Gro­ße klei­ne Spra­chen Bul­ga­risch und Mazedonisch

Mit Bulgarisch und Mazedonisch stellen wir diesmal gleich zwei große kleine Sprachen vor, die nicht nur eng verwandt sind, sondern auch über äußerst lebendige und vielfältige Literaturszenen verfügen. Von

Eine Stadtlandschaft der bulgarischen Malerin Mana Parpulova. Quelle: WikiArt.

Es gibt etwa 7000 Spra­chen auf der Welt, doch nur ein win­zi­ger Bruch­teil davon wird ins Deut­sche über­setzt. Wir inter­view­en Men­schen, die Meis­ter­wer­ke aus unter­re­prä­sen­tier­ten und unge­wöhn­li­chen Spra­chen über­set­zen und uns so Zugang zu wenig erkun­de­ten Wel­ten ver­schaf­fen. Alle Bei­trä­ge der Rubrik fin­det ihr hier.


Wie hast du Bul­ga­risch und Maze­do­nisch gelernt?

Bul­ga­risch ist tat­säch­lich neben Deutsch mei­ne zwei­te Mut­ter­spra­che, die ich lan­ge Zeit ein wenig stief­müt­ter­lich behan­delt habe. Erst in mei­nen Zwan­zi­gern begann ich, das Bul­ga­ri­sche auch außer­halb des fami­liä­ren Bereichs zu ver­wen­den und mich mit sei­ner Sprach­struk­tur zu beschäf­ti­gen. Als ich neben mei­nem Geo­phy­sik­stu­di­um dann die Skan­di­na­vis­tik dazu­nahm, schien es nur logisch, sie mit Sla­wis­tik und im Beson­de­ren Bul­ga­ris­tik zu kom­bi­nie­ren. Aus der Natur­wis­sen­schaft ist letzt­lich nicht viel gewor­den, aber der Phi­lo­lo­gie bin ich treu geblie­ben. Maze­do­nisch habe ich mir im Lau­fe mei­nes Stu­di­ums selbst bei­gebracht. Es ist dem Bul­ga­ri­schen sehr ähn­lich, sowohl was die Gram­ma­tik als auch den Wort­schatz angeht; das ist nicht wei­ter ver­wun­der­lich, da bei­de Stan­dard­spra­chen auf Dia­lek­ten des ost­süd­sla­wi­schen Dia­lekt­kon­ti­nu­ums (man könn­te auch sagen auf den bal­ka­ni­sier­ten süd­sla­wi­schen Dia­lek­ten) beru­hen. Die bis­wei­len (sogar von Wissenschaftler*innen) geäu­ßer­te Ansicht, das Maze­do­ni­sche sei „nur ein bul­ga­ri­scher Dia­lekt“, ist übri­gens blan­ker Unsinn, das kön­nen schon mei­ne Stu­die­ren­den im ers­ten Semes­ter widerlegen.

Wie sehen die Lite­ra­tur­sze­nen auf Bul­ga­risch und Maze­do­nisch aus? 

Bei­de Lite­ra­tur­sze­nen sind sehr leben­dig und auch sehr viel­fäl­tig, es gibt inter­na­tio­na­le Lite­ra­tur­fes­ti­vals (wie z. B. die berühm­ten Stru­gaer Aben­de der Poe­sie am Ohrid­see) und Lite­ra­tur­zeit­schrif­ten (wie z. B. den Lite­ra­tu­ren ves­t­nik aus Sofia oder die maze­do­ni­sche Online-Zeit­schrift Ble­sok, die man auch auf Eng­lisch lesen kann), in denen reger Aus­tausch statt­fin­det und wo man immer wie­der auf neue Namen stößt. Mir fällt es zuneh­mend schwer, den Über­blick zu behal­ten und am Ball zu blei­ben, da ich mir im Lauf der Jah­re einen fes­ten Stamm an Autor*innen auf­ge­baut habe, mit denen ich zusam­men­ar­bei­te, und auch wenn die meis­ten die­ser Autor*innen für sich genom­men nicht son­der­lich pro­duk­tiv sind, bin ich in Sum­me doch gut ausgelastet.

Was soll­te man unbe­dingt gele­sen haben?

Sol­chen Fra­gen wei­che ich für gewöhn­lich aus, es gibt aber in bei­den Lite­ra­tu­ren für deutsch­spra­chi­ge Leser viel zu ent­de­cken, und zu mei­nem Glück haben es sich neben mir auch ande­re (nicht nur Übersetzer*innen, son­dern auch Verleger*innen und Kulturvermittler*innen) zur Auf­ga­be gemacht, die­sen Lite­ra­tu­ren Gehör zu ver­schaf­fen. Natür­lich gibt es ein paar (auch inter­na­tio­nal) gro­ße Namen, doch das Ange­bot auf Deutsch geht inzwi­schen weit dar­über hin­aus. Neben Geor­gi Gos­po­di­nov, Alek Popov, Niko­la Mad­zi­rov oder Lidi­ja Dim­kovs­ka, um wirk­lich nur pro Spra­che jeweils zwei sehr bekann­te und prä­sen­te Namen aus mei­ner eige­nen Pro­duk­ti­on zu nen­nen, fin­det man mitt­ler­wei­le eine Viel­zahl von Büchern maze­do­ni­scher und bul­ga­ri­scher Autor*innen in ganz ver­schie­de­nen Ver­la­gen, ob jetzt Rum­e­na Buža­rovs­kas Mein Mann (Über­set­zung: Ben­ja­min Lan­ger) bei Suhr­kamp oder Angel Igovs Die Sanft­mü­ti­gen (Über­set­zung: Andre­as Tret­ner) im eta Ver­lag. In jedem Fall lohnt es sich, die Augen offen zu halten.

