Hinweis: Im Folgenden werde ich an einigen Stellen den alten Namen von Tobi Lakmaker verwenden. Der Autor ist trans, er ist mit einem anderen Namen zur Welt gekommen. Die Heldin seines Romans trägt allerdings seinen alten Namen und die erste Auflage von „Die Geschichte meiner Sexualität“ ist auch unter diesem Namen veröffentlicht worden. Ich werde daher in der Rezension nicht um das Deadnaming herumkommen, das viele trans Menschen verletzend finden. Ich will niemandem wehtun und bitte daher um Nachsicht.
Übersetzen kann ein undankbarer Job sein. So sehr es vielen Übersetzer:innen wohl manchmal in den Fingern juckt, sie dürfen untalentierten Autor:innen nicht unter die Arme greifen. Kein Spannungsbogen? Kannste nix machen. Langweiliger Plot? Tja, Augen zu und durch. Schlechter Schreibstil? Einfach ans Honorar denken und übersetzen. Shit in, shit out, lautet dann die Durchhalteparole.
Hat sich Christina Brunnenkamp dieses Mantra innerlich vorgesagt, als sie „Die Geschichte meiner Sexualität“ von Tobi Lakmaker übersetzt hat? Der junge Autor gilt in seinem Heimatland, den Niederlanden, als Shootingstar der Literaturszene. Gelobt hat das niederländische Feuilleton den humorvollen und ehrlichen Stil in Lakmakers Debüt. Aber vielleicht sind das auch Vorschusslorbeeren, die alle Bücher von Das Mag einheimsen, einem jungen hippen Verlag, der junge hippe Autor:innen unter Vertrag hat, die Geschichten für junge hippe Leute schreiben.
Auf dem Umschlag von De Geschiedenis van mijn seksualiteit steht zwar das Genre „Roman“, doch in Wahrheit hat Lakmaker seine eigene Biografie aufgeschrieben. Dass Die Geschichte meiner Sexualität eigentlich kein Roman ist, daraus macht Lakmaker keinen Hehl: Die Ich-Erzählerin heißt Sofie Lakmaker, mit diesem Namen ist der Autor 1994 in Amsterdam zur Welt gekommen. Geboren im Körper eines Mädchens, konnten sich die fiktive und der echte Lakmaker nie mit der Rolle als Frau identifizieren.
Die Suche nach dem eigenen Ich ist deshalb das zentrale Sujet von Die Geschichte meiner Sexualität, sie erzählt außerdem von Geschlechterklischees und dem ganz normalen studentischen Wahnsinn. Lakmakers Lebensgeschichte ist nicht uninteressant – nur leider ziemlich langweilig erzählt. Viel Sex steckt in der Story nicht.
Seit Lakmakers Outing als trans Mann ist Die Geschichte meiner Sexualität ein Stück weiter in die Fiktion gerückt. Seine Transidentität wird im Vorspann schon angedeutet. Dort schreibt er:
Inmiddels heb ik heel kort haar en zit ik in een praatgroep voor transgenders. Wil je daar meer over weten? Bel me maar. Ik ben ook helemaal geen transgender, ik ben gewoon iemand die heel graag vrouwen penetreert en het beu is omwille daarvan de hele tijd apparaten aan te schaffen.
Inzwischen habe ich sehr kurzes Haar und gehe in eine Selbsthilfegruppe für Transgender. Willst du mehr darüber wissen? Ruf mich gerne an. Ich bin überhaupt nicht transgender, sondern einfach nur jemand, der gerne Frauen penetriert und es leid ist, dafür ständig Geräte anschaffen zu müssen.
