Es gibt etwa 7000 Sprachen auf der Welt, doch nur ein winziger Bruchteil davon wird ins Deutsche übersetzt. Wir interviewen Menschen, die Meisterwerke aus unterrepräsentierten und ungewöhnlichen Sprachen übersetzen und uns so Zugang zu wenig erkundeten Welten verschaffen. Alle Beiträge der Rubrik findet ihr hier.
Wie hast du Kiswahili gelernt?
Erste Worte und Floskeln habe ich während einer Reise nach Tansania aufgeschnappt. Kurz darauf fing ich an, Afrikawissenschaften zu studieren und begann Kiswahili an der Uni zu lernen. Während des Studiums machte ich einen zweimonatigen Intensivsprachkurs an der State University of Zanzibar und wohnte bei einer Gastfamilie. Dort waren ganz besonders die Kinder meine liebsten Lehrer*innen. Ich habe auch immer versucht, viel auf Kiswahili zu lesen. Zuerst Kinderbücher, dann Romane.
Kiswahili wird in Ostafrika, vor allem in Tansania und Kenia, aber im Prinzip von Südsomalia bis Nordmosambik, von der Küste bis in den Ost-Kongo, Ruanda, Burundi und Uganda gesprochen. Kiswahili ist die Eigenbezeichnung, bei der das „ki-“ markiert, dass es sich um eine Sprache handelt, es macht sozusagen ein Adjektiv aus dem Wortstamm „-swahili“ und wird in anderen Sprachen oft weggelassen. Angaben zu Sprecher*innenzahlen sind geschätzt und variieren stark. Es wird davon ausgegangen, dass etwa 18 Millionen Menschen vor allem an der ostafrikanischen Küste Swahili als Muttersprache sprechen. Allerdings ist Swahili als Verkehrssprache in Ostafrika und darüber hinaus weit verbreitet und so zählt es mit etwa 200 Millionen Sprecher*innen laut UNESCO zu einer der zehn meistgesprochenen Sprachen der Welt. Grammatikalisch ist Kiswahili eine Bantusprache, entwickelte sich aber als Kommunikationsmedium im Kontakt mit Händlern aus dem arabischen Raum, Persien, Indien und Europa und enthält viele Worte, die aus deren Sprachen entlehnt sind, insbesondere aus dem Arabischen.
Wie sieht die Literaturszene auf Kiswahili aus?
Obwohl das Schreiben auf Englisch in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen hat, gibt es eine lebendige Kiswahili-Literaturszene mit Unterhaltungsliteratur wie Krimis und Liebesromanen, aber auch hochkomplexer philosophischer Literatur und Lyrik, die bereits auf eine sehr lange Tradition zurückblickt, sowie Theaterstücken. Die Infrastruktur in der tansanischen Buchbranche lässt leider etwas zu wünschen übrig und ist natürlich auch sämtlichen globalen und nationalen Krisen unterworfen. Daher ist die Literaturszene vor allem eins: kreativ. Insbesondere, was die Distributionswege betrifft. Viele Autor*innen sind gleichzeitig auch Verleger*innen und Buchhändler*innen. Während in den 1970er und 80er Jahren viele als sogenannte „briefcase publishers“ ihre Bücher aus Koffern auf der Straße verkauften, schließen sich Schreibende auch heute in Kollektiven zusammen und verbreiten ihre Texte, unter anderem digital. Es gibt zum Beispiel mehrere konkurrierende Apps, die den Kauf und die Lektüre von Büchern junger Autor*innen auf dem Handy ermöglichen.
Was sollte man unbedingt gelesen haben?
Es gibt leider kaum Übersetzungen aus dem Kiswahili ins Deutsche und die meisten der wenigen Romane, die übersetzt wurden, sind mittlerweile vergriffen. Es gibt aber ein paar Werke, die aktuell verfügbar und durchaus empfehlenswert sind. Versuchung von Alex Banzi, eine Erzählung, die im Tansania der 1960er Jahre spielt und die Handlungsspielräume innerhalb der Paarbeziehung zwischen traditionellen und modernen Ansprüchen auslotet, übersetzt und mit einer Einführung von Uta Reuster-Jahn. Ein umfangreicheres Werk ist Blume des Trostes von William E. Mkufya, übersetzt von Barbara Schmid-Heidenhain – ein komplexer Roman, der in einer existenzialistischen Erzähltradition steht und anhand der AIDS-Epidemie in Tansania den Sinn von Leben und Sterben hinterfragt. Etwas mehr in Richtung Unterhaltung geht die „Bwana Msa“-Krimireihe von Muhammed Said Abdulla, von der zwei Bände Der Geisterwald der Ahnen und Der Brunnen von Ginigi auf Deutsch als Hörspiele erschienen sind, übersetzt und gelesen von Guido Korzonnek. Die „Bwana Msa“-Krimis legten Anfang der 1960er Jahre den Grundstein für das wahrscheinlich beliebteste Genre des tansanischen Lesepublikums, den Swahili-Krimi.
