In der Reihe „Mein erstes Mal“ berichten Übersetzer:innen von ihrer ersten literarischen Übersetzung. Sie plaudern aus dem Nähkästchen, berichten von den Leiden des jungen Übersetzer:innenlebens und verraten, in welche Falle man als Anfänger:in bloß nicht tappen sollte. Alle Beiträge der Reihe sind hier nachzulesen.
Let meeeee entertain you! Dieser Ohrwurm soll das Motto für die Geschichte meiner allerersten Übersetzung sein, einer Autobiografie von Robbie Williams, die – und das muss ich vorwegnehmen – ein ganz und gar untypischer Start in die Übersetzerinnenkarriere war. Denn kaum hatte ich mein Literaturübersetzen-Diplom der Uni Düsseldorf in der Tasche, habe ich erst mal Hartz 4 beantragt. Schließlich hatte man uns an der Uni erfolgreich eingebläut, dass wir es mit diesem Orchideenstudiengang nie zu etwas bringen würden, zu Geld schon mal gar nicht. Meiner Großmutter musste ich sogar erklären, was ich mit dem Studium anfangen wollte, auch wenn ich eigentlich gedacht hatte, „Literaturübersetzen“ sei recht selbsterklärend. Kurzum: Ich rechnete nicht damit, so bald an meinen ersten Auftrag zu kommen.
Die große Frage war ja auch: Wie stelle ich das als blutige Anfängerin frisch von der Uni überhaupt an? Wie bekomme ich in einer Branche, in der alles über Kontakte und Empfehlungen unter Kolleg*innen läuft, einen Fuß in die Tür? Meine Kolleginnen a. k. a. ehemaligen Kommilitoninnen waren mir keine Hilfe, weil sie ebenfalls ganz am Anfang standen, und für offensives Networking bei Buchmessen, im Verband, bei Stammtischen und Workshops war ich damals noch viel zu schüchtern und introvertiert. Ich versuchte es also mit einem wenig erfolgversprechenden Weg: Initiativbewerbungen an Verlage.
Die erste Schwierigkeit war, überhaupt Namen von Lektor*innen herauszufinden, denn auf den Verlagshomepages waren (sicherlich aus gutem Grund, Mailflut olé!) keine Ansprechpartner*innen und Mailadressen der Lektorate angegeben. Stattdessen wühlte ich mich durch die Personalia-Meldungen im Börsenblatt und schickte altmodische Papierbewerbungen mit Probeübersetzung an Lektor*innen, die dort erwähnt wurden: „Junge motivierte Übersetzerin sucht Auftrag“, eine Vorgehensweise, die ich nicht empfehlen würde, denn es gab kaum Reaktionen, wenn überhaupt Absagen: „Tut uns leid, aber wir verfügen bereits über einen festen Stamm an Übersetzern.“ Um aus den Allerweltsbewerbungen herauszustechen, mit denen die Verlage garantiert bombardiert wurden, versuchte ich es zwischenzeitlich sogar mit Anschreiben, die in den unterschiedlichen Genres geschrieben waren, die ich gern übersetzen wollte. So nach dem Motto:
„Nicht nur bei Liebesromanen investiert sie Herzblut, geraten ihre Endorphine in Wallung, werden die Buchseiten zu flatternden Schmetterlingen in ihrem Bauch, setzt sie ihrem Sprachzentrum die rosarote Brille auf – sie ist immer mit ganzem Herzen bei der Sache. Aber sie passt auch auf wie ein Schießhund, übersetzt treffsicher und zielgenau, und wenn der Countdown abgelaufen ist, dann haben Sie ihre Thriller-Übersetzung auf dem Schreibtisch.“
Erfolg hatte ich am Ende doch mit einer ganz normalen Bewerbung an die Heyne-Lektorin einer Freundin und Kommilitonin, die schon ihren ersten Übersetzungsauftrag ergattert hatte, Netzwerk light also. Und tatsächlich, keine zwei Monate nach Uniabschluss und Arbeitslosengeldbeantragung meldete sie sich bei mir und ließ mich zur Probe Bildunterschriften für eine Lady-Gaga-Biografie übersetzen. Die schien ich ganz gut hingekriegt zu haben, denn kurze Zeit später rief mich eine Kollegin aus dem Sachbuchlektorat an und bot mir eine Robbie-Williams-Biografie an: „You know me“, ein autobiografischer Bildband. Zwar war ich nie der Boybandtyp gewesen (meine ersten beiden CDs stammten von den Spice Girls und Tic Tac Toe) und hatte Robbie Williams bisher nur in Form unfreiwilliger Ohrwürmer konsumiert, aber beim ersten Auftrag stellt man keine Fragen. So kam ich zu den Musikbiografien, von denen ich im Anschluss noch eine ganze Reihe übersetzen sollte.
