
Plitsch, platsch, pitsch patsch
Plitsch, platsch! Pitsch, patsch, wie schön ist diese Pfütze! Abzählreime kennen fast alle aus ihrer Kindheit, ene mene muh ist hierzulande fester Bestandteil des Kulturguts. Doch die tatsächliche Bedeutung der rhythmischen Silbenreihungen rückt bei solchen Abzählreimen meist in den Hintergrund. Sie dienen Kindern dazu, per Zufallsprinzip jemanden auszuwählen, sind tief in ihren Kulturkreisen verankert, aber zählen wohl kaum zu Literatur oder Lyrik. Warum also solche Reime übersetzen?
Warum nicht, hat man sich wohl im Verlag Baobab Books gedacht, als man Nazli Hodaie damit beauftragte, Reza Dalvands Version des im Iran allseits bekannten und mündlich überlieferten Abzählreims vom kleinen Vogelkind in der Pfütze zu übersetzen. Abgezählt wird auf einer Hand, das Vöglein fällt in eine Pfütze auf der Handfläche, und während die ersten vier Finger noch hilfsbereit sind, stellt sich heraus, dass es der Daumen war, der das Vogelkind überhaupt erst in die Pfütze gestupst hat.
Doch eigentlich ist die Geschichte auch hier nebensächlich, wichtig sind der Klang, der Rhythmus und die Bilder. In der Übersetzung nie leichte Aspekte, aber Nazli Hodaie ist es gelungen, mit Reimen wie Pfütze-Mütze-Grütze und geschubst-gestupst ein klingendes Gedicht zu schaffen. Der iranische Vers Li li li li hosak (لی لی لی لی حوضک) ist dabei in persischen Schriftzeichen in die Illustration mit eingebunden. Ein Buch zum Vorlesen, Bilder bestaunen und sogar zum Reinbeißen (die Druckfarben auf dem Recyclingkarton sind auf rein pflanzlicher Basis). – Freyja Melsted
Reza Dalvand: Plitsch, platsch – pitsch, patsch / Li li li li hosak
Ein Abzählreim aus dem Iran. Zweisprachig Deutsch – Persisch
Aus dem Persischen von Nazli Hodaie
Baobab Books 2021
Ab 2 Jahren
Folge deinem Stern
Inspiriert wurde das Bilderbuch der amerikanischen Autorin Stephanie V.W. Lucianovic von einer Supernova und der Frage eines Kindes: „Wusstest du, dass Planeten sterben? Ist das nicht traurig?“
Das von Vashti Harrison liebevoll illustrierte und von Anna Schaub übersetzte Buch erzählt die Geschichte eines Mädchens, das eines Abends einen Stern am Nachthimmel sieht. Sichtbar ist er, weil er am Ende seines Lebens zu einer Supernova wird und dadurch hell aufleuchtet. Fasziniert von dem hellen Himmelskörper, der viele Jahre lang strahlt, beginnt sie, sich mit Astronomie zu beschäftigen, und fasst eines Tages den Entschluss, Astronautin zu werden, um ihrem Stern vor dem endgültigen Erlöschen näher zu kommen.
Das Buch inspiriert in kindgerechtem Ton wortwörtlich dazu, nach den Sternen zu greifen, nicht aufzugeben und beharrlich auf einen Traum hinzuarbeiten. Es verpackt die Wunder der Astronomie so, dass die unendliche Weite und die Faszination, die der Weltraum auf Menschen ausübt, greifbar werden. Eine schöne Geschichte, die Kinder zum Träumen anregt. – Alexandra Jordan
Stephanie V.W. Lucianovic: Folge deinem Stern
Aus dem Amerikanischen von Anna Schaub
Illustriert von Vashti Harrison
Zuckersüß Verlag 2021
Ab 4 Jahren
Akissi
Eins vorab: Für besinnliche Weihnachten wäre Akissi die falsche Ansprechpartnerin. Die fidel-freche Protagonistin der gleichnamigen Kindercomics von Marguerite Abouet wäre viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Heimatstadt Abidjan in der Elfenbeinküste aufzumischen, um gemütlich im Familienkreis Plätzchen zu essen oder Weihnachtslieder zu singen.
Aber für alle, die das graue, pandemische Winter-Einerlei hiesiger Breiten satt haben, können die quietschbunten Zeichnungen von Mathieu Sapin in Kombination mit den farbenfrohen Übersetzungen von Ulrich Pröfrock und Annette von der Weppen wie eine Vitaminkur wirken. Glücklicherweise verzichten die beiden darauf, Ortsspezifika wie das wilde Spiel Gâte-Gâte einzudeutschen, und sorgen so für einen amüsanten Kulturimport im Kinderzimmer.