Und was ist noch nicht übersetzt?
Wie bereits angedeutet, eigentlich fast alles, also nenne ich hier nur ein paar Beispiele: Die Krimi-/Thrillerreihe über den Privatdetektiv Joram Kiango, geschrieben von dem mittlerweile verstorbenen Autor Ben R. Mtobwa. Über 30 Jahre lang zog Mtobwa mit immer neuen actiongeladenen Geschichten, die unterhalten und gleichzeitig Kritik an sozialen und politischen Gegebenheiten üben, das Publikum in seinen Bann. Die Reihe erfreut sich noch immer großer Beliebtheit. Der wundervolle Roman Makuadi wa soko huria (dt. „die Zuhälter der freien Märkte“) von Chachage Seithy L. Chachage, der gekonnt aus der Perspektive eines investigativen Journalisten von neokolonialen Strukturen und Kleptoglobalisierung erzählt. Auch von Euphrase Kezilahabi, dem legendären, verstorbenen Autor hochliterarischer und hochpolitischer Texte ist leider nichts übersetzt.
Wer auf Kiswahili schreibt, hat natürlich auch in erster Linie ein swahilisprachiges Publikum in Ostafrika im Hinterkopf. Aufgrund mangelnder Kenntnis der politischen, historischen und kulturellen Gegebenheiten in Tansania dürften die Romane Kezilahabis dem deutschen Lesepublikum wohl eher schwer zugänglich sein. Doch auch Literatur jüngerer Autor*innen, die in der Diaspora leben und schreiben, liegt noch nicht auf Deutsch vor, wie zum Beispiel Penzi la Damu (dt. „Blutliebe“) von Anna Samwel Manyanza, die in der Schweiz lebt.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Kiswahili? Wie gehst du damit um?
Kiswahili ist zwar eine standardisierte Sprache, dennoch gibt es regional starke Unterschiede und auch für Autor*innen, die auf Kiswahili schreiben, ist es nicht selten ihre Zweit- oder Drittsprache. Außerdem ist das Swahili eine kreative Sprache, die sich extrem schnell wandelt. Wortneuschöpfungen finden schnell ihren Platz im Sprachgebrauch, Jugendsprache erneuert sich quasi täglich und was gestern noch cool war, ist heute schon völlig überholt. Daher begegnen mir insbesondere, aber nicht nur in neueren Texten, des Öfteren Worte oder Konstruktionen, die mir und den mir zugänglichen Wörterbüchern nicht geläufig sind. Während bei anderen Sprachen Online-Foren Abhilfe schaffen können, gibt es für Kiswahili recht wenige Online-Ressourcen. Da kann nur der Kontakt zu Swahilisprecher*innen vor Ort helfen, die in der Regel für Aufklärung sorgen.
Methali, Sprichwörter wie z. B. „Hata mbuyu ulianza kama mchicha“ („Selbst ein Baobab hat mal als Spinat angefangen“) stellen gleich zwei Herausforderungen dar. Zum einen verbirgt sich hinter der wörtlichen Bedeutung eine metaphorische, die sich selten sofort erschließt, insbesondere da ich zur Swahili-Kultur ja auch nur einen Bezug von außen habe. Zum anderen ist es oft nicht leicht, ein entsprechendes Bild im Deutschen zu finden. Und wenn es ein deutsches Sprichwort mit derselben Bedeutung gibt, verwende ich das deutsche Sprichwort als Übersetzung oder übersetze ich das ursprüngliche Bild, weil es den Text kulturell und geografisch verortet?
Was kann Kiswahili, was Deutsch nicht kann?
Weil Kiswahili eine agglutinierende Sprache ist, kann es einen kompletten Satz mit nur einem Wort ausdrücken, z. B. „Nilivyowaonyesha“ („Wie ich euch gezeigt habe“). Außerdem kann man sich auf Kiswahili recht gut genderneutral ausdrücken. „Er“ und „sie“ sind identisch, und die meisten Substantive, die Personen bezeichnen, haben kein Geschlecht.
Wir suchen für die Rubrik „Große kleine Sprache“ Übersetzerinnen und Übersetzer, die Lust haben, ihre „kleine“ Sprache mit unserem Fragebogen vorzustellen. Wenn du dich angesprochen fühlst, melde dich gerne unter redaktion@tralalit.de.