Mein ers­tes Mal: Lisa Kögeböhn

Lisa Kögeböhn berichtet von besonders kreativen Akquisemethoden und davon, wie ihre erste Übersetzung sie sogar ins Fernsehen brachte. Von

Foto der Übersetzerin Lisa Kögeböhn. Frau in gelbem Pullover mit Brille und dunklen Haaren.
Foto der Übersetzerin Lisa Kögeböhn: privat.

In der Rei­he „Mein ers­tes Mal“ berich­ten Übersetzer:innen von ihrer ers­ten lite­ra­ri­schen Über­set­zung. Sie plau­dern aus dem Näh­käst­chen, berich­ten von den Lei­den des jun­gen Übersetzer:innenlebens und ver­ra­ten, in wel­che Fal­le man als Anfänger:in bloß nicht tap­pen soll­te. Alle Bei­trä­ge der Rei­he sind hier nachzulesen.


Let meeeee enter­tain you! Die­ser Ohr­wurm soll das Mot­to für die Geschich­te mei­ner aller­ers­ten Über­set­zung sein, einer Auto­bio­gra­fie von Rob­bie Wil­liams, die – und das muss ich vor­weg­neh­men – ein ganz und gar unty­pi­scher Start in die Über­set­ze­rin­nen­kar­rie­re war. Denn kaum hat­te ich mein Lite­ra­tur­über­set­zen-Diplom der Uni Düs­sel­dorf in der Tasche, habe ich erst mal Hartz 4 bean­tragt. Schließ­lich hat­te man uns an der Uni erfolg­reich ein­ge­bläut, dass wir es mit die­sem Orchi­deen­stu­di­en­gang nie zu etwas brin­gen wür­den, zu Geld schon mal gar nicht. Mei­ner Groß­mutter muss­te ich sogar erklä­ren, was ich mit dem Stu­di­um anfan­gen woll­te, auch wenn ich eigent­lich gedacht hat­te, „Lite­ra­tur­über­set­zen“ sei recht selbst­er­klä­rend. Kurz­um: Ich rech­ne­te nicht damit, so bald an mei­nen ers­ten Auf­trag zu kommen.

Die gro­ße Fra­ge war ja auch: Wie stel­le ich das als blu­ti­ge Anfän­ge­rin frisch von der Uni über­haupt an? Wie bekom­me ich in einer Bran­che, in der alles über Kon­tak­te und Emp­feh­lun­gen unter Kolleg*innen läuft, einen Fuß in die Tür? Mei­ne Kol­le­gin­nen a. k. a. ehe­ma­li­gen Kom­mi­li­to­nin­nen waren mir kei­ne Hil­fe, weil sie eben­falls ganz am Anfang stan­den, und für offen­si­ves Net­wor­king bei Buch­mes­sen, im Ver­band, bei Stamm­ti­schen und Work­shops war ich damals noch viel zu schüch­tern und intro­ver­tiert. Ich ver­such­te es also mit einem wenig erfolg­ver­spre­chen­den Weg: Initia­tiv­be­wer­bun­gen an Verlage.

Die ers­te Schwie­rig­keit war, über­haupt Namen von Lektor*innen her­aus­zu­fin­den, denn auf den Ver­lags­home­pages waren (sicher­lich aus gutem Grund, Mail­flut olé!) kei­ne Ansprechpartner*innen und Mail­adres­sen der Lek­to­ra­te ange­ge­ben. Statt­des­sen wühl­te ich mich durch die Per­so­na­lia-Mel­dun­gen im Bör­sen­blatt und schick­te alt­mo­di­sche Papier­be­wer­bun­gen mit Pro­be­über­set­zung an Lektor*innen, die dort erwähnt wur­den: „Jun­ge moti­vier­te Über­set­ze­rin sucht Auf­trag“, eine Vor­ge­hens­wei­se, die ich nicht emp­feh­len wür­de, denn es gab kaum Reak­tio­nen, wenn über­haupt Absa­gen: „Tut uns leid, aber wir ver­fü­gen bereits über einen fes­ten Stamm an Über­set­zern.“ Um aus den Aller­welts­be­wer­bun­gen her­aus­zu­ste­chen, mit denen die Ver­la­ge garan­tiert bom­bar­diert wur­den, ver­such­te ich es zwi­schen­zeit­lich sogar mit Anschrei­ben, die in den unter­schied­li­chen Gen­res geschrie­ben waren, die ich gern über­set­zen woll­te. So nach dem Motto:

„Nicht nur bei Lie­bes­ro­ma­nen inves­tiert sie Herz­blut, gera­ten ihre Endor­phi­ne in Wal­lung, wer­den die Buch­sei­ten zu flat­tern­den Schmet­ter­lin­gen in ihrem Bauch, setzt sie ihrem Sprach­zen­trum die rosa­ro­te Bril­le auf – sie ist immer mit gan­zem Her­zen bei der Sache. Aber sie passt auch auf wie ein Schieß­hund, über­setzt treff­si­cher und ziel­ge­nau, und wenn der Count­down abge­lau­fen ist, dann haben Sie ihre Thril­ler-Über­set­zung auf dem Schreibtisch.“

