Am 22. Oktober 2021 wird der Deutsche Jugendliteraturpreis vergeben. Der mit 10.000 Euro dotierte Sonderpreis „Neue Talente“ geht in diesem Jahr an eine herausragende Nachwuchsübersetzerin. Nominiert sind Marlena Breuer (Polnisch), Lena Dorn (Tschechisch) und Christel Kröning (Englisch).
Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung als „Neues Talent“! Du bist für deine Übersetzung von Juno Dawsons Meat Market – Schöner Schein nominiert. Wie kam es dazu, dass du Literaturübersetzerin geworden bist?
Vielen Dank! Also, ich habe mir lange Zeit nicht so viele Gedanken darüber gemacht, was ich später mal werden will. Zwischendurch hatte ich die Idee, Psychologie zu studieren, aber als wir dann von der Schule aus zur Arbeitsagentur geschleift wurden, kam bei meinem „Welcher Beruf passt zu mir“-Test Übersetzen/Dolmetschen heraus, und ich dachte – ah, stimmt, das ist ja auch ein Beruf, das klingt ja eigentlich ganz cool. Nachdem ich mich dann an verschiedenen Unis beworben hatte, hatte ich die Wahl zwischen Fachübersetzen/Dolmetschen in Germersheim oder Literaturübersetzen in Düsseldorf. Im Endeffekt dachte ich mir, Bücher übersetzen ist bestimmt spannender, und Dolmetschen wäre mir eh zu stressig gewesen.
Wie bist du schließlich zum Übersetzen von Jugendliteratur gekommen?
Eines der ersten Bücher, das ich übersetzt habe, war ein Jugendbuch mit dem Titel Eine Woche für die Ewigkeit. Dazu kam ich über Martina Tichy, die schon seit etlichen Jahren sehr erfolgreich auch viele Jugendbücher übersetzt. Wir haben uns 2014 bei einem Übersetzungsworkshop zum Thema Lachen – Übersetzen – Lachen kennengelernt und uns sofort gut verstanden. 2016 bekam sie von Carlsen die Anfrage für Eine Woche für die Ewigkeit, das von zwei Autoren geschrieben ist und deshalb auch zwei Übersetzer bekommen sollte. Daraufhin hat sie mich gefragt, ob ich mit ihr zusammenarbeiten möchte. Ich habe natürlich sofort zugesagt. Carlsen hat wohl gefallen, was ich da abgeliefert habe, und ich habe danach noch weitere Jugendbücher für den Verlag übersetzt – Clean, Meat Market und All Our Hidden Gifts – Die Macht der Karten.
Ist die Arbeit als Literaturübersetzerin so, wie du sie dir vorgestellt hast?
Ja, uns wurde im Studium schon prophezeit, dass wir weder Reichtum noch Ruhm damit ernten werden. Von Reichtum kann auch keine Rede sein, der Beruf ist einfach unsicher und schlecht bezahlt, deswegen arbeite ich parallel in Teilzeit bei einer Autoversicherung, damit ich auf jeden Fall immer genug Geld habe, um Essen und Miete zu bezahlen, und nicht in Panik verfallen muss, wenn zwischendurch mal kein Auftrag kommt. Ein großer Luxus ist auch, dass ich, wenn die Vertragsbedingungen zu schlecht sind oder mir das Buch einfach nicht liegt, nicht alle Aufträge annehmen muss. Aber ich habe schon während des Studiums gemerkt, dass der Beruf viel Freude macht, sonst würde man sich das Ganze ja nicht antun. Und es wird auch an vielen Ecken und Enden, zum Beispiel durch den VdÜ, darauf hingearbeitet, die Berufssituation zu verbessern.
In Meat Market – Schöner Schein lässt die junge Londonerin Jana Novak ihr bisheriges Leben als Topmodel Revue passieren. Wie hast du den passenden Ton für die 18-jährige Ich-Erzählerin gefunden?