Aber wenn es doch sowieso kein Patentrezept oder einen „typischen“ Einstieg ins Literaturübersetzen gibt, was war denn dann so untypisch an diesem ersten Auftrag? Zum einen erhielt ich direkt beim ersten Übersetzungsprojekt eine vierstellige Summe Tantiemen – ein Glückstreffer, der völlig falsche Erwartungen weckte, denn bei den folgenden Projekten dominierte der wesentlich verbreitetere (Nicht-)Betrag von 0,00 € die alljährlichen Abrechnungen über Verkaufsbeteiligungen. Und noch untypischer an diesem ersten Projekt war, dass kurz nach Erscheinen das Fernsehen anrief. Der rbb wollte einen kurzen Beitrag über das Buch bringen, und da Robbie Williams leider nicht fürs Frühstücksfernsehen zur Verfügung stand, nahmen sie eben mit seiner Übersetzerin vorlieb. So kam es, dass ich mit einem Kamerateam im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin einfiel und zwischen großen Stapeln von „You know me“ ein paar Fragen zum Buch beantwortete. Für mich als introvertierte kleine Übersetzerin war dieser Fernsehauftritt eine Riesenüberwindung, gleichzeitig aber auch so eine einmalige Chance, dass ich nicht Nein sagen konnte. Leider ist die DVD mit dem Beitrag irgendwann verloren gegangen, es gibt also kein Beweismaterial mehr, wie ich einem lebensgroßen Robbie-Pappaufsteller treudoof über die Schulter gucke.
Ein bisschen treudoof liest sich jetzt, 12 Jahre später, auch meine Übersetzung. Wenn ich meinem damaligen Ich einen Tipp geben könnte, würde ich ihm raten: Trau dich! Denn die Besonderheit und zugleich auch Schwierigkeit dieses ersten Projekts war dessen Mündlichkeit. Konzept des Buches ist, dass Robbie Williams sein persönliches Fotoalbum aufschlägt und seinem Co-Autor, dem Musikjournalisten Chris Heath, zu jedem Bild eine Anekdote erzählt. Diese Zitate sind unter oder neben den jeweiligen Fotos abgedruckt und vom Tonfall sehr locker-flockig-lässig und cool, was für mich als ungeübte Übersetzerin offensichtlich eine Herausforderung war – zumindest im Rückblick. Ich glaube, damals fand ich die Übersetzung in jugendlicher Selbstüberschätzung ziemlich gelungen. Zwar habe ich stellenweise ziemlich frei übersetzt, umgestellt und mich nicht allzu streng an Satzgrenzen gehalten, wo ich es passend fand, trotzdem wirken die Robbie-Zitate teils sehr gestelzt und wenig mündlich. Ein Beispiel:
[Entertainment] meant a great deal to me when I was a kid. I spent a lot of time fashioning some kind of talent, being in the amateur operatic society, auditioning and singing when I could. I was reasonably good at it. I did The King and I, Chitty Chitty Bang Bang, and Fiddler on the Roof.
Als Kind war mir [Entertainment] wirklich wichtig. Ich habe in einer Musicalgruppe mitgemacht und viel Zeit damit verbracht, mein Talent weiter auszubilden, bin zu Castings gegangen und habe in jeder freien Minute gesungen. Ich war ziemlich gut und habe in einigen Inszenierungen mitgewirkt: Der König und ich, Tschitti Tschitti Bäng Bäng und Anatevka.
„In einigen Inszenierungen mitgewirkt“?! Der arme Robbie klingt in meiner Übersetzung wie ein 90-jähriger Schauspieler, der auf seine lange Theaterkarriere zurückblickt. Da habe ich mich auf jeden Fall im Register vergriffen. An anderer Stelle habe ich ihn korrekte indirekte Rede mit Konjunktiv benutzen lassen, auch das wirkt für verschriftlichte Mündlichkeit zu distanziert. Klassischer Fall allerdings, denn anfangs ist man natürlich bemüht, alles richtig zu machen und hat noch nicht den Mut, objektive „Fehler“ wie falsche Konjunktive einzubauen – oder hat schlicht noch kein erprobtes Repertoire von Umgangssprachemarkern parat. Das ist etwas, was ich mir erst über die Jahre erarbeitet habe. Ich fürchte aber auch, 43 (mit-)übersetzte Bücher später bin ich beim Lesen von Übersetzungen ziemlich pingelig geworden und setze sehr strenge Maßstäbe an. Trotzdem wundert mich nach wie vor, dass der Heyne-Verlag eine Übersetzung, von der relativ klar oder zumindest zu hoffen war, dass sie ein Bestseller werden würde, an eine Anfängerin vergeben hat. Für mich definitiv ein Glücksfall, auch wenn ich von dem Honorar erst mal mein gesamtes Hartz 4 zurückzahlen musste.
Übrigens stelle ich mir bis heute gern das Gesicht des Buchhändlers vor, bei dem meine damals 97-jährige Großmutter die brandneue Autobiografie von Robbie Williams bestellt hat. Er konnte ja nicht ahnen, dass es die allererste Übersetzung ihrer Enkelin war.
Und jetzt alle: Let meeeee entertain you …