„Eins der best­ge­hü­te­ten Geheim­nis­se der Weltliteratur“

Die Übersetzungsgeschichte von Stefano D’Arrigos „Horcynus Orca“ gleicht einer Odyssee. Antonio Werli, der das Monumentalwerk zusammen mit Monique Baccelli ins Französische gebracht hat, erzählt von der Arbeit an einem für unübersetzbar erklärten Text. Interview:

Antonio Werli und das Cover der Französischen Ausgabe von "Horcynus Orca"
Der Künstler und Übersetzer Antonio Werli neben dem Cover von "Horcynus Orca". Foto: Sol Gil.

Ste­fa­no D’Arrigos 1975 erst­mals ver­öf­fent­lich­ter Roman Hor­cy­nus Orca ist das Ergeb­nis einer gigan­ti­schen Anstren­gung. 1956 begann D’Arrigo mit der Arbeit an einem episch ange­leg­ten Text mit dem Titel La tes­ta del del­fi­no (Der Kopf des Del­phins). Zwei Jah­re dar­auf gewann er für zwei Aus­zü­ge aus die­ser Pro­sa den Cino del Duca-Preis. Elio Vitto­ri­ni, eines der Jury­mit­glie­der, frag­te D’Arrigo, ob er bei­de Tex­te in sei­ner Zeit­schrift Il Men­abò ver­öf­fent­li­chen wol­le, und der Ver­le­ger Mond­ado­ri bot ihm einen Ver­trag für das gesam­te Manu­skript an. 1960 erschie­nen die Aus­zü­ge dann in besag­ter Zeit­schrift, jetzt unter dem Titel I gior­ni del­la fera (Die Tage der Fere). Italo Cal­vi­no, Mit­her­aus­ge­ber von Il Men­abò, wünsch­te sich auf­grund der Kom­ple­xi­tät der Begriff­lich­kei­ten des Tex­tes ein Glos­sar, aber D’Arrigo wei­ger­te sich. Die Ver­la­ge Ein­au­di, Garz­an­ti und Fel­tri­nel­li mel­de­ten eben­falls Inter­es­se am gan­zen Roman an, aber D’Arrigo blieb Mond­ado­ri treu. 

1961, bei Abga­be des Manu­skripts, gab es dann wie­der einen neu­en Titel, das Buch soll­te jetzt I fat­ti del­la fera (Die Geschich­ten der Fere) hei­ßen. Für die Durch­sicht der Druck­fah­nen setz­te Mond­ado­ri D’Arrigo eine Frist von vier Wochen. Aller­dings nahm die Bear­bei­tung nicht weni­ger als fünf­zehn Jah­re in Anspruch. Erst 1975 erschien bei Mond­ado­ri der Roman unter dem end­gül­ti­gen Titel Hor­cy­nus Orca

Mit 80.000 ver­kauf­ten Exem­pla­ren wur­de das Buch zum Best­sel­ler. „Die ita­lie­ni­sche Ant­wort auf Moby Dick“, schrieb Geor­ge Stei­ner 2003 im Cor­rie­re del­la Sera und hob ins­be­son­de­re den Stil des Romans her­vor: Der Autor ver­wen­det den sizi­lia­ni­schen Dia­lekt, und das auf sehr ori­gi­nel­le Wei­se, mit gro­ßem Fein­ge­fühl für die ästhe­ti­sche Wir­kung der Spra­che. Wor­te und Moti­ve wie­der­ho­len sich, aber die Sät­ze sind nie mono­ton: Sie wogen auf und ab wie das Meer, sind her­vor­ge­gan­gen aus dem Sizi­li­en, das sie beschrei­ben und mythologisieren.

Wovon han­delt Hor­cy­nus Orca? Der Roman erzählt vom Matro­sen ’Ndrja Cam­bría und sei­ner vier­tä­gi­gen Rei­se durch „den Land­strich der Femi­no­ten an den Mee­ren zwi­schen Skyl­la und Cha­ryb­dis“ nach Sizi­li­en. Die Geschich­te spielt im Okto­ber 1943. ’Ndrja möch­te zurück in sein Hei­mat­dorf Carid­di und trifft unter­wegs auf diver­se Per­sön­lich­kei­ten: einer­seits die Fischer, die durch den Krieg ihre Lebens­grund­la­ge ver­lo­ren haben, ande­rer­seits die „Femi­no­ten“, geheim­nis­um­wo­be­ne, sire­nen­ar­ti­ge Frau­en­ge­stal­ten. Sie sind die Ein­zi­gen, die den Män­nern übers Meer hel­fen kön­nen, da sämt­li­che Fäh­ren zer­stört wor­den sind. Nach einer kräf­te­zeh­ren­den Über­fahrt fin­det ’Ndrja wie­der zu sei­nem Vater, der inzwi­schen alt und krank ist. 

Zur glei­chen Zeit hält der titel­ge­ben­de Orca Ein­zug in die Meer­enge – eine schlech­te Nach­richt für die Fischer, weil sich der Wal vom Schwert­fisch ernährt, ihrer Haupt­ein­kom­mens­quel­le. Eng­län­der und Del­phi­ne (im Roman „Feren“ genannt) grei­fen den Orca an, was ihm schwe­ren Scha­den zufügt. Aber auf­at­men kön­nen die Fischer des­we­gen noch lan­ge nicht, denn sie brau­chen ein neu­es Boot. Da taucht eine selt­sa­me Figur auf, der Mal­te­ser. Er schlägt ’Ndrja vor, an einer Regat­ta teil­zu­neh­men, die die Eng­län­der in Mes­si­na ver­an­stal­ten. Mit dem Preis­geld könn­te die Fischer sich ein neu­es Boot kau­fen. Nach einer wort­rei­chen Dis­kus­si­on geht ’Ndrja auf das Ange­bot ein, wird aber, als er auf dem Meer ist, von einer eng­li­schen Wache erschossen.

