Es gibt etwa 7000 Sprachen auf der Welt, doch nur ein winziger Bruchteil davon wird ins Deutsche übersetzt. Wir interviewen Menschen, die Meisterwerke aus unterrepräsentierten und ungewöhnlichen Sprachen übersetzen und uns so Zugang zu wenig erkundeten Welten verschaffen. Alle Beiträge der Rubrik findet ihr hier.
Wie hast du Bulgarisch und Mazedonisch gelernt?
Bulgarisch ist tatsächlich neben Deutsch meine zweite Muttersprache, die ich lange Zeit ein wenig stiefmütterlich behandelt habe. Erst in meinen Zwanzigern begann ich, das Bulgarische auch außerhalb des familiären Bereichs zu verwenden und mich mit seiner Sprachstruktur zu beschäftigen. Als ich neben meinem Geophysikstudium dann die Skandinavistik dazunahm, schien es nur logisch, sie mit Slawistik und im Besonderen Bulgaristik zu kombinieren. Aus der Naturwissenschaft ist letztlich nicht viel geworden, aber der Philologie bin ich treu geblieben. Mazedonisch habe ich mir im Laufe meines Studiums selbst beigebracht. Es ist dem Bulgarischen sehr ähnlich, sowohl was die Grammatik als auch den Wortschatz angeht; das ist nicht weiter verwunderlich, da beide Standardsprachen auf Dialekten des ostsüdslawischen Dialektkontinuums (man könnte auch sagen auf den balkanisierten südslawischen Dialekten) beruhen. Die bisweilen (sogar von Wissenschaftler*innen) geäußerte Ansicht, das Mazedonische sei „nur ein bulgarischer Dialekt“, ist übrigens blanker Unsinn, das können schon meine Studierenden im ersten Semester widerlegen.
Wie sehen die Literaturszenen auf Bulgarisch und Mazedonisch aus?
Beide Literaturszenen sind sehr lebendig und auch sehr vielfältig, es gibt internationale Literaturfestivals (wie z. B. die berühmten Strugaer Abende der Poesie am Ohridsee) und Literaturzeitschriften (wie z. B. den Literaturen vestnik aus Sofia oder die mazedonische Online-Zeitschrift Blesok, die man auch auf Englisch lesen kann), in denen reger Austausch stattfindet und wo man immer wieder auf neue Namen stößt. Mir fällt es zunehmend schwer, den Überblick zu behalten und am Ball zu bleiben, da ich mir im Lauf der Jahre einen festen Stamm an Autor*innen aufgebaut habe, mit denen ich zusammenarbeite, und auch wenn die meisten dieser Autor*innen für sich genommen nicht sonderlich produktiv sind, bin ich in Summe doch gut ausgelastet.
Was sollte man unbedingt gelesen haben?
Solchen Fragen weiche ich für gewöhnlich aus, es gibt aber in beiden Literaturen für deutschsprachige Leser viel zu entdecken, und zu meinem Glück haben es sich neben mir auch andere (nicht nur Übersetzer*innen, sondern auch Verleger*innen und Kulturvermittler*innen) zur Aufgabe gemacht, diesen Literaturen Gehör zu verschaffen. Natürlich gibt es ein paar (auch international) große Namen, doch das Angebot auf Deutsch geht inzwischen weit darüber hinaus. Neben Georgi Gospodinov, Alek Popov, Nikola Madzirov oder Lidija Dimkovska, um wirklich nur pro Sprache jeweils zwei sehr bekannte und präsente Namen aus meiner eigenen Produktion zu nennen, findet man mittlerweile eine Vielzahl von Büchern mazedonischer und bulgarischer Autor*innen in ganz verschiedenen Verlagen, ob jetzt Rumena Bužarovskas Mein Mann (Übersetzung: Benjamin Langer) bei Suhrkamp oder Angel Igovs Die Sanftmütigen (Übersetzung: Andreas Tretner) im eta Verlag. In jedem Fall lohnt es sich, die Augen offen zu halten.
Und was ist noch nicht übersetzt?
Es ist vieles noch nicht übersetzt, beide Sprachen bzw. Literaturen gelten ja eher als „klein“, das Interesse an ihnen bleibt überschaubar, trotzdem finde ich, dass wir in den letzten Jahren ziemlich aufgeholt haben. Eine Liste mit Werken oder Autor*innen, die unbedingt noch ins Deutsche übersetzt werden müssten, habe ich allerdings nicht, sehr wohl aber ein paar Texte im Hinterkopf, mit denen ich mich in näherer Zukunft auseinandersetzen will. Dabei handelt es sich allerdings nicht um aktuelle Autor*innen, sondern tendenziell um ältere Werke aus dem 20. Jahrhundert, quasi ein paar Geheimtipps (z. B. ein dekorativer Roman aus dem Jahre 1926), die ich auch vorerst lieber noch ein bisschen geheim halten möchte.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Bulgarischen bzw. Mazedonischen? Wie gehst du damit um?
So verschieden vom Deutschen sind das Bulgarische und Mazedonische strukturell gesehen eigentlich nicht, auch wenn beispielsweise das Verbalsystem durchaus größere Unterschiede aufweist – das Bulgarische kann, um nur einen Fall zu nennen, mittels einer Verbform ausdrücken, dass die vermittelte Information nicht auf eigener Beobachtung beruht und obendrein noch bezweifelt wird, so etwas nennt man einen dubitativen Renarrativ; wenn also jemand sagt „bil săm se napil (бил съм се напил)“, dann hat ihm jemand zugetragen oder behauptet, er habe sich volllaufen lassen, der Sprecher bzw. die Sprecherin selbst zweifelt aber daran. Im Deutschen hilft man sich in solchen Fällen mit dem Konjunktiv und einem eingefügten „angeblich“, vielleicht auch „dem Vernehmen nach“ oder „wie manche behaupten“. Für solche grammatikalischen Phänomene gibt es also quasi standardisierte Lösungen, anders sieht es hingegen aus, wenn man kulturelle Eigenheiten zu übersetzen hat. Dafür gibt es, wie in allen anderen Sprachen auch, keine Patentlösungen, da entscheidet man wirklich von Fall zu Fall. Ich persönlich bin kein Freund von Fußnoten oder Glossaren, auch bin ich nicht der Meinung, mein Text dürfe nicht mehr fremd klingen, ich sehe es nicht als meine Aufgabe, ihn rund zu lutschen wie ein Bonbon, auf dass er möglichst leicht zu konsumieren ist. Gerade in Zeiten von Suchmaschinen und Online-Enzyklopädien darf man den Leser*innen schon zumuten, auch selbst einmal etwas nachzuschlagen.
Was können Bulgarisch und Mazedonisch, was Deutsch nicht kann?
Für mich persönlich kann das Bulgarische natürlich nach Kindheit und nach meiner bulgarischen Großmutter klingen, es erzeugt gewisse Assoziationen und Sinneseindrücke. Ansonsten ist es wie mit allen anderen Sprachen auch: Weiß man mit ihnen umzugehen, können sie alles.
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