Und was ist noch nicht übersetzt?

Es ist vie­les noch nicht über­setzt, bei­de Spra­chen bzw. Lite­ra­tu­ren gel­ten ja eher als „klein“, das Inter­es­se an ihnen bleibt über­schau­bar, trotz­dem fin­de ich, dass wir in den letz­ten Jah­ren ziem­lich auf­ge­holt haben. Eine Lis­te mit Wer­ken oder Autor*innen, die unbe­dingt noch ins Deut­sche über­setzt wer­den müss­ten, habe ich aller­dings nicht, sehr wohl aber ein paar Tex­te im Hin­ter­kopf, mit denen ich mich in nähe­rer Zukunft aus­ein­an­der­set­zen will. Dabei han­delt es sich aller­dings nicht um aktu­el­le Autor*innen, son­dern ten­den­zi­ell um älte­re Wer­ke aus dem 20. Jahr­hun­dert, qua­si ein paar Geheim­tipps (z. B. ein deko­ra­ti­ver Roman aus dem Jah­re 1926), die ich auch vor­erst lie­ber noch ein biss­chen geheim hal­ten möchte.

Was sind die größ­ten Schwie­rig­kei­ten beim Über­set­zen aus dem Bul­ga­ri­schen bzw. Maze­do­ni­schen? Wie gehst du damit um?

So ver­schie­den vom Deut­schen sind das Bul­ga­ri­sche und Maze­do­ni­sche struk­tu­rell gese­hen eigent­lich nicht, auch wenn bei­spiels­wei­se das Ver­bal­sys­tem durch­aus grö­ße­re Unter­schie­de auf­weist – das Bul­ga­ri­sche kann, um nur einen Fall zu nen­nen, mit­tels einer Verb­form aus­drü­cken, dass die ver­mit­tel­te Infor­ma­ti­on nicht auf eige­ner Beob­ach­tung beruht und oben­drein noch bezwei­felt wird, so etwas nennt man einen dubi­ta­ti­ven Ren­ar­ra­tiv; wenn also jemand sagt „bil săm se napil (бил съм се напил)“, dann hat ihm jemand zuge­tra­gen oder behaup­tet, er habe sich voll­lau­fen las­sen, der Spre­cher bzw. die Spre­che­rin selbst zwei­felt aber dar­an. Im Deut­schen hilft man sich in sol­chen Fäl­len mit dem Kon­junk­tiv und einem ein­ge­füg­ten „angeb­lich“, viel­leicht auch „dem Ver­neh­men nach“ oder „wie man­che behaup­ten“. Für sol­che gram­ma­ti­ka­li­schen Phä­no­me­ne gibt es also qua­si stan­dar­di­sier­te Lösun­gen, anders sieht es hin­ge­gen aus, wenn man kul­tu­rel­le Eigen­hei­ten zu über­set­zen hat. Dafür gibt es, wie in allen ande­ren Spra­chen auch, kei­ne Patent­lö­sun­gen, da ent­schei­det man wirk­lich von Fall zu Fall. Ich per­sön­lich bin kein Freund von Fuß­no­ten oder Glos­sa­ren, auch bin ich nicht der Mei­nung, mein Text dür­fe nicht mehr fremd klin­gen, ich sehe es nicht als mei­ne Auf­ga­be, ihn rund zu lut­schen wie ein Bon­bon, auf dass er mög­lichst leicht zu kon­su­mie­ren ist. Gera­de in Zei­ten von Such­ma­schi­nen und Online-Enzy­klo­pä­dien darf man den Leser*innen schon zumu­ten, auch selbst ein­mal etwas nachzuschlagen.

Was kön­nen Bul­ga­risch und Maze­do­nisch, was Deutsch nicht kann?

Für mich per­sön­lich kann das Bul­ga­ri­sche natür­lich nach Kind­heit und nach mei­ner bul­ga­ri­schen Groß­mutter klin­gen, es erzeugt gewis­se Asso­zia­tio­nen und Sin­nes­ein­drü­cke. Ansons­ten ist es wie mit allen ande­ren Spra­chen auch: Weiß man mit ihnen umzu­ge­hen, kön­nen sie alles.


Alex­an­der Sitzmann

Alex­an­der Sitz­mann, geb. 1974 in Stutt­gart, Stu­di­um der Skan­di­na­vis­tik und Sla­wis­tik in Wien, forscht und lehrt an der dor­ti­gen Uni­ver­si­tät; seit 1999 frei­be­ruf­lich als lite­ra­ri­scher Über­set­zer aus dem Bul­ga­ri­schen, Maze­do­ni­schen und den skan­di­na­vi­schen Spra­chen tätig;  Her­aus­ge­ber meh­re­rer Antho­lo­gien, Sam­mel­bän­de und Zeit­schrif­ten­schwer­punk­te. 2004 Ehren­preis des bul­ga­ri­schen Kul­tus­mi­nis­te­ri­ums, 2016 Öster­rei­chi­scher Staats­preis für lite­ra­ri­sche Über­set­zung, 2020 Brü­cke Ber­lin Thea­ter­preis, 2020/21 Trans­la­tor in Resi­dence in Zug (Stif­tung Lan­dis & Gyr).



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1 Comment

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  1. 1
    Christiane Kuby

    wun­der­ba­rer Bei­trag über die bul­ga­ri­sche Spra­che mit dem dubi­ta­ti­ven Ren­ar­ra­tiv! Eine Berei­che­rung.. vie­len Dank!

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