Ohne viel Schnickschnack erzählt
Diese kurze Passage sagt einiges aus über den Erzählstil und die Stimme der Autobiografie. Lakmaker schreibt in kurzen, schnörkellosen Sätzen. Er spricht seine Leser:innen direkt an und nimmt ihnen ein Stück Interpretationsarbeit ab, indem er die von ihm intendierte Betonung des Satzes kursiviert. Das Kursivieren ist aber in der niederländischen Literatur keine Seltenheit. Außerdem verzichtet er auf ein abwechslungsreiches Vokabular – stattdessen langweilt er seine Leser:innen mit Wiederholungen:
In havermoutpap zitten heel veel bruikbare calorieën, en daarom at ik op een gegeven moment eigenlijk alleen nog maar havermoutpap. Havermoutpap als ontbijt; havermoutpap als lunch; soms dineerde ik zelfs met havermoutpap. Nu eet ik nooit meer havermoutpap. Als je maar lang genoeg op ieder deel van de dag havermoutpap eet, heb je het na verloop van tijd echt wel gezien met die maaltijd. Al helemaal wanneer je die havermoutpap er ook weer uit hebt zien komen.
Haferbrei enthält jede Menge nützliche Kalorien, und deshalb aß ich irgendwann nur noch Haferbrei. Haferbrei zum Frühstück, Haferbrei zum Mittagessen und manchmal sogar zum Abendessen. Wenn man lange genug mehrmals täglich Haferbrei isst, ist man ihn nach einer Weile wirklich extrem leid. Vor allem, wenn man auch gesehen hat, wie der Haferbrei wieder herauskommt.
Auf der Makroebene der Erzählung verzichtet Lakmaker auf einen zusammenhängenden Plot mit Chronologie. Stattdessen erzählt er Die Geschichte meiner Sexualität in einer Art Bewusstseinsstrom, in dem er ungeregelt von Thema zu Thema springt. Dieses Defizit gesteht er sich sogar selbst ein:
Het zou kunnen dat sommigen van jullie het chronologische spoor van dit verhaal een beetje bijster beginnen te raken. Ontzettend vervelend, lijkt me dat. Daarom leg ik het maar even uit: in het eerste deel zijn we met de tijd meegegaan, en in het tweede deel gaan we zo ongeveer de tijd terug.
Es könnte sein, dass manche von euch den chronologischen Faden dieser Geschichte so langsam verlieren. Extrem nervig, könnte ich mir vorstellen. Deshalb erkläre ich es kurz: Im ersten Teil bewegen wir uns mit der Zeit mit, und im zweiten Teil gehen wir, grob gesagt, in der Zeit zurück.
Egozentrik und Arroganz
Diese Aussage klingt aber auch ein wenig nach: Liebe Leser:innen, eigentlich seid ihr zu doof, um meiner genialen Geschichte zu folgen. Dieser herablassende Ton zieht sich ebenfalls durch die gesamte Geschichte, wahrscheinlich soll das lustig sein. Geschmackssache. Mit den Nebenfiguren geht Lakmaker erzählerisch auch ziemlich lieblos um. Er beschreibt das Aussehen seiner Mitmenschen selten, die Figuren kann man sich als Leser:in – wenn überhaupt – nur schemenhaft vorstellen. Ein grober Schnitzer in einer Erzählung, die von Sexualität, Liebe und Zwischenmenschlichkeit handeln soll. Meist äußert sich Lakmaker abschätzig über die anderen Figuren der Geschichte. Ein Beispiel:
Weet je wat ze almaar zeiden, over die reis die ik maakte toen ik achtien jaar oud was? ‘Hier zit een roman in.’ Het is niet zo vriendelijk om te zeggen, maar bij mijn uitgeverij zeggen ze dat ongeveer bij alles. Je struikelt over een bananenschil en ze bellen je alweer.
Wisst ihr, was sie immer über die Reise sagten, die ich mit achtzehn gemacht habe? ‚Da steckt ein Roman drin.‘ Es ist nicht sonderlich nett, das zu sagen, aber: Bei meinem Verlag behaupten sie das von so ziemlich allem. Du rutschst auf einer Bananenschale aus, und schon rufen sie dich wieder an.
Es mangelt aber nicht nur den Figuren an Einzigartigkeit und Individualität. Viele Szenen, die im Text geschildert werden, sind schlicht und fantasielos erzählt. So schreibt er beispielsweise über seine erste lesbische Romanze, dass die Frischverliebten nicht die Finger voneinander lassen können – alles schon zigmal irgendwo anders gelesen:
Het is een beetje ranzig om te zeggen, maar Kyra en ik hebben alleen maar geneukt in Slowakije. Neuken, neuken, neuken: dat was het. Zelfs eten deden we nog maar nauwelijks.