Erfolg hat­te ich am Ende doch mit einer ganz nor­ma­len Bewer­bung an die Hey­ne-Lek­to­rin einer Freun­din und Kom­mi­li­to­nin, die schon ihren ers­ten Über­set­zungs­auf­trag ergat­tert hat­te, Netz­werk light also. Und tat­säch­lich, kei­ne zwei Mona­te nach Uni­ab­schluss und Arbeits­lo­sen­geld­be­an­tra­gung mel­de­te sie sich bei mir und ließ mich zur Pro­be Bild­un­ter­schrif­ten für eine Lady-Gaga-Bio­gra­fie über­set­zen. Die schien ich ganz gut hin­ge­kriegt zu haben, denn kur­ze Zeit spä­ter rief mich eine Kol­le­gin aus dem Sach­buch­lek­to­rat an und bot mir eine Rob­bie-Wil­liams-Bio­gra­fie an: „You know me“, ein auto­bio­gra­fi­scher Bild­band. Zwar war ich nie der Boy­band­typ gewe­sen (mei­ne ers­ten bei­den CDs stamm­ten von den Spi­ce Girls und Tic Tac Toe) und hat­te Rob­bie Wil­liams bis­her nur in Form unfrei­wil­li­ger Ohr­wür­mer kon­su­miert, aber beim ers­ten Auf­trag stellt man kei­ne Fra­gen. So kam ich zu den Musik­bio­gra­fien, von denen ich im Anschluss noch eine gan­ze Rei­he über­set­zen sollte.

Aber wenn es doch sowie­so kein Patent­re­zept oder einen „typi­schen“ Ein­stieg ins Lite­ra­tur­über­set­zen gibt, was war denn dann so unty­pisch an die­sem ers­ten Auf­trag? Zum einen erhielt ich direkt beim ers­ten Über­set­zungs­pro­jekt eine vier­stel­li­ge Sum­me Tan­tie­men – ein Glücks­tref­fer, der völ­lig fal­sche Erwar­tun­gen weck­te, denn bei den fol­gen­den Pro­jek­ten domi­nier­te der wesent­lich ver­brei­te­te­re (Nicht-)Betrag von 0,00 € die all­jähr­li­chen Abrech­nun­gen über Ver­kaufs­be­tei­li­gun­gen. Und noch unty­pi­scher an die­sem ers­ten Pro­jekt war, dass kurz nach Erschei­nen das Fern­se­hen anrief. Der rbb woll­te einen kur­zen Bei­trag über das Buch brin­gen, und da Rob­bie Wil­liams lei­der nicht fürs Früh­stücks­fern­se­hen zur Ver­fü­gung stand, nah­men sie eben mit sei­ner Über­set­ze­rin vor­lieb. So kam es, dass ich mit einem Kame­ra­team im Kul­tur­kauf­haus Duss­mann in Ber­lin ein­fiel und zwi­schen gro­ßen Sta­peln von „You know me“ ein paar Fra­gen zum Buch beant­wor­te­te. Für mich als intro­ver­tier­te klei­ne Über­set­ze­rin war die­ser Fern­seh­auf­tritt eine Rie­sen­über­win­dung, gleich­zei­tig aber auch so eine ein­ma­li­ge Chan­ce, dass ich nicht Nein sagen konn­te. Lei­der ist die DVD mit dem Bei­trag irgend­wann ver­lo­ren gegan­gen, es gibt also kein Beweis­ma­te­ri­al mehr, wie ich einem lebens­gro­ßen Rob­bie-Papp­auf­stel­ler treu­doof über die Schul­ter gucke.

Ein biss­chen treu­doof liest sich jetzt, 12 Jah­re spä­ter, auch mei­ne Über­set­zung. Wenn ich mei­nem dama­li­gen Ich einen Tipp geben könn­te, wür­de ich ihm raten: Trau dich! Denn die Beson­der­heit und zugleich auch Schwie­rig­keit die­ses ers­ten Pro­jekts war des­sen Münd­lich­keit. Kon­zept des Buches ist, dass Rob­bie Wil­liams sein per­sön­li­ches Foto­al­bum auf­schlägt und sei­nem Co-Autor, dem Musik­jour­na­lis­ten Chris Heath, zu jedem Bild eine Anek­do­te erzählt. Die­se Zita­te sind unter oder neben den jewei­li­gen Fotos abge­druckt und vom Ton­fall sehr locker-flo­ckig-läs­sig und cool, was für mich als unge­üb­te Über­set­ze­rin offen­sicht­lich eine Her­aus­for­de­rung war – zumin­dest im Rück­blick. Ich glau­be, damals fand ich die Über­set­zung in jugend­li­cher Selbst­über­schät­zung ziem­lich gelun­gen. Zwar habe ich stel­len­wei­se ziem­lich frei über­setzt, umge­stellt und mich nicht all­zu streng an Satz­gren­zen gehal­ten, wo ich es pas­send fand, trotz­dem wir­ken die Rob­bie-Zita­te teils sehr gestelzt und wenig münd­lich. Ein Beispiel:

[Enter­tain­ment] meant a gre­at deal to me when I was a kid. I spent a lot of time fashio­ning some kind of talent, being in the ama­teur ope­ra­tic socie­ty, audi­tio­ning and sin­ging when I could. I was reason­ab­ly good at it. I did The King and IChit­ty Chit­ty Bang Bang, and Fidd­ler on the Roof.

