, von einer Fami­li­en­tra­gö­die erschüt­tert, die Tomo das Leben kos­tet. Das Gesche­hen im Außen, in der Erzäh­lung, gewinnt an Dyna­mik. Im Inne­ren des Erzäh­lers aber wird es zuneh­mend ruhi­ger. Das unauf­ge­reg­te Wahr­neh­men der Gegen­wart, das Weg­fal­len der Rück­blen­den und Gedan­ken – die Fahrt aus der Stadt rollt lang­sam aus. Der Berg mit sei­ner Kar­au­le ist der Trans­for­ma­ti­ons­raum, in dem sich Anhal­ten voll­zieht und Stil­le einkehrt.

Als wären mir plötz­lich die Augen auf­ge­gan­gen, ste­he ich mit­ten in die­ser Stu­be und keh­re in die Welt der Men­schen zurück, ich begrei­fe, wie all das, mein Auf­ent­halt hier, so blöd­sin­nig, so ver­rückt ist, wie sehr er außer­halb aller Regeln ist, die ich gekannt habe. Noch ges­tern hät­te ich gesagt, dass ich das nicht kann. Noch ges­tern wäre ich vor die­sem Ort geflo­hen wie von einer Hin­rich­tungs­stät­te. Aus die­sem Zer­fall, die­ser Ein­sam­keit und Ein­öde. Aus die­ser Wild­nis, die ich vor­ge­fun­den habe und die mich ins Leben zurück­ge­bracht hat, dass ich es erneut spüre.

Einer der spi­ri­tu­el­len Königs­we­ge wird hier so unauf­ge­regt wie bei­läu­fig beschrie­ben, wie es auch zum Stil des schma­len Ban­des passt, der gänz­lich ohne Pathos und abge­grif­fe­ne Bil­der aus­kommt. In der Über­set­zung kommt die­ser Kunst­griff so meis­ter­lich wie beschei­den zum Aus­druck, die dich­te und kla­re Spra­che erfrischt und geht dabei immer auch tief. Dass der 1969 in Rije­ka gebo­re­ne Autor Ivica Prten­jača mit Gedich­ten bekannt wur­de, die mehr­fach aus­ge­zeich­net und mitt­ler­wei­le in 15 Spra­chen über­setzt wur­den, über­rascht nicht. Viel­mehr schon, dass Der Berg die ers­te Über­set­zung ins Deut­sche ist. Klaus Det­lef Olof erweist sich dabei als Glücks­fall für den Roman, als er nicht nur Prten­jačas gerad­li­ni­gen Stil, son­dern auch zen­tra­le Wör­ter wie „Kar­au­le“ im Kroa­ti­schen wie­der­gibt, was wie eine Bri­se über Sei­ten hin­weg die Atmo­sphä­re der klei­nen Welt im Mit­tel­meer erfahr­bar macht. Der Mensch, der zu Beginn der Erzäh­lung in die­se ein­ge­taucht ist, steht am Ende auf der­sel­ben Fäh­re, die ihn her­ge­bracht hat. Die ver­wais­te Hün­din von Tomo mit dabei, von ihm selbst „ist nur ganz wenig geblie­ben, nur Nebensächlichkeiten.“

Anm. d. Red.: Die­ser Bei­trag wur­de ohne Kennt­nis der Ori­gi­nal­spra­che ver­fasst. Mehr zum The­ma hier.

Ivica Prtenjača/Klaus Det­lef Olof: Der Berg (im kroa­ti­schen Ori­gi­nal: Brdo)

Folio 2021 ⋅ 163 Sei­ten ⋅ 22 Euro

https://www.folioverlag.com/Der-Berg/

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