Am 7. März, kurz vor dem Internationalen Frauentag, wurde in ukrainischen sozialen Netzwerken ein Foto bewundert – die Historikerin Natalia Yakovenko sitzt an ihrem Laptop und übersetzt Titus Livius’ Ab urbe condita. Draußen donnerten Kanonen, die Kyjiwer Stadtverwaltung berichtete von Diversanten auf den Straßen, manche Freund:innen versteckten sich vor Luftangriffen in den Kellern, viele, wie ich, waren auf der Flucht. Die betagte Dame saß aber in ihrer gemütlichen Küche im sowjetischen Altbau und empfahl uns allen, den Optimismus nicht zu verlieren und „den Schalter umzulegen“, also in die Arbeit zu versinken. Das war ein Moment des Innehaltens. Mein Kopf, berauscht von Zorn, Angst und Ratlosigkeit, konnte es nicht begreifen – jemand sitzt da, in einer ungeheizten Wohnung in der belagerten Stadt und freut sich auf die Übersetzung über Punische Kriege.
Ich selbst war nicht mal in der Lage, die E‑Mails zu beantworten. Ukrainisch, meine Muttersprache, wirkte hohl und substanzleer, zudem hatte ich erhebliche Schwierigkeiten mit Konzentration und konnte beinahe kein Wort fehlerfrei tippen. Mein letzter Eintrag im Tagebuch stammte vom ersten Kriegstag. Danach konnte ich nur auf Deutsch schreiben, meistens fragmentarisch, in abgesonderten Files, die ich immer wieder verlor. Mein übersetzerischer Atem ist sehr kurz geworden. Selbst eine 20-seitige Datei musste ich mit noch zwei Kolleginnen teilen, so verwüstet fühlten wir uns. Da die Korrekturen meiner Tippfehler viel Zeit fraßen, diktierte ich die Übersetzungen einer App und besserte den erhaltenen Text nach. Das Gute war, dass die angehenden Angebote literarisch nicht anspruchsvoll waren, eine Metapher hätte ich wahrscheinlich nicht geschafft.
Das Foto erinnerte mich an die Vorkriegszeiten, an eine gewisse Heimlichkeit und Intimität, die für diesen Beruf immer typisch waren. Ich kenne niemanden in der Ukraine, der oder die sich ein ordentliches Büro leisten konnte. Ein Schreibtisch zu Hause, öfters in den überfüllten Kleinwohnungen aus der Sowjetzeit, gehörte zum Standard. Bei dem Flashmob #translatorsworkspace des Festivals Translatorium haben viele Übersetzer:innen den Küchen- oder Balkontisch ihren Arbeitsplatz genannt. Einige sprachen von der Couch im Wohnzimmer, weil sie ihre Laptops sowieso lieber auf den Knien hielten. Dabei wurde die Couch gerne mit Haustieren geteilt, als wäre Kuscheln ein Bestandteil der Arbeit.
Bis vor wenigen Jahren war literarische Übersetzung als Brotberuf in der Ukraine nicht wirklich denkbar. Seit den stürmischen 90ern steckte die Buchbranche in einer tiefen Krise, der unterentwickelte Markt bot wenige Vermarktungsmöglichkeiten an und litt an starker Konkurrenz mit russischer Buchproduktion. Die Verlagsprogramme waren winzig. Die Übersetzungen waren bei Verlegern zwar beliebt, wurden aber miserabel bezahlt und meistens nur im Falle ausländischer Förderung herausgegeben. Wer sich unter solchen Umständen für diesen Beruf entschied, war idealistisch und/oder ein Literaturfreak mit ein paar Nebenjobs. Einige, so wie ich, haben mehr von den Residenzstipendien im Ausland gelebt als von den Honoraren. Die Community war überschaubar, jede:r kannte jede:n und war mit ihr/ihm befreundet oder eben zerstritten.