Es klingt vielleicht ein bisschen versaut, aber das Einzige, was Kyra und ich in der Slowakei gemacht haben, ist ficken. Ficken, ficken, ficken: Das war’s. Sogar gegessen haben wir kaum.
Immerhin gibt es zwei Aspekte, die dieser blassen Geschichte Farbe verleihen: Lakmaker gelingt es, den Sterbeprozess seiner krebskranken Mutter ergreifend darzustellen. Auch die tiefen Einblicke in seine eigene Psyche, die von Genderdysphorie, Ess- und Angststörungen gekennzeichnet ist, sind oft berührend und „bis zur Selbstverletzung ehrlich“ geschrieben:
Zelf kreeg ik er in ieder geval de ene angstaanval na de andere. Het ging niet meer, weet je wel? […] Wanneer je in je eigen echo leeft, zie en hoor je alleen jezelf, en vraag je je in groeiende mate af of je het kwijt begint te raken. Wat het is weet je niet, en dat zorgt alleen nog maar voor meer angst. Want angst die had ik. Godallejezus. Angst voor de les, angst na de les, angst met het opstaan, angst op de fiets.
Selbst bekam ich jedenfalls eine Panikattacke nach der anderen. Es ging nicht mehr, versteht ihr? […] Wenn man in seinem eigenen Echo lebt, sieht und hört man nur sich selbst und fragt sich zunehmend, ob es einem entgleitet. Was es ist, weiß man nicht, und das führt zu noch mehr Angst. Denn Angst, die hatte ich. Alter Schwede! Angst vor der Uni, Angst nach der Uni, Angst beim Aufstehen, Angst auf dem Fahrrad.
Das Problem mit dem Gender
Aber genug des Verrisses – kommen wir zur Übersetzung: Hier findet sich eine interessante Parallele zwischen Inhalt und Übersetzung der Geschichte. Während die Ich-Erzählerin Sofie mit ihrem Geschlecht hadert, wirft sich auch in der Übersetzung die Frage auf: Wie soll Geschlecht in einer queeren Geschichte übersetzt werden?
Die deutsche Übersetzung verzichtet auf Gendersternchen oder ‑doppelpunkt. Das ist schade, denn der Mut zum konsequenten Gendern hätte gut in den Kontext queerer Literatur gepasst. Mehr noch: Würde Lakmaker seine Texte auf Deutsch verfassen, er würde wohl mit Selbstbewusstsein darauf pochen. Ob das fehlende Gendern aber eine Entscheidung des Piper-Verlags oder der Übersetzerin Christina Brunnenkamp gewesen ist, lässt sich nicht beantworten.
An einer Stelle stolpert man beim Lesen regelrecht über das Nicht-Gendern. Der Uni-Alltag nimmt in Die Geschichte meiner Sexualität breiten Raum ein, „Studenten“ heißen an deutschen Hochschulen schon lange „Studierende“. Trotzdem verwendet Brunnenkamp in der Übersetzung das generische Maskulinum:
Er zijn toen meerdere mensen beginnen te huilen, wat ik om eerlijk te zijn een beetje irritant vond. Het zijn zachtgekookte eieren, die Slavische talenstudenten. Zelfs een sneeuwbal komen ze niet te boven.
Dann fingen noch mehr Leute an zu weinen, was ich ehrlich gesagt ein bisschen nervig fand. Was für Weicheier, diese Russischstudenten! Nicht mal einen Schneeball können sie verkraften.
Das niederländische studenten und das deutsche Studenten sind nicht gleichbedeutend. Der niederländische Ausdruck ist genderneutral, weil der maskuline „student“ und die feminine „studente“ beide im Plural als „studenten“ bezeichnet werden. An anderer Stelle beweist Brunnenkamp jedoch, dass sie gendersensibel übersetzen kann:
Ik ken Saskia Ketting vrij goed – hen behoort tot mijn inner circle.
Ich kenne Saskia Ketting ziemlich gut – sier gehört zu meinem Inner circle.
