Gro­ße klei­ne Spra­che Norwegisch

Norwegen ist in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse; entsprechend reichhaltig ist derzeit das Angebot an Übersetzungen aus dem Norwegischen. Aber wie, was und warum übersetzt man eigentlich aus dieser großen kleinen Sprache? Von

Hoffen wir, dass die Begegnung mit der norwegischen Literatur auf der Buchmesse nicht so traumatisch endet wie die Begegnung Askeladdens mit dem Troll. Theodor Kittelsen: Askeladden og trollet (på flya) Quelle: wikiart.org

Es gibt etwa 7000 Spra­chen auf der Welt; davon wird aber nur ein win­zi­ger Bruch­teil ins Deut­sche über­setzt. In die­ser Rubrik fra­gen wir Men­schen, die Meis­ter­wer­ke aus unter­re­prä­sen­tier­ten und unge­wöhn­li­chen Spra­chen über­set­zen und uns so Zugang zu wenig erkun­de­ten Wel­ten ver­schaf­fen. Bis­he­ri­ge Bei­trä­ge in die­ser Rubrik:

Wie hast du Nor­we­gisch gelernt?

Als Not­lö­sung sozu­sa­gen. Ich habe Volks­kun­de und Ver­glei­chen­de Sprach­wis­sen­schaft stu­diert, und für die Sprach­wis­sen­schaft brauch­ten wir zwei indo­ger­ma­ni­sche Sprach­fa­mi­li­en als Neben­fä­cher. Dass ich kel­ti­sche Spra­chen stu­die­ren woll­te, wuss­te ich, aber die zwei­te?! In der Volks­kun­de wie­der­um wur­den wir dar­auf auf­merk­sam gemacht, dass Skan­di­na­vis­tik ein sinn­vol­les zwei­tes Neben­fach sein könn­te, da vie­le klas­si­sche Lite­ra­tur im Fach auf Schwe­disch ist. Damit hat­te ich mei­ne zwei­te Sprach­fa­mi­lie, nur woll­te ich natür­lich mit Schwe­disch anfan­gen. Der Schwe­disch­kurs für Leu­te ohne Vor­kennt­nis­se lag dann zum sel­ben Zeit­punkt wie ein wich­ti­ges volks­kund­li­ches Semi­nar, der Nor­we­gisch­kurs pass­te viel bes­ser, und da ich ja ohne­hin bei­de Spra­chen ler­nen muss­te, hab ich mit Nor­we­gisch ange­fan­gen. Ganz ein­fach also …

Wie sieht die nor­we­gi­sche Lite­ra­tur­sze­ne aus?

Reich, sehr vari­iert, auch wenn es von hier aus so aus­sieht, als ob da vor allem Män­ner in dicken Büchern ihren Nabel bewun­dern. Kri­mis kom­men hier ja auch ziem­lich gut an, es gibt eine rei­che Roman­welt, viel Lyrik, inter­es­san­te Dra­ma­tik – und gut gemach­te Sach­bü­cher jede Men­ge. Kin­der­bü­cher natür­lich auch, lei­der wird da der­zeit wenig über­setzt. Es gibt auch eine Men­ge Schrott, natür­lich, und oft fra­ge ich mich: Wie­so wird sowas ver­öf­fent­licht und dann auch noch über­setzt? Also im Grun­de wie in jedem Land mit einer leben­den Literatur.

Nor­we­gen ist Gast­land der Frank­fur­ter Buch­mes­se im Okto­ber 2019. Was erwar­tet die Lese­rin­nen und Leser?

Weiß ich ehr­lich gesagt nicht so genau. Ich bin ja nur Über­set­ze­rin, habe nichts mit dem offi­zi­el­len Pro­gramm zu tun, das wird von Nor­we­gen aus gemacht (glau­be ich), Leu­te wie ich sind da nicht mit ein­be­zo­gen. Ich habe aber den Ein­druck, dass jetzt, Ende Sep­tem­ber, sich noch vie­les ändert. Bestimmt gibt es vie­le Buch­vor­stel­lun­gen und Gesprä­che mit Autorin­nen und Autoren, vie­les aller­dings auf Eng­lisch. Und es gibt vor der Mes­se und nach der Mes­se über­all im Land Ein­zel­le­sun­gen in Buch­lä­den und Biblio­the­ken, vie­les davon im Rah­men von Gast­land Nor­we­gen von dort bezu­schusst, und da wird dann auch aus den Ori­gi­nal­bü­chern gele­sen. Wer ger­ne Nor­we­gisch hört, kann sich also freuen.

Was soll­te man unbe­dingt gele­sen haben? 