Das ist, in gro­ben Zügen, die Hand­lung des Romans. Aber ‘Ndrja ist nicht ihr ein­zi­ger Prot­ago­nist, auch die Spra­che spielt eine ent­schei­den­de Rol­le. Sie ist völ­lig neu­ar­tig. In sei­ner Kri­tik schreibt Geor­ge Stei­ner: „Bereits mit einem flüch­ti­gen Blick erkann­te ich, dass mein mit­tel­mä­ßi­ges Ita­lie­nisch dem Anspruch D’Arrigos nicht genü­gen wür­de.“ Dem­entspre­chend ver­langt einem auch die Über­set­zung des Tex­tes höchs­te Kon­zen­tra­ti­on ab, wie Anto­nio Wer­li und Moni­que Bac­cel­li, die bei­den fran­zö­si­schen Übersetzer:innen des Hor­cy­nus Orca, auf der Home­page ihres Ver­la­ges schreiben.

D’Arrigos Stil hat drei wesent­li­che Merk­ma­le: ers­tens die viel­fäl­ti­ge Varia­ti­on des Regis­ters (Umgangs­spra­che, Fach­jar­gon, …), zwei­tens zahl­rei­che Bezü­ge auf die Ent­wick­lung der ita­lie­ni­schen Spra­che (Alt­ita­lie­nisch, die Sprech­wei­se der Fischer, ital­i­ni­sier­te Sizi­lia­nis­men) und, drit­tens, unzäh­lig Wort­neu­schöp­fun­gen. Hin­zu kommt die Schwie­rig­keit der Sät­ze selbst: ihre Gram­ma­tik, der wel­len­för­mi­ge Rhyth­mus der Sät­ze. Die­se Her­aus­for­de­run­gen machen die Über­set­zung des Romans zu einem extrem schwie­ri­gen Unter­fan­gen und es über­rascht daher nicht, dass bis­her nur zwei voll­stän­di­ge Über­set­zun­gen vor­lie­gen, näm­lich die deut­sche von Mos­he Kahn, 2015 von S. Fischer ver­öf­fent­licht, und die fran­zö­si­sche von Anto­nio Wer­li und Moni­que Bac­cel­li, 2023 bei Nou­vel Atti­la erschienen.

Die Über­set­zungs­ge­schich­te des Hor­cy­nus Orca ist selbst schon eine Odys­see. Im Lau­fe der Jah­re haben sich zahl­rei­che enga­gier­te Übersetzer:innen dar­an ver­sucht, die meis­ten von ihnen muss­ten ihren Traum aller­dings wie­der auf­ge­ben. Das ist den Her­aus­for­de­run­gen des Tex­tes an sich geschul­det, aber auch den Beden­ken der Ver­lags­häu­ser gegen­über dem Pro­jekt, und dem Autor selbst, der sei­ne Fris­ten zur Manu­skript­ab­ga­be ein­fach nicht ein­hal­ten konn­te. 1960 wur­de auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se ein Ver­trag geschlos­sen, in dem vier inter­na­tio­na­le Ver­la­ge die Rech­te an dem Roman erwar­ben: Piper (Deutsch­land), Édi­ti­ons du Seuil (Frank­reich), Har­court Brace Jova­no­vich (für die eng­lisch­spra­chi­gen Län­der) und Edi­cio­nes Gri­jal­bo (Spa­ni­en). Aller­dings bezog sich die­ser Ver­trag noch auf I fat­ti del­la fera, also den Text, den D’Arrigo wäh­rend der kom­men­den 15 Jah­re bestän­dig erwei­tern und bear­bei­ten wür­de. Die end­gül­ti­ge Fas­sung war den Ver­la­gen dann zu kom­pli­ziert, schien unüber­setz­bar. Daher gaben sie ihre Rech­te wie­der auf. Von da an war es eini­gen weni­gen wag­hal­si­gen Übersetzer:innen über­las­sen, eine Hei­mat für die­ses so ein­zig­ar­ti­ge Werk der euro­päi­schen Lite­ra­tur zu suchen.

Einer von ihnen war der für sei­ne Camil­le­ri-Über­set­zun­gen bekann­te US-Ame­ri­ka­ner Ste­phen Sar­tar­el­li. Im Novem­ber 1986 teil­te er D’Arrigo mit, dass er gera­de ein Sam­ple für den Ver­lag Wei­den­feld & Nichol­son über­set­ze, und dass der Ver­lag 200 bis 300 „unüber­setz­ba­re“ Sei­ten des Tex­tes strei­chen wol­le. Bedenkt man, dass D’Arrigo even­tu­el­len Kür­zun­gen sei­nes Romans oft zurück­hal­tend gegen­über­stand, ist es bemer­kens­wert, dass er der Idee sei­nes ame­ri­ka­ni­schen Über­set­zers zustimm­te. Sar­tar­el­li und D’Arrigo bil­de­ten ein vier­hän­di­ges Übersetzungs-„Komitee“. Man könn­te sagen, dass der Autor sei­nen eige­nen Text aus dem „Dar­rig­hia­ni­schen“ ins Ita­lie­ni­sche über­setz­te, damit Sar­tar­el­li eine eng­li­sche Ent­spre­chung fin­den konnte. 

Die­ser D’Arrigo hat nichts mit dem durch die Kri­tik der dama­li­gen Zeit pro­pa­gier­ten Bild des Autors zu tun: In einer Rezen­si­on des Hor­cy­nus Orca schreibt Cesa­re Cases, D’Arrigo habe sich „so sehr in Lite­ra­tur ver­wan­delt, dass er nur noch Umgang mit sei­nen Figu­ren pfleg­te und sei­ne eige­ne Frau nicht mehr wie­der­erkann­te“. Ohne die Hil­fe sei­ner Frau Jut­ta hät­te er das Buch wohl nie­mals fer­tig geschrie­ben. Obwohl Sar­tar­el­li sich müh­te, das Pro­jekt zu einem siche­ren Abschluss zu füh­ren, bleibt sei­ne Fas­sung unzu­gäng­lich, denn wie Mos­he Kahn in einem im März 2018 ver­öf­fent­lich­ten Inter­view erklärt, ging der Ver­lag durch schlech­tes Manage­ment plei­te. Eine anvi­sier­te Zusam­men­ar­beit mit New Direc­tions, einem renom­mier­ten US-Ver­lag für über­setz­te Lite­ra­tur, führ­te ins Lee­re. Ob das Pro­jekt fort­ge­setzt wird, steht in den Sternen.

