Klaus Det­lef Olof: der Polyphoniker

Der slowenische Roman „18 Kilometer bis Ljubljana“, übersetzt von Klaus Detlef Olof, fällt in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen. Auch im Kontext der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse Von

Nominiert für seine Übersetzung aus dem Slowenischen: Klaus Detlef Olof. © Privat

Am 21. März wer­den die Prei­se der Leip­zi­ger Buch­mes­se ver­ge­ben, unter ande­rem in der Kate­go­rie Über­set­zung. Auf TraLaLit stel­len wir die Nomi­nier­ten vor. Alle Bei­trä­ge der Rei­he sind hier zu finden.

Das Buch

Mar­ko Đorđić kommt zurück. Es ist Som­mer 2017, im Fern­se­hen läuft die Bas­ket­ball-EM, und zehn Jah­re nach den Ereig­nis­sen, die Autor Goran Voj­no­vić in sei­nem gefei­er­ten Erst­lings­werk Tschefu­ren raus! beschrieb (im Ori­gi­nal Čefur­ji raus!, eben­falls über­setzt von Klaus Det­lef Olof), ist der Prot­ago­nist zurück in der Ljublja­naer Vor­ort­sied­lung Fuži­ne, in der er auf­ge­wach­sen ist und in der sei­ne Eltern noch immer woh­nen. Mar­kos Vater ist schwer krank, und Mar­ko ist in Ser­bi­en die Freun­din abhan­den­ge­kom­men – gleich zwei Grün­de, sich wie­der ein­mal in Slo­we­ni­en bli­cken zu lassen.

Doch Slo­we­ni­en ist Mar­ko fremd gewor­den. Slo­we­ni­en war ihm als Sohn bos­ni­scher Ein­wan­de­rer schon immer fremd, aber nun ist auch das Milieu ver­schwun­den, das ihn zu dem gemacht hat, der er gewor­den ist. Die Tschefu­ren, die ex-jugo­sla­wi­schen Immi­gran­ten in Slo­we­ni­en, wur­den zwar von den auto­chtho­nen Slo­we­nen (den Jane­zen, wie Mar­ko sie nennt), aus­ge­grenzt, ver­ach­tet, nicht für voll genom­men – aber immer­hin hiel­ten sie zusam­men in Fuži­ne, lie­ßen sich nicht unter­krie­gen. Aber jetzt? Wo ist Fuži­ne hin?

Was ich sagen will, ist, dass ich in Bos­ni­en Ser­be gewor­den bin und dass ich auch jetzt Ser­be bin. Und dass ich kein Tschefur mehr bin. Und dass ich nicht mehr aus Fuži­ne bin. Ich bin in Fuži­ne ein tota­ler Außerirdischer.

Goran Voj­no­vićs Sequel 18 Kilo­me­ter bis Ljublja­na (eine äußerst frag­wür­di­ge Ver­lags­ent­schei­dung, die­ses Buch im Deut­schen so zu beti­teln, anstatt ein­fach wört­lich Mar­ko Đorđić kommt zurück) ist mit dem drei­zehn Jah­re zuvor erschie­ne­nen Tschefu­ren raus! glück­li­cher­wei­se so lose ver­bun­den, dass es sich auch pro­blem­los ohne Vor­kennt­nis des­sen Hand­lung lesen lässt.

Und die Hand­lung ist ohne­hin zweit­ran­gig in die­sem Buch – es geht um das Psy­cho­gramm eines Ent­wur­zel­ten, der das gesam­te Bas­ket­ball-EM-Tur­nier hin­durch die slo­we­ni­sche Mann­schaft ver­folgt, nur um kurz vor dem Fina­le, das die­se sen­sa­tio­nell erreicht, plötz­lich zu glau­ben, für die favo­ri­sier­ten Ser­ben sein zu müs­sen (oder etwa doch nicht?!?). Mar­ko Đorđić ist ein Cha­rak­ter, wie er der deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur ein­mal gut tun wür­de – einer der nicht für irgend­et­was ste­hen soll oder will, son­dern ein­fach Mar­ko Đorđić ist: ein chau­vi­nis­ti­scher, unge­ho­bel­ter, groß­mäu­li­ger, aber eigent­lich nur voll­kom­men ori­en­tie­rungs­los dahin­trei­ben­der und irgend­wie dann doch lie­bens­wür­di­ger Roman­held, dem man ger­ne beim Schei­tern sei­ner nicht vor­han­de­nen Träu­me zusieht, obwohl man ihm im ech­ten Leben wahr­schein­lich eher nicht begeg­nen wol­len würde.