Nach der Annektierung der Krym und dem Ausbruch des Krieges in Donbass 2014 sind wir plötzlich in einer neuen Berufswelt aufgewacht. Die Regierung hat endlich Maßnahmen getroffen, um den ukrainischen Buchmarkt zu schützen und Kultur zu fördern, gewisse Investitionen sind in die Branche geflossen, mehrere Literaturfestivals und –preise wurden landesweit gegründet. Die Leserschaft interessierte sich immer mehr für ukrainische Bücher, auf dem Markt wurde ein überraschender Boom registriert. Die Übersetzungen spielten dabei eine herausragende Rolle – die Gesellschaft suchte verzweifelt nach Reflexion und Austausch über die Kriegserfahrungen, und durch die 25-jährige Stagnation in der Branche sind eigene literarische Stimmen eher rar geworden. Plötzlich musste ich den Verlegern mit meinen Lieblingsbüchern nicht mehr hinterherrennen – ich bekam Angebote und konnte sogar auswählen, was ich übersetzen wollte. Immer mehr begegnete ich den Leuten, die das Übersetzen zu ihrem Hauptjob erklärten und davon zu leben versuchten.
Was damit einherging, waren typische Probleme der „freien“ Marktwirtschaft. Im Eifer des Wettbewerbs setzten die Verlage auf englischsprachige Bestseller, so dass die Übersetzungen aus „anderen“ Fremdsprachen, Förderung hin oder her, immer mehr aus dem Blickfeld verschwanden und bei den kleinen Verlagen landeten, die der Konkurrenz nicht wirklich standhalten konnten. Auf der Suche nach schnellem Gewinn zögerten einige Verlage nicht, schlecht lektorierte Texte und sogar Übersetzungen über Drittsprachen auf den Markt zu bringen. Dabei ging es etwa um die Sprachreihen Japanisch-Russisch-Ukrainisch oder Arabisch-Russisch-Ukrainisch, wo die direkte Übertragung nicht zwangsweise unmöglich gewesen wäre, aber sicherlich mehr gekostet hätte. Viele Aufträge hat man an Einsteiger:innen zu einem Halb- und sogar Drittelpreis vergeben, die Schuld für Fehler und stilistische Unfeinheiten wurde meistens auf die Übersetzer:innen geschoben. Die Leser:innen rebellierten, bei großen Skandalen mussten einige Bücher zurückgerufen und neu übersetzt werden. Eine Debatte über die Qualitätskriterien der Literaturübersetzung schien unausweichlich.
Der Fachkreis der Kolleg:innen wuchs. Die Facebookgruppe „Ukrainische Übersetzer“, früher ca. 4.000 Menschen stark, zählte am Vortag des großen Krieges etwa 12.000 Mitglieder; die Datenbank der Literaturübersetzer:innen von Translators in Action wies dagegen nur 317 Einträge auf. Die wahre Zahl müsste also irgendwo bei ein paar Tausend liegen. Die Neueinsteiger:innen beklagten sich über Mangel an Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten, die Tarife und Arbeitsbedingungen waren zum Teil katastrophal. Eine Studie von Translators in Action aus dem Jahr 2021 zeigt, dass sich über 40 % der Kolleg:innen überlastet fühlten, fast 30 % arbeiteten permanent übers Wochenende, knapp über 20 % konnten sich seit zwei Jahren keinen Urlaub leisten. Zwei Drittel der Befragten waren unterbezahlt.
In der Ukraine wird der Mindestsatz für Literaturübersetzung von einem Gesetz geregelt, das den Seitenpreis in einen Proporz zum Mindestlohn bringt. Im Jahr 2021 lag dieser Wert bei ca. 9 Euro pro Normseite. In Wirklichkeit zahlten die Verlage 1,7 bis 5 Euro pro Seite, oft wurden die Auszahlungen verzögert. Nur 9 % der Befragten bekamen 9 Euro pro Normseite oder mehr. Viele beklagten sich über Dauerstress und fehlende Bereitschaft der Verlage, über die Bedingungen zu verhandeln. Ein Zehntel der Übersetzer:innen hat oft oder sehr oft gar ohne Vertrag gearbeitet. Um 40 % der Respondent:innen haben sich als unsichtbar wahrgenommen: sie wurden nicht zu den Präsentationen eingeladen und nicht in den Veranstaltungen oder Pressemitteilungen als Autor:innen der Übersetzung erwähnt.
Wir bereiteten uns auf einen dramatischen Kampf um faire Bezahlung und Respekt vor, den die Kolleg:innen aus dem Bereich der Buchgestaltung und –Illustration bereits begonnen hatten. Die Übersetzer:innen forderten mehr Geld und Sichtbarkeit, Formalisierung der Arbeitsverhältnisse, besseres Lektorat, mehr Verantwortung der Verlage für herausgegebene Bücher, mehr Austausch und Beachtung eigener Bedürfnisse! Wir trafen uns in den Buchmessen und Festivals und organisierten übersetzerische „Klageabende“ aka Selbsthilfegruppen. Manche Institutionen und Verleger:innen machten mit, indem sie die Einhaltung des Gesetzes zur Förderbedingung machten oder die Namen der Übersetzer:innen auf dem Cover abdruckten. Die anderen jammerten weiter über „unerfahrene Grünlinge, die so frech sind, dass sie sich dem Autor gleichstellen wollen“. Das Kampffeld war weit, zu Hause schnurrte aber meine Katze, und Syntax verlieh mir das Gefühl, dass die Welt strukturiert und übersetzbar ist.