Als Kind war mir [Enter­tain­ment] wirk­lich wich­tig. Ich habe in einer Musi­cal­grup­pe mit­ge­macht und viel Zeit damit ver­bracht, mein Talent wei­ter aus­zu­bil­den, bin zu Cas­tings gegan­gen und habe in jeder frei­en Minu­te gesun­gen. Ich war ziem­lich gut und habe in eini­gen Insze­nie­run­gen mit­ge­wirkt: Der König und ichTschit­ti Tschit­ti Bäng Bäng und Ana­tev­ka.

„In eini­gen Insze­nie­run­gen mit­ge­wirkt“?! Der arme Rob­bie klingt in mei­ner Über­set­zung wie ein 90-jäh­ri­ger Schau­spie­ler, der auf sei­ne lan­ge Thea­ter­kar­rie­re zurück­blickt. Da habe ich mich auf jeden Fall im Regis­ter ver­grif­fen. An ande­rer Stel­le habe ich ihn kor­rek­te indi­rek­te Rede mit Kon­junk­tiv benut­zen las­sen, auch das wirkt für ver­schrift­lich­te Münd­lich­keit zu distan­ziert. Klas­si­scher Fall aller­dings, denn anfangs ist man natür­lich bemüht, alles rich­tig zu machen und hat noch nicht den Mut, objek­ti­ve „Feh­ler“ wie fal­sche Kon­junk­ti­ve ein­zu­bau­en – oder hat schlicht noch kein erprob­tes Reper­toire von Umgangs­spra­che­mar­kern parat. Das ist etwas, was ich mir erst über die Jah­re erar­bei­tet habe. Ich fürch­te aber auch, 43 (mit-)übersetzte Bücher spä­ter bin ich beim Lesen von Über­set­zun­gen ziem­lich pin­ge­lig gewor­den und set­ze sehr stren­ge Maß­stä­be an. Trotz­dem wun­dert mich nach wie vor, dass der Hey­ne-Ver­lag eine Über­set­zung, von der rela­tiv klar oder zumin­dest zu hof­fen war, dass sie ein Best­sel­ler wer­den wür­de, an eine Anfän­ge­rin ver­ge­ben hat. Für mich defi­ni­tiv ein Glücks­fall, auch wenn ich von dem Hono­rar erst mal mein gesam­tes Hartz 4 zurück­zah­len musste.

Übri­gens stel­le ich mir bis heu­te gern das Gesicht des Buch­händ­lers vor, bei dem mei­ne damals 97-jäh­ri­ge Groß­mutter die brand­neue Auto­bio­gra­fie von Rob­bie Wil­liams bestellt hat. Er konn­te ja nicht ahnen, dass es die aller­ers­te Über­set­zung ihrer Enke­lin war.

Und jetzt alle: Let meeeee enter­tain you …


Lisa Köge­böhn


Lisa Köge­böhn, gebo­ren 1984 in Nord­deutsch­land, stu­dier­te Lite­ra­tur­über­set­zen in Düs­sel­dorf und Stras­bourg. Seit 2010 über­setzt sie Roma­ne und Sach­bü­cher aus dem Eng­li­schen, dar­un­ter Autor*innen wie Kevin Kwan, Megan Nolan und Coco Mell­ors. Wenn sie nicht am Schreib­tisch sitzt, sam­melt sie Pil­ze, backt Tor­ten und setzt sich auf Insta­gram als @koegeboehnsche für die Sicht­bar­keit ihres Berufs ein. Sie orga­ni­siert den Literaturübersetzer*innen-Stammtisch in Leip­zig, wo sie mit ihrer Fami­lie lebt.


Rob­bie Wil­liams & Chris Heath | Lisa Köge­böhn

You know me



Hey­ne 2011 ⋅ 288 Seiten 


Buchcover des Romans Tiepolo Blau von James Cahill. Auf dem Cover ist eine Büste auf blauem Grund zu sehen, die an der Nasenwurzel abgeschnitten ist.

Das Blau des Himmels

In James Cahills Roman­de­büt „Tie­po­lo Blau“ wird ein zurück­ge­zo­gen leben­der Pro­fes­sor von einem moder­nen Kunstwerk… 
Cover von Pol Guaschs Roman Napalm im Herzen. Illustration eines jungen Menschen mit dunklen Haaren in grellen Rottönen.

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In „Napalm im Her­zen“ erzählt der kata­la­ni­sche Autor Pol Guasch eine que­e­re Lie­bes­ge­schich­te in einem… 
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