Anfang September veröffentlichte die britische Zeitung The Guardian einen Kommentar von Jennifer Croft. Die Übersetzerin der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk kritisiert darin, dass viele englischsprachigen Verlage die Namen der Übersetzer:innen nicht auf dem Cover ihrer Bücher platzieren. Croft fordert:
We desperately need more transparency at every level of literary production; this is just one example, although I do feel it’s an urgent one.
Wir brauchen unbedingt mehr Transparenz auf allen Ebenen der literarischen Produktion; dies ist nur ein Beispiel, aber es hat eine hohe Dringlichkeit.
Der Artikel stieß in verschiedensten Foren, Twitter-Threads und Facebook-Gruppen auf Anklang. Am Hieronymus-Tag, dem Feiertag der Literaturübersetzer:innen, machte Croft aus ihrer Forderung im Guardian eine politische Kampagne, verwendete den Hashtag TranslatorsOnTheCover und veröffentlichte zusammen mit dem Autor Mark Haddon einen offenen Brief, den viele renommierte Übersetzer:innen und Schriftsteller:innen unterzeichneten – mit ersten Erfolgen, wie Lithub kürzlich vermeldete. Der Verlag Pan Macmillan erklärte, dass er die Initiative unterstütze und in Zukunft die Übersetzer:innenamen auf seine Cover drucken werde.
Auch im deutschsprachigen Raum wurde der Artikel von Croft im Internet geteilt und besprochen. In die großen Zeitungen, Magazine oder Blogs hat es die Debatte jedoch noch nicht geschafft. Dabei werden die Namen der Literaturübersetzer:innen auch hierzulande nicht immer auf dem Cover abgedruckt. Wie also positionieren sich die deutschsprachigen Verlage, Übersetzer:innen und Autor:innen? Hier einige von uns kuratierte Stimmen zur Debatte, die hoffentlich auf anderen Plattformen fortgeführt wird.
Jo Lendle, Hanser Verlag
Sichtbarkeit ist wichtig, deshalb hat Hanser als einer der ersten deutschen Verlage damit begonnen, Übersetzerinnen und Übersetzer mit Biographie in Vorschauen und in den Buchklappen aufzuführen. Gegen die Nennung auf dem Cover spricht im Wesentlichen ein einziger Grund: Der Umschlag ist weniger Informations‑, als einladende, umwerbende, stimmungserzeugende Plakatfläche. Daher versuchen wir dort so wenig Schrift wie möglich anzubringen, um es prägnant zu halten.
Karen Nölle, Übersetzerin
Dass deutsche Ausgaben ausländischer Werke zwei Urheber haben, ist zwar selbstverständlich, aber Leserinnen und Lesern noch immer zu wenig bewusst. Wie schön wäre es, wenn sie gleich beim Kauf auf dem Cover sehen könnten, dass sie nicht nur eine Autorin, sondern noch jemanden mitlesen, der oder die den Text in ihrer Sprache gestaltet hat und für ihn verantwortlich ist. Ganz offensichtlich gilt das für Neuübersetzungen, wo es sein kann, dass bis zu sieben gleichzeitig auf dem Markt sind, und die Entscheidung Wen lese ich? bedeutende Konsequenzen hat. Aber auch bei allen anderen Büchern sollte sichtbar sein, wer sie ins Deutsche übertragen hat. Einige Verlage nennen ihre Übersetzer:innen schon auf dem Cover. Das zeigt: Es ist Platz dafür.
Der Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis wurde 2021 für die Übersetzung eines wissenschaftlichen Sachbuchs verliehen. Nur bei einer der 84 Einreichungen stand der Name der Übersetzerin auf der U4. Bei elf weiteren waren immerhin kurze Biographien hinten im Schutzumschlag zu finden. Die übrigen Übersetzernamen standen nur auf der Titelseite. Das ist eine traurige Bilanz. Mein Gefühl sagt mir, wenn sie sichtbarer wären, würde die von ihnen vollbrachte Leistung – die Übersetzung oft außerordentlich umfangreicher Werke mit schwierigsten Inhalten – weit mehr gewürdigt, von der Kritik wie dem Publikum, als es heute der Fall ist.