Es geht in 18 Kilo­me­ter bis Ljublja­na um das Sozio­gramm einer mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft, die mit ihrer gewalt­tä­ti­gen Ver­gan­gen­heit und irgend­wie fried­li­chen Gegen­wart glei­cher­ma­ßen über­for­dert ist. Einer Gesell­schaft, in der eth­ni­sche Gren­zen ver­schwim­men und zugleich prä­sen­ter sind denn je, weil alle sich auf der ver­zwei­fel­ten Suche nach Iden­ti­tät an ihnen fest­klam­mern. Eine Gesell­schaft, in der Milieus zer­bre­chen, weil jeder auf eige­ne Faust nach dem Glück sucht: im Aus­land, in den Dro­gen, im Suff, im Islam …

Und es geht nicht zuletzt um die Spra­che, die für all das, was aus­zu­drü­cken wäre, gar kei­ne Mög­lich­kei­ten bie­tet. Die Spra­che im Vor­gän­ger­ro­man Tschefu­ren raus! ist von Rezen­sen­ten als der eigent­li­che Prot­ago­nist bezeich­net wor­den, weil Voj­no­vić zum ers­ten Mal in der slo­we­ni­schen Lite­ra­tur dem slo­we­nisch-ser­bo­kroa­ti­schen Kreol sei­ner Jugend­zeit eine lite­ra­ri­sche Stim­me gab. In 18 Kilo­me­ter bis Ljublja­na (hat­te ich erwähnt, dass dies ein unge­eig­ne­ter Titel für die­ses Buch ist?) setzt der Autor dies fort und führt (ohne, was eine hohe Kunst ist, dabei je sati­risch zu wer­den) in end­los hin­ter­ein­an­der­ge­flos­kel­tem Geseie­re vor, wie den ori­en­tie­rungs­lo­sen Kum­pels rund um Đorđić die Wirk­lich­keit längst abhan­den gekom­men ist.

18 Kilo­me­ter bis Ljublja­na ist ein ein­drück­li­cher, größ­ten­teils auch ein lus­ti­ger Roman, wenn auch einer mit gera­de­zu pes­si­mis­ti­scher Welt­sicht. Voj­no­vić hat sicht­lich kein Inter­es­se, als Poli­tik­be­ra­ter, Sozi­al­päd­ago­ge oder Street Worker zu agie­ren und sei­nen Figu­ren bür­ger­li­che Hand­lungs­op­tio­nen an die Hand zu geben (von „Aus­we­gen“ ganz zu schwei­gen). Auch wenn die Lek­tü­re für das real (auch in Deutsch­land) exis­tie­ren­de Milieu der Abge­häng­ten und Aus­ge­grenz­ten kei­ner­lei tröst­li­che Inte­gra­ti­ons­per­spek­ti­ve anbie­tet, so ist sie doch in lite­ra­ri­scher Hin­sicht ein Glücksfall.

Die Jury-Begrün­dung

Die­ses Buch ist ein Schimpf­kunst­werk, der inne­re Mono­log eines bos­ni­schen jun­gen Man­nes am Plat­ten­bau­rand der slo­we­ni­schen Gesell­schaft, der uns von der Tra­gö­die des ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­ens erzählt: der Auf­lö­sung einer Viel­völ­ke­rut­opie und ihren sozia­len Fol­gen. Von ver­lo­re­ner Iden­ti­tät, von Gewalt, Anpas­sung und Rebel­li­on, Dazu­ge­hö­ren und Ver­las­sen­wer­den. Klaus Det­lef Olof hat den Rhyth­mus, den bit­te­ren Humor und die sprach­li­che Dyna­mik von Goran Voj­no­vićs Mili­eu­ro­man glän­zend ins Deut­sche übertragen.

Die Über­set­zung

Die Begrün­dung der Leip­zi­ger Jury geht auf das ober­fläch­lich Beein­dru­cken­de an Klaus Det­lef Olofs Voj­no­vić-Über­set­zung ein, über­geht aber lei­der das, was an ihr in über­set­ze­ri­scher Hin­sicht eigent­lich inter­es­sant ist. 18 Kilo­me­ter bis Ljublja­na ist in der Tat eine ein­zi­ge Schimpf­ka­no­na­de und wie sich der über 80-jäh­ri­ge Über­set­zer sei­nen mehr als 50 Jah­re jün­ge­ren Ich-Erzäh­ler anver­wan­delt, ist bewundernswert. 