Auch Mos­he Kahn, der deut­sche Über­set­zer des Hor­cy­nus Orca, muss­te sich in Geduld üben, aber sei­ne jahr­zehn­te­lan­gen Bemü­hun­gen wur­den schließ­lich mit Erfolg gekrönt: Die Öffent­lich­keit begrüß­te die Ver­öf­fent­li­chung des letz­ten gro­ßen Romans aus dem 20. Jahr­hun­dert; der Über­set­zer selbst wur­de mit dem Jane-Scat­c­herd-Preis und mit dem Deutsch-Ita­lie­ni­schen Über­set­zer­preis geehrt. 

Im Nach­wort sei­ner Über­set­zung erzählt Kahn, wie er zum ers­ten Mal auf die­sen Roman auf­merk­sam wur­de. 1975 ver­brach­te er eini­ge Wochen auf dem Land­sitz sei­nes Freun­des Dona­to San­mi­nia­tel­li, einem Kunst­his­to­ri­ker. Der erzähl­te ihm leb­haft von dem Roman, den er gera­de las, und emp­fahl ihn ihm eben­falls zur Lek­tü­re. Aller­dings fühl­te sich Kahn, der zusam­men mit Mar­cel­la Bag­nas­co immer­hin schon Gedich­te von Paul Celan vom Deut­schen ins Ita­lie­ni­sche über­setzt hat­te, noch nicht bereit für die­ses Buch: „Zuerst muss­te ich noch mein Ita­lie­nisch ver­bes­sern“, sagt er im Inter­view. 1979, nach dem Tod sei­nes Freun­des, fass­te er dann den Ent­schluss, sich inten­siv mit Hor­cy­nus Orca aus­ein­an­der­zu­set­zen. 

Er kam lang­sam vor­an, las ein­zel­ne Pas­sa­gen wie­der und wie­der. „Als ich nach lan­ger Lek­tü­re schließ­lich ans Ende gelang­te“, schreibt er in sei­nem Nach­wort, „hat­te ich das kla­re Bewusst­sein, hier einen der fünf oder sechs ganz gro­ßen, außer­or­dent­li­chen, nie ver­ge­hen­den euro­päi­schen Roma­ne des 20. Jahr­hun­derts in Hän­den zu hal­ten.“ Zwei Jah­re lang las er an dem Buch, und woll­te den Autor dann unbe­dingt ken­nen­ler­nen. Als er sich mit Mond­ado­ri in Ver­bin­dung setz­te, sag­te die Sekre­tä­rin zu ihm: „Sie haben die­ses Buch wirk­lich gele­sen? Ich habe es nur bis Sei­te 17 geschafft.“

Im Fol­gen­den schloss der künf­ti­ge deut­sche Über­set­zer des Hor­cy­nus Orca Freund­schaft mit D’Arrigo und unter­nahm zwei Ver­su­che, einen Ver­lag für den Roman zu fin­den: Suhr­kamp sag­te, der Autor sei „völ­lig unbe­kannt“ und das Unter­neh­men noch dazu „ein wirt­schaft­li­ches Risi­ko“. Und Han­ser woll­te wis­sen, ob er denn die nega­ti­ven ita­lie­ni­schen Kri­ti­ken gele­sen habe. „Ich habe alle Kri­ti­ken gele­sen“, gab Kahn zur Ant­wort, „im Gegen­satz zu Ihnen, auch die posi­ti­ven: von Paso­li­ni, Levi und ande­ren Intellektuellen.“

Erst 23 Jah­re spä­ter fand Kahn mit dem hoch­an­ge­se­he­nen Ver­le­ger Egon Ammann jeman­den, der bereit war, sein Anlie­gen anzu­hö­ren. Dies­mal hat­te er Erfolg. Vor­ge­se­hen war die Über­set­zung bereits für 2011, als Jubi­lä­ums­aus­ga­be für den 30. Geburts­tag des Ver­lags. Aber 2010 muss­te Ammann sei­ne Arbeit aus gesund­heit­li­chen Grün­den ein­stel­len. Zum Glück erlitt die Über­set­zung dadurch kei­nen Schiff­bruch: Ammann hat­te das Pro­jekt an S. Fischer wei­ter­ge­ge­ben, einen weit­aus grö­ße­ren Ver­lag, und das mach­te sich bemerkbar. 

Die Rezep­ti­on war schlicht und ergrei­fend eupho­risch – genau der Tri­umph, den D’Arrigo sich für Ita­li­en erhofft hat­te. Die Lite­ra­tur­kri­tik war hell­auf begeis­tert, „das letz­te Meis­ter­werk des 20. Jahr­hun­derts“ ent­deckt zu haben. Kahn erin­nert sich an Hubert Spie­gels Rezen­si­on im Deutsch­land­funk, die noch vor Erschei­nen des Buches gesen­det wur­de: „eine 25-minü­ti­ge Lobes­hym­ne“. Die ers­te Auf­la­ge war schnell aus­ver­kauft. S. Fischer hat­te nicht erwar­tet, mehr als 1000 Exem­pla­re zu ver­kau­fen, und sah sich gezwun­gen, eine wei­te­re Auf­la­ge zu drucken. 