Und wie wäre es, wenn bei den Bestsellertiteln, mit deren Veröffentlichung es die Verlage oft so eilig haben, meinetwegen erst hinten auf dem Umschlag, stünde: Von Übersetzer:innen 1, 2, 3, 4, 5 in bewunderungswürdiger Geschwindigkeit herausragend übertragen und koordiniert, sodass es den Lektor:innen 1, 2 nicht schwer wurde, diesen mitreißenden Titel druckfertig zu machen? Es ist noch viel zu tun, aber ich bin dafür: Übersetzernamen auf die Cover!
Rebecca Prager, Penguin Random House Verlagsgruppe
Die schöpferische Arbeit von Übersetzer*innen schätzen wir sehr; ohne sie wäre der literarische Austausch zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen nicht möglich. Unsere Lektorate arbeiten eng und vertrauensvoll mit vielen Übersetzer*innen zusammen und selbstverständlich nennen wir ihre Namen prominent im Buch selbst und häufig auch auf dem Umschlag. Dafür gibt es verschiedene Varianten und keine einheitliche Regelung für die mehr als 40 Verlage der Penguin Random House Verlagsgruppe. Bei literarischen Werken finden sich häufig weiterführende Informationen zu Vita und Werk von Übersetzer*innen auf der U4 oder in den Klappentexten unserer Bücher. Um die Orientierung zu erleichtern, richten wir die Aufmerksamkeit der Leser*innen auf der U1 in der Regel allein auf die Namen der Autor*innen. Die Entscheidung über das jeweilige Vorgehen wird in den einzelnen Verlagen für jedes Projekt individuell getroffen.
Sharon Dodua Otoo, Autorin
Ich bin allen literarischen Übersetzer*innen, die meine kreativen Texte von einer Sprache in eine andere übertragen, unendlich dankbar. Die neue Version beinhaltet immer eine Neuinterpretation meiner Ideen, um sie für ein neues Publikum zugänglich zu machen. Das bedeutet immer ein Eintauchen, ein Abwägen, einige Risiken einzugehen. Die Übersetzer*innen verdienen dafür Anerkennung und zwar direkt auf der Vorderseite!
Marieke Heimburger und Ingo Herzke, Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ)
Die Nennung auf dem Cover sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Die Leser:innen haben ein Recht darauf, auf den ersten Blick zu erkennen, wer für den deutschen Text verantwortlich ist – und die Übersetzer:innen haben ein Recht darauf, als Urheber:innen des deutschen Textes genannt und anerkannt zu werden. Klar ist aber auch: Die Nennung auf dem Cover – und damit meinen wir die U1 – ersetzt keine angemessene Vergütung. Die Normseitenhonorare sind in den letzten 20 Jahren effektiv gesunken. Von der Urhebernennung auf dem Cover werden Mieten und Salatköpfe nicht billiger. Die intellektuellen Leistungen der Literaturübersetzer:innen sollten nicht nur symbolisch gewürdigt werden, sondern vor allem durch eine bessere Vergütungspraxis. Wir freuen uns, dass der Verlag Pan MacMillan UK bereits auf die Aktion der britischen Kolleg:innen reagiert hat und verspricht, ab sofort die Übersetzer:innen auf den Umschlägen und in allen Werbematerialien zu nennen. Er geht mit gutem Beispiel voran – mögen ihm viele weitere, auch deutsche Verlage folgen.
Sabine Baumann, Schöffling & Co.
Bei Schöffling & Co. stehen Übersetzerinnen und Übersetzer schon immer auf der Titelseite der von ihnen ins Deutsche übertragenen Bücher. Kurzbiografien der Übersetzenden mitsamt ihren Auszeichnungen in Klappentext und Vorschau sowie auf der Website des Verlags sind bei uns ebenso Standard wie ihre Namensangabe in Buchhandelskatalogen und ‑verzeichnissen in der Kategorie Urheberschaft. Da für uns als unabhängigem literarischen Verlag Übersetzung eine wichtige Rolle spielt und deren Qualität einen Ausweis für unsere internationalen Titel darstellt, möchten wir künftig dazu übergehen, die Übersetzerin oder den Übersetzer eines literarischen Werks auch auf dem Umschlag zu nennen. Begonnen haben wir mit Ulrich Blumenbach als Übersetzer von Witz, dem anspruchsvollen Roman des amerikanischen Gegenwartsautors Joshua Cohen, der im Frühjahr 2022 bei uns erscheinen wird – mit dem Übersetzer auf dem Cover.