Akissis mitunter halsbrecherische Abenteuer in der großen Stadt möchte man zwar nicht unbedingt selbst erleben, doch ihr Eigensinn und ihr Selbstbewusstsein sind so ansteckend, dass man nach der Lektüre sofort den nächsten Urlaub in Abidjan verbringen möchte. Und wenn das nicht infrage kommt, hat man immerhin ein paar neue Wörter gelernt, neue Bilder gesehen und eine neue Freundin gewonnen. – Felix Pütter
Marguerite Abouet/Mathieu Sapin: Akissi 1–3
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock (Bd. 1–2) und Annette von der Weppen (Bd. 3)
Reprodukt 2021 (Bd. 3)
Ab 6 Jahren
Frauenleben im Lauf der Zeit
Anhand informativer Texte und farbenfroher Illustrationen wird in diesem Kinderbuch die Geschichte der Menschheit, von der Steinzeit bis heute, aus der Perspektive von Frauen präsentiert. Dabei werden Themen wie Beruf, Haushalt, Mode, Religion und medizinischer Fortschritt zu unterschiedlichen Zeiten dargestellt.
Die Geschichtsschreibung erfolgt chronologisch. Die Leser:innen erfahren aber, dass die Rolle der Frau und die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern sich im Laufe der Zeit nicht ausschließlich verbessert hat. Und so merkt auch die frühere Schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey im Vorwort an, dass sie bei der Lektüre die wohlhabenden Frauen im Alten Ägypten beinahe um ihre Freiheit beneidete, während ihr klar wurde, dass Frauen in vielerlei Hinsicht Männern heutzutage immer noch nicht gleichgestellt sind.
Es werden auch berühmte Frauen vorgestellt, die z. B. Kleidung für Frauen entwarfen (wie Coco Chanel und Mary Quant) oder sich als Schriftstellerinnen nur unter Pseudonym oder anonym „einen Namen“ machen konnten (wie die Brontë-Schwestern und Jane Austen). Für Kinder ein interessantes und gleichzeitig inspirierendes Buch zum Thema Gleichberechtigung. – Viktoria Wenker
Katarzyna Radziwiłł: Frauenleben im Lauf der Zeit
Aus dem Polnischen von Martina Polek
Illustriert von Johanna Czaplewska
Helvetiq Verlag 2021
Ab 8 Jahren
Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein
Wenn man jung ist, misst man vielen Dingen einen anderen Wert bei. Eine schmuddelige Decke, eine halb-kaputtes Auto oder ein fast zerfleddertes Kuscheltier lösen in Erwachsenen höchstens nostalgische Gefühle aus – für Kinder können sie jedoch die Welt bedeuten. J.K. Rowlings neueste Schöpfung, der schüchterne Junge Jack, hat ein Frottee-Schwein namens DS, das er überallhin mitnimmt. DS hilft Jack dabei, die Herausforderungen des Lebens zu meistern, dazu gehören die Scheidung der Eltern und ein Schulwechsel. Auch der neue Partner der Mutter und seine störrische Tochter Holly, die mit der Trennung der Eltern genauso wenig zurecht kommt wie Jack, sorgen dafür, dass er die Nähe des Schweins braucht. Als Holly das Schwein im Zuge einer Streiterei aus dem fahrenden Auto wirft, ist Jack am Boden zerstört. Aber in der Nacht vor Weihnachten erwachen seine Spielzeuge zum Leben und erklären ihm, wie er sein geliebtes Schwein aus dem Land der Verlorenen retten kann.