Ich kannte Juno Dawsons Schreibstil schon, weil ich davor Clean von ihr übersetzt hatte. Da gibt es auch eine Ich-Erzählerin, wie Jana in Meat Market. Die beiden haben gewisse Ähnlichkeiten, sind beide sympathisch, vielleicht etwas rotzig, und haben einen interessanten Blick auf die Welt. Als Übersetzerin verbringe ich ja monatelang Zeit mit solchen Romanfiguren, und das war in dem Fall ein sehr angenehmes Beisammensein. Allmählich habe ich Jana immer besser „kennengelernt“, und je besser ich sie kannte, desto besser konnte ich mir auch ihr Deutsch vorstellen. Den Ton habe ich also eigentlich durchs Übersetzen gefunden – indem ich den Text ins Deutsche übersetze, arbeite ich die deutsche Stimme der englischen Protagonistin heraus. Wie viele Übersetzer:innen lese ich mir den Text am Ende laut vor und horche genau, ob die Stimme authentisch ist.
Teenager haben oft eine ganz eigene Ausdrucksweise. Hast du eine bestimmte Inspirationsquelle für Jugendsprache? Hörst du einfach den Teenagern auf der Straße zu?
Eine aufgesetzte Jugendsprache voller Floskeln und Ausdrücke, die auch schnell altern, finde ich eher anstrengend. Ich hoffe, dass mir sowas nicht in den Text reingerutscht ist. Ich habe vielmehr versucht, eine Umgangssprache zu finden, die einfach nicht zu erwachsen klingt. Um Jugendsprache zu hören, muss ich gar nicht irgendwelche Teenager auf der Straße belästigen. Bei der Autoversicherung habe ich viele jüngere Kolleg:innen, und auch der Kontakt mit Kunden aus ganz Deutschland und in allen Altersstufen bietet eine große Bandbreite an Ausdrucksweisen.
Neben der Modebranche spielen im Buch auch Social Media und Themen wie sexuelle Gewalt, Essstörungen und Abhängigkeit eine Rolle – wie hast du dich in diese Bereiche „eingearbeitet“?
Abhängigkeit und Essstörungen wurden auch in Clean schon beschrieben, dadurch war ich in diesen Themen schon ganz gut drin. Bei Social Media muss ich tatsächlich öfter recherchieren, weil ich selber nicht viel auf diesen Plattformen unterwegs bin. Brigitte Kälble, die das Buch – übrigens ganz hervorragend – lektoriert hat, hat hier und da noch etwas zurechtgerückt, weil sie sich bei Instagram und Co besser auskennt.
Die deutsche Jugendsprache hat viele Einflüsse aus dem Anglo-Amerikanischen. In der Übersetzung bleiben verständlicherweise auch viele Ausdrücke im Englischen stehen – wie entscheidest du, wann du eine Stelle übersetzt und wann nicht?
Ich hatte eigentlich nicht den Eindruck, dass im Buch vermehrt Anglizismen vorkommen. Wobei, na ja, viele Fachbegriffe der Modewelt sind Anglizismen, wie zum Beispiel „Scout“, der heißt auf Deutsch nicht „Modelentdecker“ oder sowas.
In einem Satz sagt der Modedesigner etwa „Wo the fuck ist er?“
Ja, das ist Dermot Deen. Der hat im Original einen irischen Akzent, der sehr markiert ist, indem Dermot zum Beispiel gehäuft „feck“ und „fecking“ sagt, was grob ausgedrückt die irische Version von „fuck“ und „fucking“ ist – auf diverse Varianten davon bin ich dann auch ausgewichen. Wenn er im Englischen sagt: „Fashion! It’s fun, isn’t it? It’s frivolous! When did any cunt say that about football, and that’s the most fecking frivolous thing in the whole fecking world!“ – wird das im Deutschen zu: „Mode! Ist doch nur Jux und Dollerei, oder nicht? Völlig bedeutungslos. Wer würde das je über Fußball sagen? Und Fußball ist ja wohl das Aller-fucking-unbedeutendste auf dieser großen fucking Welt!“ So hebt sich auch im Deutschen seine Sprache von der der anderen ab.
Der Designer sagt auch an einer Stelle zu Jana „Bitte duz mich, Darlin’“, nachdem sie ihn höflich mit „Sie“ anredet. Im Englischen wird da ja nicht unterschieden.
Ja, da muss man im Deutschen oft überlegen, wann es passt, zum „Du“ zu wechseln. Dann guckt man halt, wo es sich anbietet. Hier ist es an der Stelle, wo er Jana das Kleid anzieht:
„So …“, I say as he measures my hips, „did you always want to be a Designer?“„Wollten Sie …“, fange ich an, während Dermot meine Hüften ausmisst.