Mithul Sanyal, Autorin
Ich finde, dass Übersetzer:innen mit auf dem Buchcover stehen sollten, weil sie Coautor:innen der Übersetzung sind. Ich finde das als Wertschätzung wichtig und auch, weil es ja ein paar Übersetzungen gibt, die ich als Leserin nicht kaufen möchte.
Ron Mieczkowski, Die Andere Bibliothek
Wer für sich in Anspruch nimmt, die Verbreitung von Literatur aus anderen Sprachen im eigenen Sprachraum ernsthaft zu betreiben, wem gelegen ist an regelmäßigen und guten Arbeitsbeziehungen mit den besten Übersetzerinnen und Übersetzern, müsste eigentlich den besonderen Charakter übertragener Bücher – mit ihrer, wenn man so will, Mehrfachautorschaft – an allen Orten betonen. Es gibt jedoch neben allen Scheinargumenten gegen eine solche konsequente Praxis (Gestaltungskonzepte von Buchreihen, vertriebliche Wünsche für eine übersichtliche Kommunikation im Buchhandel) eine Erwägung, die man nicht übergehen sollte.
So unterschiedlich die Übersetzerinnen und Übersetzer in ihren Arbeitsweisen, so unterschiedlich ist auch ihr berufliches Selbstverständnis: Eine stärkere Sichtbarkeit ist nicht von allen erwünscht, es soll sich ereignen, dass der von Verlagsseite vorgeschlagenen Platzierung der Übersetzerbiografie neben der des Autors widersprochen, manchmal sogar jede Erwähnung über die sachliche Auflistung der Arbeit auf der Titelei hinaus (Aus Sprache X übersetzt und mit einem Nachwort versehen von…) rundheraus abgelehnt wird – ein Verlag ist gut beraten, diesen persönlichen Haltungen mit Normierung und formaler Einheitlichkeit zu begegnen. (Und hier ist noch nicht auf die potentielle Konfliktlage mit anderen Akteuren eingegangen: Es gibt Buchgestalter, deren Berufsethos weit über ein dienstleisterisches hinausgeht; wie ist umzugehen mit Nachworten und Essays von anderer Hand, die bisweilen mehr als ein Drittel des gesamten Buchumfangs ausmachen? Wie ist es mit Übersetzungen, die ein derart zupackendes Lektorat erfordern, dass nicht viel mehr als das Textfundament unangetastet bleibt?)
Es gibt womöglich, anders als Jennifer Croft nahelegt, weniger eine Konfliktlinie zwischen einem monolithischen Berufsstand der Übersetzerinnen und dem Gros der Verlage, die geschlossen einer Disziplin mit Lehrstühlen an Universitäten und Verbandsorganisation die verdiente Aufmerksamkeit vorenthalten will – als vielleicht vielmehr eine noch nicht abgeschlossene Diskussion innerhalb der Zunft darüber, welches Verständnis von der eigenen Arbeit überwiegt. Vom möglichen Unbehagen, das eine Norm, in der Übersetzernamen in der Regel auf Umschlägen aufgeführt würden, nicht wenigen bereiten würde, die ihren eigenen dort nicht gerne lesen möchten, machen wir uns noch keine Vorstellung.