Kommt drauf an, was man inter­es­sant fin­det … viel­leicht ein paar Klas­si­ker, die Nobel­preis­trä­ger Ham­sun und Bjørn­son. Nor­we­gens ein­zi­ge Nobel­li­te­ra­tur­preis­trä­ge­rin, Sig­rid Und­set. Ein biss­chen Lite­ra­tur aus den 80er Jah­ren, die in Nor­we­gen total aus dem Rah­men fiel und fri­schen Wind in die Lite­ra­tur­sze­ne brach­te, sozu­sa­gen Bür­ger­schreck­li­te­ra­tur: Der Irr­läu­fer (Gud­mund Vind­land, Ü Gabrie­le Haefs), Wei­ße Nig­ger (Ing­var Ambjørn­sen, Ü Gabrie­le Haefs), Die Töch­ter Ega­li­as (Gerd Bran­ten­berg, Ü Elke Radi­cke). An Kri­mis: Unni Lindell, Nor­we­gens meist­ge­le­se­ne Kri­mi­au­to­rin (sie ist eine von vie­len in Nor­we­gen sehr erfolg­rei­chen Autor*innen, die hier­zu­lan­de kaum wahr­ge­nom­men wer­den) und als Ver­gleich Jo Nes­bø, der ein­zi­ge Kri­mi­au­tor dort, der genau­so viel ver­kauft wie sie). An Kin­der- und Jugend­bü­chern unbe­dingt Klaus Hage­r­up und Maria Parr. An Lite­ra­tur, die sich kein Eti­kett auf­kle­ben lässt: Mona Høvring. Und Vigdis Hjorth, Nor­we­gens meist­dis­ku­tier­te Autorin über­haupt. Eigent­lich fän­de ich es viel leich­ter zu sagen, wen man nicht unbe­dingt zu lesen braucht, aber das wäre sehr wenig diplomatisch.

Was ist noch nicht übersetzt?

Unend­lich viel. Die sen­sa­tio­nell guten Wikin­ger­ro­ma­ne von Tore Kvæ­ven, eine Men­ge Autorin­nen, von denen jede einen ganz eige­nen Umgang mit der Spra­che hat, wie Marit Eike­mo, Line Baugs­tø, Tere­se Aas­vik, Tiril Broch Aak­re, Mari­an­ne Fast­vold (von der gibt es immer­hin zwei Bücher auf Deutsch, lei­der nur noch eins lie­fer­bar), Majken van Brug­gen. Und eine Men­ge Klas­si­ker brauch­te drin­gend eine Neu­über­set­zung, die alten Bjørn­son­über­set­zun­gen sind teil­wei­se so ver­schro­ben, dass man gar nicht weiß, was gemeint ist. Ande­re sind nicht mehr auf­zu­trei­ben, wie bei­spiels­wei­se von Ama­lie Skram. Oder von Anna Munch (ihr Vet­ter Edvard ist als Maler bekannt). Oder Mag­da­le­ne Tho­re­sen, deren Schwie­ger­sohn Herr Ibsen hem­mungs­los bei ihr Poin­ten geklaut hat … Sig­rid Boo, so eine Art nor­we­gi­sche Irm­gard Keun (es gab ein paar Über­set­zun­gen vor 60 Jah­ren, die aber total betu­lich über­setzt wor­den sind, und sogar die Namen wur­den ein­ge­deutscht!) Und Arthur Omre, der zur Zeit der nor­we­gi­schen Pro­hi­bi­ti­on (um 1920) eine furio­se Kar­rie­re als Alko­hol­schmugg­ler hin­ge­legt hat und spä­ter Roma­ne dar­über schrieb. Und, und, und … ich könn­te vie­le Sei­ten füllen

Was sind die größ­ten Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen aus Norwegischen?

Das kommt immer auf den Text an, wie bei jeder Über­set­zung. Ein Pro­blem ist, dass es auf Nor­we­gisch mög­lich ist, end­los lan­ge Sät­ze zu bil­den, die gar nicht kom­pli­ziert oder hoch­ge­sto­chen wir­ken, das geht auf Deutsch ein­fach nicht. Das liegt dar­an, dass Deutsch Par­ti­zip­kon­struk­tio­nen ver­wen­det, die es auf Nor­we­gisch nicht gibt. Das Bei­spiel aus dem Lehr­buch ist immer: „der von mir erteil­te Befehl“, auf Nor­we­gisch heißt das: „Der Befehl, den ich erteilt habe“. Ein Satz mit meh­re­ren Rela­tiv­sät­zen im Rela­tiv­satz ist auf Nor­we­gisch ganz nor­mal, auf Deutsch wirkt er – wenn ich die Rela­tiv­sät­ze bei­be­hal­te – nur ver­wor­ren, oder, wenn ich Par­ti­zip­kon­struk­tio­nen neh­me, preu­ßisch-zackig. Also muss ich ent­schei­den, wann und wo ich wie auf­lö­se oder den Ori­gi­nal­satz in meh­re­re aufteile.