Saskia Ketting ist hierbei ein besonders schwieriges Übersetzungsproblem: Sier ist eine nichtbinäre Figur und beansprucht das Pronomen „hen“ für sich. Das niederländische „hen“ ist eigentlich das Objektpronomen in dritter Person Plural, wird aber auch von einigen nichtbinären Personen für sich beansprucht, denn es klingt genauso wie das Neopronomen, das 2015 im Schwedischen für nichtbinäre Geschlechter eingeführt worden ist.
Brunnenkamp übersetzt „hen“ mit „sier“ – ein Neopronomen, das auch in der nichtbinären Community im deutschsprachigen Raum Verwendung findet. Sie und er werden verschmolzen, um die nichtbinäre Geschlechtsidentität anzuzeigen. Das mag nicht unbedingt folgerichtig sein, denn nichtbinäre Menschen sind nicht unbedingt männlich und weiblich, sie können auch weder männlich noch weiblich sein. Allerdings erschließt sich die Bedeutung von sier beim Lesen schneller als andere Alternativen wie dey, xier oder nin.
Eigensinniger Humor
Und dann ist da noch die Sache mit Lakmakers arroganten Witzchen – Humor ist ja ein häufiges Übersetzungsproblem, weil er sich oft schwer von einer Kultur in die andere übertragen lässt:
Walter en ik ontmoetten elkaar in café Mazzeltof, vlak nadat ik Matthijs van Nieuwekerk had ge-sms’t. Dat was de man met wie ik werkelijk naar bed wilde, […]
Walter und ich hatten uns im Mazzeltof kennengelernt, kurz nachdem ich Matthijs van Nieuwekerk gesimst hatte. Eigentlich wäre ich viel lieber mit Van Nieuwekerk ins Bett gegangen […]
Mal abgesehen davon, dass der zweite Satz nicht äquivalent mit dem Original ist (im Niederländischen steht: „Das war der Mann, mit dem ich in Wirklichkeit ins Bett wollte“), geht der Witz des Satzes in der Übersetzung verloren. Niederländer:innen finden die Anspielung an Matthijs van Nieuwekerk witzig, weil sie wissen, wer das ist: ein berühmter Fernsehmoderator Anfang 60 mit Zottelfrisur, der ein bisschen aussieht wie Thomas Gottschalk. Wäre es dann nicht besser gewesen, einfach die für den Witz relevanten Bedeutungsinhalte statt des Eigennamens zu übersetzen?
Generell fällt auf, dass Brunnenkamp die Realia in Die Geschichte meiner Sexualität oft einfach unverändert aus dem Niederländischen übernommen hat. Realia sind kulturspezifische Begriffe, die in der Zielkultur unverständlich und daher erklärungsbedürftig sind. Deutsche wissen zum Beispiel nicht, was Vrij Nederland ist, sie wissen aber, was eine linke Wochenzeitung ist. Sie kennen De Hokjesman nicht, aber sie verstehen, dass das eine bekannte niederländische Dokureihe ist. Sie kennen den Kennedylaan in Amsterdam-Zuid nicht, sie können sich aber etwas vorstellen unter dem teuersten Pflaster in Amsterdams Reichenviertel. Ein geschickterer Umgang mit Realia hätte der Übersetzung gutgetan.
Eine passable Leistung
Brunnenkamps Übersetzung fehlt hier und da der Mut – aber insgesamt ist Die Geschichte meiner Sexualität gelungen übersetzt. Übersetzte Literatur muss nicht den Inhalt der Erzählung treu wiedergeben, sondern vielmehr dieselben Bilder, Emotionen und Assoziationen in den Leser:innen wecken wie das Original. Legt man diesen Maßstab an die Übersetzung, dann ist sie durchaus gelungen. Lakmakers Stimme– die arrogante Koketterie, der herablassende Humor, der trockene Erzählstil – spiegelt sich sehr wohl in der Übersetzung wider.
Es gibt viel queere Literatur, die mitreißt und berührt, die Empathie und Verständnis schafft, die zu Tränen rührt und das Gesicht vor Peinlichkeit rotwerden lässt, die – kurz gesagt – ins Herz geht. Die Geschichte meiner Sexualität gehört leider nicht dazu. Und das liegt nicht an der Übersetzung.