Die Verlage jedenfalls wären töricht, wenn sie diese Debatte nicht aufmerksam verfolgten – leichtfertig wären sie aber, wenn sie verlagseigene Einheitlichkeit aufgäben und nur jenen, die den Wunsch äußern, Platz auf ihren Umschlägen einräumten. Es könnte sich erweisen, dass Übersetzerinnen und Übersetzer, die dieser Debatte wenig abgewinnen können und denen unwohl bei dem Gedanken nach stärkerer Sichtbarkeit wäre, nicht weniger ebenbürtige Autorschaft zukommt als jenen, die regelmäßig von ihr sprechen. Vielleicht aber – und das wäre meine persönliche Antwort auf die Frage – ist die Diskussion über den Text auf Buchumschlägen eine Stellvertreterdebatte, die eine grundsätzlichere Unzufriedenheit nicht aus der Welt zu schaffen vermag und den U1en mehr aufbürdet, als sie zu fassen vermögen.
Marcella Melien, Litprom e.V.
Übersetzer*innen leisten eine unverzichtbare Arbeit, wenn es darum geht, internationale Literatur zugänglich zu machen. Sie finden und vermitteln Texte und geben ihnen eine deutsche Stimme. Die Übersetzer*innen namentlich auf dem Buchcover zu nennen, ist eine einfache, aber effektive Art, das zu würdigen und sichtbarer zu machen. Wenn die Übersetzer*innen kreative Lösungen für Sprachbilder finden, schaffen die Grafiker*innen es ja wohl auch, ihre Namen aufs Cover zu setzen!
Sebastian Guggolz, Verleger
Ich bin ganz auf der Seite des Guardian-Artikels, da ich meine Übersetzer und Übersetzerinnen von Anfang an immer auf das Cover gedruckt habe. Ich finde, dass das in Deutschland auch gar nicht so schlecht aussieht, Dörlemann, die Hanser-Klassiker, Matthes & Seitz und vermehrt auch andere folgen zunehmend dieser Praxis. Ich finde aber, dass es dabei nicht bleiben sollte. Das ist ein erster Schritt, der klarmacht, wessen Text man liest, wenn man eine Übersetzung liest: Nämlich den Text des Originalautors oder der Originalautorin, eben in Übersetzung von der jeweiligen Person, die auf dem Cover als Übersetzerin oder Übersetzer genannt wird.
Ich finde allerdings, und praktiziere das so, dass ich beispielsweise in allen Vorschautexten immer auch auf die Übersetzerin oder den Übersetzer eingehe und die spezifische Qualität und die Herausforderungen der Übersetzung. Das kann man sicherlich nicht von allen Büchern fordern, aber ich denke, für anspruchsvolle Literatur sollte das eigentlich ein Ziel sein.
Den Namen der Übersetzerin oder des Übersetzers auf das Cover zu schreiben, halte ich übrigens nicht nur für eine Wertschätzung, ein Schulterklopfen sozusagen, sondern in meinen Augen steckt da auch die Idee dahinter, dem Leser und der Leserin klarzumachen, welcher Entstehungsprozess hinter dem Text steht, der ihm oder ihr entgegentritt. Es ist eben nicht nur die Schöpfung eines Autors oder einer Autorin, sondern die Übertragung in die eigene Sprache durch eine Übersetzerin oder einen Übersetzer. Darauf kann man gar nicht oft genug und laut genug hinweisen.
Eine Stichelei habe ich aber noch: Das Klagen und Fordern der Übersetzer und Übersetzerinnen ist die eine Sache – wenn es ernst gemeint ist, sollten daraus auch die Konsequenzen gezogen werden. Liebe Übersetzer und Übersetzerinnen: Fordert die Nennung auf dem Cover bitte vor Vertragsschluss, lasst es in den Vertrag schreiben. Dann muss es nämlich hinterher auch kein Lamentieren mehr geben. Und übersetzt für Verlage, die euch schlecht behandeln, einfach keine Bücher mehr.
Susanne Lange, Übersetzerin
Wenn es um Musikeinspielungen geht, möchte man natürlich gleich erfahren, wer da dirigiert oder das Instrument spielt: Der Name erscheint zusammen mit dem, der das Stück komponiert hat. Das müsste auch für das Übersetzen selbstverständlich sein, denn gerade die Klaviatur der Sprache ist unerschöpflich, und jede Übersetzung schlägt den Ton anders an.
Widerspruch? Zustimmung? Vermittlungsangebote? Wir würden die Debatte gerne weiterführen und freuen uns über kontroverse Nachrichten an redaktion@tralalit.de.