Es gibt etwa 7000 Sprachen auf der Welt; davon wird aber nur ein winziger Bruchteil ins Deutsche übersetzt. In dieser Rubrik fragen wir Menschen, die Meisterwerke aus unterrepräsentierten und ungewöhnlichen Sprachen übersetzen und uns so Zugang zu wenig erkundeten Welten verschaffen. Bisherige Beiträge in dieser Rubrik:
Wie hast du Irisch gelernt?
Bei Sprachkursen in Irland, und dann beim Studium, ich habe in Bonn und Hamburg Keltologie studiert. In Hamburg geht das jetzt nicht mehr, weil alle „kleinen“ Sprachen abgeschafft worden sind – muss man sich mal vorstellen! Das Institut in Hamburg hatte einen so guten Ruf, dass sogar Leute aus Irland und Wales herkamen, um ein Semester hier zu studieren …
Wie sieht die irische Literaturszene aus?
Sehr lebhaft, es hat in den vergangenen Jahren etliche Verlagsneugründungen gegeben, es gibt an Literatur so ungefähr alles: Romane, Sachbücher, Biographien, Kinderbücher jeder Art, Bilderbücher, Übersetzungen ins Irische, Lyrik. Vor allem Lyrik. Die boomt, und es kommt sogar vor, dass Leute, die auf Englisch schreiben, ihre Gedichte auf eigene Kosten ins Irische übersetzen und dann auf Irisch vortragen lassen, weil – hier zitiere ich eine irische Literaturzeitschrift – „Irisch einfach mehr sexy ist.“
Was sollte man unbedingt gelesen haben?
Einige von den mittelalterlichen Epen, aus dem Sagenkreis um Cúchulainn, Gedichte von Nuala Ní Dhomhnaill, vielleicht einen Krimi von Anna Heussaff, und natürlich von Máirtín Ó Cadhain: Cré na Cille. Das gilt als der bedeutendste Roman in irischer Sprache des 20. Jahrhunderts, gleichrangig mit „Ulysses“ (das ja auf Englisch ist), auf Deutsch: „Grabgeflüster“ (Kröner Verlag).
Was ist noch nicht übersetzt?
Unendlich viel! Und manches müsste dringend neu übersetzt werden! Es galt lange als salonfähig, englische Übersetzungen von irischen Büchern zu übersetzen, ein Beispiel: An t‑oileanach von Tomás Ó Criomhthann, das hieß auf Deutsch Die Boote fahren nicht mehr aus, was ein blödsinniger Titel war, denn die Boote fuhren in höchstem Maße aus, als das Buch geschrieben wurde! Ó Criomhthann war stolz darauf, dass Menschen wie er unter eigentlich unerträglichen Umständen auf den Blasketinseln überlebten. Der stetig wiederkehrende Satz des Buches ist: „Unseresgleichen wird es nie wieder geben“, das wurde im Irischen sprichwörtlich. Im Irischen gibt es ein Wort für „Mensch“, wie im Deutschen. Im Englischen ja nicht, in der englischen Übersetzung, „The Islandman“ von Robin Flower, steht also immer „man“, wo im Irischen „duine“ (eben: Mensch) steht – und in der Fassung von Annemarie und Heinrich Böll ist das jedesmal mit „Mann“ übersetzt, und man kriegt den total falschen Eindruck, dass auf Blasket schlimmere Zustände herrschten als in Saudi-Arabien!
Bei Ó Criomhthann (ihr seht schon, es ist eins meiner Lieblingsbücher!) kommt dazu, dass es seit einigen Jahren eine Neuausgabe von „An t‑oileanach“ gibt, mit Kapiteln, die in die früheren nicht aufgenommen waren, weil dem Publikum Wörter wie „Schleim“ und „Pisse“ nicht zuzumuten waren. Es fehlt auch das Kapitel, in denen er beschreibt, wie seine Eltern für ihn eine Ehe arrangiert hatten und wie er versucht hat, da rauszukommen, weil er eine Frau von einer anderen Insel liebte, aber die Sippe kannte kein Pardon.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Irischen?
Eigentlich, dass es viel zu wenig Wörterbücher gibt, man muss immer wieder rumfragen und den halben Bekanntenkreis und lauter Unileute aktivieren, um dahinterzukommen, zumal bei AutorInnen, die nicht mehr leben.
Wie gehst du damit um?
Nach Gefühl und Wellenschlag, ich hoffe, wenn ein Problem selbst mit Hilfe aller verfügbaren Fachleute nicht zu klären ist, dass die Übersetzung in sich stimmt und dass meine Lösung im inneren Universum des Buches einen Sinn ergibt.
Was kann Irisch, was Deutsch nicht kann?
Weiß ich eigentlich nicht. Irisch kann irische Lebensbedingungen wunderbar beschreiben und darstellen und alles sagen, was dazu nötig ist. Aber das kann ja jede Sprache in ihrem Land. Aber natürlich gibt es Wörter und Ausdrücke, die ich ganz besonders wunderbar finde. Dass es den Unterschied zwischen Verlaufsform und einmaliger Handlung gibt, vergleichbar mit dem deutschen „ich bin am“. Als Rheinländerin liegt mir das natürlich sehr nahe, aber im Irischen ist es Hochsprache. Und es gibt so schöne Wörter wie „spideóg“, das ist ein Tropfen, der dir an einem kalten Tag an der Nase hängt“!
Gabriele Haefs, geboren in Wachtendonk/Niederrhein, studierte Volkskunde, Sprachwissenschaft, Keltologie und Nordistik an den Universitäten in Bonn und Hamburg. 1982 schloss sie ihr Studium mit einer volkskundlichen Dissertation an der Universität Hamburg ab. Sie lebt als Übersetzerin und literarische Gelegenheitsarbeiterin in Hamburg.
Foto: Miguel Ferraz