Die Über­set­ze­rin und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin Daria Bia­gi schreibt in ihrem Arti­kel über Kahns Über­set­zung, die­ser wür­de D’Arrigos Stil weni­ger „über­set­zen“ als ihn „bear­bei­ten“. Sei­ne deut­sche Fas­sung ist nur dem Anschein nach dia­lek­tal; sie ist archa­isch, aber aus der Spra­che ihrer Zeit wie auch aus D’Arrigos per­sön­li­chem Lite­ra­tur­ka­non her­vor­ge­gan­gen, in dem Höl­der­lin eine wich­ti­ge Stel­lung ein­nimmt. Daher greift die Gram­ma­tik auch auf die grie­chi­sche Syn­tax zurück. Kahn haucht D’Arrigos Poe­tik neu­es Leben ein, indem er den Ety­mo­lo­gien deut­scher Wör­ter nach­geht. In Höl­der­lins Sopho­kles- und Pin­dar-Über­set­zun­gen stößt er auf ähn­li­che Struk­tu­ren, wie D’Arrigo sie in sei­nem ita­lie­ni­schen Text ein­setzt. Dadurch kann er die Distanz zwi­schen dem Ita­lie­ni­schen, einer roma­ni­schen Spra­che, und dem Deut­schen, einer ger­ma­ni­schen Spra­che, über­win­den. Er denkt sich kei­ne neue Spra­che aus, son­dern „erfin­det neu, indem er sich kon­ti­nu­ier­lich auf die eige­ne lite­ra­ri­sche Tra­di­ti­on bezieht“, wie Daria Bia­gi in ihrem Arti­kel schreibt.

Bereits nach Erschei­nen der deut­schen Über­set­zung erwähnt Mos­he Kahn im Inter­view auch eine geplan­te fran­zö­si­sche Über­set­zung von D’Arrigos Meis­ter­werk, die für 2018 vor­ge­se­hen sei. Fünf Jah­re spä­ter, im Herbst 2023, war sie da. Ich habe mit Anto­nio Wer­li gespro­chen, der den Roman zusam­men mit Moni­que Bac­cel­li ins Fran­zö­si­sche gebracht hat. 


Im Nach­wort Ihrer Aus­ga­be schreibt der Ver­le­ger Benoît Virot: „Jeder erin­nert sich, wo er zum ers­ten Mal von Hor­cy­nus Orca gehört hat.“ Ich per­sön­lich habe D’Arrigos Roman durch einen Arti­kel von Hubert Spie­gel ent­deckt, als ich gera­de ein ödes Prak­ti­kum in einer Lokal­zei­tung absol­vier­te. Und Sie? Wie war Ihr ers­ter Lektüreeindruck?

AW: Ich habe Ste­fa­no D’Arrigo zufäl­lig ent­deckt, vor unge­fähr fünf­zehn Jah­ren, als ich beim Online­ma­ga­zin Fric Frac Club mit­ar­bei­te­te und regel­mä­ßig Bei­trä­ge schrieb. Dort spra­chen wir oft über noch nicht ins Fran­zö­si­sche über­setz­te Bücher oder unse­rer Mei­nung nach bedeu­ten­de, aber in der brei­ten Öffent­lich­keit noch unbe­kann­te Autoren. Es brauch­te nicht viel mehr als einen knap­pen Kom­men­tar zu Hor­cy­nus Orca auf einer ita­lie­ni­schen Inter­net­sei­te, schon war mei­ne Neu­gier geweckt. Zur dama­li­gen Zeit war der Roman in Ita­li­en nicht mehr lie­fer­bar. Irgend­wie para­dox: Glaub­te man den Kri­ti­ken, war das ein genia­les Meis­ter­werk, das in sei­nem Hei­mat­land aber schon seit Jah­ren nicht mehr zu fin­den war, in Frank­reich oder ande­ren Län­dern nahe­zu unbe­kannt, noch nie in eine ande­re Spra­che über­setzt. Mehr brauch­te ich nicht zu wis­sen, ich begab mich auf eine ech­te Schatzsuche! 

Mona­te­lang ging mir Hor­cy­nus Orca nicht aus dem Kopf, bis ich end­lich ein PDF der Aus­ga­be von 1975 in die Fin­ger bekam (dan­ke, Inter­net!). Dass ich den Roman in der ers­ten Pha­se mei­ner Lek­tü­re nach und nach durch mei­nen Büro­dru­cker jag­te, mach­te ihn zwei­fel­los nur noch fas­zi­nie­ren­der und rät­sel­haf­ter. Ich fühl­te mich pri­vi­le­giert, Zugang zu einem der best­ge­hü­te­ten Geheim­nis­se der Welt­li­te­ra­tur zu haben. Schon die ers­ten Sei­ten des Romans waren wun­der­schön: eine groß­ar­ti­ge, hoch­mu­si­ka­li­sche Spra­che, kom­plex und reich, aber abso­lut natür­lich, lan­ge, baro­cke Sät­ze, ein­drück­li­che Bil­der, eine „Opa­ci­té“ – um es mit Édouard Glis­sant zu sagen –, denn der Roman beein­druck­te durch sei­ne zahl­rei­chen Neo­lo­gis­men, sei­ne über­ra­schen­den For­mu­lie­run­gen, sei­ne Gedan­ken­viel­falt und das Gefühl, voll­kom­men in einem Erzähl­stru­del zu ver­sin­ken. Auch wenn ich zu die­sem Zeit­punkt noch nicht an eine Über­set­zung dach­te: Ich war bereits vom Hor­cy­nus Orca beses­sen.

In einem Arti­kel in der Zeit­schrift La matri­cu­le des anges schrei­ben Sie: „Man stel­le sich etwas vor, das so weit und tief ist wie ein Oze­an und so hoch und groß wie ein Berg. Und jetzt stel­le man sich vor, dass man nur eines will: die­ses Mas­siv durch­que­ren.“ Was hat Sie moti­viert, die­ses Pro­jekt in Angriff zu neh­men? Und wie haben Sie einen Ver­lag gefun­den, der bereit war, sich auf die­ses wirt­schaft­li­che Risi­ko einzulassen?