Der 24. Februar hat dieses Gefühl zunichte gemacht.
Nach zwei Monaten, als ich meinen Schmerz endlich auszuhauchen vermochte, fragte ich meine Kolleg:innen, wie es ihnen geht. Ob sie übersetzen können und ob die Sprache immer noch ein passendes Instrument für sie ist, um die Welt zu beschreiben. Ich habe sie gebeten, einen Gegenstand auf ihrem Arbeitsplatz zu fotografieren, der für sie eine symbolische Bedeutung hat, und ihn zu kommentieren. Einige haben das gemacht, andere nicht. Viele haben sich gewünscht, anonym zu bleiben. Insgesamt habe ich 50 Antworten erhalten. Einige kann ich nur bewundern, manche brechen mir das Herz, vieles kann ich nur zu gut nachvollziehen. Ich will die Eindrücke aber nicht auswerten oder erklären. Denn nach meiner tiefsten Überzeugung besteht die Übersetzung auch darin, anderen zuhören zu können.
Ich kann arbeiten, weil ich das Wichtigste, ein neues Notebook, von zu Hause mitgenommen habe. Den zweiten Computer habe ich zerlegt und die Festplatte herausgenommen, damit die Informationen nicht in die Hände des Feindes fallen. Ich habe einen Arbeitsplatz, es ist recht bequem, weil ich mein eigenes Zuhause habe . Es wird jeden Tag leichter zu arbeiten, aber natürlich nicht so einfach wie vor dem Krieg, weil ich mich zwingen muss, mich zu konzentrieren, und ständig trübe Gedanken vertreiben muss.
Es gelingt, aber bis jetzt nur mangelhaft – und zwar nur bei Texten, die keine große geistige Anstrengung erfordern. An unfertigen literarischen Übersetzungen kann ich derzeit nicht weiterarbeiten. Der erlebte große Stress stellte alles auf den Kopf, ließ mich an der Machbarkeit der eigenen Arbeit im Allgemeinen zweifeln, nicht nur beim Verstehen von Fremdsprachen. Aber ich vergleiche meine beruflichen Fähigkeiten gedanklich mit einer Axt. Auch wenn dieses Werkzeug kaputt und abgestumpft ist, ist es immer noch eine Axt. Sie kann in geschickten Händen funktionieren, wenn sie geschliffen oder der Griff erneuert wird.
Eine rosa Computermaus. Ich habe kurz vor dem Krieg einiges an Zubehör gekauft, um mir die Arbeit zu erleichtern: eine gute schnurlose Maus und eine Supertastatur. Und als wir trotz meines damals schwachen Denkvermögens die Evakuierung riskierten, steckte ich diese Maus in meinen Rucksack, obwohl ich nicht wusste, ob ich sie jemals wieder brauchen werde. Jetzt ist diese Maus ein Symbol dafür, dass ich nicht in Butscha umgekommen bin und meine Fähigkeiten und Arbeitsmittel noch immer der Gesellschaft dienen werden.
Olena Liubenko
Die Auswirkungen des Krieges sind uns allen bewusst. Ich habe die Zusammenarbeit mit einem russischsprachigen Kunden beendet. Das Geld aus dem vorherigen Auftrag habe ich an die ukrainische Armee überwiesen.
Kira V. Vereshchagina
Ich kann arbeiten und tue das auch, obwohl es während der Besetzung der Region Tschernihiw Probleme mit der Internetverbindung gab; ich musste das mobile Internet benutzen, das aber aufgrund der Kämpfe ebenfalls schlecht funktionierte. Ansonsten kann ich sagen, dass sich an den Arbeitsbedingungen nichts geändert hat.