Mar­ko Đorđić nimmt kein Blatt vor den Mund und Olof tut das auch nicht. Im Gegen­teil, er hat sicht­lich Spaß dar­an, tief in allen Win­keln des poli­tisch unkor­rek­ten Voka­bu­lars her­um­wüh­len und Mar­kos raue Ras­pel­stim­me mit dem (im Deut­schen ins­ge­samt womög­lich etwas beschränk­te­ren) Instru­men­ta­ri­um an Fäkal- und Geni­tal­vo­ka­bu­lar aus­zu­stat­ten, das ihn zu so einer unver­wech­sel­ba­ren lite­ra­ri­schen Stim­me macht.

Neh­men wir bei­spiels­wei­se die ers­ten vier Sät­ze des Romans:

Ich habe noch immer kei­nen Fuß­ball­klub! Nur dass mich das völ­lig kalt­lässt. Es geht mir am Arsch vor­bei, dass der Ball rund ist und bei den einen ins Tor geht und bei den ande­ren ins Aus. Und dass sich die einen in den Armen lie­gen wie die Schwuch­teln und die ande­ren sich selbst in den Arsch bei­ßen. Für mich ist das alles gewöhn­li­cher Fotzenrauch.

Nun ja. Wem das schon zu viel ist, der liest bes­ser nicht wei­ter, denn es geht 300 Sei­ten lang genau so wei­ter; aber wer es tut, der merkt, dass hin­ter dem sexis­ti­schen, homo­pho­ben, bis­wei­len ras­sis­ti­schen Sing­sang kei­ne sexis­ti­schen, homo­pho­ben oder ras­sis­ti­schen Hal­tung ste­hen, son­dern eigent­lich nur ein gro­ßes Gar­nichts – ein Erzäh­ler, der nur zu Sprach­po­sen, aber nicht zu einer eigent­li­chen Hal­tung fähig ist, weil er sich dazu über­haupt als poli­ti­scher Akteur begrei­fen müsste.

Die Hohl­heit die­ses „Schimpf­kunst­werks“, das nie­man­den be-schimpft, son­dern nur über die Welt und die eige­ne Ver­lo­ren­heit dar­in her­um­schimpft, bringt Klaus Det­lef Olof mit der gan­zen Klas­se und Erfah­rung sei­ner lan­gen Über­set­zer­lauf­bahn in den Text. Đorđićs Mono­log klingt stets nach dem spät­pu­ber­tie­ren­den Pro­let, der er ist, ohne je in einen Neu­köll­ner Pau­sen­hof-Ton zu ver­fal­len, was bei einer noch stär­ker auf Jugend­spra­che abzie­len­den Über­set­zungs­stra­te­gie zu befürch­ten gewe­sen wäre. Doch Fuži­ne ist nicht Kreuz­berg und dank Olof kommt dar­an auch zu kei­nem Zeit­punkt Zwei­fel auf.

Das liegt auch dar­an, dass Olof die eigent­li­che Tie­fen­di­men­si­on des Tex­tes erkennt und über­set­ze­risch auf­nimmt, näm­lich die sprach­li­che Viel­stim­mig­keit sei­nes (post-)migrantischen Milieus. In einem Inter­view sag­te Voj­no­vić über 18 Kilo­me­ter bis Ljublja­na:

Ich woll­te über die Spra­che schrei­ben, die von unse­rer Gene­ra­ti­on erfun­den wor­den ist […] Wir haben das Ser­bo­kroa­ti­sche nie rich­tig gelernt, in der Schu­le haben wir dann Slo­we­nisch gelernt und wur­den immer unter die Lupe genom­men, was wir falsch gesagt haben. Wir haben als Jugend­li­che eine gemisch­te Spra­che erfun­den, weil da alles kor­rekt war, alles erlaubt war. Man war end­lich ent­spannt, man konn­te sich aus­drü­cken, wie man will. Man kann alle Wor­te ver­wen­den, die man will, man kann alle Spra­chen ver­wen­den, die man beherrscht, man kann gram­ma­ti­ka­li­sche Feh­ler machen, schimp­fen, und so weiter. 