AW: Ich kann­te Benoît Virot, den Ver­le­ger von Le Nou­vel Atti­la, schon seit meh­re­ren Jah­ren, und hat­te für ihn gera­de Aven­tur­as de un nove­lis­ta ato­nal über­setzt, einen urko­mi­schen Roman des Argen­ti­ni­ers Alber­to Lai­se­ca. Ganz neben­bei: Die­ses Buch erzählt von einem argen­ti­ni­schen Schrift­stel­ler, der an einem mons­trö­sen Roman von über 2000 Sei­ten arbei­tet, den ein ver­rück­ter und ver­zwei­fel­ter Ver­le­ger zur Ver­öf­fent­li­chung annimmt, mit dem ein­zi­gen Ziel, dar­an bank­rott zu gehen. Doch dann wird das Buch ein unver­hoff­ter Erfolg! In die­sem Roman holt die Fik­ti­on die Wirk­lich­keit ein: Lai­se­ca selbst ist der Autor von Los Sori­as, einer durch­ge­knall­ten 1500-Sei­ten-Dys­to­pie, die in der moder­nen argen­ti­ni­schen Lite­ra­tur als Klas­si­ker gilt.

Jeden­falls leg­te ich Benoît dann eines schö­nen Tages mei­nen Fund vor, den Hor­cy­nus Orca. Als klei­ne Pro­vo­ka­ti­on und als Anspie­lung auf Lai­se­cas Roman schlug ich ihm eine Ver­öf­fent­li­chung vor. Zu mei­ner gro­ßen Ver­blüf­fung kann­te er den Orca bereits. Ich war näm­lich nicht der Ers­te, der ihm davon erzähl­te: Moni­que Bac­cel­li, die eben­falls für Le Nou­vel Atti­la als Über­set­ze­rin tätig gewe­sen war, hat­te sich eini­ge Zeit zuvor mit D’Arrigos Roman an Benoît Virot gewandt. Also brach­te er uns mit­ein­an­der in Kon­takt, damit wir eine Pro­be­über­set­zung anfer­ti­gen konn­ten. Was zuerst noch nach einer ver­rück­ten, ja unmög­li­chen Idee klang, ent­wi­ckel­te sich nach und nach zu einer erns­ten Über­le­gung, das Buch zu über­set­zen und zu ver­öf­fent­li­chen. Natür­lich war uns klar, dass sich die­se Sache lan­ge hin­zie­hen wür­de und wir gro­ße Opfer brin­gen müss­ten (in ers­ter Linie finan­zi­el­le, was für den Ver­lag, aber auch für uns Übersetzer:innen galt), aber dank unse­rer geball­ten Moti­va­ti­on konn­te wir sämt­li­che Hin­der­nis­se und Rück­schlä­ge über­win­den. Ich glau­be von gan­zem Her­zen, dass ein Über­set­zer, ein Ver­le­ger nur ein­mal im Leben vor einer der­ar­ti­gen Her­aus­for­de­rung steht. Und natür­lich waren wir alle drei abso­lut davon über­zeugt, was für ein beein­dru­cken­des, wich­ti­ges Buch Hor­cy­nus Orca war. Unser Wunsch, ihn dem fran­zö­si­schen Publi­kum näher­zu­brin­gen, war grö­ßer als alles andere.

Eine Über­set­zung zu zweit ist eine ein­zig­ar­ti­ge Her­an­ge­hens­wei­se, aber auch nach­voll­zieh­bar, wenn man die Län­ge des ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal­tex­tes – 1080 Sei­ten – bedenkt. Ich kann mir vor­stel­len, dass es hilf­reich ist, die Arbeit gemein­sam anzu­ge­hen. Wie haben Sie die­se Auf­ga­be bewältigt?

AW: Moni­que ist eine groß­ar­ti­ge, sehr erfah­re­ne Über­set­ze­rin. Zuge­ge­ben, ich selbst war noch ein „Nachwuchs-“Übersetzer, ganz schön beein­druckt von ihrer lan­gen Kar­rie­re. Trotz­dem fan­den wir recht schnell einen Arbeits­mo­dus. Unser Vor­ge­hen ent­sprach dabei unse­ren jewei­li­gen Fähig­kei­ten und Kennt­nis­sen, die sich wun­der­bar ergänz­ten. Ich glau­be, bei so einem anspruchs­vol­len Buch ist eine Co-Über­set­zung wirk­lich sinn­voll (zumal uns das Zeit gespart hat, jeden­falls, wenn man mal ver­gleicht, wie vie­le Jah­re Mos­he Kahn bzw. Ste­phen Sar­tar­el­li an ihren Über­set­zun­gen geses­sen haben, und wir uns so bei die­ser monu­men­ta­len Auf­ga­be nicht so ein­sam gefühlt haben). 

Die Kom­ple­xi­tät und Viel­schich­tig­keit von D’Arrigos Spra­che sind das Ergeb­nis einer fast 15 Jah­re lang andau­ern­den Über­ar­bei­tung; sie ver­mi­schen die zahl­rei­chen Vari­an­ten des Ita­lie­ni­schen und erschaf­fen eine Satz­struk­tur und eine Erzähl­stim­me, die stän­dig aus den Glei­sen der Stan­dard­spra­che springt. Ich mei­ne, wir haben auch des­halb ein „dich­te­res“, „hand­fes­te­res“ Ergeb­nis erzielt, weil wir unser Text­ver­ständ­nis, unse­re Lese­ein­drü­cke und unse­re Deu­tun­gen stän­dig mit­ein­an­der abge­gli­chen haben. Das hät­ten wir nicht geschafft, hät­ten sie oder ich das Buch allei­ne über­setzt. Moni­que war für einen beträcht­li­chen Teil des ers­ten Ent­wurfs ver­ant­wort­lich; ich selbst habe eine beträcht­li­che Mate­ri­al­samm­lung hin­zu­ge­fügt und die meis­ten Ver­ständ­nis­pro­ble­me „besei­tigt“. 