Ich habe Konzentrationsprobleme. Jetzt, im dritten Kriegsmonat, beginnt man sich daran zu gewöhnen, aber anfangs war es sehr schwierig, nicht an all die Schrecken zu denken, die sich in der Umgebung abspielen und dabei Literatur zu übersetzen (ironischerweise handelte das Buch, an dem ich arbeitete, vom Leben nach dem Tod). Die übersetzten Sätze schienen schwach und karg, das Gehirn weigerte sich, kreativ zu arbeiten. Der Krieg machte sich unterbewusst bemerkbar, obwohl ich mich im Allgemeinen beherrschen konnte und ruhig blieb, während die meisten Menschen um mich herum nachts nicht schlafen konnten. Jetzt ist es zumindest gefühlsmäßig besser, das Denken fällt leichter.
Ich erinnere mich oft an eine Kugel, die ich zu Kriegsbeginn in Kyjiw zurückgelassen habe; ich hatte sie 2012 in Jewpatorija in einem Antiquitätengeschäft gekauft. Laut Verkäufer stammt die Kugel aus dem Krymkrieg . Angesichts der Tatsache, dass das Russische Reich diesen Krieg verloren hat und kapitulierte und die ukrainischen Kosaken an der Seite der Alliierten kämpften, wäre es jetzt ein gutes Zeichen, wenn ich sie bei mir hätte.
Ich wohne bei Freunden. Ich habe keine Möglichkeit, selbst etwas zu mieten, und in dieser Wohnung hier leben viele Menschen. Ich arbeite manchmal am Küchentisch, zeitweise im Fauteuil und im Bett. Jetzt, wo es wärmer geworden ist, setze ich mich auf den Balkon. Mir fehlt mein eigener Schreibtisch fürchterlich, an dem ich meinen Platz habe, auf dem ich Notizen ablegen kann, wo ich ausdrucken kann, wo das Wörterbuch liegt. Wo ich nicht jedes Mal einen neuen Arbeitsplatz aufbauen muss.
Ich mache mehr Tippfehler, manchmal schreibe ich automatisch die falschen Wörter, also muss ich langsamer arbeiten, um darauf zu achten und derartige Momente abzufangen. Es fällt mir sehr schwer, mich zu konzentrieren. Ich habe ADHS und momentan das Gefühl, dass alle Fortschritte, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, um erfolgreich damit zu leben und zu arbeiten, den Bach runtergegangen sind. Ich schreibe und übersetze, das ist mein Leben – und jetzt kann ich beides nicht mehr, als wäre jetzt jemand anderes in meinem Körper, den ich noch nicht kennengelernt habe. Ich habe mit Freude gelesen, wie die Übersetzer:innen ihre Arbeit während der Besetzung, unter Beschuss, in blockierten Städten fortsetzten. Und ich fühle immer eine brennende Scham, weil ich das in meiner relativen Sicherheit nicht tun kann. Gleichzeitig übersetze ich für die freiwilligen Helfer:innen mündlich aus dem Englischen und ins Englische. Das gibt mir Hoffnung, dass es auch mit dem Schreiben mit der Zeit besser werden wird.
Dies ist ein Aufkleber auf meinem Notebook, den ich letzten August im Geschenkshop des Museums des Warschauer Aufstands gekauft habe. Ich denke an ihn und schaue ihn an, wenn ich mich daran erinnern möchte, dass all mein Wissen, meine Erinnerungen und Erfahrungen immer noch bei mir sind. (Die Aufschrift auf dem Aufkleber: Deine einzige Waffe ist das, was du im Korb hast, der auf deiner abgenutzten Wirbelsäule sitzt.)
Kateryna Korniienko
Generell kann ich arbeiten. Ich habe die Technik, die passenden Arbeitsbedingungen, aber aus irgendeinem Grund gelingt mir das Übersetzen nicht. Wahrscheinlich, weil mir an meinem Hauptarbeitsplatz viel aufgebürdet wird.
Mein emotionaler Zustand wirkt sich natürlich besonders bei der Arbeit mit ausländischen Journalisten aus, wenn du eine weitere schreckliche Geschichte einer Familie aus Mariupol, Cherson, Region Saporischschja übersetzt … Die Frage nach dem Vertrauen in die Sprache als Ganzes stellte sich nicht, aber ich bemerkte, wie distanziert ich die Emotionen der Ukrainer, ihr Mitleid, ihre Verzweiflung, ihren Schmerz (ausgedrückt in Phrasen und Ausrufen statt in einzelnen Sätzen) in prägnante englische Phrasen übersetze.