In den letzten Monaten war Rowling vor allem wegen ihrer fragwürdigen politischen Haltungen in den Schlagzeilen. Mit Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein führt sie aber noch mal vor Augen, warum Harry Potter zu so einem Riesenerfolg wurde. Ihr neues Kinderbuch ist ein kurzweiliger, klassischer Abenteuerroman mit einem entschlossenen Helden und einem liebenswerten, aber wenig durchschaubaren Sidekick, die im Land der Verlorenen einige Lektionen über das Leben und den Verlust lernen. In Friedrich Pflügers eingängiger und witziger Übersetzung kann Rowlings Kinderbuch seinen ganzen Charme entfalten. Die zum Leben erwachten Spielzeuge mögen zwar an Toy Story oder den Nussknacker erinnern, anders als dort steht hier aber nicht die Menschlichkeit der Dinge, sondern der Mensch mit seinem gesamten Gefühlsspektrum im Mittelpunkt – denn erst der Mensch verleiht den Dingen ihren ganz besonderen Wert. – Julia Rosche
J.K. Rowling: Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein
Aus dem Englischen von Friedrich Pflüger
Carlsen
Ab 8 Jahren
Alle Welt zu Tisch
Nach Alle Welt und Auf nach Yellowstone! legt das polnische Erfolgspaar Aleksandra Mizielińska und Daniel Mizieliński ein neues großartiges und großformatiges Buch für kleine Entdecker vor. Die Autoren und ihr Übersetzer Thomas Weiler haben sich tief in die kulinarische Recherche gekniet und ihre gesammelten Schmankerl so liebevoll aufbereitet, dass man beim Lesen richtig Appetit auf die große weite Welt bekommt.
Einsteigen kann man ganz nach Geschmack über eine Landkarte, ein chronologisches Inhaltsverzeichnis oder eine Liste von süßen bis deftigen Rezepten. Anhand der Esskultur erfährt man ganz nebenbei Wissenswertes und Kurioses über das Leben in verschiedensten Ländern – etwa, dass Pilzesammeln in Polen Volkssport ist, warum marokkanische Ziegen auf Bäume klettern und dass Glückskekse gar nicht aus China kommen. Das Kapitel zu Deutschland ist dabei ebenso spannend wie die Texte zu exotischen Ländern. Oder wusstet ihr, dass im Mittelalter ein giftiger Pilz im Roggen bei uns regelmäßig Massenwahnvorstellungen ausgelöst hat? Das Buch bietet eine Fülle von Infos, verständlich erklärt und anschaulich bebildert – ein wahrer Genuss für wissbegierige Kinder und ihre Eltern. – Hanne Wiesner
Natalia Baranowska, Aleksandra Mizielińska und Daniel Mizieliński: Alle Welt zu Tisch
Aus dem Polnischen von Thomas Weiler
Moritz Verlag 2021
Ab 10 Jahren
Der Urwald hat meinen Vater verschluckt
Eva hat keinen Vater. Bisher hat ihr das nicht besonders viel ausgemacht, schließlich versteht sie sich mit ihrer Mutter super, aber als sie eine Projektarbeit in Bio schreiben soll, entscheidet sie sich für das Thema „Biologische Väter“. Weder Mutter noch Lehrerin freuen sich über diese Themenwahl, aber Eva lässt sich nicht beirren und macht sich auf die Suche nach ihrem biologischen Vater. Als sie herausfindet, dass der in Suriname lebt, meldet sie sich heimlich bei der TV-Sendung Verlorene Zeit, die Menschen dabei hilft, Verwandte wiederzufinden. Zusammen mit dem Fernsehteam macht sich Eva auf in den surinamesischen Urwald, um ihren Vater aufzuspüren.
Simon van der Geest behandelt in seinem Kinderbuch ein Thema, das heutzutage sicher viele junge Leser:innen anspricht, die genau wie Eva nur mit einem Elternteil aufwachsen. Dadurch, dass Evas Vater in Suriname, einer ehemaligen Kolonie der Niederlande, lebt, erhält der Roman eine wichtige geschichtliche und politische Note, und die Suche nach dem Vater wird zur Suche nach der eigenen Identität. Hierfür taucht der Autor tief in die Welt der zwölfjährigen Eva ein, die nicht nur mit der Vatersuche, sondern auch mit der ersten Verliebtheit, ihrem besten Freund Luuk und ihrer unkooperativen berühmten Mutter zu kämpfen hat – und mit einem sechsten Zeh am rechten Fuß, der immer kribbelt, wenn jemand lügt.
Immer wieder wird der Text von Evas Projektarbeit durchbrochen, in der sie mit lustigen Zeichnungen ihre neuen Erkenntnisse festhält. Die Übersetzerin Andrea Kluitmann hat die achterbahnartige Gefühlswelt der Protagonistin und die rasante Suche nach ihrem Vater gefühlvoll und authentisch ins Deutsche übertragen. – Lisa Mensing
Simon van der Geest: Der Urwald hat meinen Vater verschluckt
Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
Illustriert von Karst-Janneke Rogaar
Thienemann-Esslinger Verlag
Ab 10 Jahren