Wir haben unse­re Über­set­zun­gen immer gegen­ge­le­sen und uns gegen­sei­tig Lösun­gen vor­ge­schla­gen, die Ent­wür­fe ein- und der­sel­ben Epi­so­de solan­ge hin und her geschickt, bis wir bei­de damit zufrie­den waren. Aber die Über­set­zung des Hor­cy­nus Orca ist kei­nes­falls gerad­li­nig. Als wir bei der letz­ten Sei­te ange­kom­men waren, über­nahm ich in unse­rem Zwei­er­team noch eine wei­te­re Rol­le, ich muss­te näm­lich den Text, den Wort­schatz, die gan­zen klei­nen Details, die die­sen Roman so beson­ders machen, har­mo­nisch auf­ein­an­der abstim­men und Zusam­men­hang in sie hin­ein­brin­gen. Alles von Anfang bis Ende noch ein­mal durch­zu­ge­hen, war eine sehr lang­wie­ri­ge, müh­se­li­ge Auf­ga­be: eine sorg­fäl­ti­ge Arbeit an der Zei­chen­set­zung, an der Syn­tax, den Wort­neu­schöp­fun­gen, der Musi­ka­li­tät, an D’Arrigos sprach­li­chen Eigen­hei­ten, über­all, die gan­ze Zeit, wobei mei­ne Richt­li­nie war, die Spra­che „natür­lich“ klin­gen zu lassen.

Die Unter­schie­de zwi­schen dem Ita­lie­ni­schen und dem Deut­schen sind um eini­ges grö­ßer als die zwi­schen dem Ita­lie­ni­schen und dem Fran­zö­si­schen. Was war das lei­ten­de Prin­zip Ihrer Übersetzung?

AW: Mos­he Kahn spricht von der grie­chi­schen Syn­tax, die ihm als Hal­te­punkt dien­te, und von der mög­li­chen Annä­he­rung zwi­schen D’Arrigos Stil und sei­ner deut­schen Fas­sung. Das Deut­sche und das Fran­zö­si­sche sind viel wei­ter von­ein­an­der ent­fernt als das Ita­lie­ni­sche und das Fran­zö­si­sche. Das heißt aber nicht, dass die Über­set­zung des Hor­cy­nus Orca in die eine Spra­che ein­fa­cher wäre als in die ande­re. Wenn zwei Spra­chen nah bei­ein­an­der lie­gen (weil sie roma­nisch sind oder die Wör­ter eine ähn­li­che Her­kunft haben), ist es manch­mal sogar schwie­ri­ger, sich davon frei­zu­ma­chen und die Krea­ti­vi­tät spie­len zu las­sen, denn dann läuft man Gefahr, sich der Aus­gangs­spra­che all­zu sehr anzupassen.

Ich wür­de viel­leicht nicht von dem einen lei­ten­den Prin­zip spre­chen, aber wir ori­en­tier­ten uns an eini­gen in unse­ren Augen grund­le­gen­den Zie­len. Zum Bei­spiel: kei­ne Fuß­no­ten oder Erklä­run­gen (etwa in Form von Umschrei­bun­gen oder einer zu ein­fa­chen Über­set­zung da, wo das Ori­gi­nal undurch­sich­tig war); und das immer mit dem Hin­ter­ge­dan­ken, dass die Hand­lung und die Spra­che der Erzäh­lung sich selbst erzeu­gen, das heißt, dass der Text sei­ne eige­nen Erklä­run­gen oder Begrün­dun­gen (oft erst hun­der­te Sei­ten spä­ter) mit­lie­fert, man also die „Undurch­sich­tig­keit“ oder Merk­wür­dig­keit der Spra­che bei­be­hal­ten muss. 

Die meis­ten Neo­lo­gis­men las­sen sich näm­lich ety­mo­lo­gisch erklä­ren oder erklä­ren sich aus dem Kon­text selbst. Man muss ein Ver­ständ­nis dafür ent­wi­ckeln, wie D’Arrigo sei­ne Wort­neu­schöp­fun­gen bil­det und wie er den Dia­lekt ziel­ge­rich­tet ver­frem­det. Wenn man als Mikro­ar­chäo­lo­ge der Spra­che arbei­tet, wird der Blick aufs Gan­ze irgend­wann frei­er. Man muss dem Text ver­trau­en. Ich habe bereits erwähnt, wie „natür­lich“ D’Arrigos Spra­che ist: Liest man den Hor­cy­nus Orca auf Ita­lie­nisch, dann liest man ein Ita­lie­nisch, das nicht rest­los ver­ständ­lich ist, aber doch zu kei­ner Zeit künst­lich wirkt. Die­se Natür­lich­keit (und oft auch Münd­lich­keit) galt es unbe­dingt irgend­wie nach­zu­bil­den, und zwar durch klei­ne Abwei­chun­gen, die den Leser kit­zeln, den Text aber nicht son­der­ba­rer erschei­nen las­sen, als er es eigent­lich ist. 

Mei­ner Mei­nung nach lässt sich D’Arrigo gut mit Rabelais ver­glei­chen, bei­de Autoren ver­ste­hen die Spra­che als orga­ni­sches Gebil­de. Hin­zu kommt der beson­de­re Fokus, den D’Arrigo auf die Musi­ka­li­tät der Spra­che legt, auf den Klang, auf die Alli­te­ra­tio­nen und den Ton, den alles­ent­schei­den­den Rhyth­mus. D’Arrigo war Dich­ter und der Hor­cy­nus Orca ist ein über­wäl­ti­gen­des Pro­sa­ge­dicht. Ich glau­be, dass D’Arrigo eini­ges gemein­sam hat mit Vic­tor Hugo und José Lez­a­ma Lima, zwei ozea­ni­schen Dich­tern und Roman­au­to­ren, deren Roma­ne wah­re Unge­tü­me sind. Auch wenn sie mir nicht als sti­lis­ti­sche Vor­bil­der dien­ten, ihre Bücher hat­te ich bei der Über­set­zung immer im Kopf.