Mein Arbeitsplatz ist ein abstrakter Begriff. Es ist ein Küchentisch, es sind meine Knie im Flur während eines Luftalarms und eine Handfläche mit einem Smartphone. Aber ich habe ein Plüsch-Ferkel aus Disneys Winnie-the-Pooh, es wärmt mich, inspiriert mich, beruhigt mich. Meiner Meinung nach sehr symbolisch, so ein rein ukrainisches Tier. Wahrscheinlich der Co-Autor einiger meiner Übersetzungen.
Daria Moskvitina
Ich wohne bei meiner Familie. Das Notebook ist eingegangen. Jetzt gibt’s nur kleine Anfragen von Freiwilligen. Das Wichtigste wurde für später verschoben.
Mein allgemeiner psychischer Zustand ist unbefriedigend, daher kommen alle Probleme. Ich habe 10 Tage in einem Flüchtlingslager gelebt und fühle mich zerbrochen. Ich sprach mit einem Psychologen, er sagte, dieses Gefühl werde mich lange begleiten.
Was mich aufrecht erhält? Eine alte Ikone meiner verstorbenen Mutter.
Die Arbeitsbedingungen haben sich nicht geändert, ich bin zu Hause und plane derzeit keinen Umzug. Zum Glück liegt meine Stadt in der sogenannten ruhigen Zone, wo sich alles auf Fliegeralarm beschränkt.
Obwohl ich mich nicht in unmittelbarer Nähe der besetzten Gebiete aufhalte, hat sich meine Arbeitsfähigkeit halbiert. Es ist schwieriger, mich zu konzentrieren und ich muss mich einfach zur Arbeit zwingen.
Die Kommunikation mit den Haustieren (in meinem Fall Katzen) und mein Hobby (Sticken beim Serienschauen) machen mir Freude und erden mich.
In der ersten Zeit, als der Krieg anfing, im Februar und bis Mitte März, machte ich viele Übersetzungen als Freiwillige, obwohl ich meinen Arbeitsplatz verloren hatte, weil unsere Wohnung überfüllt war (wir haben Verwandte bei uns aufgenommen). Dann wurde es ruhiger, auch die Verwandten zogen wieder aus; mit dem Übersetzen musste ich trotzdem aufhören. Ich spürte eine unüberwindbare Erschöpfung. Die erhöhte Arbeitsmotivation in den ersten Wochen, das muss ich zugeben, war eher darauf zurückzuführen, dass ich wie das ganze Land so viel wie möglich mobilisieren wollte. Etwas Nützliches tun. Überhaupt etwas tun. Aber ich hielt das nicht lange durch.
Konzentration ist wie eine Achillesferse. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so leiden würde. Der Mangel an Energie für Arbeit und Konzentration ist so stark, dass ich eine Zeit lang einen ganzen Tag (!) für eine Übersetzung von drei Zeilen brauchte und mich danach wie von einem Panzer überrollt fühlte. Die Fähigkeit, effektiv zu arbeiten, ist noch nicht zurückgekehrt. Mit großem Bedauern musste ich sogar ein gut bezahltes Jobangebot ablehnen, was in dieser Zeit eine Seltenheit ist. Ich hätte den Zeitplan von 10 bis 19 Uhr physisch einfach nicht ausgehalten. Wo ich früher morgens und abends arbeiten und bis zu zehn Seiten übersetzen konnte, kann ich jetzt nur die einfachsten Arbeiten erledigen (Comicübersetzung, simple Lokalisierung von Spielen), und das in einem sehr freien Zeitrahmen, weil ich nie weiß, wie viel Kraft ich morgen haben werde. Schon zwei bis drei Stunden Arbeit am Tag verbrauchen alle Ressourcen. Ich führe das auf eine starke emotionale Erschöpfung vor dem Hintergrund von Nachrichten über Kampfhandlungen, Hinrichtungen, Misshandlungen, Gewalt gegen unsere Menschen zurück. Es ist, als würdest du jedes Mal lebend sterben.
Das ist die weiche Plüschmotte Althea. Es tut gut, sie in den Händen zu drücken, wenn ich Angst habe. Ich habe mit ihr Fliegeralarme erlebt und sie sogar in meinen Not-Rucksack gepackt. Sie ist nicht nur weich, sondern sieht auch recht beeindruckend aus; sie weiß genau, wie man im Krieg den Feinden und im Frieden den Pelzmänteln den Tod bringt.))) Das trägt zum Gefühl der Sicherheit bei.