Und weil Nor­we­gisch und Deutsch eng ver­wand­te Spra­chen sind, muss man dau­ernd auf­pas­sen, dass man nicht auf fal­sche Freun­de rein­fällt. Das sieht man oft in alten Über­set­zun­gen, immer „rei­sen“ die Leu­te, auch wenn sie nur mit der Stra­ßen­bahn in die Stadt fah­ren wol­len (rei­se auf Nor­we­gisch: auf­bre­chen). Und jeder ordi­nier­te Geist­li­che ist ein prest. Das ist mit Pries­ter ver­wandt, aber aus irgend­wel­chen Grün­den wird es dau­ernd mit Pfar­rer über­setzt, als krieg­ten in Nor­we­gen gleich alle Geist­li­chen eine Pfar­re ver­ehrt und müss­ten die auch behal­ten, wenn sie längst Bischof gewor­den sind. Es kann sehr lus­ti­ge Ver­wechs­lun­gen geben. In Her­ders „Stim­men der Völ­ker in Lie­dern“ hat er hat er eini­ge nor­we­gi­sche Gedich­te über­setzt – und da sit­zen die Göt­ter in Wal­hal­la und trin­ken Öl! Denn auf Nor­we­gisch heißt Bier eben øl!

Schließ­lich viel­leicht die nor­we­gi­sche Titel­sucht, es ist ganz üblich, Leu­te mit ihrem Titel oder Beruf zu umschrei­ben. Und wenn man ganz höf­lich sein will, dann redet man in der drit­ten Per­son mit ihnen. „Möch­te sich der Rich­ter beim Obers­ten Gericht wohl set­zen?“ Wenn der Rich­ter beim Obers­ten Gericht – Høy­es­ter­ett­sdom­me­ren – auf 15 Sei­ten auf­tritt und kein ein­zi­ges Mal beim Namen genannt wird, klingt es auf Deutsch nur noch absurd. Zum Glück zeig­te in die­sem Fall der Autor Ver­ständ­nis und gab dem im Ori­gi­nal namen­lo­sen Rich­ter beim Obers­ten Gericht für die deut­sche Über­set­zung einen Nachnamen.

Wie gehst du damit um?

Ehr­lich gesagt, so ziem­lich nach Gefühl und Wel­len­schlag. Es muss zum Ori­gi­nal­stil pas­sen, aber auf Deutsch gut klin­gen (es sei denn, der Ori­gi­nal­au­tor legt Wert dar­auf, dass sein Text nicht leicht zu lesen ist, das gibt es ja auch).

Gibt es aus über­set­ze­ri­scher Sicht einen Unter­schied zwi­schen den bei­den Vari­an­ten Nyn­orsk und Bokmål?

Eigent­lich nicht. Nyn­orsk und Bok­mål sind zwei Schrift­spra­chen­va­ri­an­ten, die in Nor­we­gen gleich­ge­stellt sind, wobei der über­wie­gen­de Teil der Lite­ra­tur auf Bok­mål geschrie­ben wird. Wenn man von außen kommt und die bei­den Vari­an­ten beim Stu­di­um gelernt hat, sieht man vor allem die Ähn­lich­kei­ten. Es gibt kei­ne Unter­schie­de in der Gram­ma­tik, das Voka­bu­lar hat fast immer die­sel­be Ety­mo­lo­gie. Die Unter­schie­de zwi­schen Kölsch und Münch­ne­risch sind ehr­lich gesagt viel größer.Mir pas­siert es oft, dass ich erst irgend­wann mit­ten im Text mer­ke, in wel­cher Sprach­va­ri­an­te er geschrie­ben ist.

Was kann Nor­we­gisch, was Deutsch nicht kann?

Das, was alle Spra­chen kön­nen: Alle Lebens­be­rei­che im Land in Wor­te fassen …

Wir suchen für die Rubrik „Gro­ße klei­ne Spra­che“ Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, die Lust haben, ihre „klei­ne“ Spra­che mit unse­rem Fra­ge­bo­gen vor­zu­stel­len. Wenn du dich ange­spro­chen fühlst, mel­de dich ger­ne unter redaktion@tralalit.de.

Gabrie­le Haefs, gebo­ren in Wachtendonk/Niederrhein, stu­dier­te Volks­kun­de, Sprach­wis­sen­schaft, Kel­to­lo­gie und Nor­dis­tik an den Uni­ver­si­tä­ten in Bonn und Ham­burg. 1982 schloss sie ihr Stu­di­um mit einer volks­kund­li­chen Dis­ser­ta­ti­on an der Uni­ver­si­tät Ham­burg ab. Sie lebt als Über­set­ze­rin und lite­ra­ri­sche Gele­gen­heits­ar­bei­te­rin in Ham­burg. Mehr über die nor­we­gi­sche (sowie auch die sami­sche und die quä­ni­sche) Spra­che ist in ihrem Buch „111 Grün­de, Nor­we­gen zu lie­ben“ nach­zu­le­sen.
Foto: Miguel Ferraz

Gabrie­le Haefs: 111 Grün­de, Nor­we­gen zu lie­ben. Eine Lie­bes­er­klä­rung an das schöns­te Land der Welt.

Schwarz­kopf & Schwarz­kopf 2019 ⋅ 320 Sei­ten ⋅ 14,99 Euro

www.schwarzkopf-verlag.info/p/111-gruende-norwegen-zu-lieben-aktualisierte-and-erweiterte-neuausgabe-mit-farbteil

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