Zum Schluss möch­te ich mit Ihnen über eine Text­pas­sa­ge spre­chen, in der die Schwie­rig­kei­ten des Romans zusam­men­kom­men: der Auf­tritt des im Titel genann­ten Orcas. Wenn man Ihre Lösung mit Mos­he Kahns ver­gleicht, dann fällt auf, dass Sie vie­le von D’Arrigos Neu­schöp­fun­gen bewahrt haben (mis­dea, ron­cis­vel­la­ti); der deut­sche Über­set­zer hin­ge­gen hat man­che von ihnen (fero­ne, lan­cit­ta) so ste­hen­ge­las­sen und ande­re wie­der­um (z. B. ren­a­re­na) „geglät­tet“. Wie sind Sie zu Ihrer Über­set­zung gekommen?

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“Il fero­ne? Il fero­ne? Il ferone?”

Dai più vici­ni ai più lon­ta­ni, quel nome ter­ro­riz­zan­te risonò per la mari­na come un’eco cre­s­cen­te di pau­ro­sa mera­vi­glia, pas­sò di boc­ca a boc­ca e pas­san­do, gli por­ta­va via a ognu­no il san­gue del­la fac­cia, per­ché ognu­no torna­va a guar­da­re, a guar­dar­si intor­no e cog­li occhi, ora, con tut­ti e tre gli occhi dove li posa, pesa col suo gius­to, spa­ven­te­vo­le nome­pe­so sopra un piat­to del­la bilan­cia, mor­so a mor­so, e nel suo tem­pesto­so, scon­vol­gen­te insie­me, quel mas­sacro: pad­re e figlio tut­ti fra­cas­sa­ti den­tro, una mis­dea d’ossa, car­ne e san­gue, insom­ma, come si dice? ron­cis­vel­la­ti, e la lan­cit­ta, quella scon­quas­sa­ta, sbri­cio­la­ta come noce o nocel­la, e dopo ques­to pesa­re gli occhi su quel fini­mon­do di car­ni uma­ne e leg­no di lan­cit­ta, tra­ver­si­ne e ordi­na­te a palel­le, e mari­na poi rivol­ta­ta sot­to­so­pra, tut­ta ren­a­re­na in feto­re, ognu­no si dice­va: ques­ta è ope­ra di fero­ne e noi la pigliam­mo per trom­ba mari­na. Ave­va­no for­se biso­gne di dir­lo che quello scem­pio gli face­va ora un effet­to assai, assais­si­mo più spaurente?

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« Le fèros­se ? Le fèros­se ? Le fèrosse ? »

Des plus pro­ches aux plus éloi­g­nés, ce nom ter­ro­ri­sant réson­na sur la mari­ne com­me un écho crois­sant d’étonnement apeu­ré, il pas­sa de bou­che en bou­che, et, en pas­sant, à chacun il chassait le sang du visa­ge, par­ce que chacun recom­men­çait à regar­der, à regar­der autour de soi, et à pré­sent chacun, avec ses yeux, avec tous ses trois yeux où qu’il les pose, pesait avec son jus­te, épou­van­ta­ble poids-nom sur un pla­teau de la balan­ce, morceau après morceau et dans son tem­pé­tueux, bou­le­vers­ant ensem­ble, ce mas­sacre : père et fils tout fra­cas­sés à l’intérieur, une mis­dée d’os, de chair et de sang, bref, com­ment dit-on déjà ? tout ron­ce­va­lés, et la bar­cas­se, elle, cham­bar­dée, con­cas­sée com­me une noix ou une noi­set­te, et après cet­te pesée avec les yeux posés sur ce fini­mon­de de chair humaine et de bois de bar­que, de tra­ver­ses et de pou­t­res et de rames, et la mari­ne sou­le­vée sens des­sus des­sous, tout empu­an­tie tout-sable, chacun se dis­ait : ça, c’est l’œuvre du fèros­se, et nous on a pris ça pour une trom­be. Avai­ent-ils beso­in de le dire que ce mas­sacre leur fai­sait un effet beau­coup, beau­coup plus terrifiant ?

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«Der Feron? Der Feron? Der Feron?»

Von den Nächs­ten bis zu den Ent­fern­tes­ten drang die­ser schre­cken­er­re­gen­de Name über die Mari­na wie ein anschwel­len­des Echo ban­ger Ver­wun­de­rung, er wan­der­te von Mund zu Mund und trieb bei sei­ner Wan­de­rung jedem das Blut aus dem Gesicht, denn jeder sah nun wie­der hin, sah sich jetzt wie­der um, und mit den Augen, mit allen drei Augen, wo er sie hin­wand­te, wäg­te er mit sei­nem eigent­li­chen, erschre­cken­den Namens­ge­wicht auf einer Waag­scha­le Stück für Stück, und in sei­ner stür­mi­schen, ver­wir­ren­den Gesamt­heit die­ses Mas­sa­ker: Vater und Sohn, bei­de inner­lich zer­trüm­mert, eine Mis­dea von Kno­chen, Fleisch und Blut, mit einem Wort, wie sagt man noch?, ron­ce­va­liert, und die Lan­zit­te da, zer­schmet­tert, zer­brö­selt wie Nuss und Nuss­scha­le, und nach­dem sie alles gewich­tet hat­ten, indem sie ihre Augen auf die­ser Zer­stö­rung von Men­schen­fleisch und Lan­zit­ten­holz, Quer­ver­stre­bun­gen, Span­ten und Rudern hat­ten ver­wei­len las­sen, und dann auf der von zuun­terst nach zuoberst gekehr­ten Mari­na, auf dem gan­zen von Gestank über­zo­ge­nen Sand, sag­te sich jeder: Das ist das Werk des Ferons, und wir habens für eine Was­ser­ho­se gehal­ten. Muss­ten sie es sich denn erst sagen, damit die­se Mar­ter auf sie eine so über­aus gewal­ti­ge Beängs­ti­gung ausübte?