Mia Marchenko
Grundsätzlich kann ich arbeiten. Generell fehlt es mir an nichts, denn ich bin zu Hause. Das einzige Problem: Ich wohne in der Nähe von gleich zwei Militäreinrichtungen, beachte den Luftalarm und gehe jedes Mal in den Bunker. Das lenkt natürlich ab. Im Vergleich zur Zeit vor dem Krieg hat sich alles komplett verändert, denn neue Aufträge gibt es nicht und wird es wohl auch in nächster Zeit nicht geben. Fertige Übersetzungen, die ich bereits abgeliefert habe und die bereits lektoriert wurden (es sind 6!), werden in naher Zukunft höchstwahrscheinlich nicht publiziert. Sie hätten bereits vor langer Zeit erscheinen sollen. Das demotiviert natürlich. Wie auch die fehlende Bezahlung (Verlag in Charkiw) und die Verzögerung der Bezahlung (Verlag in Kyjiw).
Ich konnte zunächst überhaupt nicht arbeiten und verschob die Übersetzung bzw. das Korrekturlesen eines fertigen Textes um etwa 10 Tage. Ich konnte nicht an Elfen denken, und Arbeit kam auch hinzu: Ich räumte mit meinen Nachbarn ein paar Tage den Luftschutzbunker auf, brachte Vertriebene aus Charkiw bei mir zuhause unter und half anderen. Die Arbeit als Freiwilliger Übersetzer auf ehrenamtlicher Basis rettete mich. Jeden Tag übersetze ich Nachrichten aus der Ukraine, Untertitel für Videos, Zusammenfassungen oder verschiedene Posts für Netzwerke oder Briefe an Politiker. Ich mache das seit Beginn des Krieges (bereits zwei Stunden nach Kriegsbeginn erschien mein Artikel über den Krieg in einer belgischen Zeitung). Dadurch konnte ich mich langsam wieder auf die künstlerische Übersetzung einlassen, zu ihr zurückzukommen. Aber die Produktivität ist gesunken. Früher übersetzte ich 16–20.000 Zeichen pro Tag. Jetzt sind es 4–6.000. Und über die Qualität kann ich nichts sagen. Ich habe beschlossen, fertige Texte einmal mehr als früher durchzulesen.
Ich glaube nicht, dass eine Statuette oder ein Kreuz helfen können. Ich glaube an konkrete Taten. 2008 studierte ich in Griechenland und lernte einige Georgier kennen. Damals fing gerade bei ihnen der Krieg an. Ich versuchte dann, sie zu unterstützen, wo ich konnte. Am fünften Tag unseres Krieges kamen diese Georgier zu uns an die Grenze und versorgten unterwegs unsere Frauen und Kinder mit Essen. Das ist wirklich inspirierend. Auf meinem Schreibtisch hat sich daher nichts geändert.
Svyatoslav Zubchenko
Es ist schwierig, sich auf Prosatexte zu konzentrieren, aber die Übersetzung von Gedichten wird zu einer Art Impuls. Gerade in den ersten Monaten, als ich Gedichte über den Krieg las, verspürte ich sofort das Bedürfnis und die Pflicht, sie zu übersetzen, damit diese Gedanken auch woanders gehört werden konnten. Das funktionierte alles aufgrund eines Impulses. Oft wird eine solche Übersetzung zur Therapie. Es mag seltsam klingen, aber je traumatischer der Text ist, desto besser fühlst du dich beim Übersetzen. Es fühlt sich nah und wichtig an. Und alles andere wird in den Hintergrund gedrängt. Es ist immer noch schwierig, zu den literarischen Aufträgen der Vorkriegszeit zurückzukehren, die „nicht vom Krieg handeln“. Zuerst war nicht klar, wozu es diese Texte überhaupt gibt, jetzt werden sie einfach weggeschoben.
Auf meinem Foto sind Kaffee und ein Kalender an der Wand. Kaffee ist etwas aus einem vergangenen Leben, das dich in die Normalität zurückbringt. Solange ich morgens zu Hause Kaffee kochen kann, ist alles in Ordnung. Und der Kalender erinnert daran, dass der Februar vorbei ist und trotz allem draußen Frühling ist.
Tania Rodionova
Für die Übersetzung der Zitate aus dem Ukrainischen danken wir Susanne Macht. Sämtliche Zitate der Umfrage werden in naher Zukunft auf der Webseite des Toledo-Programms erscheinen.