„Bitte duz mich, Darlin’, sonst komm ich mir gleich noch älter vor.“
„Wolltest du immer schon Designer werden?“
Im Englischen wird das Siezen vs. Duzen natürlich nicht thematisiert, aber Dermot ist ja ein Erwachsener, den Jana als 16-Jährige auf Deutsch erst siezen würde. Und kurz vorher sagt er eben: „Fuck, bitte tötet mich, ich bin alt.“ Deswegen lag da der Ball vorm Tor.
Gab es noch andere Stellen, wo du etwas für das deutsche Publikum anpassen musstest?
Ja, das ging zum Glück oft ohne allzu großen Aufwand. Zum Beispiel spricht Jana ein Spiel namens „Buckaroo“ an, das man in England offenbar kennt. Buckaroo ist so ein Spielzeugesel aus Plastik. Ziel ist es, möglichst viele Sachen an ihn dranzuhängen, bevor er austritt. Und Jana sagt an einer Stelle, dass sie sich wie Buckaroo fühlt, weil sie mit so vielen Ketten und Armreifen behängt ist. Bei mir fühlt sie sich wie ein Weihnachtsbaum. Ist ja zumindest ungefähr das gleiche Bild.
In dem Buch sind auch viele verschiedene Sprachregister, die du jeweils ins Deutsche übertragen musstest. Einerseits natürlich die Jugendsprache, andererseits aber auch den Jargon der Modewelt, in dem Erwachsene oft mit leeren Phrasen um sich werfen.
Maggie, die Leiterin der Modelagentur, hat zum Beispiel eine sehr scheinheilige, möchtegern-verständnisvolle Art zu sprechen, im Sinne von „wir haben unsere Models ja so lieb und wollen nur das Beste für sie“. Und vielleicht glaubt sie das sogar, gleichzeitig rät sie den Models aber, sich meinetwegen ausschließlich von Säften zu ernähren, oder sie verharmlost einen Fotografen, der sexuelle Straftaten begeht, als „bösen Jungen“. Maggie hat in dem Buch sehr viele verschiedene Kosenamen für Jana, die eben auch von ihrer vermeintlichen Zuneigung zeugen, die eigentlich Geringschätzung ist. Da habe ich mir eine Liste mit den verschiedenen Varianten – Schätzchen, Kleines, gutes Mädchen, usw. – angelegt, um den Überblick zu behalten und auch immer mal wieder abzuwechseln. Außerdem musste ich aufpassen, weil Dermot, der Designer, auch Spitznamen für Jana hat. Er ist aber „einer von den Guten“ und sollte natürlich nicht die gleichen Spitznamen verwenden wie die „böse“ Chefin der Modelagentur.
Zum Abschluss eine rückblickende Frage auf dein bisheriges Schaffen. Was war für dich persönlich das schönste oder wichtigste Buch, das du übersetzt hast?
Ich kann es auf drei eingrenzen. Meat Market gehört auf jeden Fall dazu. Und auch Was ist mit uns von Becky Albertalli und Adam Silvera, das ich zusammen mit Hanna Fliedner für Arctis übersetzt habe. In dem Buch war mir der Erzähler sehr sympathisch, mit dem habe ich sehr gerne Zeit verbracht, so wie auch mit Jana in Meat Market. Und ich durfte Ein Zimmer für sich allein von Virginia Woolf für Anaconda neu übersetzen, das kommt auf jeden Fall auch in die Top 3. Der Essay war noch einmal etwas ganz anderes, so einen Text hatte ich davor noch nie. Ich bin ein bisschen daran verzweifelt, aber auf eine gute Art. Da musste ich die Sätze oft erst einmal auseinandernehmen, sie verstehen, dann die Einzelteile übersetzen und neu zusammenfügen. Das war ein bisschen wie puzzeln. Gleichzeitig ist es natürlich einfach ein toller Text, mit dem ich mich sehr gerne beschäftigt habe.
Juno Dawson/Christel Kröning: Meat Market – Schöner Schein (im englischen Original: Meat Market)
Carlsen ⋅ 416 Seiten ⋅ 15 Euro
https://www.carlsen.de/softcover/meat-market-schoner-schein/