Klaus Det­lef Olof folgt sei­nem Autor nicht bis auf die Ebe­ne der Gram­ma­tik, was viel­leicht sogar scha­de ist. Sein deut­scher Text ist gram­ma­ti­ka­lisch durch­ge­hend kor­rekt. Es müss­te ein­mal jemand Kun­di­ge­res einen Ver­gleich der Über­set­zung mit dem slo­we­ni­schen Ori­gi­nal anstel­len, um ein Urteil dar­über zu tref­fen, ob hier noch Poten­zi­al zu mehr Ver­frem­dung ver­schenkt wur­de. Text­stel­len wie die fol­gen­de deu­ten immer­hin an, dass Voj­no­vić noch mehr mit den sprach­li­chen Mög­lich­kei­ten sei­nes poly­glot­ten Prot­ago­nis­ten spielt, als wir im Deut­schen nach­voll­zie­hen können: 

Ich habe hun­dert Jah­re gebraucht, um zu kapie­ren, dass ich Ser­be bin und dass ein Ser­be in Viso­ko der glei­che Scheiß ist wie ein Tschefur in Slo­we­ni­en. Der­sel­be Scheiß, eine ande­re Ver­pa­ckung. Nur dass sich in Bos­ni­en die Tschefu­ren und die Slo­we­nen gegen­sei­tig beschos­sen und nicht mit Geni­tiv und Dual her­um gefurzt haben.

Geni­tiv und Dual sind Anspie­lun­gen auf gram­ma­ti­ka­li­sche Optio­nen, die das Slo­we­ni­sche dem Ser­bo­kroa­ti­schen (und Deut­schen) vor­aus hat, und der bei­der Spra­chen Unkun­di­ge kann nur mut­ma­ßen, dass eine gan­ze Ebe­ne des Romans in der Über­set­zung ins Deut­sche ver­lo­ren gehen musste.

Aber immer­hin auf lexi­ka­li­scher Ebe­ne, wo es weni­ger sprach­li­che Ver­ren­kung erfor­dert, geben sich Über­set­zer und Ver­lag glück­li­cher­wei­se über­haupt kei­ne Mühe, irgend­wie glät­tend in unser Lek­tü­re­er­leb­nis ein­zu­grei­fen. Der Mut, das Neben­ein­an­der von Slo­we­ni­schen und Ser­bo­kroa­tisch, durch­setzt mit Angli­zis­men und sogar deut­schen Wör­tern ste­hen zu las­sen, zahlt sich aus, denn nur so kann der Text das gesam­te Pris­ma sei­ner Sprach­ein­flüs­se auffächern:

Hier gibt es kein life mehr, hier gibt es nichts mehr. Über­all nur noch ord­nung, genau wie in Avstri­ja. Gecheckt? Haus – Job – Haus – Job. Und alle müs­sen um elf Uhr abends ins Bett, und alle war­ten auf Grün, und alle müs­sen um zehn vor acht in der Schu­le sein. Und selbst wenn wer was trin­ken geht, geht er nur am Frei­tag­abend und nur bis Mitternacht.

Die Mög­lich­kei­ten der Über­set­zung zwi­schen Kul­tu­ren (und ihres Schei­terns) sind eins der unter­schwel­li­gen Leit­the­men die­ses Buches, und wann immer dies der Fall ist, mul­ti­pli­zie­ren sich die über­set­ze­ri­schen Her­aus­for­de­run­gen für den, der all dies in eine drit­te Spra­che über­tra­gen soll. Doch auch wenn die gro­ße pan­sla­wis­ti­sche Ver­stän­di­gung am Ende bei Goran Voj­no­vić aus­bleibt, so schafft doch immer­hin die Lek­tü­re von Klaus Det­lef Olofs Text das Gefühl, einer Welt ein Stück­chen näher gerückt zu sein, zu der man nur auf dem Wege der Über­set­zung über­haupt Zugang fin­den kann.

Anm. d. Red.: Die­ser Bei­trag wur­de ohne Kennt­nis der Ori­gi­nal­spra­che ver­fasst. Mehr zum The­ma hier.

Lieb­lings­stel­le

Nur wer bin ich, dass ich mich wun­de­re? Ich bin doch immer das, was die ande­ren nicht sind. Ein Tschefur hier, ein Ser­be dort. Ein­mal ein Janez, das ande­re Mal ein Tschet­nik, das drit­te Mal ein Fick­schwanz für klei­ne Aus­län­de­rin­nen. In Wirk­lich­keit bin ich auch nicht ich selbst. Denn mir ist auch nicht ganz klar, wer Mar­ko Đorđić ist. Ich weiß nur, die­ser Mar­ko Đorđić bin ich.

Goran Voj­no­vić | Klaus Det­lef Olof

18 Kilo­me­ter bis Ljubljana


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