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AW: Mis­dea (mis­dée) und ron­cis­vel­la­ti (ron­ce­va­lé) sind zwei hoch­in­ter­es­san­te Bei­spie­le. Das ist genau die Art von Neo­lo­gis­mus, die spä­ter durch den Text selbst erhellt wird (wie etwa fera, pel­les­qua­dra, spi­ag­gia­to­re – fère, pel­lis­qua­le, riv­agier [und in Mos­he Kahns Über­set­zung: Fere, Pel­lis­quad­re, Strand­va­ga­bund] – um nur eini­ge zu nen­nen). Ohne an die­ser Stel­le auf die Details ein­zu­ge­hen, bei sol­chen Begrif­fen den­ke ich oft, dass D’Arrigo ein neu­es ita­lie­ni­sches Wort erfin­det, indem er von etwas aus­geht, das nicht exis­tiert, oder eine der­art spe­zi­fi­sche Anspie­lung ein­baut, dass sie dem Groß­teil der Leser ent­geht, dabei aber immer genau vor Augen hat, was gemeint ist. Es schien mir logisch und kei­nes­wegs ver­fehlt, das­sel­be zu machen, also lie­ber ans Fran­zö­si­sche anzu­glei­chen als mich für ein vor­han­de­nes Wort mit ähn­li­cher Bedeu­tung zu ent­schei­den: Der Kon­text erschafft das Wort. Der Gegen­stand oder das Bild erzeugt sei­ne eige­ne Bezeich­nung. Man wird nie so ganz genau wis­sen, wor­aus sich das fran­zö­si­sche Wort „mis­dée“ ablei­tet (die tat­säch­li­che Ety­mo­lo­gie ist auch den Italiener:innen selbst ein Rät­sel, aber eine Pas­sa­ge des Hor­cy­nus Orca lie­fert eine frei erfun­de­ne Wort­her­kunft), aber aus dem Kon­text ver­steht man am Ende doch, was gemeint ist: Mas­sa­ker, Gemet­zel, Katastrophe.

In ande­ren Fäl­len haben wir uns anders ent­schie­den. Zum Bei­spiel haben wir man­chen Dia­lek­ten ein­zel­ne Wör­ter ent­lehnt und auch sie, wo nötig, ans Fran­zö­si­sche ange­passt. Oder wir haben Aus­drü­cke aus der All­tags­spra­che leicht ver­fälscht, sie abge­wan­delt, mit Suf­fi­xen und Prä­fi­xen gespielt. Wir haben nach alten, sel­te­nen Aus­drü­cken gesucht, aus dem Argot oder einer nicht mehr gebräuch­li­chen geho­be­nen Spra­che. Durch die­se klei­nen Ver­frem­dungs­ef­fek­te, beson­ders die Wie­der­ho­lun­gen und die sprach­li­chen „Tics“, die D’Arrigo ganz bewusst ein­setzt, ent­steht eine ganz eige­ne Sprache. 

Eine wei­te­re Beson­der­heit des Romans ist die Ver­dopp­lung von Sub­stan­ti­ven und Adjek­ti­ven (hier ren­a­re­na), eine Über­zeich­nung des Ita­lie­ni­schen, wie es im Süden des Lan­des gespro­chen wird, oder auch des Sizi­lia­ni­schen. Man­che die­ser Wie­der­ho­lun­gen setzt D’Arrigo auch gezielt als adver­bia­le For­men ein. Die­ses Text­merk­mal woll­ten wir bewah­ren, aller­dings las­sen sich die­se Wort­wie­der­ho­lun­gen im Fran­zö­si­schen nur schwer in ein Sys­tem brin­gen: Zum Bei­spiel haben wir uns bei fit­to­fit­to für „ser­ré-ser­ré“ ent­schie­den [etwa: „inten­siv“]; den Gedan­ken­strich, etwa bei „tout-sable“ für ren­a­re­na [„dem gan­zen … Sand“] haben wir uns aus dem Alt­fran­zö­si­schen geborgt; und an ande­ren Stel­len haben wir, je nach Kon­text, selbst Wör­ter erfun­den, scu­ros­cu­ro, was „in der Dun­kel­heit“ bedeu­tet, wur­de mal zu „noirob­scur“, mal zu „plein-ombre“ oder „plei­ne-nuit“ …

Ich glau­be wirk­lich, dass es dut­zen­de Mög­lich­kei­ten zur Über­set­zung die­ser Neu­schöp­fun­gen gibt. Das mei­ner Ansicht nach Ent­schei­den­de ist aller­dings nicht, für wel­che Wör­ter sich die jewei­li­gen Über­set­zer ent­schei­den, son­dern wie sie sie ver­wen­den, wel­che Par­ti­tur sie aus ihnen kom­po­nie­ren. Ich habe den Ein­druck, dass D’Arrigo wie ein Beses­se­ner dar­an gear­bei­tet hat, Har­mo­nie in die Hun­der­te von Sei­ten zu brin­gen, Aus­drü­cke, Neo­lo­gis­men absicht­lich zu wie­der­ho­len, sie so zu bear­bei­ten, wie die Bran­dung die Kie­sel­stei­ne am Mee­res­grund hin und her bewegt. Die­ses stän­di­ge Kom­men und Gehen ist in mei­nen Augen der wich­tigs­te Aspekt des Tex­tes: Die Spra­che der Pel­lis­quad­re und der Femi­no­ten ist geformt vom Wogen der Wel­len und den Strö­mun­gen der Meer­enge von Messina.

Das Inter­view wur­de auf Fran­zö­sisch geführt und ins Deut­sche übersetzt.

Anto­nio Werli


Anto­nio Wer­li (gebo­ren 1980) ist Bild­künst­ler. Seit mehr als zwei Jahr­zehn­ten ist er auch als Über­set­zer aus dem Spa­ni­schen und Ita­lie­ni­schen (u.a. von Ste­fa­no D’Arrigo, Miguel de Unamu­no, Rober­to Bola­ño und Alber­to Lai­se­ca) sowie als Ver­le­ger tätig. Nach zehn Jah­ren in Bue­nos Aires lebt er jetzt in Arles in der Provence.


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